Der Traum dieser Nacht sei aufgezeichnet, schnell, bevor er sich verwischen kann! So gut ich's vermag nach so viel Grausen, Beben und Entzücken. Ich wandle wieder auf dem Korso. Der Himmel wie neulich in Pästum. Die schwere Wolkenwand sinkt herab und schließt den Spalt, durch den man dort die Abendsonne im trüben Schirokkogelb leuchten sah. Nacht. Die Begegnenden sehen sich nicht mehr. Schwül und schwüler, endlich fast zum Ersticken. So muß es in und um Pompeji gewesen sein, als der alte Plinius den Atem aufgab. Jetzt langsam wächst eine Ziegelröte über den Himmel, geht in feuerrotes Glanzlicht über. Stille, todesbang. – Horch, welcher Ton? Man hört ein wehendes Blasen, etwas wie ein Fegen, es wird zu einem lauten und lauteren stürmischen Speien, jetzt knallen Donnerschläge dazwischen – jetzt wankt zuckend die Erde unter mir – ich schaue um und auf, der Monte Pelegrino hat sich in den Aetna verwandelt, offen ist die fürchterliche Esse, glutrot fährt die Lohe aus der Unterwelt empor, und rings am schrecklichen Geisterberge schlängeln sich Lavabäche zu Tal und verlöschen zischend im flammenden Gewässer des Hafens. [...]
– was hebt sich aus dem Krater empor? Ein Drachengespann – es reißt hinter sich einen Wagen aus dem Schlund – er scheint leer – dann richtet sich ein Schatten in ihm auf – jetzt schwebt er wie auf sicherem Boden in ebener Linie durch die Lüfte – herwärts der Stadt, meinem Standort zu, – ist das nicht etwas wie eine weibliche Riesengestalt, was aus ihm emporragt? – – der Wagen senkt sich – schwebt sinkend näher und näher – deutlicher im schwefligen Glut- und Blutschein wird die Lenkerin des Drachenpaars – Augen wie Fackeln brennen aus ihrem Antlitz – ihre Locken sind von Gold, ringeln sich aber wie Schlangen, blaue Funken knistern aus ihren Spitzen – jetzt wankt mir der Mut, ich denke an Flucht, die Beine sind mir lahm, angewurzelt stehe ich, denn das ist ja – sie! sie! das Weib, das mir die Seele ver– der Wagen hält in Lüften – ein Blick – was für ein Blick! Ich kenne ihn! – trifft mich, streift dann über die Köpfe der Menge hin –; sie wirft stolz ihr Haupt auf und erhebt die Stimme, – es ist der Ton, mit dem sie einst jene Stellen des Olaflieds sang, woraus es hervorklang wie Mitleid und Hohn zugleich, – nur lauter jetzt, greller, ein Herrscherton – so mag einst Libussa ihre Schlachtbefehle gerufen haben – »Adoratemi! Sono la santa Rosalia!« Das Volk starrt sie an, dann rufen Stimmen: Auf die Knie! Seht ihr das Kreuz auf ihrer Stirn? – und alles sank auf die Knie. Ich sehe hin nach ihrer Stirne und erkenne mit Grausen – – »Betet nicht an! das ist kein Kreuz! schaut besser hin – eingeätztes Bild eines Dolches!« – Das entsetzliche Weib wendet den Blick wieder nach mir und herrscht mir jetzt griechische Worte zu: »Ἄνω τὴν κεφαλὴν! Βλέπε ἄνω!« Ich schaue über ihr Gorgonenhaupt hinweg, hinauf nach dem speienden Krater. Da fliegt wie eine Rakete emporgetrieben ein schwarzer Körper zwischen den Flammengarben auf, hält dann im Schweben still, fängt an mit den Beinen zu gaukeln, zu zappeln, wie ein Hampelmann, tanzt baumelnd, sich überschlagend eine Weile in den Lüften, kugelt dann abwärts und herwärts, immer näher, bis er über meinem Haupte flattert, und beginnt nun mit kreischender Stimme zu stottern: »Gu– gu– guck mich an!« Ich lache, doch verzwungen und angstvoll, und rufe: »Du bist der Stotterer vom Theater S. Carlin in Neapel!« »Oho, oho,« stammelt es jetzt, »wie du– du– dumm! Ich bin ja der Pla– Pla– Plato! Kann auch pfei– pfeifen!« – Er pfiff, der schrille Ton ging in eine Schelmenmelodie über, und es war jetzt, als pfiffen zwei Stimmen, eine höhere und eine tiefere, und die tiefere schien aus einem großen Loch in der Brust zu kommen. – O, ich hatte mir's nur verhehlen wollen, – schon vorher hatte ich die nun verzerrten Züge, die halbgrauen, nun wild flatternden Locken erkannt, die mir einst so ehrwürdig erschienen. [...]
