"Es ist
eine Ironie der Geschichte, daß sich gerade in der russischen
Kirche ein Schmelztiegel der Revolution bildete [...]
Die
administrative und militärische Führungsschicht des Staats
lieferte der Adel, der nicht nur das Befehlen von Kindheit an gelernt
hatte, sondern auch allein im Besitz einer elementaren weltlichen
Bildung war. Die Reformen Peters des Großen hatten ihn zu
westlicher Bildung gezwungen, in Schulen, in denen der technische und
militärische Unterricht die Allgemeinbildung zurückdrängte und in
denen westliche Einrichtungen die Vorbilder waren. [...] Wenn
der Kern ihrer Mentalität, wenn ihre täglichen Gewohnheiten sich
aus einer langen Vergangenheit herleiteten, so speisten sich ihre
»Meinungen«, die Vorstellungen, die sie sich über die Gesellschaft
und die Welt bildeten, weniger aus der russischen Wirklichkeit als
aus ihrer Erziehung. Von der alten Tradition losgelöst, führte sie
diese Erziehung auch auf dem Umweg über eine technische
Grundunterweisung, zu allgemeinen und abstrakten Begriffen, zu einem
utopischen Rationalismus nach dem Geschmack des europäischen 18.
Jahrhunderts. Aus dem Schoß des Adels als der einzigen kultivierten
Klasse außerhalb der Kirche ging jene intelligencija hervor,
die in Opposition zum Regime trat und 1825 den sogenannten
»Dekabristenaufstand« auslöste. Gerade ihre starke Bindung an
den Staat trieb die besten denkenden Köpfe des Adels dazu,
Reformideen aus dem Ausland zu entleihen. Und ihr ganzes Leben, ihre
ganze Erziehung spiegelten ihnen die trügerische Illusion eines
leichten Erfolgs vor." (Roger Portal: Die Slawen, Kindlers Kulturgeschichte Europas, Bd.19, S.277ff.)
sieh auch:
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen