zum Beginn der Darstellung: Eugen Onegin Buch/Gesang 1-3
"Als er (Eugen Onegin) auf den jungen Poeten Wladimir Lensky trifft, der gerade aus Göttingen, wo er Kant, Schiller und Goethe studiert hat, nach Russland zurückgekehrt ist, freundet er sich mit ihm an. Die beiden verbringen viel Zeit miteinander. Lensky führt ihn in das Haus seiner Verlobten Olga Larina ein, die dort zusammen mit ihrer Mutter und ihrer Schwester Tatjana lebt. Die Larins leben nach alter russischer Art, pflegen alte Bräuche, alte Lieder und alten Aberglauben. Die stille und verträumte Tatjana fühlt sich von dem weltgewandten und eloquenten Onegin angezogen. Tatjana liest viel, sie träumt sich ein in die Romanwelt eines Richardson, Melmoth oder Lord Byron, und Onegin leiht ihr Bücher aus. Onegin taxiert Tatjana mit dem geübten Blick des Charmeurs, Tatjana aber verliebt sich in den jungen Mann. In einem leidenschaftlichen Brief gesteht sie Onegin ihre Liebe, die sie als schicksalhaft empfindet. In ihm erkennt sie ihren von Gott gesendeten Beschützer. Onegin deutet den Brief als Heiratsantrag, beantwortet ihn nicht und weist sie bei nächster Gelegenheit mit kühlen Worten zurück. Ihre Liebe tut er als mädchenhafte Schwärmerei ab, über Ehe und Familie hat er eine schlechte Meinung, die Phasen des Verliebtseins habe er hinter sich gelassen, und für die Ehe fühle er sich nicht geschaffen. Tatjana werde ihn bald vergessen und einen Würdigeren als ihn zum Ehemann nehmen. Der örtliche Klatsch jedoch sieht inzwischen in Onegin und Tatjana ein künftiges Ehepaar." (Wikipedia)
4. Buch/Gesang
Motto
La morale est dans la nature des choses.
Necker
7.
Ein Weib wird um so heißer lieben,
Je kühler man sich abseits hält,
Und wird dann leicht ins Netz getrieben,
Das die Verführung ausgestellt.
Der wahren Kunst zu lieben rühmte
Sich einst die schamlos unverblümte
Genußsucht: lüstern und verwöhnt,
Hat nur der Wollust sie gefrönt.
Dies ekle Spiel entsprach den Tücken
Verlebter Affen aus der Zeit
Großväterlicher Herrlichkeit:
Doch roter Absatz und Perücken
Sind längst verstaubt, wie auch der Ruhm
Der Lovelace und ihr Kennertum.
8.
Bekommt man doch dies Schellenläuten
Und fade Heucheln schließlich satt,
Dies Wichtigtun mit Albernheiten,
Die jeder längst begriffen hat.
Wo nach maskierten Hindernissen
Bedenken erst zerstreut sein müssen,
Die nicht einmal bei einem Kind
Von dreizehn Jahren glaubhaft sind!
Wem wird nicht schlimm bei all den Schwüren,
Dem Schmachten, Trotzen, Jammern, Drohn,
Dem Briefgeschwall, dem Klatsch und Hohn,
Der Tränenflut, dem Spionieren
Von Müttern, Tanten, nebst der Qual
Der Freundschaft mit dem Herrn Gemahl!
9.
So dachte auch Eugen. Im Feuer
Der ersten, frischen Jugendkraft
Verlor er sich in Abenteuer,
Ein Spielball toller Leidenschaft.
Umschmeichelt von des Lebens Wogen,
Hier schnell und flüchtig angezogen,
Dort schnell gesättigt, abgekühlt,
Von Sehnsucht nach Genuß durchwühlt,
Und im Genuß nach Sehnsucht schmachtend;*
Ernüchtert zwar vom Rausch der Lust,
Und doch die Warnung seiner Brust
Durch Spott zu übertäuben trachtend –
So zehrte er in wildem Lauf
Acht seiner besten Jahre auf.*
* vgl. So tauml' ich von Begierde zu Genuss und im Genuss verschmacht ich nach Begierde. (Faust I Wald und Höhle)
*Ich bin nur duch die Welt gerannt... (Faust II)
10
Jetzt freilich warb er um Sirenen
Nur noch zum Zweck der Tändelei:
Ward ihm ein Korb – gab's andre Schönen,
Der Laufpaß – nun, dann war er frei.
So nüchtern, so ironisch heiter,
Wie er gekommen, ging er weiter,
Von Haß und Liebe kaum berührt.
So etwa setzt, durch nichts geniert,
Ein Abendgast zum Whist sich nieder,
Spielt ruhig seine Karten aus,
Kutschiert nach Schluß getrost nach Haus,
Erfreut durchs Bett die müden Glieder
Und ahnt noch kaum, wenn früh erwacht,
Wo er sein nächstes Spielchen macht. [...]
50
Er war so froh: in wenig Wochen
War ihm der Wünsche höchstes Ziel,
Der Brautnacht Seligkeit versprochen,
Da sollte ihn der Minne Spiel,
Der Liebe zartes Band beglücken!
Ach, Hymens Bosheit, Hymens Tücken,
Des grauen Alltags Last und Pflicht,
Sie ahnte unser Lenski nicht.
Derweil wir andern herzlos Kalten
Die Ehe für den gröbsten Wahn,
Den abgeschmacktesten Roman
Im Lafontaineschen Genre halten ...
Er freilich war, so rein beseelt,
Für jenen Stand wie auserwählt.
Er war geliebt (das heißt: so glaubte
Sein Schwärmerherz) und war beglückt.
Wohl dem, dem nichts die Einfalt raubte.
Der ohne Mißtraun weltentrückt
Sich näher träumt dem schönsten Ziele,
Wie ein Betrunkner auf dem Pfühle,
Gefäll'ger: wie der Schmetterling,
Der duftberauscht am Blümchen hing.
Doch wie bedauernswert dagegen,
Wer nie sich mehr am Schein erfreut,
Ernüchtert durch die Wirklichkeit
Gewohnt ist, stets Verdacht zu hegen,
Sein Herz versperrt, sich nie vergißt
Und keines Leichtsinns fähig ist!
5. Buch/Gesang
Motto
Träume nie solch bösen Traum,
Holdes Kind, Swetlana!
1.
Der Herbst hielt nach dem Fall der Blätter
Noch lange stand in diesem Jahr;
Es kam und kam kein Winterwetter.
Schnee fiel auch erst im Januar,
Am Dritten nachts. Als in der Frühe
Tatjana munter wurde, siehe,
War Hof und Garten weit und breit,
Der Zaun, die Dächer tief verschneit,
Am Fenster prangten Blumensterne,
Die Bäume standen silberschwer,
Es schwirrten Elstern froh umher,
Und alle Höhen in der Ferne
Bedeckte flimmernd Schnee und Eis.
Ringsum ein einzig blendend Weiß. [...]
"Zwei Wochen vor Lenskys Heirat mit Olga feiert Tatjana ihren Namenstag. Lensky lädt Onegin zu der Feier ein, die, wie er sagt, im engen Familienkreis stattfindet. Stattdessen findet er sich auf einer lauten Tanzerei wieder, die er als Parodie der Petersburger Bälle empfindet. Tatjanas Verwirrung, die bei seinem Anblick kaum die Tränen zurückhalten kann, verstimmt ihn in Erinnerung an seine vielen in Petersburg beendeten Liebesaffairen, und er ist verärgert, dass die Gäste über ihn und Tatjana klatschen. Außerdem hatte es Meinungsverschiedenheiten zwischen Lensky und Onegin gegeben. Onegin weigerte sich, Lenskys Gedichte zu lesen, und hatte seine Zweifel an dessen Muse Olga, die er für oberflächlich und kokett hält. Er beschließt, sich an Lensky zu rächen, der ihn in diese Situation gebracht hat. Er fordert Olga zum Tanz auf, flirtet mit ihr, tanzt einen Tanz nach dem andern mit Olga, die sichtlich geschmeichelt reagiert und nicht merkt, wie sie ihren Verlobten verletzt. Als Onegin an Lenskys Reaktion merkt, dass seine Rache gelungen ist, verliert er alles Interesse an Olga, verlässt das Haus, wo eine verstörte Tatjana, die sich keinen Reim auf sein Verhalten machen kann, zurückbleibt." (Wikipedia)
40.
Ich war zu Anfang dieser Dichtung
(Vergleicht gefälligst: Erstes Buch!)
Im Anschluß an die Moderichtung
Der Neuzeit grade beim Versuch,
Den Petersburger Ball zu schildern;
Doch schwelgend in Erinnerungsbildern,
Betört von einem Füßchenpaar,
Erlag ich Schwärmer, der ich war,
Der süßen Lockung abzuschweifen.
