Ob wir aus diesen Textstück erkennen, worum es geht? Wie heißt Bengele wohl in der Sprache seines Erfinders?
»Ich habe gesagt –, daß – daß«, stotterte Bengele, »daß ich jetzt doch zu alt bin für die Schule.«
»Nein, mein Sohn, zum Lernen ist man nie zu alt!«
»Aber ich will auch kein Handwerk lernen!«
»Warum?«
»Weil man beim Arbeiten müde wird!«
»Liebes Kind«, mahnte die weise Fee, »wer so denkt, der endigt gewöhnlich im Krankenhaus oder im Zuchthaus. Müßiggang ist aller Laster Anfang. Der Mensch muß arbeiten auf dieser Welt, ob er arm sei oder reich. Das Faulenzen ist eine Schande. Es ist eine schlimme Krankheit; wenn man sie in der Jugend nicht heilt, so geht man mit ihr durchs ganze Leben.«
25. Kapitel
Schon hörte Bengele hinter sich den wutschnaubenden Hund, schon fühlte er den heißen Atem des grimmigen Tieres, – da kamen sie ans Meer.
Wie ein Frosch sprang Bengele sofort weit hinein ins Wasser. Plumps! fiel er auf und schwamm davon.
Bollo liebte das Wasser nicht. – Er schnupperte daran, sprang ein paar Mal am Ufer auf und ab; aber als er den Hampelmann wegschwimmen sah, erfaßte ihn aufs neue die Wut und er sprang ins Meer.
Rasend zappelte der Hund mit den Tatzen, bald war er müde und sank unter. Mit der letzten Kraft arbeitete er sich noch einmal über Wasser und rief:
»Hilf, hilf! – Ich muß ertrinken.«
»Ersaufe nur«, entgegnete Bengele. – Er war ein gut Stück weiter und außer Gefahr.
»Hilf mir doch, Bengele; rette mich vom Tode!«
Der Hampelmann bekam Mitleid mit seinem Feinde, schwamm zurück und fragte in einiger Entfernung:
»Wirst du mich unbehelligt laufen lassen, wenn ich dich rette?«
»Gewiß! Ich verspreche es dir! Aber jetzt mache schnell! Wenn du noch länger säumst, dann ist es mit mir vorbei.«
Noch zögerte Bengele; aber es fiel ihm ein, daß sein Vater stets gesagt hatte: »Geh nie einer guten Tat aus dem Wege!« Er schwamm darum rasch auf Bollo zu, faßte ihn am Schwänze, und mit wenigen kräftigen Schwimmzügen hatte er ihn aufs trockene Ufer gesetzt.
Der arme Hund konnte nicht mehr auf den Beinen stehen; denn er hatte zu viel Salzwasser geschluckt und einen kugelrunden Bauch bekommen. Bengele traute ihm aber doch noch nicht und hielt es für das klügste, gleich wieder ins Wasser zu hüpfen und davonzuschwimmen.
»Adieu, Bollo! Komm gut nach Hause!« rief er noch und ruderte ins Meer hinein.
»Adieu, Bengele«, erwiderte der Hund, »ich danke dir tausendmal; du hast mir das Leben gerettet! – Ein Dienst ist den andern wert! Vielleicht kann ich dir deine edle Tat einmal vergelten.« [...]
Er [Bengele] schwamm ans felsige Ufer und hatte sich schon an einem Steine festgeklammert. Da fühlte er unter seinen Füßen etwas emportauchen, und im Nu war er hoch in die Luft gehoben. Er wollte ins Wasser zurückspringen; doch es war zu spät. Der Unglückliche war in ein Fischernetz geraten, und um ihn zappelte und trappelte es von Fischen aller Art.
Gleich kam auch oben vor der Felsenhöhle der Fischer zum Vorschein, ein grausiges Geschöpf, ein entsetzlich häßliches Ungetüm. Er hatte keine Haare auf dem Kopf, sondern einen Busch von grünem Seegras, seine Haut, seine Augen, sein langer Bart, alles war meergrün. Im ganzen sah er aus wie ein Laubfrosch, der auf den Hinterbeinen steht; aber er war schrecklich wild und unbeschreiblich garstig.
Als der Fischer das Netz ans Land gezogen hatte, grunzte er zufrieden und sprach:
»Ein guter Fang! Auch heute kann ich mich an einem feinen Mahle gütlich tun.« –
»Ein Glück für mich, daß ich kein Fisch bin«, dachte Bengele bei diesen Worten und faßte etwas Mut. Der Fischer trug das Netz in seine Höhle. – Diese war ganz ausgeräuchert schwarz und unheimlich. In der Mitte brannte ein Herdfeuer; darauf stand eine Pfanne. Der ranzige Tran, der darin brodelte, verpestete die Luft.
