25 April 2016

Suche nach der Fortsetzung des Kampfes mit dem Biskayer


Worin der erschreckliche Kampf zwischen dem tapferen Biskayer und dem mannhaften Manchaner beschlossen und beendet wird 


Im ersten Teile dieser Historie verließen wir den tapfern Biscayer und den berühmten Don Quixote mit aufgehobenen blanken Schwertern, beabsichtigend, zwei mörderliche Hiebe zu geben, die, wenn sie vollwichtig fielen, sie gewiß bis auf den Sattelknopf teilen und zerspalten und sie wie Granatäpfel entzweischneiden mußten. In diesem furchtbaren Momente stand die treffliche Geschichte still und brach ab, ohne daß uns der Autor einige Nachricht gegeben hätte, wo man das Mangelnde antreffen könne.
Dies verursachte mir großen Verdruß, denn das Vergnügen, das mir das wenige gemacht hatte, verwandelte sich in Mißvergnügen, wenn ich an die Unannehmlichkeiten dachte, die ich würde überwinden müssen, ehe ich die größere Hälfte, die mir noch zu fehlen schien, der herrlichen Geschichte aufgefunden hätte. Denn es schien mir unmöglich und ein Verstoß gegen alle gute Sitten, daß einem so wackern Ritter ein Weiser sollte gemangelt haben, der es auf sich genommen, seine unerhörten Taten zu beschreiben; etwas, woran es keinem irrenden Ritter gefehlt hat, von denen, von welchen die Leute sagen, daß sie ihre Abenteuer suchen; denn jeder von ihnen hatte einen oder zwei Weisen in Bereitschaft, die nicht nur seine Taten beschrieben, sondern auch seine kleinsten Gedanken und Kindereien ausmalten, wenn sie auch noch so verborgen gewesen waren. Ein so wackrer Ritter mußte also nicht so unglücklich sein, daß er entbehrte, was ein Platir und andre dem ähnliche im Überfluß hatten. Ich konnte mich daher nicht zu dem Glauben verstehen, daß eine so herrliche Geschichte unvollendet und verstümmelt geblieben, sondern ich schob die ganze Schuld auf die Bosheit der gierigen und gefräßigen Zeit, die sie verborgen hielt oder sie verzehrt hätte.
 Ich behaupte also, daß aus dieser Rücksicht, wie aus vielen andern Ursachen, unser wackrer Don Quixote ewige und unvergängliche Lobpreisungen verdiene, die aber meiner Mühe auch nicht versagt werden müssen, welche ich mir gab, um den Schluß dieser angenehmen Geschichte zu finden, obwohl ich weiß, daß, wenn Himmel, Zufall und Glück mir nicht beigestanden hätten, die Welt diesen Beschluß noch entbehren würde, und mit ihm so viel Zeitvertreib und Belustigung, um wohl zwei Stunden dem auszufüllen, welcher aufmerksam liest. Ich fand aber diese Geschichte auf folgende Weise.
Eines Tages war ich auf der Straße Alcana von Toledo; da kam ein Junge mit alten Schreibebüchern und Papieren, die er einem Seidenhändler verkaufen wollte. Da es nun meine Leidenschaft ist, alles zu lesen, und wenn es auch zerrissene Papiere von der Straße wären, so folgte ich auch hier meiner natürlichen Neigung, nahm einige Blätter von denen, die der Junge verkaufte, sah sie an und erkannte die arabischen Lettern. Ich kannte nun zwar die Buchstaben, konnte sie aber nicht lesen und sah mich also um, ob ich nicht einen halbspanischen Morisken fände, der sie lesen möchte. Es war auch nicht schwierig, einen solchen Dolmetscher anzutreffen, denn man hätte dort wohl welche selbst für eine bessere und ältere Sprache finden können. Kurz, der Zufall führte einen herbei, gegen den ich meinen Wunsch äußerte und ihm das Buch in die Hand gab; er schlug es in der Mitte auf, und als er ein wenig gelesen hatte, fing er an zu lachen. Ich fragte ihn, worüber er lache, und er antwortete, über etwas, das in diesem Buche als eine Bemerkung auf den Rand geschrieben sei. Ich bat ihn, es mir zu sagen, und er, ohne sein Lachen zu unterbrechen, sagte: »Hier steht, wie ich gesagt habe, auf dem Rande geschrieben: Diese Dulcinea von Toboso, die so oftmals in dieser Historie genannt wird, hatte nach Berichten unter allen Frauenzimmern in la Mancha die glücklichste Hand, Schweinefleisch einzupökeln.«
Als ich Dulcinea von Toboso nennen hörte, war ich erstaunt und überrascht, denn mir fiel sogleich ein, daß dieses unnütze Papier wohl die Geschichte des Don Quixote enthalten möchte. Mit diesen Gedanken bat ich ihn, mir schnell den Anfang zu lesen; er tat es, indem er sogleich das Arabische ins Kastilianische übersetzte, folgendermaßen: Historia des Don Quixote von la Mancha, geschrieben vom Cide Hamete Benengeli, arabischem Historienschreiber. Es war viel Verstand dazu nötig, um mein großes Vergnügen zu verbergen, da ich den Titel des Buches hörte, ich riß es dem Seidenhändler weg und kaufte von dem Jungen alle die Blätter und alten Papiere um einen halben Real, der, wenn er Verstand gehabt hätte und gemerkt, wie lieb sie mir wären, wohl sechs Realen dafür von mir hätte bekommen können.