Jetzt freilich, seit mein Leichtsinn schwand,
Wird mit dem Alter mein Verstand,
Mit ihm auch Form und Inhalt reifen.
Drum will ich (endlich soll's geschehn)
Im Fünften Buch auf Ordnung sehn!
41
Vom Rausch der Rhythmen fortgezogen,
Blind rastlos, wie der Jugend Sinn,
Umschlingen sich des Walzers Wogen,
Kreist wirbelnd Paar um Paar dahin.
Jetzt soll Eugens Revanche kommen:
Rasch hat er Olgas Arm genommen
Und schwingt sie stürmisch kreuz und quer
Vor aller Welt im Saal umher,
Placiert sie lächelnd, bleibt daneben
Galant und heiter plaudernd stehn,
Um wie ein Pfeil im Handumdrehn
Aufs neu' mit ihr davonzuschweben.
Rings großes Staunen; Lenski glüht,
Kaum glaubt er, was sein Auge sieht.
42
Nun folgt Masurka. Wenn vor Zeiten
Solch Tanz begann, ja dazumal
Durchschwoll ein Sturm von Seligkeiten,
Ein Jubelbraus den weiten Saal,
Daß Fenster klirrten, Wände dröhnten!
Und heut? Heut trippeln wir Verwöhnten
Geziert auf Glanzparkett dahin.
Nur auf dem Land, bei frischem Sinn,
Da steht Masurka noch in Blüte,
Sind Kraft und Schönheit noch bewahrt:
Das wogt und stampft, keck weht der Bart –
Noch ganz wie sonst ... Und Gott verhüte,
Daß dies dem Fluch der heut'gen Welt,
Dem Modezwang zum Opfer fällt!
43./44.
Da kommt Bujanow kühn im Bogen
Mit beiden Schwestern aus dem Schwarm
Auf unsern Helden losgezogen:
Der wählt geschmeidig Olgas Arm,
Fliegt lässig tänzelnd durch die Reihen
Und drückt ihr unter Schmeicheleien
Vielsagend warm die kleine Hand,
Erglühend strahlt sie, lustentbrannt,
Nichts hat das eitle Püppchen lieber.
Mein Lenski sieht's – ihm kocht das Blut,
Er schäumt vor Eifersucht und Wut,
Harrt bebend, bis die Tour vorüber,
Und engagiert sie sans façon
In blinder Hast zum Kotillon.
45.
Sie ist versagt. Wie? Was? So plötzlich?
Je nun, man kam ihm schon zuvor:
Onegin hat den Tanz. – Entsetzlich!
Welch bittre Schmach vernimmt sein Ohr!
Sie konnte ...! Sie, das harmlos nette,
Halbreife Kind – und schon Kokette!
Sie treibt schon mit der Neigung Spott,
Verrät, betrügt ihn schon – o Gott!
Er taumelt, kann sich kaum erholen
Von diesem Schlage; tief verstört
Entfernt er sich, verlangt sein Pferd
Und rast davon ... Ein Paar Pistolen,
Zwei Kugeln – sind der Weisheit Schluß,
Der sein Geschick entscheiden muß.
6. Buch/Gesang (Übersicht)
1.
Seit Lenski sich in blinder Eile
Davongemacht, bekam Eugen
An Olgas Seite Langeweile;
Er schwieg, ihm war genug geschehn.
Auch Olgas Laune war im Schwinden,
Sie konnte Lenski gar nicht finden
Und schien erschöpft vom Kotillon.
Da endlich Schlußtour. Im Salon
Folgt noch ein Imbiß für den Magen.
Inzwischen wird bis unters Dach
In jedem Winkel von Gemach
Ein Heer von Betten aufgeschlagen.
Zufrieden streckt sich jeder aus.
Eugen als einz'ger fuhr nach Haus.
2.
Rings wird es still: schon schnarcht im Saale
Der biedre Dickwanst Pustjakow
Nebst seinem feisten Ehgemahle;
Gwosdin, Bujanow, Petuschkow
Und Flianow (schwer bezecht wie immer)
Auf Stühlen im Gesellschaftszimmer.
Triquet am Boden quer davor,
Die Zipfelmütze überm Ohr;
Und alle müden jungen Damen
Gesellte man den Schwestern zu.
Nur Tanja findet keine Ruh',
Sie härmt sich, lehnt am Fensterrahmen
Und schaut im bleichen Mondenschein
Mit Tränen in die Nacht hinein.
3.
