Alexander Sergejewitsch Puschkin:
Eugen Onegin
»Mein Onkel tut sehr brav und bieder,
Jetzt plötzlich sterbenskrank zu sein:
So schätzt man ihn doch einmal wieder;
Gescheitres fiel ihm selten ein.
Sein Beispiel – andern eine Lehre!
Wenn nur, o Gott, die Qual nicht wäre,
Vom siechen Greis bei steter Wacht
Nicht loszukommen Tag und Nacht!
Und diese Last gemeinster Pflichten:
Solch halbem Leichnam beizustehn,
Mit Arzenei zur Hand zu gehn,
Wehleidig ihm sein Pfühl zu richten –
Da seufzt man wohl und denkt für sich:
Wann endlich holt der Teufel dich!«
2.
So machte seine bittren Glossen
In Extrapost ein junger Fant,
Dem als der Sippe letztem Sprossen
Das Glück der Erbschaft vorbestand.
Euch, die ihr Ruslan und Ludmillen
So warm empfingt mit Freundeswillen,
Sei meines Versromanes Held
Hier mit Verlaub gleich vorgestellt:
Mein Freund Onegin ward geboren
Am Newastrand, der auch wohl gar,
O Leser, deine Wiege war,
Zu deines Namens Glanz erkoren!
Einst kam auch ich dort gut zurecht –
Doch mir bekommt der Norden schlecht.
3.
Sein Vater lebte bloß vom Borgen,
Seit der den Dienst mit Fug quittiert,
Vergaß bei Tanz und Schmaus die Sorgen –
Und war dann schließlich ruiniert.
Das Schicksal blieb Eugen gewogen:
Nachdem Madame es süß verzogen,
Gab man, weil trotzig, wenn auch gut,
Das Kind Monsieur l'abbé in Hut.
Der zage Franzmann hielt in Sachen
Des Unterrichts von Sanftmut viel,
Von Strenge wenig, mit dem Ziel,
Dem kleinen Schalk es leicht zu machen;
Ließ gehn, was irgend Zucht noch litt,
Und nahm ihn hübsch zum Stadtpark mit.
Der Jüngling ging auf einen Ball und wurde von der Schönheit von Damenfüßchen entzückt.
30
[...] Allein
In Rußlands grenzenloser Weite
Gibt's hübscher Füßchen kaum drei Paar.
Ach, unvergeßlich immerdar
Bleibt eines mir! ... Noch heute, heute,
So ernst ich bin, verfolgt es mich,
Und selbst im Traume zittre ich.
31.
Wann nur, in welchen Wildnisbanden
Schlägst du sie, Tor, dir aus dem Sinn?
O Füßchen, Füßchen! Wo zulanden
Schwebt heut ihr über Blumen hin?
Gehätschelt in des Südens Milde,
Ließt ihr im öden Schneegefilde
Des rauhen Nordens keine Spur;
Dem wohlig weichen Teppich nur
Wart ihr gewohnt euch anzuschmiegen.
Vergaß ich blinder Schwärmer nicht
Verbannung, Heimat, Ruhm und Pflicht,
Um eurem Zauber zu erliegen?
Mein junges Glück entschwand im Blühn,
Gleich eurer Spur im Wiesengrün.
32.
Dianens Busen, Floras Wangen,
O Freunde, reizen meinen Sinn!
Und dennoch zieht mich mehr Verlangen
Zum Füßchen Terpsichores hin.
Denn, wie es Augen selig blendet
Und, Gunst verheißend, Wonne spendet,
Entfesselt es in Lust und Qual
Der Wünsche ungemeßne Zahl.
Das Füßchen lieb' ich, o Elvine,
Am Tische, vom Damast verhüllt,
Auf Wiesen, die der Lenz erfüllt,
Am Winterabend vorm Kamine,
Im glatten Ballsaal, hoch am Strand,
Auf schroffgranitner Klippenwand.
