25 Juni 2018

Moltke: Unter dem Halbmond - Reise auf dem Euphrat

47. Ritt durch das Gebirge vom Tigris an den Euphrat – Reise auf dem Euphrat durch die Stromschnellen – Asbusu 
Karput, den 20. Juli 1838 
Am 30. Juni saßen wir in dem großen Zelt des Paschas auf roten Samtkissen beim Abendessen, als er plötzlich den Befehl gab aufzubrechen. Herzlich froh war ich, denn unser Lager am Fuß des Karsann-Dagh war höchst unangenehm; die Hitze ist dort furchtbar, wir hatten bis zu 32 Grad Reaumur [entspricht ca. 39 Grad Celsius] im Schatten. Unsere armen Pferde standen vom Morgen bis zum Abend in der Gluthitze der Sonne gefesselt, nur durch ihre dicken Filzdecken geschützt; das Ungeziefer quälte sie schrecklich und ihre ganze Nahrung war das frisch geschnittene Heu, das Wasser wurde in Schläuchen herbeigeholt. Aber uns in den Zelten ging's nicht viel besser; eine Menge Taranteln krochen an der Leinwand herum, die Schlangen suchten Schutz unter ihrem Schatten und zahllose Skorpione hausten zwischen den Steinen. [...]
Gegen Morgen erreichten wir Meja-Farkin, das alte Tigranocerta, den Sitz der einst mächtigen Könige von Armenien. Die Stadt liegt auf der untersten Stufe des Gebirges, aus dem ein reicher Fluss hervortritt und in schönen Windungen durch die Ebene dem Tigris zuzieht; aber das Innere zeigt fast nur Trümmer und die frischen Spuren des Zerstörungskrieges, der die Kurden unlängst mit Mühe unter die Herrschaft der Türken gebracht hat. Diese Eroberung hat tausenden nicht bloß von Bewaffneten, sondern auch von Wehrlosen, von Weibern und Kindern das Leben gekostet, hat tausende von Ortschaften zerstört und den Fleiß vieler Jahre nutzlos gemacht. Es ist betrüblich zu denken, dass sie wahrscheinlich auch diesmal, wie so oft früher, nur vorübergehend sein wird, wenn eine bessere Verwaltung den Kurden nicht ihre Unabhängigkeit ersetzt. [...]
Am nächsten Tag ritten wir durch das Gebirge nach Illidscha, und am 4. abends erreichten wir nach einem Gewaltmarsch Sivan-Maaden, nur die besten Pferde hielten noch neben der trefflichen arabischen Stute des Paschas aus, wohl die Hälfte des Gefolges war zurückgeblieben und die minder guten Tiere erlagen der Anstrengung.  [...]
Indem wir einen der Zuflüsse des Tigris hinaufritten, erreichten wir die hohe Wasserscheide zwischen diesem Fluss und dem Euphrat oder Murad; aber sehr überraschend ist es, wie nahe die Quellen des Ersten an dem Ufer des Letzteren liegen, der dort bereits zu einem mächtigen Strom herangewachsen ist. Die Entfernung beträgt kaum mehr als 1000 oder 1500 Schritt.
Ein sehr solides Floß aus sechzig Häuten wurde zu Palu gebaut, wohl verproviantiert und mit vier rüstigen Ruderern bemannt; ich bestieg es am 10. Juli in Begleitung von zweien meiner Leute und einem Aga des Paschas, alle gut bewaffnet, versah mich mit Bussole und Instrumenten und nahm von Ort zu Ort einen des Flusses kundigen Steuermann mit.
Der Strom, welcher bisher zwischen hohen bewaldeten Bergufern floss und bei Chun zwischen senkrechten prachtvollen Steinwänden über Felstrümmer brauste, tritt von Palu an in eine offenere Gegend und fließt schnell aber eben dahin. Bei Palu setzt eine elende Brücke über den Fluss, die letzte, die ihn überschreitet, und prachtvolle Ruinen einer alten Burg, die man hier den Dschenoves oder Genuesern zuschreibt, ragen hoch auf einem Spitzberg über die Stadt, diese ist rings von Gärten und Baumpflanzungen eingeschlossen.
Nachdem der Strom am Fuße der schönen Gebirgsgruppe des Mostar-Dagh vorübergeeilt ist, bildet die weite köstliche Ebene von Karput das linke Flussufer; der Euphrat aber wendet sich ab von derselben, tritt noch einmal in das hohe Gebirge und erreicht den Südrand jener Ebene auf einem vierzig Meilen weiten Umweg. Einige Klippen im Flussbett verursachen Strudel, die jedoch leicht durchschifft werden, und schnell gleitet man bis zu den Ruinen eines alten Bergschlosses, Perteck-Kalessi, fort, die sich auf einem hohen Felskegel am rechten Ufer erheben. Zwischen kahlen Bergen fuhren wir auf dem hier schiffbaren Strom die Nacht hindurch fort und erreichten gegen Morgen die Stelle, wo der Murad sich mit dem fast ebenso großen Frat vereint, der von Erzerum herunterkommt. Zwei Stunden weiter landeten wir in Kierwan oder Kjeban-Maaden.
Der Euphrat wird dicht unterhalb Kjeban-Maaden von rauen Bergen eingeschlossen; bald aber flacht sich das rechte Ufer mehr und mehr ab, und nachdem der Strom im weiten Bogen den Fuß des eirunden Berges umspült, auf dem die Ruinen einer weit sichtbaren alten Kirche sich erheben, hat man rechts die weite Ebene von Malatia. Erst bei Kymyrhan treten hohe wilde Gebirgsmassen von beiden Seiten zusammen und der Strom fließt von nun an in tiefen schauerlichen Felsenspalten fort. Mit außerordentlicher Schnelligkeit glitt unser Fahrzeug dahin und das Strombett war kaum zur Hälfte so breit, wie es oberhalb gewesen war; bald hörten wir ein fernes Brausen, von welchem die schroffen Felswände widerhallten, und die beschleunigte Schnelligkeit, mit der wir fortschossen, benachrichtigte uns, dass wir in die Nähe der Jelan-Degermeni oder Schlangenmühle gekommen seien.
Vorsichtig legten wir an und beschauten an einer vorspringenden Klippe die Örtlichkeit, ehe wir uns in die Wirbel hineinwagten; diese Stromschnellen liegen stets an solchen Punkten, wo das jähe Bett eines kleinen Gießbachs in den Strom mündet. Aus der Schlucht sind im Laufe der Zeit eine Menge größerer und kleinerer Felstrümmer herabgestürzt; sie haben vor der Mündung des Baches eine Landzunge angesetzt, welche die Breite des Stroms vermindert, und oft sind noch zum Überfluss gewaltige Steinblöcke bis in das Bett selbst gerollt, die bei niederem Wasserstand hervorragen, bei höherem aber von der Flut überspült sind, der sie einen unbesiegbaren Widerstand entgegensetzen. Der reißende Fluss, verengt und aus seiner Richtung geworfen, braust gegen die Unebenheiten an, bildet über denselben eine hohe Wassergarbe und jenseits eine gewaltige schäumende und wirbelnde Strömung, wie wenn du Wasser aus einem breiten Gefäß in eine enge Rinne gießt.
Die weniger schlimmen Stellen, die wir bereits passiert hatten, hatten mir schon einen ungefähren Maßstab von dem gegeben, was ein Kelek oder Floß wie unseres zu leisten vermag. Ich ließ »Bismillah– – »im Namen Gottes« – vom Ufer abstoßen; alsbald erfasste uns der allgemeine Wasserzug und ehe wir uns noch recht besinnen konnten, waren wir schon glücklich durch, obwohl zwar vom Kopf bis zu den Füßen durchnässt, denn von allen Seiten schlugen die Wasserwellen über uns zusammen; bei einer Hitze aber von vielleicht 40 Grad war das nur eine angenehme Erfrischung.
Solche Stromschnellen, wie ich dir eben beschrieben, die meisten aber von geringerer Bedeutung, liegen nun, über dreihundert an der Zahl, eine hinter der anderen, und bilden auf einer Strecke von etwa zwanzig Meilen die cataractae Euphratis[...]

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