Daß er so unverhofft gekommen,
Anfangs durch Rücksicht sie gerührt,
Doch dann so seltsam sich benommen
Und gegen Olga aufgeführt,
Erschüttert sie; sie kann sein Wesen
Nicht deuten, nicht das Rätsel lösen
Und bebt vor eifersücht'ger Qual;
Ihr ist, als wenn ein kalter Stahl
Das Herz durchbohrt, vor ihren Schritten
Ein grausig finstrer Abgrund droht ...
Sie flüstert: »Ach, es ist mein Tod,
Doch selig, wenn durch ihn erlitten.
In Demut trag' ich mein Geschick –
Bei ihm erblüht mir doch kein Glück.«
4..
Auf, frisch voran, geliebte Strophe!
Jetzt kommt ein neuer Held in Sicht:
Bei Krasnogorje, Lenskis Hofe,
Verbringt seit langem brav und schlicht
Als Eremit von altem Schlage
Nachbar Sarezki seine Tage;
In jüngern Jahren zwar bekannt
Als Raufbold, Spieler, Intrigant,
Wirtshaustribun und arger Sünder,
Der aber nun, dem Leichtsinn feind,
Als biedrer Dörfler, treuer Freund
Und led'ger Vater vieler Kinder,
Kurz, als ein Mann von Ehre lebt.
Wie schnell doch heut Moral sich hebt! [...]
8.
Er war gescheit und welterfahren,
Drum lud Eugen, dem überdies
Sein Geist und Witz willkommen waren,
Zumal er Schwächen gelten ließ,
Den Nachbarn, dessen Ton ihm paßte,
Sehr oft und gern zu sich zu Gaste,
Weshalb es ihn nicht wundernahm,
Daß er so früh schon zu ihm kam.
Doch schien, der sonst'gen Art entgegen,
Sarezki heut verstockt zu sein,
Ging auf Gespräch nicht weiter ein
Und überreichte halb verlegen
Ein Schreiben von des Freundes Hand.
Eugen erbrach es, las – und fand:
9.
Mit dürren Worten angedeutet,
Nach allen Regeln – ein Kartell:
Kalt-förmlich, nur von Haß geleitet,
Entbot ihn Lenski zum Duell.
Sogleich und ohne Überlegung
Beschied Eugen in erster Regung
Den Bringer dieser Neuigkeit:
Er sei natürlich stets bereit.
Der schien es bündig aufzufassen,
Erhob sich, schützte da und dort
Geschäfte vor und eilte fort.
Doch kaum mit sich allein gelassen,
Empfand Eugen auf einmal klar,
Wie unklug sein Verhalten war. [...]
11.
Er durfte sich vernünftig wehren,
Jedoch nicht sinnlos borstig tun;
Er hätte Lenskis Zorn beschwören,
Entwaffnen müssen. »Freilich nun –
Nun (denkt er) ist's zu spät, hat leider
Doch schon der alte Ehrabschneider
Und Duellant sich eingemischt,
Der gar zu gern im trüben fischt.
Was käme dann wohl zur Erscheinung,
Wenn der's herumträgt, bissig-scharf,
Und jeder Tölpel spotten darf ...!«
Da seht: die öffentliche Meinung,
Den Götzen, der die Ehre zwingt,
Dem alle Welt ihr Opfer bringt!
12.
Daheim harrt Lenski Stund um Stunde,
Von Ungeduld und Haß verzehrt,
Bis triumphierend mit der Kunde
Der Nachbar endlich wiederkehrt.
O wie das wohltat seinem Drange!
Schon war der Eifersücht'ge bange,
Der freche Spötter könnte ihn,
Um vor der Waffe feig zu fliehn,
Mit einem schnöden Vorwand prellen.
Doch nun sind alle Zweifel fort:
Gleich morgen, bei der Mühle dort,
Ist's abgemacht, sich einzustellen,
Und dann wird, wie's die Hand befiehlt,
Auf Schenkel oder Stirn gezielt.
13.
Er will fortan die Falsche hassen,
Vorm Zweikampf nicht zu Olga gehn,
Kann abends aber doch nicht lassen,
Verstohlen nach der Uhr zu sehn,
Um schließlich – ach, was sind Bedenken! –
Zu seinen Larins abzuschwenken.
Er dachte: »Tret' ich so herein,
Wird Olga wie zerschmettert sein.«
Welch Irrtum! Frank und ungezwungen,
Die flücht'ge Hoffnung in Person,
So kam sie vor der Haustür schon
Auf unseren Dichter zugesprungen,
Beglückt und harmlos, frisch und klar,
Kurz – niedlich, wie sie immer war.
