"Sie kennen das wahrscheinlich auch: Wenn wir was brauchen, wir sind irritiert oder haben eine schwierige Entscheidung vor uns – und plötzlich fällt uns ein Buch auf, oder es fällt uns ein Gedicht auf. Mir ist es vor vielen, vielen Jahren so gegangen: Da war durch Krankenkassenreformen meine Praxis für drei Monate in Gefahr, überhaupt nicht mehr weiter zu existieren. Und ich bin einfach auf das Gedicht „Stufen“ von Hermann Hesse gestoßen. Ich hatte das vorher schon gekannt, aber da hat es plötzlich gezündet.
Ellmenreich: Ein einzelnes Wort? Ein einzelnes Bild? Reicht das?
Wilhelm: Ja! Es war einfach dieses „Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“, dass ich dachte: Ja, und im Notfall fängst du neu an. Diese Ermutigung war in diesem Fall mein Thema – und nicht zu resignieren. So kenne ich eigentlich sehr häufig bei Klientinnen und Klienten, dass sie irgendwie einen Umbruch im Leben haben, und die Literatur ihnen hilft – egal, ob die hohe Literatur oder die „Romänschen“ oder Gedichte – diese Situation zu meistern, weil es etwas Kontinuierliches ist."
(Alexander Wilhelm über Bibliotherapie:
Das richtige Buch zur richtigen Zeit, Deutschlandfunk 27.8.2019)Hermann Hesse: Stufen
Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.
[...]
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