Er kann nur noch versinken oder von treuen Händen rechtzeitig im Hafen geborgen werden. Eins so möglich wie das andere. Der Abgrund allerdings wahrscheinlicher als der Hafen. Der Dichter aber wollte seinen Mann retten und entschied für den Hafen. Man hat den Eindruck: ein altes gutes Wrack soll in Sicherheit gebracht werden, oder, um Lebendiges mit Lebendigem zu vergleichen: ein guter, alter Hund, der nicht mehr recht schwimmen kann, soll aus der Flut gezogen werden. Als dem Professor alles quer geht, ruft er selber aus: »Bin ich denn ein räudiger Hund?« Bei Rettungsversuchen geht es selten ohne kleine List und Hinterlist ab. Hier ist der Punkt, wo auch diese Komödie an Intrigenspiel erinnert. Aber die spinnwebzarten Fäden werden nicht, wie bei Scribe und seiner deutschen Schule, von einem ränkevollen Verstand gelenkt, sondern von der natürlichen, gesunden Empfindung der helfenden Menschlein, die im Gegensatz zur massiven Hauptfigur etwas Diminutivisches haben.
Gehen die beiden ersten Akte mit der Charakteristik der Hauptfigur und der Darlegung ihres unglückseligen Zustandes hin, so beginnt im dritten das Rettungswerk. Dort ist der Professor aktiv, hier passiv. Durch diesen Wechsel der Zustände erhält und steigert sich das Interesse. Die Frage bleibt, welche Gefühle sich im Zuschauer mit diesem Interesse verknüpfen, wie man sich zu dem Professor persönlich stellt. Man wird das erstemal mehr ergriffen, das zweitemal mehr belustigt werden. Die Gewißheit des guten Ausgangs entscheidet. Wenn jemand ins Wasser fällt, so zittern ringsumher alle Herzen. Kommt er dann pudelnaß und mit einem festen Schnupfen ans Ufer, so gesellt sich gerne zum Schaden der Spott. So überwöge auch gegenüber dem Collegen Crampton zum erstenmal das menschenfreundliche Mitgefühl, das sich sagt: so miserabel kann es manchem werden; beim zweitenmal überwöge der behagliche Spott, womit gut gebettete Korrektheit gern auf die schnurrigen Kundgebungen eines armen Teufels oder eines armen Schelmen oder eines armen Sünders hinsieht.
Die Kunst des Dichters besteht darin, und darin liegt auch die reiche Erfindung dieses scheinbar so erfindungsarmen Werkes, daß sich Mitleid und Spott, Rührung und Lust zu einunddemselben Eindruck vermischen; deshalb ist das Stück in seinem Humor eine Komödie besten Schlages. Der Eindruck wird dadurch erzielt, daß die Hauptgestalt in jedem Augenblick naiv bleibt und niemals unsere Sympathie verliert. Man sieht ein altes Kind. Dabei schillert diese Gestalt wie ein Opal, man könnte auch sagen: wie die Nase des guten Professors, in allen Farben. Die ganze lebendige Mannigfaltigkeit dieser Charakteristik tritt für Augen, die sehen können, zutage. Gewiß ist der Professor im Grunde immer derselbe, mag er im Atelier gegen die Schulpedanten wettern oder in der Bumskneipe sich mit den Stubenmalern anfreunden oder endlich im Glück der Tochter selber froh werden: die Einheit der Individualität ist festgehalten.
Gehen die beiden ersten Akte mit der Charakteristik der Hauptfigur und der Darlegung ihres unglückseligen Zustandes hin, so beginnt im dritten das Rettungswerk. Dort ist der Professor aktiv, hier passiv. Durch diesen Wechsel der Zustände erhält und steigert sich das Interesse. Die Frage bleibt, welche Gefühle sich im Zuschauer mit diesem Interesse verknüpfen, wie man sich zu dem Professor persönlich stellt. Man wird das erstemal mehr ergriffen, das zweitemal mehr belustigt werden. Die Gewißheit des guten Ausgangs entscheidet. Wenn jemand ins Wasser fällt, so zittern ringsumher alle Herzen. Kommt er dann pudelnaß und mit einem festen Schnupfen ans Ufer, so gesellt sich gerne zum Schaden der Spott. So überwöge auch gegenüber dem Collegen Crampton zum erstenmal das menschenfreundliche Mitgefühl, das sich sagt: so miserabel kann es manchem werden; beim zweitenmal überwöge der behagliche Spott, womit gut gebettete Korrektheit gern auf die schnurrigen Kundgebungen eines armen Teufels oder eines armen Schelmen oder eines armen Sünders hinsieht.
Die Kunst des Dichters besteht darin, und darin liegt auch die reiche Erfindung dieses scheinbar so erfindungsarmen Werkes, daß sich Mitleid und Spott, Rührung und Lust zu einunddemselben Eindruck vermischen; deshalb ist das Stück in seinem Humor eine Komödie besten Schlages. Der Eindruck wird dadurch erzielt, daß die Hauptgestalt in jedem Augenblick naiv bleibt und niemals unsere Sympathie verliert. Man sieht ein altes Kind. Dabei schillert diese Gestalt wie ein Opal, man könnte auch sagen: wie die Nase des guten Professors, in allen Farben. Die ganze lebendige Mannigfaltigkeit dieser Charakteristik tritt für Augen, die sehen können, zutage. Gewiß ist der Professor im Grunde immer derselbe, mag er im Atelier gegen die Schulpedanten wettern oder in der Bumskneipe sich mit den Stubenmalern anfreunden oder endlich im Glück der Tochter selber froh werden: die Einheit der Individualität ist festgehalten.
Wie aus Rembrandtschem Dunkel ein Rembrandtscher Charakterkopf vorleuchtet, so beherrscht die Hauptfigur des Collegen Crampton den Hergang und drängt alle andern in den Schatten. Auch wo er nicht auftritt, im mittelsten der fünf Akte und in der ersten Hälfte des letzten Akts, dreht sich alles nur um ihn. Während des dritten Akts ist er spurlos verschwunden. Man sucht ihn in der ganzen Stadt.
[...]
Wo aber die Hauptfigur der Bühne fernbleibt, hat der Dichter für Ersatz gesorgt. Im dritten Akt entfaltet sich eine Kontrastfigur: Herr Adolf Straehler, »der dicke Krämer«, der seinem Bruder, dem jungen Maler, lachend hänselnd, aber tatkräftig beim Rettungswerke hilft: ein urgemütlicher Kerl, immer fidel, immer gleichmütig, ewig auf dem Neckfuß, kein Spielverderber und auch kein Machtwortsprecher, sanguinisch wie der Professor, aber einer, der seinen Mann steht und in der Welt etwas erreicht hat: Gerhart Hauptmanns früh verstorbener ältester Bruder Georg. Die erste Hälfte des fünften Aktes bringt statt der Person des Helden ein reizendes Capriccio, ein junges himmelhoch aus jüngsten Herzen jauchzendes Liebesglück, das um so heller strahlt, je mehr es ein Glück wird auch für andere. Diese Szene zwischen der kleinen Trude und dem nicht viel größeren Max wird von jener andern Liebesszene zwischen Alfred Loth und Helene an Reinheit und Echtheit natürlichen Empfindens nicht übertroffen. Auch hier neckt sich, was sich liebt, in der entzückendsten Weise; mitten im unschuldigen Minnespiel steigen auch hier wehmütige Gedanken an Vergänglichkeit und Abschied auf; aber doch wie ganz anders alles dort, wie ganz anders alles hier! Dort die Schicksalswolke nah und schwer über ahnungsvollen Gemütern, hier klarster, leuchtendster Sonnenschein. Gleichmäßig sind die Wangen dieser liebenden Jugend frisch gerötet von der hellen Winterluft draußen und vom Frühling in ihren Herzen. [...]
Im übelsten Humor stößt College Crampton auf dieses Jugendglück, das zugleich sein eigenes Altersglück werden soll. Aber dieses Glück leuchtet so tief und so zart in sein eigenes verdumpftes und versumpftes Innere herein, daß der wetterwendische Sinn des alten Burschen sofort wieder umgewandelt ist. Lebensfreude, sogar Arbeitslust sprudelt wieder in ihm auf, und froh erschüttert fällt er seinem alten hundetreuen Faktotum, seinem »lieben Löffler«, dem Dienstmann, um die blaue Bluse. So sehr ist er gewöhnt, sich in allen Dingen an den »lieben Löffler« zu wenden, daß er auch in Fragen der Kunst und des Familienglücks zunächst an das Herz hinter der Bluse appelliert; denn das ist seine nächste Instanz – einer der kleinen, feinen Meisterzüge, an denen dieses Werk reich ist.
In den Breslauer Schlußkapiteln des Quintromans, in der wüsten Verbrecherkneipe läßt der Dichter das Urbild seines Professor Crampton noch einmal am Kneiptisch auftauchen.
(Paul Schlenther: Gerhart Hauptmann, 1912)
(Paul Schlenther: Gerhart Hauptmann, 1912)
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