Sogleich ging ich mit dem Morisken durch den Kreuzgang der Kathedrale und trug ihm auf, die ganze Makulatur zu übersetzen, was vom Don Quixote handelte, in kastilianischer Sprache, ohne etwas auszulassen noch hinzuzufügen, wobei ich fragte, wieviel Bezahlung er dafür verlange. Er war mit funfzig Pfund Rosinen und zwei Scheffeln Weizen zufrieden und versprach, alles gut, getreu und schnell zu übersetzen. Um aber den Handel zu erleichtern und meinen guten Fund nicht aus den Händen zu geben, nahm ich den Mohren zu mir ins Haus, wo er in ungefähr einem und einem halben Monate alles so übersetzte, wie man es hier findet. Auf dem ersten Blatte war Don Quixotes Schlacht mit dem Biscayer ganz nach dem Leben abgemalt, sie standen in derselben Stellung, wie sie die Geschichte beschreibt, die Schwerter aufgehoben, dieser mit seinem Schilde, jener mit seinem Kissen beschirmt; zugleich war das Maultier des Biscayers so täuschend abgebildet, daß man es auf einen Steinwurf davon schon für ein gemietetes Tier erkannte. Zu den Füßen des Biscayers stand geschrieben: Don Sancho de Azpeitia, welches wahrscheinlich sein Name war, unter Rozinantes Füßen war ein anderes Blatt, worauf geschrieben war: Don Quixote. Dieser Rozinante war bewunderungswürdig abgeschildert, so lang und gedehnt, so dünn und eingefallen, mit einem so hervorstehenden Rückgrat und einer so ausgemachten Moralität, daß er höchst deutlich zeigte, wie passend und mit welcher Schicklichkeit ihm der Name Rozinante gegeben sei. Daneben stand Sancho Pansa, der seinen Esel am Stricke hielt, zu seinen Füßen war wieder ein Zettel mit der Inschrift: Sancho Breitfuß, und wie das Gemälde zeigte, hatte er auch in der Tat einen dicken Bauch, einen schlechten Wuchs und sehr breite Füße, und deshalb hatte er auch den Zunamen Pansa und Breitfuß, so wie auch beide Namen abwechselnd in der Geschichte genannt werden. Ich könnte noch einige andere Abweichungen anführen, aber sie sind alle unwichtig, und keine tut der Wahrheit der Geschichtserzählung Eintrag, sonst ist keine zu verachten, die die Wahrheit in ein helleres Licht setzt.
Wenn man etwas in Ansehung der Wahrhaftigkeit einwerfen könnte, so müßte es etwa nur sein, daß der Verfasser ein Araber gewesen und daß es dieser Nation eigentümlich sei, zu lügen; da sie aber so sehr unsre Feinde sind, so könnte man vielmehr voraussetzen, es möchte manches eher herabgesetzt als übertrieben sein. Dies scheint mir auch wirklich der Fall, denn wenn er sich am weitläufigsten in Lobeserhebungen des wackern Ritters ergießen könnte und sollte, scheint es oft, daß er lieber geflissentlich mit Stillschweigen darüber hinweggeht. Dies ist ein übler und tadelnswürdiger Charakter, denn ein Geschichtsschreiber sollte genau sein, wahrhaft, ohne Leidenschaft, weder von Eigennutz noch Furcht beherrscht, weder Haß noch Liebe dürfte ihn vom Wege der Wahrheit verleiten, deren Mutter die Geschichte ist, die Nebenbuhlerin der Zeit, das Archiv aller Taten, Zeugin des Verflossenen, Beispiel und Rat des Gegenwärtigen, Warnerin der Zukunft. Alles dies, und was man nur wünschen kann, wird sich in diesem anmutigen Werke finden, und wenn irgend etwas Gutes darin mangelt, so liegt nach meiner Meinung die Schuld an dem ketzerischen Heiden von Autor, gewiß aber nicht an dem Gegenstande. Kurz, der zweite Teil fing nach der Übersetzung folgendermaßen an.
Hochgeschwungen waren die mörderischen Schwerter der beiden tapfern und ergrimmten Kämpfer, die dem Himmel, der Erde und der Unterwelt zu dräuen schienen, so groß war ihre Kühnheit und ihr Mut. Wer zuerst seinen Streich ausführte, war der hitzige Biscayer, der so kräftig und wütend ausholte, daß, wenn sich das Schwert nicht unterwegs gewandt hätte, dieser einzige Streich hinreichend war, dem edlen Mute und allen künftigen Abenteuern unsers Helden ein Ende zu machen; aber das Glück, das ihn wichtigern Dingen aufsparte, drehte das Schwert seines Gegners, so daß es auf die linke Schulter schlug und ihm weiter keinen Schaden zufügte, als daß es diese ganze Seite von der Rüstung entblößte und auf dem Wege einen großen Teil des Helmes sowie die Hälfte des Ohres mit sich nahm, welches alles mit einem furchtbaren Verderben auf die Erde stürzte, indem es ihn in traurigen Zustand versetzte. [...]
(1. Teil 2.Buch 1. Kapitel)

Keine Kommentare: