08 Mai 2024

Heliand: Bergpredigt

 

Die Bergpredigt

Da ging der Mächtige
Einen Berg hinauf,   der Gebornen hehrster,
Setzte sich sonders   und ersah sich da
Treuhafter Männer   und trefflicher zwölf,
Gar gute Freunde,   die hinfort zu Jüngern
Alle Tage   der Teure gedachte
In seiner Gefolgschaft   mit sich zu führen.
Er nannte sie bei Namen   und hieß sie näher gehn:
Andreas zuerst   vor allen und Petrus,
Die beiden Gebrüder,   und bei den beiden
Jakobus und Johannes,   die Gottgeliebten.
Ihnen war er mildes Muts;   eines Mannes Söhne
Waren sie beide:   die wählte Gottes Sohn,
Die Frommen, in sein Gefolge,   und der Freunde noch viel,
Erlauchte Männer:   Matthäus und Thomas,
Die beiden Judas   und Jakob den andern,
Der ihm selber geschwistert war,   denn von zwei Schwestern
Waren beide, Christus   und Jakob, geboren,
Als Vettern befreundet.   Der Gefährten hatte
Neune nun gekoren   der Nothelfer Christ,
Zuverlässige Männer.   Da hieß er auch den zehnten
Mit seiner Gesellschaft gehn,   Simon geheißen.
Auch den Bartholomäus   hieß er den Berg hinauf
Aus dem Volke fahren,   und dazu Philippus,
Die zwei Getreuen.   Die zwölfe gingen mit ihm,
Die Recken, zur Versammlung,   wo er zu Rate saß,
Der Menge Mundherr,   der dem Menschengeschlecht
Wider der Hölle Zwang   zu helfen gesonnen war,
Aus dem Pfuhl zu fördern   jeden, der folgen will
So lieblicher Lehre,   als er den Leuten dort
Durch seine Weisheit   zu weisen gedachte.

Dem Beseliger Christ   kamen da zunächst
Die Gesellen zu stehn,   die von ihm selber erkoren
Waren, dem Waltenden.   Die weisen Männer
Umgaben den Gottessohn:   ihre Begierde war groß,
Der Erwählten Wunsch,   seine Worte zu hören.
Sie schwiegen und horchten,   was der Herr der Völker,
Der Waltende, wollte   in Worten verkünden
Den Leuten zuliebe.   Da saß der Landeshirt
Den Guten gegenüber,   Gottes eigner Sohn,
Wollt in seiner Rede,   manch sinnvollem Wort,
Die Leute lehren,   wie sie Gottes Lob
In diesem Weltreiche   wirken sollten.
Erst saß er und schwieg,   sah sie lange an,
War ihnen hold im Herzen,   der heilige Herr,
Mild im Gemüte.   Den Mund nun erschloß er
Und wies mit seinen Worten,   des Waltenden Sohn,
Des Hochherrlichen viel.   Den Helden sagt' er
In spähen Sprüchen,   die zu der Sprache
Christ, der Allwaltende,   gekoren hatte,
Welche von allen   Erdenbewohnern
Gott die wertesten   wären der Menschen:

»Ich sag euch sicherlich,   selig sind
In dieser Mittelwelt,   die im Gemüte
Arm sind aus Demut,   denn das ewige Reich
In des Himmels Au   ist ihnen geheiligt,
Ihr Leben schwindet nicht.   Selig auch
Die Sanftsinnigen:   sie sollen dasselbe Land
Besitzen, dasselbe Reich.   Selig dann,
Die ihr Unrecht beweinen,   sie dürfen Freude gewärtigen,
Trost in demselben Reich.   Selig die Getreuen auch,
Die nach Gerechtigkeit richten:   im Reiche des Herrn
Finden sie vollen Lohn.   Des Frommens genießen,
Die gerecht hier richteten,   mit der Rede nicht täuschten
Die Menschen am Mahlstein.   Selig, dem milde war
Das Herz in der Heldenbrust:   ihm wird der heilige Herr,
Der Mächtige, mild.   Selig auch in der Menge,
Die reines Herzens sind:   sie sollen den Himmelswalter
Schaun in seinem Reiche.   Selig sind auch
Die Friedfertigen,   die nicht Fehde stiften,
Mit Schuld sich beschweren:   sie heißen Söhne des Herrn:
Ihnen will er gnädig sein,   daß sie lange genießen
Sollen seines Reichs.   Selig sind dann,
Die das Rechte wollen   und darum von den Mächtigen
Haß und Harmrede dulden:   ihnen auch ist im Himmel
Gottes Au gegönnt   und geistiges Leben
Einst am ewigen Tage,   dessen Ende nicht kommt,
Das wonnige Wohl.«

                                      So hatte der waltende Christ
Den edlen Männern   von acht benannten
Seligkeiten gesagt,   mit denen sicher jeder
Das Himmelreich erhält,   der es haben will,
Oder auf ewig   darbt er dereinst
Des Wohls und der Wonne,   wenn er die Welt verläßt,
Die Erdenlose,   ein ander Licht zu suchen.
Ihm wird Lieb oder Leid,   wie er unter den Leuten hier
Wirkte in dieser Welt,   ganz wie es wörtlich sprach
Christ, der Allwaltende,   der Könige mächtigster,
Gottes eigener Sohn,   zu seiner Jünger Schar.

»Selig seid ihr auch,   wenn euch beschuldigen
Im Lande die Leute   und zu Leide sprechen,
Euch zum Hohne haben   und Harmes viel euch
Erwirken in dieser Welt   und Weh bereiten,
Lasterrede stiften   und starke Feindschaft,
Eure Lehren leugnen,   alles Leid euch antun
Und Harm um den Herrn.   Das darf euch im Herzen nicht
Das Leben verleiden:   ihr erlangt Entschädigung
In Gottes Reiche   für der Güter jegliches:
Groß und mannigfalt   gegeben wird sie euch,
Weil ihr hier ehbevor   Arbeit erduldetet,
Weh in dieser Welt.   Weher wird den andern,
Grimmer ergeht es ihnen,   die hier Gut besaßen,
Weites Weltwohl.   Die verzehren ihre Wonne hier
Im Genuß der Genüge.   Sie sollen aber Not
Nach ihrer Hinfahrt,   die Helden, erdulden.
Dann beweinen die Frevel,   die zuvor hier in Wonnen sind,
In allen Lüsten leben   und nicht lassen wollen
Von den Meingedanken,   wozu ihr Mut sie reizt,
Von leidigem Leben.   Ihr Lohn wird Mühsal sein
Und üble Arbeit;   sie werden das Ende dann
Mit Sorgen sehen;   und beschweren wird ihr Herz,
Daß sie in der Welt so gar   ihrem Willen nachhingen,
Die Männer in ihrem Mute.

                                                Solche Meintat verweist ihnen
Mit wehrenden Worten,   denn weisen will ich euch
Und sicherlich sagen,   ihr meine Gesellen,
Mit wahren Worten,   daß ihr in dieser Welt
Das Salz sollt sein,   der sündigen Menschen
Bosheit zu büßen,   daß auf bessere Wege
Das Volk geführt werde,   des Feindes Werke lassend,
Des Teufels Taten,   des Trösters Reich zu suchen.
So sollen eure Lehren   der Leute viel
Zu meinem Willen wenden.   Wer aber zunichte wird,
Wer die Lehre verläßt,   der er leben soll,
Den vergleich ich dem Salze,   das an des Sees Gestade
Weithin verworfen liegt,   denn wenig taugt es mehr,
Da es die Kinder des Volks   mit Füßen treten,
Die auf dem Grieße gehn.   So geschieht ihm, der Gottes Wort
Den Menschen melden soll:   denn entzweit sich sein Mut,
Daß er mit Herzenslauterkeit   nicht zum Himmel will
Spornen mit seiner Sprache,   sondern spart Gottes Rede
Und wankt in den Worten,   so wird der Waltende ihm gram,
Der Mächtige zornig,   und den Menschenkindern auch
Wird er dann allen,   die auf Erden wohnen,
Verleidet, den Leuten,   der in der Lehre nicht taugt.«

So weislich sprach da,   Gottes Wort verkündend
Und die Leute lehrend,   der Landeswart
Mit lauterm Herzen.  [...]

 so sollt ihr auch euer heilig Wort
In diesen Landen   den Leuten nicht bergen,
Den Helden verhehlen,   sondern es hoch und weit
Breiten, das Gebot des Herrn,   daß es die Gebornen all
In diesen Landen,   die Leute, verstehen
Und so befolgen,   wie es in frühern Tagen
Mit Worten wiesen   hochweise Männer,
Als den Alten Bund   die Edlinge hielten,
Und nur um so strenger noch,   wie ich nun will sagen,
Der Guten jeglicher   seinem Gotte diene,
Als es im Alten Bunde   schon eh geboten war.
Denn wähnt nicht, ich wär   in die Welt gekommen
Etwa, den Alten Bund   umzustoßen,
Beim Volk zu Fall zu bringen   oder der Vorschauer
Worte zu verwerfen,   die sie als wahrhafte Männer
Uns offen anbefahlen:   Erd und Himmel sollten
Zuvor zerfahren,   die so fest gegründet stehn,
Eh der Worte eins nur   unbewährt verbliebe
In dieses Lebens Licht,   das sie den Leuten hier
Wahrhaft wiesen.   Ich kam nicht, die Worte
Der Vorschauer zu fällen,   erfüllen will ich sie,
Mehren und erneuen   den Menschenkindern,
Diesem Volk zum Frommen,   was da vormals geschrieben war
Im Alten Bunde.

                              Ihr hörtet oft sagen
In der Weisen Worten,   wer in der Welt das tue,
Daß er dem andern   das Alter verkürze,
Ihn vom Leben löse,   dem sollten der Leute Kinder
Den Tod erteilen.   Das will ich euch tiefer nun,
Und fester fassen:   Wer in Feindschaft nur,
Ein Mann dem Manne,   in seinem Mute
Sich erbost in der Brust,   die doch Brüder sind,
Ein selig Volk Gottes,   in Sippe eng gesellt,
Die Männer in Magschaft   – und sein Mut ist ihm gram,
Will des Lebens ihn ledigen,   wenn er es leisten könnte –,
Der ist schon verfemt   und dem Tode verfallen,
All solchem Urteil,   eben wie jener war,
Der durch der Hände Kraft   des Hauptes beraubte
Einen andern Mann.

                                    Auch hieß es im Alten Bund
Mit wahren Worten,   wie ihr alle wißt,
Ein jeder solle   seinen Nächsten innig
Im Herzen hegen   und hold den Gesippten sein,
Den Verwandten gut   und im Geben mild,
Die Freunde lieben   und den Feinden haßvoll
Im Streit widerstehn   und mit starkem Sinn
Dem Widersacher wehren.   Ich aber sag euch wahrlich
Voller vor diesem Volk,   die Feinde sollt ihr
Im Herzen hegen,   wie ihr Freunden hold seid,
In Gottes Namen;   tut ihnen Gutes viel,
Zeigt ihnen lautres Herz   und holde Treue,
Erwidert Leid mit Liebe.   Das ist langes Heil
Der Männer männiglichem,   der im Gemüt sich des
Wider Feinde fleißt.   Das frommt euch dazu,
Daß ihr des Himmelskönigs   Söhne geheißen werdet,
Seine biedern Kinder.   Ihr könnt nicht bessern Rat
In dieser Welt gewinnen.