Gegen Ende des Versromans wird Puschkin auf die Füßchen zurückkommen und erklären, sie hätten zu einer Abschweifung geführt, die erst jetzt wieder durch den ordnungsgemäßen Ablauf der Darstellung ersetzt werde. Romantische Ironie, wo ich sie nicht erwartet hätte. Hatte ich doch Puschkin als ersten Höhepunkt der russischen Literatur für ihren Klassiker gehalten. (Arge Unkenntnis)
" Puschkin gilt mit seinem Gesamtwerk und insbesondere mit dem Eugen Onegin als Begründer der russischen Literatursprache.[4] Um 1820 war die Verkehrssprache der russischen Oberschicht Französisch, amtliche und wissenschaftliche Texte wurden in der Regel in französischer Sprache geschrieben, kirchliche und weltliche russische Texte bis ins frühe 19. Jahrhundert in einem Kirchenslawisch, das zu Puschkins Zeit schon nicht mehr allgemein verständlich war. Kinder des Adels, wie Puschkin und Onegin selbst sowie Tatjana und Olga Larina, hatten französische Erzieher oder Sprachlehrer. Russisch lernte Puschkin von seiner Kinderfrau und perfektionierte es in der Zeit seiner Verbannung im Umgang mit der bäuerlichen Bevölkerung." (Wikipedia)
"Erzählt wird der Roman aus der Perspektive eines auktorialen Erzählers, eines „Freundes und Bruders“ Onegins. Puschkins Skizze "Selbstporträt mit Onegin am Ufer der Newa" entstand schon, bevor das erste Kapitel in St. Petersburg gedruckt wurde, und Reinhard Lauer interpretiert sie als „bildliche Realisierung der künstlerischen Gesamtstruktur des Romans.
Der moderierende Autor und sein problematischer Held waren gleichberechtigte Instanzen im Versroman, die einander kannten“.[2]
Wie bei Sterne oder Diderot begleitet und interpretiert der Erzähler ironisch die Handlungen seiner Personen, spricht den fiktiven Leser an, räsoniert mit ihm und schweift immer wieder vom Faden der Erzählung ab. Er ergeht sich in allerlei Exkursen über die unterschiedlichsten Themen, die feine russische Gesellschaft und deren Konventionen, die Literatur im Allgemeinen und die französische im Besonderen, über die Probleme mit den Defiziten der russischen Sprache beim Schreiben seines Romans bis hin zu seinen an Fetischismus grenzenden Lobreden auf die Schönheit des weiblichen Fußes. Eingeschoben in den Text sind ganze Gedichte und lyrische Naturbeschreibungen. Der Roman steckt voller Zitate und Referenzen russischer Autoren, europäischer Philosophen und Literaten und voller Anspielungen auf die aktuelle russische Politik, die selbst Nabokov in seinem zweibändigen Kommentar zum Roman nicht alle entschlüsselt hat.[3]"(Wikipedia)
Onegin wird nach seiner stürmischen Jugend gesetzter:
37.
Nein, sein Gefühl war bald erstorben,
Die bunte Welt erschien ihm leer;
Und, die er sonst so heiß umworben,
Die Schönen reizten ihn nicht mehr:
Er war es satt, genarrt zu werden.
Auch Freundschaft schuf ihm nun Beschwerden,
Denn ewig konnte man doch nicht
Zum Beefsteak oder Nachgericht
Champagner durch die Kehle jagen,
Und auf Verlangen obendrein
Mit schwerem Kopf noch geistreich sein;
Ja, sonst bereit, sich gleich zu schlagen,
Selbst Ehrenhändel ließ er nun,
So Degen wie Pistole, ruhn.
38.
Ein Leiden, welches aufzuklären,
Obschon verwandt mit Englands Spleen,
Die Ärzte längst verpflichtet wären,
Kurz: Rußlands Trübsinn hatte ihn
Seitdem bedenklich in den Krallen.
