Peter Härtling: Liebste Fenchel Das Leben der Fanny Hensel-Mendelssohn in Etüden und Intermezzi
"Ihr kompositorisches Werk, von dem bisher nur ein kleiner Teil veröffentlicht ist, umfasst über 460 Werke und wurde – mit wenigen Ausnahmen – 1964 aus Familienbesitz der Stiftung Preußischer Kulturbesitz überreicht. Eine musikalische Karriere und Veröffentlichungen zu Lebzeiten waren ihr von der Familie weitgehend untersagt worden." (Wikipedia)
Geschrieben auf der Basis ihres ausführlichen Tagebuchs und zahlreicher Briefe der Familienmitglieder.
Clara Schumann (1819-1896, S.335ff.)
Zitate;
Fanny Mendelssohn und Wilhelm Hensel: "Sie muss, so schief und klein sie ist, zu ihm aufschauen, was ihr nicht passt. Der innere Widerstand verblüfft sie. Er lächelt, sie hört ihn zum ersten Mal und hört, dass er bereits viel von ihr gehört habe. Aber nein, widerspricht sie. Doch Lea unterstreicht Hensels Feststellung: Ja, Fanny spielt hervorragend Klavier und komponiert auch. Dass Lea sie so rühmt beschämt Fanny erneut. Sie sieht ihn vor sich: dDas blonde Haar fällt ihm in Locken über die Schläfen. Unter der hohen Stirn strahlen helle Augen, Kinderaugen, denkt sie, und auch der Mund ist der eines Knaben.
Lea : "Sie geht mir aus meiner Erzählung verloren, Lea Mendelssohn, geborene Salomon. Dennoch war sie ihr geheimes Zentrum durch das, was sie ihren Kindern mitgab, was sie von ihnen erwartete. Von Kind auf war sie reich beschenkt worden und schenkte. Als sie mit zwanzig Abraham Mendelssohn heiratete, der an Frankreich hing, von Paris schwärmte, zog sie nach Hamburg, wurde dort nicht warm, sehnte sich nach ihrem Kinderberlin. Der Park und der Küchengarten, die Gewächshäuser der Meierei Bartholdy* *hinterm Schlesischen Tor waren ihr Arkadien, wie sie einmal schrieb. Und ihre Eltern, der Bankier Jacob Salomon und die Mutter Bella sorgten dafür, dass sie tun konnte, was ihr gefiel, und das alles, was ihr gefiel, vorhanden war. Sie spielte, lernte, lernte spielend. Sie lernte Noten lesen, bevor sie Buchstaben lesen konnte, saß bald am Klavier, sang gemeinsam mit der Mama. Ihr Klavierlehrer, Johann Philipp Kirnberger hatte noch bei Johann Sebastian Bach gelernt, und so lernte sie Bach durch Kirnberger. Er sollte ihre musikalische Praxis beherrschen, und die Vorstellung, die sie von Musik hatte. [...]" (S.319)
* "[...] erhielt Abraham die behördliche Erlaubnis, den Zusatznamen „Bartholdy“ anzunehmen. Es handelte sich um den Namen des Eigentümers einer Meierei, die der Vater seiner Frau Lea Salomon 1779 von dem Freiherrn Friedrich Christian von Bartholdy gekauft hatte." (Wikipedia)
* Denselben Namen hatte vor ihrem Mann und ihr schon ihr Bruder Jakob Salomon Bartholdy angenommen
"Als Lea nach den Noten auch Wörter lesen konnte, verfiel sie der Poesie, las Wieland, Goethe und Schiller, lernte Altgriechisch, um Homer lesen zu können. Wie sie überhaupt ohne Mühe sich Sprachen aneignete, Englisch, Französisch, Italienisch. Später begann sie auf Reisen auch noch zu zeichnen. Ihre Neugier auf Menschen verband sich mit beständiger Freundlichkeit. [...] Sie wollte wissen und gab ihr Wissen, ohne besser wissen zu wollen, weiter. Diese Haltung entwickelte sie zum pädagogischen Prinzip. Abraham unterstützte sie darin. Die Kinder profitierten davon. Sie bildeten sich, natürlich angeleitet von den Hauslehrern, Stenzel, Heyse und Droysen, am Interesse der Mutter. Alles was Lea beschäftigte, was sie umtrieb und beseelte, fand sich bei den Kindern wieder: die Musikalität, die Liebe zu Bach, die Sprachfertigkeit, der Hang, sich im Garten, in Parks zu flüchten, der Eigensinn und die Anfälligkeit für Melancholie. [...]" (S.320)
"Die dunklen, tiefen Augen sind die Augen, die sie ihren Töchtern schenkt. Augen, die Heine nicht vergaß. Aber es sind auch die Augen, die Hensel in vielen seiner Bildnisse wiederholt, Brunnenaugen, die Augen der Epoche. Lea tut sich nie hervor und ist deshalb auf wunderbare Weise frei. Es fällt mir schwer, sie aus meiner Erzählung zu verlieren." (S.321)
"An einem der letzten Abende dürfen sie [Sebastian und Walter die Söhne von Fanny und Rebecca] dabei sein, an den sprunghaften, erinnerungssüchtigen Gesprächen der Erwachsenen teilnehmen. Über Rom wird geredet und unter Gelächter der hochwässerige Po apostrophiert: Wie wir da ankamen, pudelnass schmutzig, frierend, oder wie das Pferd mit samt der Kutsche in die Tiefe wollte, ein Flusspferd, ein Poross! Sie lachen und die Jungen haben ihren Spaß. Von Festen und Familienfeiern ist die Rede, übermütig fragt Paul, ob Felix tatsächlich zu Weihnachten bei der Familie in Leipzig sein werde oder in Paris oder in Mailand. Und Felix verzieht in gespielter oder tatsächliche Entrüstung das Gesicht: Was denkt ihr von mir?
Dass du gefragt bist.
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