                                            Auch sag ich euch wahrlich,
Den Geborenen allen,   daß ihr mit erbostem Sinn
Eures Gutes keine Gabe   in Gotteshäusern
Dem Waltenden weihen mögt,   die er würdigen wolle
Von euch zu empfahen,   solang ihr Feindschaft noch
Irgend dem andern   und Übles sinnt.
Versöhne zuvor dich   dem Widersacher,
Eintracht verabredend,   dann eile, Geschenke
An Gottes Altar zu geben;   dann sind sie dem Guten wert,
Dem Himmelskönig.   Um seine Huld dient eifriger
Und erfüllt sein Gebot,   als der Juden Brauch ist,
Soll euch zu eigen werden   das ewige Reich,
Ewig währendes Leben.   Auch will ich euch sagen,
Wenn im Alten Bunde   geboten wurde,
Daß einer des andern   Ehe nicht breche,
Ihm die Frau verführe,   so füg ich hinzu,
Daß die Augen einen   schon überreden
Mögen zu düsterm Mein,   wenn er den Mut läßt reizen,
Die zu begehren,   die des andern Gattin ist.
Der hat in sich selber   schon Sünde begangen,
In sein Herz geheftet   der Hölle Pein.
Wen sein rechtes Auge   oder die rechte Hand,
Ein Glied verleiten will   auf den leiden Weg,
Eher frommte wohl   andre Wahl einem
Der Männer im Volke,   daß er es von sich würfe,
Das Glied löste   von dem Leichname
Und ohn es käme   hinauf in den Himmel,
Als daß er mit allen   zum Abgrund führe,
Zur heißen Hölle   mit heilen Gliedern.
Auch mahnt der Menschen   Schwäche, daß männiglich
Dem Freunde nicht folge,   der zum Frevel ihn lockt,
Zur Schuld, der Gesippte.   Und sei er ihm
Durch Sippe beschlechtet   auch noch so stark,
Die Magschaft noch so mächtig,   wenn er zum Mord ihn treiben,
Zu böser Tat bringen will;   besser ist ihm dann,
Den Freund ferne   von sich zu stoßen,
Ihn meidend, Minne   nicht mehr ihm zu zeigen,
Daß er alleine   aufsteigen dürfe
Zum hohen Himmelreich,   als daß sie der Hölle Zwang,
Währendes Wehe   beide gewinnen,
Übelstes Unheil.

                              Im Alten Bunde heißt es auch
Mit wahren Worten,   wie ihr alle wißt,
Daß Meineid meiden   solle der Mensch,
Sich nicht verschwören:   die Sünd ist allzu groß,
Verleitet der Leute   so viel auf leiden Weg.
Doch selber sag ich euch,   daß niemand schwören soll
Irgend Eide   der Erdenwohner:
Bei dem Himmel, dem hohen nicht,   er ist des Herren Stuhl,
Nicht bei der Erde unten,   sie ist des Allwaltenden
Schöner Fußschemel;   auch schwöre keiner
Bei dem eigenen Haupt,   denn kein Haar mag er anders
Erwirken, weiß noch schwarz,   als wie es der Waltende,
Der Mächtige, machte.   Darum meidet der Mensch
Die Eide füglich:   wenn es viel geschieht,
Nimmt er's immer leichter   und wahrt sich zuletzt nicht mehr.
Darum will ich euch mit wahren   Worten gebieten,
Daß niemand schwerere   Eide schwören
Mög unter Menschen,   denn als ich mit meinen
Worten euch wahrhaft   hier will gebieten:
Wer eine Sache sucht,   der sage, was wahr ist,
Spreche ja, wenn es ist,   und ehre die Wahrheit,
Sage nein, wenn es nicht ist,   und genüg ihm daran:
Das Mehr, das darüber   ein Mann noch tun will,
Kommt alles vom Übel   unter den Erdenkindern,
Daß aus Untreue der eine   nicht will des andern
Worte für wahr halten.

                                        Dann sag ich euch wahrlich,
Wenn im Alten Bunde   geboten war,
So einer die Augen   dem andern benehme,
Vom Leibe löse   oder irgendein Glied,
Der soll es selber   mit dem seinen entgelten,
Dem gleichen Gliede:   so lehr ich dagegen euch,
Daß ihr so nicht rächet,   was wider Recht geschieht,
Sondern in Demut   alles erduldet,
Schimpf und Schande   und was man sonst euch zufügt.
Tu immer der Mann   dem andern Manne,
Was ihm frommt und gefällt,   wenn er fordert, daß die Menschen
Ihm Gutes dagegen tun.   Dann wird Gott ihm milde sein
Und der Leute jedem,   der das leisten will.

Ehret die Armen,   den Überfluß teilt
Dem dürftigen Volk   und fragt nicht, ob ihr Dank
Erlangt oder Lohn   in dieser geliehnen Welt.
Überlaßt es lediglich   euerm lieben Herrn,
Die Gaben zu vergelten,   daß Gott euch lohne,
Der mächtige Mundherr,   was aus Minne geschieht zu ihm.
Gäbest du gerne nur   guten Männern
Köstliche Kleinode,   wo du Nutzen könntest
Doppelt erwerben,   hättest du des Verdienst von Gott
Oder Lohn zu erlangen,   der dir alles geliehen hat?
So ist es mit allem,   was du andern tust
Zuliebe, den Leuten,   wenn du Gleiches zu Lohn willst
Für Wort und Werke.   Wie wüßt es der Waltende Dank,
Wenn du das Deine nur hingibst,   es wieder zu heischen?
Den Leuten leiht das Gut,   die es nicht lohnen hienieden,
Und ringet allein   nach des Waltenden Reiche.

Nicht zu offenbar tu es,   wenn du Almosen Armen
Mit den Händen darreichst;   mit demütgem Herzen
Gib es Gott zulieb,   so wird dir Vergeltung,
Gar lieblicher Lohn,   wo du lange sein bedarfst,
Erfreuliches Heil.   Was du aus frommem Sinn
Heimlich hingibst,   das ist dem Herren wert.
Tu nicht groß mit den Gaben:   das soll der Geber keiner,
Daß durch eiteln Ruhm   sie ihm nicht wieder
Leidig verlorengehn,   für die er Lohn sollt empfangen
Vor Gottes Augen,   die guten Werke.

Auch gebiet ich euch noch,   wenn zum Gebet ihr euch neigt
Und euern Herren   um Hilfe bittet,
Daß er die leiden Taten   euch erlassen wolle,
Die Schuld und die Sünde,   womit ihr euch selber
Feindlich gefährdetet,   so tut's vor dem Volke nicht,
Daß es merke die Menge   und die Menschen euch loben
Um das Händefalten:   euer Gebet zu dem Herrn
Geht so all verloren   durch den eiteln Ruhm.
Sondern wollt ihr den Herrn   um Hilfe bitten,
Durch Demut verdienen,   wes euch große Durft ist,
Daß der Spender des Siegs   euch von Sünden befreie,
Dann tut es heimlich,   denn der Herr weiß es doch,
Der heilige im Himmel,   dem nichts verhohlen bleibt,
Nicht Wort noch Werke.   Dann gewährt er euch alles,
Worum ihr ihn bittet,   wenn ihr zum Gebet euch neigt
Mit lauterm Herzen.« [...]

  Da begann der zwölfe einer,

Der begabten Jünger,   zu dem Gottessohne:
»Guter Herr und Lehrer,   deiner Huld ist uns not,
Deinen Willen zu wirken,   deine Worte zu hören,
Der Geborenen bester.   Darum lehr uns beten
Jetzt, deine Jünger,   wie Johannes tut,
Der teure Täufer,   der jeglichen Tag
Die Erwählten unterweist,   wie sie den Waltenden sollen,
Den Geber, grüßen.   So uns, deinen Jüngern,
Enthülle das Geheimnis.«   Der Herrliche hatte
Da ohne Säumen,   der Sohn des Herrn,
Gute Worte bereit:   »Wenn ihr Gott den Herrn
Mit Worten wollt,   den Waltenden, grüßen,
Der Könige kräftigsten,   so sprecht, wie ich euch kundtue.
Vater unser,   aller deiner Kinder,
Der du bist im hohen   Reiche der Himmel,
Geweiht werde dein Name   bei jeglichem Worte;
Zu uns komme   dein kräftiges Reich;
Dein Wille werde   über die Welt gewaltig,
Hie unten auf Erden,   wie er da oben ist,
Hoch im hohen   Reiche der Himmel.
Gib uns, teurer Herr,   die tägliche Notdurft,
Deine heilige Hilfe!   Erlaß uns, Himmelswart,
Alle Übeltat,   wie wir es andern tun,
Und laß uns nicht leidige   Wichte verleiten,
Ihren Willen zu wirken,   wenn wir des würdig sind,
Daß du uns von allem   Übel erlösest.
So sollet ihr bitten,   wenn ihr zum Gebet euch neigt,
Mit würdigen Worten,   daß der waltende Gott
Das Leid euch erlasse,   das ihr den Leuten tatet.
Denn laßt ihr die Leute   gerne ledig
Der Schuld und der Sünden,   die sie selber hier
Wider euch wirkten,   so erläßt der Waltende,
Der allmächtige Vater,   auch euch die Frevel,
Der Meintaten Menge.   Aber wächst euch der Mut,
Daß ihr selber ungern   andern erlaßt,
Was sie wider euch taten,   so will auch euch der Waltende
Die Schuld nicht schenken,   ihr sollt sie entgelten
Mit sehr leidigem Lohn   auf lange Zeiten,
All das Unrecht,   das ihr andern tatet
In dieses Lebens Licht,   wenn ihr an den Leuten
Die Schuld nicht sühntet,   bevor eure Seele
Hinwegfährt von dieser Welt.

                                                    Auch sag ich euch wahrlich noch,
So ihr leben wollt   nach meiner Lehre,
So oft ihr hinfort   die Fasten halten wollt,
Eure Meintat zu mindern,   so tut's vor der Menge nicht,
Vor den Menschen meidet's:   der Allmächtige kennt doch,
Der Waltende, euern Willen,   wenn in der Welt euch auch
Die Leute nicht loben.   Den Lohn gibt euch dann
Euer heiliger Vater   im Himmelreiche,
Wenn ihr in Demut   ihm dientet auf Erden,
Fromm unterm Volke.

                                        Auf vielen Gewinn geht
Nicht aus mit Unrecht:   dient auf zu Gott
Um Lohn, ihr Leute,   das langt länger,
Als ob ihr auf Erden   im Überfluß lebtet,
An Weltlust gewöhnt.   Wollt ihr meinen Worten hören,
So sammelt hier nicht   Schätze Silbers und Goldes,
In diesem Mittelkreis   Mammonsgüter:
Das rottet und rostet,   Räuber stehlen es,
Würmer verwüsten es;   das Gewand zerschleißt,
Der Goldschatz zergeht.   Tut gute Werke,
Häufet im Himmel   euch größern Hort,
Erfreulichern Vorrat,   den kein Feind benehmen mag,
Kein Dieb entwenden.   Es wartet euer
Dort ganz entgegen,   wieviel ihr des Guts
Hin in das Himmelreich,   des Hortes, gesammelt habt
Durch eurer Hände Gabe.   Dahin kehrt den Sinn,
Denn der Menschen Gemüt   und Denken ist meist,
Sein Herz und Sinn,   wo der Hort ihm liegt,
Der gesammelte Schatz.   So selig ist niemand,
Daß er beides erziele   in dieser breiten Welt,
Auf dieser Erde   im Überfluß zu leben
In allen Weltlüsten   und doch dem waltenden Gott
Zu Dank zu dienen,   sondern unter den Dingen
Muß er einem von beiden   auf immer entsagen,
Den Lüsten des Leibes   oder ewigem Leben.

Kümmert euch nicht um Kleidung,   vertraut kühnlich dem Herrn,
Müht euch im Gemüte nicht,   was ihr morgen sollt
Essen oder trinken   oder anlegen
Werdet von Gewändern.   Es weiß der waltende Gott,
Wes die bedürfen,   die ihm dienen hier,
Seinen Befehlen folgen.   An den Vögeln mögt ihr das
Wahrhaft gewahren,   die in der Welt umher
In Federhemden fliegen:   sie häufen nicht Vorrat,
Und Gott gibt ihnen   doch jeglichen Tag
Wider den Hunger Hilfe.   Auch merkt euch im Herzen
Des Gewandes wegen,   wie ihr Gewächse seht
Festlich geschmückt   auf dem Felde stehn
Und prächtig blühen:   nicht mochte der Burgenwart,
Salomon der König,   der doch mächtigen Schatz,
Köstlich Kleinode   wie kein König zuvor
Gewann und aller   Gewande Auswahl,
Doch mocht er seinem Leibe nicht,   dem all das Land gehorchte,
Solch Gewand gewinnen,   wie Gewächse haben,
Die auf dem Felde stehen   im festlichen Schmuck,
Die Lilie mit lieblichen Blumen.   Der Landeswalter kleidet sie,
Der hehre, von der Himmelsau.   Und die Helden sind ihm mehr,
Die Leute viel lieber,   die er ins Land sich schuf,
Der Waltende, zu seinem Willen.   Drum dürft ihr um Gewand nicht sorgen,
Nicht um den Anzug jammern:   für das alles sorgt Gott,
Der Helfer von der Himmelsau,   wenn ihr um seine Huld nur dient.
Trachtet zuerst nach Gottes Reich   und tut gute Werke,
Nach dem Rechten ringt,   so will euch der reiche Herr
Alle Güter geben,   wenn ihr ihm gerne folgt,
Wie ich mit wahren   Worten euch sage.