14.
Ihr erstes Wort ist: »Sag, weswegen
Gingst gestern du so früh nach Haus?«
Ihn überläuft's, er steht verlegen
Und weiß vor Scham nicht ein noch aus.
Vor dieser Augen heller Güte,
Der Anmut dieser Mädchenblüte,
Vor dieser offnen Herzlichkeit
Flieht Groll und Argwohn, schmilzt sein Leid:
Fürwahr, er hat umsonst gelitten,
Sie liebt ihn noch mit ganzer Huld!
Schon fühlt er reuig seine Schuld,
Schon will er um Verzeihung bitten,
Bebt, ringt nach Worten, zaudert, weilt –
Und ist beseligt, fast geheilt ...
15.-17.
Und wiederum, die Stirn in Falten,
Steht Lenski trüb und zweifelnd da
Und wagt nicht, Olga vorzuhalten,
Was gestern auf dem Ball geschah.
Er überlegt: »Ich will sie retten,
Sie des Verführers Schmeichelketten
Entreißen, der mit Trug und List
Nach ihrer Unschuld lüstern ist,
Will hindern, daß mit gift'gem Bisse
Der Wurm den Liliensproß zersticht,
Auf daß die holde Blüte nicht,
Noch kaum entfaltet, welken müsse.«
Natürlich war damit gemeint:
Ich schieße mich mit meinem Freund. [...]
19.
Freund Lenski war den Abend heute
Sehr aufgeregt und wunderlich,
Bald trüb, bald froh – wie Dichtersleute
Nun einmal sind: erst ließ er sich
Mit düstrer Stirn am Piano nieder,
Griff Mollakkorde, seufzte wieder,
Sah dann verzückt nach Olga hin
Und hauchte: »Wie ich glücklich bin!«
Es wurde spät, der Abschied drängte.
Da war's, als wenn mit einemmal
Ein Übermaß von Seelenqual
Sein sorgenschweres Herz zersprengte.
Sie will ihn halten: »Hör, ein Wort –
Was fehlt dir?« – »Nichts.« So stürzt er fort.
20.
Kommt heim, sucht gleich sein Paar Pistolen
Vom Schrank hervor, prüft Hahn und Lauf,
Ist rasch entkleidet, schürt die Kohlen
Und schlägt im Bett den Schiller auf.
Doch kann sein Geist nicht Ruhe finden,
Sein Herz die Angst nicht überwinden,
Denn unbeschreiblich süß und mild
Umschwebt ihn Olgas Engelsbild.
Er muß das Buch vor Wehmut schließen,
Greift flugs zur Feder, um sein Leid
Und seiner Liebe Seligkeit
In Versen schmachtend auszugießen,
Und deklamiert sie voller Glut
(Wie oft im Rausch Freund Delwig tut).
21.
Sie wurden später aufgefunden;
Hier folgt die Abschrift, wortgetreu:
»Wohin, wohin bist du entschwunden,
Du meiner Jugend güldner Mai?
Was bringt er mir, der künft'ge Morgen,
Des Antlitz, tief in Nacht verborgen,
Annoch unfaßbar meinem Blick?
Gleichviel, gerecht ist das Geschick.
Und fall' ich auch, ins Herz geschossen,
Soll mir das Blei vorübergehn –
Schlaf oder Wachen, mag geschehn,
Was droben über mich beschlossen.
Willkommen sei des Lebens Not,
Willkommen auch ein früher Tod!
22.
Wenn mit der Morgenröte Prangen
Der neue Tag herniederlacht,
Bin ich vielleicht schon eingegangen
Ins Schattenreich der Grabesnacht;
Versenkt in Lethes finstren Gründen,
Wird des Poeten Namen schwinden
Und bald verwehn. Nur du allein,
O Engel, wirst mir Tränen weihn,
Zu meiner Urne seufzend wallen
Und sinnen: ach, er war mir gut,
Sein ganzes Herz, in junger Glut,
In Glück und Harm war mein vor allen! ...
O komm, Geliebte, komm zu mir,
Dein Freund – dein Gatte ruft nach dir! ...«
23.
So schrieb er schwülstig, trist und fade
(»Romantisch« wird das heut genannt,
Doch mit Romantik hat's gerade
Nicht viel zu tun; was soll der Tand?),
Um kurz vor Tag mit matten Blicken
Schlaftrunken langsam einzunicken,
Und flüstert' schlafend noch einmal
Das Modewörtchen »Ideal«.