Sich aber einfach totzuknallen,
Das, Gott sei Dank, mißfiel ihm just;
Nur schwand ihm jede Lebenslust.
Und nun erschien er auf den Festen
Gleich Ritter Harold eisig stumm
Und blieb für Tanz und Spiel ringsum,
Für holde Seufzer, zarte Gesten,
Skandalgeschichten, Spott, Bonmots
Vollkommen kalt und teilnahmslos.
"Puschkins Gedicht ist von maßgebenden Literaturkennern schon früh als eine Art Enzyklopädie, „Enzyklopädie des russischen Lebens“ (Belinskij),[6] „literarische Enzyklopädie“ (Fennel, nach Johnston etc.) erkannt worden. Die Hauptfigur des Gedichtes, der Erzähler (nicht zu verwechseln mit dem Autor selbst), verlässt die Bühne nicht für einen einzigen Moment. Er kommentiert, interpretiert und parodiert nicht nur die Handlung, sondern alles, was mit dieser Handlung im weitesten Sinne zusammenhängt, sowie alles, was zum Beschreiben einer solchen Handlung benutzt wird bzw. benutzt werden könnte. Abgehandelt werden in präziser Form insbesondere alle bekannten Stilarten der Literatur, alle literarischen Themen, alle im Gang befindlichen literarischen Streitereien und – nicht zuletzt – Puschkins eigene Entwicklungsgeschichte in der Literatur, inkl. allem, was er als seine Fehlgriffe ansieht, wobei auch hier mit Ironie und beißendem Spott nicht gespart wird. Puschkin unterstützt seinen Erzähler in diesem Unterfangen damit, dass er jede Aussage mit der ihr eigenen Musik untermalt, d. h. durch die Form dupliziert[7]. Das Werk wird deshalb allein schon wegen dieser Verschmelzung von Form und Inhalt als absolut einmalig angesehen.[8]" (Wikipedia)
54.
Zwei Tage lang gefiel die Stille,
Das freie Land ihm wirklich gut,
Der dunkle Wald, die Saatenfülle,
Des Bächleins leise Murmelflut;[279]
Am dritten schien der Fluren Segen
Ihn freilich kaum noch anzuregen!
Und endlich ließ ihn alles kalt.
Ihn drückte nun auch hier sehr bald
Dieselbe Langeweile nieder,
Wie dort bei Prunk und Stadtgewühl,
Theater, Ball und Kartenspiel.
Der alte Trübsinn kehrte wieder
Und hing ihm wie sein Schatten an,
Wie Weiber am geliebten Mann.
55.
Dafür kann ich so recht genießen,
Wenn mir des Dörfleins Ruhe winkt,
Wo im verborgnen Lieder sprießen,
Der Leier Stimme süßer klingt.
Dort darf ich schlendern, wunschlos sinnen,
Im Nachen schaukelnd Träume spinnen,
Dem far niente still geweiht.
Mit froher Ungebundenheit
Beschenkt mich jeder neue Morgen:
Ich lese wenig, schlafe viel
Und frage kaum nach Zweck und Ziel.
War's nicht dies Dasein ohne Sorgen,
In goldner Freiheit auf dem Land,
Wo ich das reinste Glück empfand?
56
O Blumen, Liebe, Flur und Frieden,
Euch geb' ich mich von Herzen hin!
Es freut mich, daß ich so verschieden
Von meinem Freund Onegin bin,[280]
Weil nun kein Leser, mich bespöttelnd,
Noch jemand sonst, der, Arges zettelnd,
Mich selbst mit ihm vergleicht, fortan
Gewissenlos behaupten kann,
Ich hätte mich sehr unverfroren,
Von Byrons stolzer Art verführt,
Hier deutlich selber porträtiert;
Als müßten alle Herrn Autoren
Nur immerfort mit sich allein,
Dem lieben Ich beschäftigt sein!