Der grüne Fischer holte mit seiner plumpen Hand einen Fisch nach dem andern aus dem Netze. Jeder wurde genau untersucht:
»Barben sind gut«, sagte er, hielt eine vor seine Augen, beschnupperte sie und warf sie in einen leeren Kübel. Das Wasser lief dem Höhlenmenschen im Munde zusammen, ehe die Fische noch gekocht waren. Er wurde immer lustiger und sprach:
»Fein diese Nasen! – Ausgezeichnete Äschen! – Und diese Zungen! – Ha! – Solch seine Barsche erst! – Hurra, auch noch Sardellen!« –
Alles flog unbarmherzig in den großen Kübel. Jetzt war Bengele noch übrig. Der grüne Fischer zog ihn heraus; unbeschreibliches Erstaunen erfaßte ihn, seine grünen Augen wurden groß wie Pflugrädchen, und er fragte verwundert:
»Was ist das für eine Sorte? Diesen Fisch habe ich noch nie gegessen!«
Aufmerksam schaute er den Neuling von allen Seiten an und meinte schließlich:
»Ja, ja, es muß eine Art Meerkrebs sein!«
Daß er ein Meerkrebs sein sollte, war dem Bengele doch zu viel, und er schrie beleidigt:
»Was?! – Ein Meerkrebs! – Dich soll das Mäusle beißen! Merke es dir ein für allemal: ich bin ein Hampelmann.«
»Ein Ham-pel-mann?« – sagte der Fischer in langgezogenem Tone, »ich muß schon sagen, einen Hampelmannfisch habe ich noch nie gegessen. Aber gerade deshalb wirst du mir um so besser schmecken.«
»Wie! Essen willst du mich! – Ich bin doch gar kein Fisch. Begreifst du nicht, daß ich reden kann wie du?«
»Das schon«, meinte der Fischer, »aber weil du doch ein Fisch bist und dazu reden kannst wie ich, so will ich dich auch entsprechend behandeln.«
»Das heißt?«
»Als ein Zeichen von Freundschaft und besonderer Hochachtung lasse ich dir die Wahl, wie du gekocht sein willst. Willst du gebraten, gesotten oder geräuchert werden?«
»In diesem Fall fällt mir die Wahl nicht schwer: am liebsten möchte ich losgelassen werden, weil ich nach Hause will.«
»Mach doch keine dummen Witze!« sagte der Fischer, »ich muß dich unbedingt versuchen; die Gelegenheit kommt selten wieder, daß mir ein Hampelmannfisch ins Netz gerät. – Vertraue nur ruhig auf mich; ich brate dich zusammen mit allen andern in der Pfanne, und damit kannst du wohl zufrieden sein. Es ist immerhin ein Trost, wenn man in Gesellschaft gebraten wird.«
Bengele weinte und flehte den Fischer an, daß er ihn frei gebe; er wolle nach Hause gehen zu seiner Mutter. Das grüne Scheusal hatte kein Herz und hörte gar nicht auf des Hampelmanns Gejammer. Verzweifelt drehte und wand sich Bengele; die grünen Tatzen ließen ihn nicht mehr los. – Der grausame Fischer machte schließlich dem Zappeln ein Ende; er nahm ein paar Weidenzweige und band dem Hampelchen Hände und Füße fest. Darauf warf er den neuen Fisch zu den andern in den Kübel.
Bengele ergab sich seinem traurigen Geschicke. Leise wimmerte er:
»Wäre ich doch in die Schule gegangen! – Hätte ich doch nicht auf schlechte Kameraden gehört! – Ach, wie muß ich meine Fehler büßen!«
28. Kapitel
Eben wollte der grüne Fischer den panierten Hampelmann in die Pfanne legen, da kam ein fremder Hund in die Höhle. Er hatte Bratenduft gerochen und war ihm nachgegangen.
»Hinaus da!« – schrie der Grüne; er hatte immer noch den Hampelmann in den Händen.
Der arme Hund hatte schrecklich Hunger; er kauerte sich nieder, winselte und wedelte und bat um ein Stückchen Fisch.
»Marsch hinaus!« rief der Unmensch zum zweiten Male, »sonst! ...« schon hob er ein Bein hoch und wollte dem hungrigen Tiere einen Tritt versetzen.
Der Hund war empört über die Grobheit. Knurrend zeigte er dem Grünen seine beiden Reihen spitzer Zähne und stellte sich auf zum Angriffe.
Da erklang in der Höhle eine leise Stimme:
»Bollo, hilf mir, ich werde gebraten.«
Sofort erkannte der Hund Bengeles Stimme und merkte, daß sie aus dem panierten Dinge kam, das der Fischer in der Hand hielt.
Was tut der treue Hund? – Er springt hoch, faßt den panierten Bengele mit seinen Zähnen, reißt ihn dem erstaunten Fischer rasch aus der Hand und trägt ihn schnellen Laufes davon.
Der Fischer war wütend, daß ihm der seltene Leckerbissen entgangen war; er wollte dem Hunde nachrennen, aber nach wenigen Sprüngen ging ihm schon der Atem aus und er keuchte verärgert in seine Höhle zurück.
Bollo blieb erst stehen, als er an den Fußweg gekommen war, der vom Meer nach Fleißigenstadt führte. Dort legte er seinen Freund Bengele sanft auf die Erde nieder.
»Bollo, du hast mir das Leben gerettet«, sagte der Hampelmann; »ich kann dir nie genug danken.«
»Gar nicht notwendig!« entgegnete der treue Hund; »ich habe nur meine Schuld abgetragen. – Schau dort das Meer!«
»Wie bist du nur in jene Höhle gekommen?« fragte Bengele.
»Ich lag immer noch halbtot am Ufer, da trug mir der Wind von weitem einen Bratengeruch daher. Weil ich Appetit hatte, ging ich diesem Dufte nach. Wäre ich eine Minute später gekommen, –«
»Sei still:« – sagte Bengele und fing von neuem an zu zittern. »Sprich nicht mehr davon! Wärst du eine Minute später gekommen, dann wäre ich jetzt schon gebraten und verspeist. Brrr! – Es schauert mich jetzt noch, wenn ich nur daran denke.«
Bollo mußte lachen! – Er reichte dem Hampelmann seine rechte Pfote zum Abschiede. Dieser drückte sie fest und liebevoll dem treuen Freunde; dann gingen sie auseinander.
29. Kapitel
Peter Bichsel: Die schöne Schwester Langeweile (2023)
vor 12 Stunden
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