Ein Labsal, das nicht lange währte,
Weil gleich darauf der Kamerad
Geräuschvoll in sein Stübchen trat
Und seinen kurzen Frieden störte:
»Die Uhr ist sechs, auf, auf, mein Sohn,
Geschwind, Onegin wartet schon!« [...]
26.
Längst harrte Lenski bei der Schleuse
Voll Ungeduld; sein Kamerad
Besah derweil nach Kennerweise
Den Mechanismus. Endlich naht
Eugen, bedauert sein Verspäten
Und grüßt. Sarezki fragt betreten:
»Wo aber bleibt Ihr Sekundant?«
Denn er als alter Duellant
War für System in derlei Dingen
Und hielt darauf, den Menschen nur
Streng klassisch, wie die Kunst verfuhr,
Nach allen Regeln umzubringen,
Getreu dem Brauch, wie sich's gehört.
(Das war unstreitig lobenswert).
27.
»Mein Sekundant?« Eugen wird heiter:
»Hier mit Verlaub: Monsieur Guillot,
Mein Freund; man fragt ja wohl nicht weiter
Nach Herkunft, noch warum, wieso;
Er ist ein Diener von Manieren
Und darf als Ehrenmann passieren.«
Sarezki schaut verdutzt und schweigt.
Onegin drauf: »Man scheint geneigt,
Kann's also losgehn?« – »Nach Belieben«,
Wirft Lenski hin. Die vier im Schritt
Ziehn querfeldein; Sarezki tritt
Nebst seinem Ehrenmann da drüben
Im ernsten Zwiegespräch zurück.
Die Gegner senken stumm den Blick.
28.
Die Gegner! Nach so wenig Stunden
Durch grimmen Blutdurst schon entzweit?
Sind sie nicht jüngst noch eng verbunden,
Zwei gute Freunde, jederzeit
Mit ganzer Seele eins gewesen?
Und wollen nun, betört vom Bösen,
In unbegreiflich wilder Wut,
Erbfeinden gleich, mit kaltem Blut
Einander ins Verderben schicken –
Statt aufzulachen, froh zu sein,
Daß noch die Hand von Frevel rein,
Und sich versöhnt ans Herz zu drücken? ...
O falscher Ehrbegriff der Welt,
Der Schamgefühl für Schwäche hält!
29.
Schon wird geladen, Läufe blitzen;
Der feste Pfropfen wird vom Stahl
Gehämmert, bis die Kugeln sitzen;
Es knackt der Hahn zum erstenmal.
Dann streut man Pulver auf die Pfannen
Und eilt, das Drehschloß anzuspannen,
Das mit dem scharfen Feuerstein
Den Funken schlägt. Vor Angst und Pein
Verkriecht Guillot sich unterdessen.
Das Paar wirft rasch die Mäntel ab,
Sarezki, schweigsam wie ein Grab,
Hat zweiunddreißig Schritt vermessen,
Und jeder Gegner wählt den Stand
Und harrt, die Waffe in der Hand.
30.
»Jetzt los!« Und bittren Ernstes schreiten
Zwei Feinde, noch den Hahn in Ruh',
Bedächtig, stumm, von beiden Seiten
Vier Schritte aufeinander zu.
Vier Schritte, die zum Jenseits führen.
Nun hebt in stetem Avancieren
Onegin, schweigend wie zuvor,
Ganz langsam sein Pistol empor.
Fünf Schritt noch sind zurückzulegen.
Jetzt hat auch Lenski haltgemacht,
Legt an und zielt – da plötzlich kracht
Onegins Schuß ... mit dumpfen Schlägen
Entschied das Los: der Dichter wankt,
Sein Arm versagt, die Waffe schwankt,
31.
Er führt die Linke still zum Herzen
Und fällt ... sein mattes Auge spricht
Von sanftem Sterben, ohne Schmerzen.
So von der Bergwand löst sich, bricht
Und stürzt, zerstäubt im Sonnenstrahle,
Die Schneelawine jäh zu Tale.
Ein eis'ger Schauer packt Eugen –
Er eilt herzu, er will ihn sehn,
Kniet nieder, ruft ihn an – vergebens:
Es ist vorbei, der Würfel fiel,
Der Jüngling fand ein frühes Ziel;
Es hat die Blüte dieses Lebens
Der Sturm geknickt im Morgenrot.
Das reine Licht erlosch im Tod.[...]
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