01 Januar 2015

Falkenberg

Etwa wie sich Heringsdorf zu Swinemünde verhält, so verhält sich Falkenberg zu Freienwalde. Ein Dorf, das, durch seine schöne Lage, vielleicht auch durch den schlichten Zauber des Ländlichen bevorzugt, dem eigentlichen Badeorte gefährlich zu werden droht. So dort wie hier. [...]
Falkenberg ist doppellebig. Seine Natur bringt das so mit sich, und während es die Wiesen zu einem Bruchdorfe machen, machen es die Berge mit ihren Quellen und schattigen Plätzen zu einem Brunnen- und Badedorf. Im Einklang mit dieser Doppellebigkeit unterscheiden wir denn auch einen Sommer- und einen Winter-Falkenberger. Der Winter-Falkenberger oder der Falkenberger außerhalb der Saison ist ein ganz anderer wie der Sommer-Falkenberger oder der Falkenberger in der Saison. Der Winter-Falkenberger ist ganz Märker, das heißt ein Norddeutscher mit starkem Beisatz von wendischem Blut. Er ist fleißig, ordentlich, strebsam, aber mißtrauisch, eigensinnig und zu querulieren geneigt. Hört man ihn selbst darüber sprechen, so hat er freilich recht. Die Heuwirtschaft bleibt doch immer die Hauptsache für ihn, das Fundament seines Wohlstandes, und seine Wiese, dies Stück Bruchland, ist mit Abgaben überbürdet. »Die Verwallung«, so hebt der Winter-Falkenberger an, »hat uns Gutes gebracht, aber auch viel Böses. Sonst stand das Wasser auf unsern Wiesen, und wir hatten eine unsichere oder auch gar keine Heuernte; jetzt haben wir die Eindeichung und bringen unser Heu trocken herein, aber wir müssen für den Deich, der uns schützt, eine so hohe Abgabe oder Beisteuer zahlen, daß mancher schon gedacht hat: ohne Deich wär es besser. Unser ganzes Unglück ist, daß sie ›da oben‹ die Abgaben und die Beisteuer ungerecht verteilen. [...]
Der Winter-Falkenberger ist märkisch, der Sommer-Falkenberger ist thüringisch, eine Art Ruhlenser: freundlich, gebildet, entgegenkommend. Der Vorübergehende bietet guten Tag, gibt Auskunft, zeigt den Weg. Überall gute Form und gute Sitte, eine »Manierlichkeit«, wie sie sonst in den Marken, zumal in den Odergegenden, nicht leicht betroffen wird. Diese Manierlichkeit ist freilich zum guten Teil etwas bloß Angenommenes, aber doch nicht allein. Der modelnde Einfluß, den die Wohnstätte des Menschen auf den Menschen selber übt, zeigt sich auch hier. Die Falkenberger, solange sich ihr Auge nur auf Wasser und Wiese richtete, blieben wendisch-märkische Fischersleute von altem, etwas gröblichem Schrot und Korn; von dem Augenblick an aber, wo sie sich um die Sommerzeit ihren Bergen zuwandten, begann auch der Anblick des Schönen den Formensinn zu bilden, die Sitte zu modeln, und unter dem Einfluß einer so nah gelegenen und doch so spät erst entdeckten thüringischen Natur entstand etwas von thüringischer Sitte, von sächsischem Schliff. – Welch Unterschied jetzt zwischen einem märkischen Sanddorf und diesem gebirgsdorfartigen Falkenberg! In jenem findet sich nur, was nötig, im glücklichsten Falle, was nützlich ist, aber nichts von dem, was ziert und schmückt. Zieht sich nichtsdestoweniger eine Allee durch solch ein Sanddorf hin, so darf man sicher sein, daß sie ein Befehl ins Leben gerufen hat. Der freie Wille, der eigene Trieb der Dörfler hätte sie nie gepflanzt. Wie anders hier. Um die alten Obstbaumstämme rankt sich der sorglich gepflegte Efeu am Gitterdraht, Weingänge laufen an der Rückfront der Häuser hin, der Ebereschenbaum lehnt sich an den Vorbau der Häuser, und Bank und Laube haben ihren bestimmten Platz. Der Brunnen, das Bienenhaus, Kleines und Großes fügt sich malerisch in das Ganze ein, denn der Sinn für das, was gefällt, ist lebendig geworden und wirkt selbständig-tätig in jedem Moment.
Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Das Oderland. Das Oderbruch und seine Umgebungen. Freienwalde 2. FalkenbergS.50 - 52

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