Der Amtseid
"Für einen feinen Beobachter wäre es der Mühe wert gewesen, den Unterschied in Ton und Haltung bei dem Residenten und bei Havelaar bei dieser Gelegenheit zu beobachten. Beide hatten einer solchen Feierlichkeit schon öfter beigewohnt; der Unterschied, den ich meine, lag also nicht darin, daß der eine oder der andere von dem Neuen und Ungewohnten mehr oder minder berührt wäre, sondern er wurde ganz allein durch das Verschiedenartige der Charaktere beider Personen hervorgerufen. Der Resident sprach allerdings etwas schneller als gewöhnlich, da er den Beschluß und die Eide lediglich vorzulesen brauchte, was ihn der Mühe überhob, nach dem Schluß seiner Sätze zu suchen; aber es geschah doch alles mit einer Würde und einem Ernst, die dem oberflächlichen Zuschauer eine sehr hohe Vorstellung von dem Gewicht, das er der Sache beilegte, einflößen mußte. Havelaar dagegen hatte etwas in Gesicht, Stimme und Haltung, als ob er sagen wollte: »Das versteht sich alles[97] von selber, auch ohne Gott den Allmächtigen würde ich das thun« – und wer ein Menschenkenner ist, würde sich wohl auf seine Zwanglosigkeit mehr verlassen haben als auf die Würde des Residenten.
Ist es nicht in der That komisch, anzunehmen, daß der Mann, der berufen ist Recht zu sprechen, dem das Wohl und Wehe von Tausenden in die Hand gegeben ist, sich durch ein paar ausgesprochene Laute gebunden erachten sollte, wenn er nicht, auch ohne diese Laute, sich durch sein eigenes Herz dazu gedrungen fühlte?
Wir glauben von Havelaar, daß er die Armen und Unterdrückten, wo er sie antreffen mochte, auch geschützt hätte, wenn er bei Gott dem Allmächtigen das Gegenteil gelobt hätte. [...]
Wir werden sehen, wie das einfache, scheinbar unbewegte Lebak Havelaar mehr kostete als alle früheren Extravaganzen seines Herzens zusammen.
Aber das wußten sie nicht! Sie sahen der Zukunft mit Vertrauen entgegen und fühlten sich glücklich in ihrer Liebe und dem Besitz ihres Kindes ...[105]" (Max Havelaar 7. Kapitel)
Die Ratsversammlung
Havelaar hatte den Kontroleur ersucht, die zu Rangkas-Betung anwesenden Häupter aufzufordern, bis zum folgenden Tage zu verweilen, um der Sebah (Ratsversammlung), die er abhalten wollte, beizuwohnen. Solch eine Versammlung fand gewöhnlich einmal im Monat statt. Aber sei es, daß er einigen Häuptern, die sehr fern von dem Hauptorte wohnten, das unnötige Hin- und Herreisen ersparen wollte, sei es, daß er sofort und ohne den festgesetzten Tag abzuwarten auf feierliche Weise zu ihnen zu sprechen wünschte, er hatte den ersten Sebah-Tag auf den folgenden Morgen festgesetzt. [...] Havelaar trat ein, grüßte und nahm Platz. Er empfing die geschriebenen Berichte über Landbau, Polizei und Justiz und legte sie zur Seite zu späterer Nachprüfung.
Jeder erwartete nun eine Ansprache, wie sie der Resident[106] hatte tags zuvor gehalten, und es ist auch ganz und gar nicht sicher, daß Havelaar beabsichtigte, den Häuptern irgend etwas anderes zu sagen. Aber man mußte ihn bei solchen Gelegenheiten gehört und gesehen haben, um zu verstehen, wie er bei solchen Ansprachen aus sich herausging und durch seine eigenartige Sprechweise den bekanntesten Dingen eine neue Färbung verlieh; wie sich dann seine Haltung aufrichtete, wie sein Blick Feuer schoß, wie seine Stimme vom Schmeichelnd-Sanften zum Ätzend-Scharfen überging, wie die Bilder von seinen Lippen flossen, als streue er etwas Kostbares um sich, was ihn doch nichts kostete, und wie, wenn er schloß, jeder ihn mit offenem Munde anstarrte, als wollten sie fragen: »Mein Gott! wer bist du?«
Er selbst, der bei solchen Gelegenheiten sprach wie ein Apostel, ein Seher, wußte später nicht mehr genau, wie er gesprochen hatte, und seine Beredsamkeit hatte denn auch mehr die Eigenschaft, zu treffen und Bewunderung zu erregen, als durch die Bündigkeit seiner Gründe zu überzeugen. [...]– man bedenke ferner, daß der größte Teil seiner Zuhörer aus einfachen, doch keinesfalls dummen Menschen bestand, und schließlich, daß es Orientalen waren, deren Eindrücke von den unseren sehr verschieden sind.
Havelaar mußte etwa so gesprochen haben: »Mynherr Radhen Adhipatti, Regent von Bantan-Kidul, und Ihr, Rhaden Demang, die ihr Häupter seid der Distrikte dieses Bezirks, und Ihr Radhen Djaksa, die Ihr die Justiz zu Eurem Amte habt, und auch Ihr, Rhaden Kliwon, die Ihr die Aufsicht führt über den Hauptort, und Ihr, Radhen, Mantris und alle die Häupter, die ihr seid in dem Bezirk Bantan-Kidul, ich grüße euch.
Und ich sage euch, daß ich Freude fühle in meinem Herzen, wenn ich euch da alle versammelt sehe, den Worten meines Mundes lauschend.[107] Ich weiß, daß einige unter euch sind, die sich auszeichnen durch Kenntnis und wackeren Sinn. Ich hoffe meine Kenntnis durch die eure zu vermehren, denn sie ist nicht so groß, als ich wünschte. Und ich liebe wackeren Sinn, aber oft merke ich, daß in meinem Gemüt Fehler sind, die die guten Triebe überschatten und ihnen das Wachstum benehmen, wie ihr ja wißt, daß der große Baum den kleinen verdrängt und tötet. Darum will ich auf diejenigen unter euch achten, die hervorragen in Tugend, um zu trachten, besser zu werden, als ich bin. [...] (
8. Kapitel)
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