Ihr sollt auch selber   zu scharf nicht richten,
Unbillig urteilen,   denn das Urteil kommt wieder
Über den Richtenden schnell,   und da soll es zur Reue
Ihm werden, zu schwerem Weh,   wenn sein Wort zu scharf erging
Über den andern.

                                Von euch tue das
Keiner, ihr Kinder,   bei Kauf oder Tausch,
Daß er mit unrechtem Maß   dem andern Mann
Meinvoll messe,   denn so muß es ergehn
Auf Erden hier allen:   wie er dem andern tut,
Ganz so begegnet's ihm,   wo er gern nicht wollte
Seine Sünde wiedersehn.   Auch sag ich euch noch,
Wie ihr euch wahren mögt   vor schwerem Verweis,
Manches Meinwerks wegen.   Wie magst du beschelten
Deiner Brüder einen,   daß du ihm unter den Brauen sähst
Einen Halm in den Augen,   da du nicht beherzigst
Den bösen Balken,   den Baum in deiner Sehe,
Den schweren, den du selber hast?   Nimm das in den Sinn erst,
Wie du dich des erlösest,   daß Licht vor dir scheint,
Die Augen dir aufgehn:   dann immer magst du
Auch des Gesippten Gesicht   zu bessern suchen,
Sein Haupt zu heilen.   So heg im Herzen
Mehr in dieser Mittelwelt   der Menschen jeglicher,
Was er selber Übels   in dieser Welt verübte,
Als daß er achte   auf des andern Manns
Schuld und Sünde,   da er doch selber mehr
Des Frevels vollführte.   Bedenkt er sein Frommen,
So soll er sich selber erst   von Sünden erledigen,
Von leiden Werken lösen;   mit seinen Lehren komm er dann
Den Leuten zu Hilfe,   wenn er sich lauter weiß,
Vor Sünden sicher. [...]

                                  Vor die Schweine sollt ihr nicht
Eure Meerperlen werfen   oder kunstvoll Gewirk,
Köstliche Kleinode,   denn in Kot treten sie's,
Sudeln es im Sande,   wissen nicht Bescheid von Zier,
Von schönem Schmuck.   Solcher sind hier viele,
Die euer heilig Wort   nicht hören wollen,
Gottes Lehre wirken:   sie wissen nicht von Gott.
Viel lieber sind ihnen   leere Worte,
Unfeine Dinge   als ihres Fürsten und Herrn
Willen und Werke.   [...]

                                            Ich sag euch überdies
Vor diesem weiten Volk   ein wahrhaft Gleichnis.
Der Leute männiglich,   der meine Lehre will
In seinem Herzen hegen   und so im Sinne halten,
Daß er sie gerne leistet,   der vergleicht sich wohl
Einem weisen Manne,   der gewitzigt ist
Und verständigen Sinn hat,   daß er die Stätte seines Hauses
Auf festem Felsen wählt,   auf dem Felsen vorsichtig
Sich die Wohnung wirkt,   wo der Wind nicht mag,
Wog und Wasserstrom   dem Werke schaden.
Den Ungewittern   widersteht es allen
Auf dem Felsen oben,   da so fest es ward
Auf den Stein gestellt:   die Stätte schon erhält es
Und wahrt es vor dem Winde,   daß es nicht weichen mag.
Doch der Männer männiglich,   der nicht auf meine
Lehren lauschen will   und nichts davon leisten,
Der tut wie der Unweise,   der Ungewitzigte,
Der im Sand am Wasser   ein Wohnhaus zimmern will,
Wo es westlicher Wind   und der Wogen Strom,
Die See zerschlägt.   Nicht mag es Sand und Grieß
Vor dem Winde wehren,   sondern zerworfen wird es,
Zerfällt von der Flut,   weil es nicht auf fester
Erde gezimmert ist.   So soll allen und jedem
Ihr Werk gedeihn dafür,   daß er mein Wort befolgt,
Mein heilig Gebot.« (Heliand: Bergpredigt)

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