57.
Beiläufig: Dichter schwärmen immer,
Sobald ihr Herz von Liebe quillt.
Auch mich entzückte früh der Schimmer
Süßholder Wesen, deren Bild
Mir heimlich in der Seele webte,
Bis es der Muse Hauch belebte;
Und so besang ich froh-bereit
Mein Ideal, des Berglands Maid,
Die am Salgir gefangnen Schönen.
Nun fragt ihr lieben Freunde mich
Jetzt gar so oft: »Für wen, o sprich,
Entströmt dein Schmerz in Leiertönen?
Wem aus der eifersücht'gen Schar
Der Mädchen bringst du Opfer dar?
58.
Wes Zauberblick voll Seligkeiten
Belohnte mit der Liebe Dank
Den tiefen Wohllaut deiner Saiten?
Sprich, wen vergöttert dein Gesang?«[281]
Ei, niemand, Freunde, Gott zum Zeugen!
Der Leidenschaften Sturmesreigen
Warf Trostes bar mich an den Strand.
O glücklich, wer dem Sinnenbrand
Des Sanges reine Glut vermählte,
Zwiefach so steigernd ihren Glanz
Und mit Petrarcas Ruhmeskranz
Begnadet – alles, was ihn quälte,
Vom Herzen warf! Nur mich allein
Zwang Liebe, blöd und stumm zu sein.
59.
Sie schwand; die Muse kehrte wieder,
Der Schleier fiel von meinem Blick.
Befreit nun ruf' ich alte Lieder,
Gefühl, Gedanken mir zurück.
Mein Herz ist still, derweil ich schreibe;
Die Feder malt zum Zeitvertreibe
Kein Köpfchen, keine Füßchen mehr,
Wie sonst, um meine Strophen her.
Kein Funke kann im Busen zünden,
Der Seufzer starb, ich traure nur,
Und bald wird auch die letzte Spur
Der einst'gen Seelenstürme schwinden.
Gleich fang' ich ein Poem sodann
In fünfundzwanzig Sängen an.
60.
Schon hab' ich nebst der Form des Planes
Mir einen Helden ausgedacht –
Inzwischen hier des Versromanes
Ersten Gesang zum Schluß gebracht;[282]
Hab' viel gebessert, viel gestrichen,
Zwar wimmelt's noch von Widersprüchen,
Doch sei's darum. Und kurz und gut:
Dem Zensor zahl' ich gern Tribut,
Und übergebe zur Vernichtung
Mein Werk der Rezensentenhand.
So zieh denn hin zum Newastrand,
Du, meine neugeborne Dichtung,
Und wirb mir dort des Sängers Lohn:
Mißdeutung, Undank, Spott und Hohn!
Auch wenn die Wikipedia davor warnt, den Erzähler mit Puschkin gleichzusetzen: Der Erzähler beschreibt hier die politisch/literarische Wirklichkeit seiner zaristisch-russischen Gegenwart.
Puschkin: Eugen Onegin 1. Buch/Gesang (Übersicht)
Er fand im selben Raum Behagen,
Wo vierzig Jahr' lang frommbeseelt
Der Dorfgreis Fliegen totgeschlagen
Und mit der Magd herumkrakeelt.
Ein schlichtes Zimmer: eichne Diele,
Zwei Schränke, Sofa, Tisch und Stühle,
Kein kleinster Tintenfleck zu sehn.
Die Schränke prüfend fand Eugen:
Hier Wirtschaftsbücher, dort die Spender
Des Seelentrostes: Schnaps, Likör
Und Apfelwein, ein ganzes Heer;
Von Anno acht den Volkskalender.
Sonst hatte bei der Pflichten Last
Der Greis kein Buch mehr angefaßt [...]
39.
Drum, Freunde, schlürft in vollen Zügen
Des Lebens kurzbemeßne Lust!
