22 Februar 2023

Heinrich Mann

 "Heinrich Mann ist nicht imstande, sich in die Gesellschaft zu integrieren, bleibt außen vor, findet keine Möglichkeit, sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Kurz, er ist genau der Migrant, der selbst die Mindestanforderungen an einen Migranten der ersten Generation nicht erbringt." (H. u. Th. Mann)

So habe ich Heinrich Mann im Gegensatz zu Thomas Mann charakterisiert. Gewiss in Kenntnis der Biographie von Manfred Flügge (2006). Diese Kennzeichnung trifft insbesondere für den Heinrich Mann als werdender Schriftsteller (konservativ, Symbolist, den Naturalismus zurückweisend) und für den alternden Schriftsteller in den USA, der von seiner Leserschaft und dem zeitgenössischen literarischen Diskurs weitgehend  isoliert lebt.

Bestimmend war für mich freilich immer der Blick auf den politischen Autor gegen Ende der Kaiserzeit (Professor Unrat und Der Untertan) im Gegensatz zu dem betont unpolitischen Thomas Mann der Betrachtungen eines Unpolitischen. 

Dass Heinrich kurzzeitig (April 1895 bis April 1896) Herausgeber der antisemitischen Zeitschrift "Das Zwanzigste Jahrhundert" war (Flügge, S.53/54) habe ich rasch vergessen.

Dazu Flügge: "Er selbst steuerte jeden Monat mindestens zwei umfangreiche Artikel bei und schrieb insgesamt etwa 50 Beiträge, davon 33 unter seinem Namen. Auch sein Bruder Thomas wurde von ihm zur Mitarbeit herangezogen. Das Erstaunen von Thomas über die spätere politische Wandlung des Bruders bezog sich auch auf diese gemeinsame, etwas peinliche Vergangenheit." (S.54)

"Das Programm der Publikation hatte Erwin Bauer in der allerersten Ausgabe formuliert. Heinrich Mann schien nichts gegen diese Ziele zu haben und sprach sich für einen starken Monarchen aus, für eine Ständeverfassung, er sah die Gesellschaft als Pyramide mit dem Kaiser an der Spitze. Er war gegen Demokratie und Sozialismus, für Volksgemeinschaft und Kleinstaaat, für die gesunde Volksseele. Im August 1895 schrieb er: 'Die bürgerliche Republik [...] liegt in Wirklichkeit [...] überhaupt nicht auf unserem Entwicklungswege, der eben anders verläuft als der anderer Nationen.'  Im Oktober 1895  glorifizierte der wehruntüchtige Klient von Sanatorien den Krieg als metaphysische Tatsache, als eine heimliche Lebenskraft. 'Gerade im Kriege werden die Gefühle Aller voll und einfach. Eine kriegerische Epoche erhebt ihre Kinder auf eine für gewöhnlich unerreichbarer Höhe.' Auch für die ‘Einnahme gesunder und fruchtbare Kolonien' in Übersee und die Eroberung von Lebensraum im Osten trat er ein, um das Problem der Überbevölkerung zu lösen. 

In gesellschaftspolitischen Fragen hatte er eine klare Linie: Frauen gehören nicht in die Politik. Er vertrat die Idee der gesunden Familie als Basis der Gesellschaft. Arbeiter waren für ihn nur gesinnungsloser Pöbel. Nietzsches Übermenschen deutete er als ein neues Ideal für die Vervollkommnung von Rasse und Gesellschaft. Und wenn er sich in dieser Zeit für die Verständigung zwischen Deutschland und Frankreich einsetzte, so mit der Begründung auch in französischen Adern fließe die genügend germanisches Blut. Mit dieser originellen Sicht stand er innerhalb der völkischen Rechten allein, in der Frankreich als Erbfeind galt.

Von allen rabiatem Meinungsäußerungen und dem ausgesprochenen Antihumanismus dieser Phase ist der Antisemitismus des jungen Heinrich Mann am schwersten erträglich. Kenntnis von jüdischer Religion, jüdischem Leben oder der realen Lage der im deutschen Reich lebenden Juden besaß er nicht. Er begnügte sich mit Variationen über gängige Vorurteile. Die Position, die er vertrat lässt sich definieren (soweit man solche Verirrungen des Denkens überhaupt rational behandeln will) als völkischer Antisemitismus. Zwei wesentliche Vorstellungen kennzeichnen diese Ideologie: 1. Es gebe Personen, die an negativen Entwicklungen des deutschen Volkes schuldig sind ('die Juden'); 2. man könne die Harmonie wiederherstellen, in dem man das orientalische Gift aus dem deutschen Organismus entfernte, wie es in der blumig-brutalen Sprache jener Kreise hieß. [...] Die beiden 'großen staatserhaltenden Stände der Landleute und Handwerker' stünden vor dem Untergang. Nur 'die tiefe und mächtige Volksbewegung, die man Antisemitismus nennt', könne die Probleme lösen.

Alle Gebildeten, behauptete er, seien Feinde der jüdischen Intelligenz, welche die Wurzeln des Volkes ausreißen wolle und ein luftiges 'Menschentum' propagiere. Es gebe weder einen jüdischen Glauben, noch ein jüdisches Volk, die Juden seien der 'sichtbare Begriff alles dessen, was zerstört und niedrig macht'. " (S.54/55)
"Deshalb müsse man auch für die 'Unterdrückung der Judenschaft' eintreten. In dem Artikel 'Zur Psychologie des Juden' bedauerte er, 'dass sich in Deutschland die höhere Erzählkunst noch kaum der Judenfrage angenommen hat.' Das kann man als erstes Indiz für eigene Pläne ansehen, aus denen später der Roman Im Schlaraffenland hervorging. In einer Passage war die Rede davon, dass man die jüdische Hochfinanz wie eine unheilvolle Bestie in Käfige sperren oder ausrotten müsse." (S.55/56)

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