Hat sich der Himmel aufgetan? Vor mir wölbte sich die blaue Grotte von Capri, nicht Bild, nicht Gemälde, sondern Wirklichkeit. Und doch auch wieder nicht. Denn wohl raunt das Volk von gewissen Felshöhlen an jener Inselküste, es seien Spiriti darin, aber was leuchtet hier, welch Unbekanntes, Neues, welchen Wunderkern umschließen diese blauerglänzenden Wölbungen? Eine Erhöhung des Felsens ragt aus dem Wasser, wie zur natürlichen Ruhestätte gebildet; auf weißer Decke, die darüber sich breitet und faltenreich niederfällt, in weißem Gewande, das Haupt auf weißem Schlummerkissen ruht ein Weib, mir entgegengekehrt, das Angesicht mir gegenüber, halbgeschlossen sind die von langen Wimpern überschleierten Augen. Friede wohnt auf ihrer Stirne, ein seliges Lächeln umspielt ihre Lippen, Verklärung ist dies Antlitz. Das magische Licht, das auf Correggios berühmter »Nacht« vom Christuskind ausgeht, auf den Gesichtern der anbetenden Gruppe wiederscheint und im Dunkel der Hütte, der nächtlichen Landschaft verschwebt, es ist stumpf und erdig gegen die Lichtfülle, die von diesem Himmelsbilde ausströmt und doch nicht blendet, sondern mondscheingleich das Blau, das vor lauter Leuchtkraft wie Rot auf das Auge wirkt, zu sanfter Kühle ermäßigt. Ich sollte die Züge dieses Weibes kennen, sprach es in mir. Nur so wagte ich es im Innern zu sagen, denn sehr wohl beim ersten Blicke kannte ich sie. Doch drang es mir über die Lippen: »Soteira!« flüsterte ich und trat um einen kleinen Schritt näher; das Wasser, das ihr Felsbett umschwankte, schien zugleich fester Boden, der dem Fuße Stand und Gang erlaubte. Sie öffnete jetzt die Augen und ließ sie auf mir ruhen. Wer beschreibt den Blick! Mir war wie damals, als sie sich über mich beugte und das feuchtkühle Tuch auf meine Stirne legte, nur dasselbe Gefühl ins Unmeßbare, ins Unsagbare erhöht. Nun sprach sie, – es war jener grundgute Ton, der mir einst ins Herz des Herzens gedrungen –: »Nicht wahr, hier ist es gut still und kühl?« – »Ja, du Gute,« sagte ich, »aber das ist ein Ort für Reine, da darf ich nicht bleiben; verzeih, verzeih, daß ich hier eingedrungen; aber du glaubst nicht, o, du glaubst nicht, wie fürchterlich es droben aussieht im Tale der Schrecken.« Wie vorher ruhten diese Augen auf mir mit dem Blick der Güte und des Mitleids, den keine Zunge nennt. Dann hob sie langsam den Arm, bot mir die schneeweiße Hand und sagte: »Reiche die deine, das kühle Lichtblau hat alles, alles abgewaschen.« Zitternd hob ich die Hand und faßte die ihre. Sie war kalt, aber nie im Leben hat der Druck einer warmen, lebendigen Hand einen Menschennerv und ein Menschenherz so selig durchzittert, wie mich die Berührung dieser weichen, zarten Finger, die wie aus Schnee gerundet schienen. Ich hielt sie fest und flüsterte: »Ewig.« – »Ja,. ewig,« hauchte sie. * Ich glaubte sie noch zu halten, als ich erwachte. Dies Erwachen! Hinweggespült aus meiner hämmernden Brust ist der Krampf und Brand des Lebens, sanft geht mein Puls. Ich bin frei. [...]
Aus Wust und Wut,
Aus Schwefelglut,
Aus atemloser Schwüle
Hinab in Meeresgrund, hinab ins Kühle.
Da ruh' ich aus
Im Felsenhaus
Von all dem Angstgewühle,
Gebadet in der sanften, reinen Kühle.
Im tiefen Blau Ruht eine Frau,
Lichtweiß auf weißem Pfühle,
Und lächelt selig in der stillen Kühle.
Nah' ich mich ihr?
Sie schaut nach mir,
Fragt mich, ob ich auch fühle,
Wie gut es weilen ist in dieser Kühle.
Reicht mir die Hand,
Daß ich den Brand
Aus meinem Busen spüle
Und mit ihr ewig bleibe in der Kühle.
*
Aber da bin ich noch und was nun tun? Der aufzuckende Gedanke, ich müsse nun auf und fort, hinwärts, dorthin – nein! Mein Traum und die Fragen, die Zwecke der Wirklichkeit: zwischen ihnen ist kein Verhältnis, keine Gleichung. Auch den Gedanken, mein Gesicht könne eine Ahnung gewesen sein, halte ich nieder. Ich mag mich mit keinerlei Fragen einlassen. Mir ist alles vollendet. Ich bin. Ich habe das Gefühl, zu sein. Mit ihr, in ihr. Tief in der blau schimmernden Grotte. – Die Dinge am Tageslicht sind mir nun pure Gegenstände, nichts mehr mit mir verwachsen.
(Vischer: Auch Einer, Kapitel 26)
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