Ich freilich kenne seine Lügen,
Bin mir der Täuschung kühl bewußt
Und mag den Irrwahn nicht mehr teilen.
Ein leiser Wunsch nur quält zuweilen
Mein Herz mit ungewisser Pein:
Ich möchte nicht verurteilt sein,
Ganz spurlos aus der Welt zu scheiden;
Begehre keinen eitlen Ruhm –
Nur soll mein Erdenpilgertum
Sich noch in solchen Schimmer kleiden,
Daß freundlich, wenn auch matt beschwingt,
Ein Schall doch von mir Kunde bringt,
40.
Um da und dort ein Herz zu rühren;
Daß, vom Geschick bewahrt, fortan
Mein Lied im Strom sich nicht verlieren,
In Lethes Nacht versinken kann;
Ja, daß vielleicht (o schönstes Hoffen!)
Einst noch der dümmste Narr betroffen
Vor meinem Bilde stille steht
Und staunend ausruft: »Welch Poet!«
Dir aber sag' ich treuverbunden,
O Freund der Musen, wärmsten Dank,
Wenn mein bescheidner, flücht'ger Sang
In deiner Brust Asyl gefunden
Und gönnerhaft dein Finger rührt
Den Lorbeer, der das Haupt mir ziert.
Elle était fille, elle était amoureuse.
1.
»Schon fort? Ein Kreuz mit euch Poeten!« –
»Leb wohl, Onegin, höchste Zeit!« –
»Schön, schön, ich will dich nicht verspäten;
Doch wohin eilst du? Gib Bescheid.« –
»Zu Larins.« – »Hm ... Gesteh mal ehrlich:
Ist's auf die Dauer nicht beschwerlich,
Dies Hocken in Familie, sprich?« –
»Durchaus nicht.« – »Traun, das wundert mich;
Man malt sich solche Dorfgeschichte –
So ist's doch? – schon von weitem aus:
Ein russisch-philiströses Haus,
Sehr gastfrei, eingemachte Früchte,
Nebst ewig gleichem Redeschwall
Von Wetter, Flachs und Rinderstall ...« –
2,
»Das läßt sich immer noch ertragen.« –
»Man stirbt vor Langerweile, Freund.« –
»Dir mag die große Welt behagen,
Mich lockt ein Heim, wo traut vereint
Zwei Herzen ...« – »Himmelst du schon wieder?
Freund, bitte, keine Schäferlieder!
Du fährst nun, schade. Noch ein Wort:
Hör, Lenski, könnt' ich wohl mal dort
Die Phyllis sehn, die all dein Dichten
Begeistert, stets im Traum dir nah,
Und Harm und Schwarm et cetera? ...
Stell mich doch vor.« – »Du scherzt.« – »Mitnichten!« –
»Dann gern.« – »Wann also?« – »Gleich, steig ein,
Wir werden sehr willkommen sein.« –
3.
»Wohlan!« – Sie fahren los, gelangen
Ans Ziel und sehn sich allbereit
Behaglich-würdevoll empfangen
Mit umstandsreicher Gastlichkeit.
Hier ist die alte Zeit zu spüren:
Auf kleinen Tellern Konfitüren,
Gastfreundlich wird herangeschafft
In hohem Kruge Beerensaft.
...
4.
Der Abend kommt, die Freunde scheiden
Und kutschen heim bei Dämmerlicht.
Nun laßt uns hören, was die beiden
Zu reden haben. Lenski spricht:
»Du gähnst, Onegin?« – »Laß das Fragen,
Gewohnheit, Freund, hat nichts zu sagen.« –
»Doch mehr als sonst.« – »Ach was, egal!
Wie schnell es dunkelt, schau doch mal!
Andrjuschka, zugefahren! Scheußlich,
Dies öde Feld ... Na, tut mir leid:
Mama wirkt etwas bäurisch breit,
Scheint aber sonst ganz brav und häuslich ...
Daß der verdammte Beerensaft
Mir nur keine Beschwerden schafft!
5.
Hm ja, die Töchter ... wer von beiden
War Tanja?« – »Jene, die so trüb
Und schweigsam, wie um uns zu meiden,
Ans Fenster trat und abseits blieb.« –
»Dich reizt die Jüngre?« – »Ja – weswegen?« –
»Mir wär' an jener mehr gelegen,
Wär' ich, wie du, apollbeseelt:
Den Augen deiner Olga fehlt,
Gleichwie van Dycks Madonnen, Leben;
Ihr Rosenlärvchen, prallgesund,
Gleicht dort dem Mond, der dumm und rund
Sich anschickt, uns Geleit zu geben.«
Wladimir wich der Antwort aus
Und schwieg verdrossen bis nach Haus.
6.
Bei Larins hatte mittlerweile
Eugens Besuch sehr vorteilhaft
Und tief gewirkt. Mit Windeseile
Drang dies Gerücht zur Nachbarschaft:
Die Neuigkeit ward flugs verbreitet,
Es ward geklatscht, geraunt, gedeutet,
Und man verriet sich mitteilsam
Tatjanens künft'gen Bräutigam.
Ja, ganz Erfahrne wollten wissen,
Die Heirat sei perfekt, jedoch
Verschoben, denn man habe noch
Um neue Ringe schreiben müssen.
Daß Olga Lenski zugedacht,
Galt allen längst als ausgemacht.
7.
Tatjana nahm Geschwätz und Fragen
Unwillig auf, doch insgeheim
Empfand sie leises Wohlbehagen –
Unmerklich wuchs der Neigung Keim;
Bis endlich, was den Blick noch trübte,
Der klaren Sonne wich: sie liebte ...
So aus dem Schoß der Erde sprießt
Die Saat, sobald der Frühling grüßt.
Längst trieb ein scheues Glücksverlangen
Sie ruhelos durch Qual und Lust,
Längst sehnte sich die junge Brust
Aus tiefem Wirrsal, stetem Bangen
In keuschen Wonnen aufzugehn:
8.
Und harrte ... Endlich kam der Rechte.
»Der ist es!« rief ihr Herz befreit.
Ach, nun ist alles, Tag und Nächte,
Der stille Traum der Einsamkeit
Von ihm erfüllt, und all ihr Denken,
Ihr Hoffen, Fühlen, Sichversenken
Gilt einzig ihm! Sie weicht im Haus
Dem heitren Wort der Ihren aus,
Entzieht sich treubesorgten Fragen.
Sie wandelt wie verstört umher
Und kann nun kaum die Gäste mehr
Mit ihrem Alltagsklatsch ertragen,
Die stets im Kommen so geschwind
Und zum Verzweifeln seßhaft sind.
"1824 schied er [Puschkin] endgültig aus dem Hofdienst aus und wurde auf ein Gut der Familie im Gouvernement Pskow verbannt. 1823 hatte er mit der Arbeit am Eugen Onegin begonnen, die er jetzt intensiv fortsetzte. 1825 wurde das erste Kapitel veröffentlicht. 1826 wurde er von dem neuen Zaren Nikolaus begnadigt, durfte nach St. Petersburg zurückkehren, wo er öffentlich aus dem Onegin vorlas und sich sofort wieder Probleme mit der staatlichen Zensur einhandelte. Während der Cholera-Epidemie von 1830 kehrte er auf sein Gut zurück, wo er weiter intensiv an dem Roman arbeitete. 1831, dem Jahr seiner Heirat mit der sechzehnjährigen Natalja Goncharova, beendete er nach acht Jahren den Roman, der die schwierigste Zeit in seinem Leben begleitet hat.
Publiziert wurde der Roman in St. Petersburg ab 1825. Das zweite Kapitel wurde 1826 gedruckt, Kapitel 3 folgte 1826" (Wikipedia)
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