05 März 2024

Joan Baez, Bob Dylan, ...

 Wer nur die Zusammenarbeit von Joan Baez und Bob Dylan kennt, kennt nicht einmal die Hälfte dieser Geschichte. Nicht nur, weil Joan Baez und Bob Dylan jede(r) ihre eigene Geschichte haben, weil die Zusammenarbeit nur kurze Zeit dauerte: Sie die Pazifistin, die dafür auch ins Gefängnis ging und er der Dichter, der sich nicht auf äußere Ziele festlegen lassen wollte, sondern nur seinem Werk lebte, sondern weil neben dieser Zusammenarbeit und Rivalität auch die der Schwester Mimi Baez sowie die des Ehepaares Mimi und Dick Fariña, auch hier Sängerin und Dichter, bestand. Die hat David Hajdu in Positively 4th Street geschildert, seinerseits ein Buch [hier seine Schilderung der Kindheit der Schwestern] und ein Song von Bob wie Like a Rolling Stone oder sein Album Highway 61 Revisited.  Wieso jetzt aber Henry Miller auslassen oder Jens Rostecks Buch Joan Baez Porträt einer Unbeugsamen, oder die Geschichte der Protestsongs, des Country, die Geschichte des Pop überhaupt und Bobs Musiknobelpreis (2000) und des Nobelpreises für Literatur (2016) übergehen?

Wenn man den hier eingesetzten Wikipedialinks folgt, erhält man ein umfassenderes Bild als ich mit meiner Lektüre von Jens Rostecks Buch (Amateurrezensionen pro und contra), trotzdem will ich bei bei Gelegenheit noch über meine Lektüre des Buchs berichten.

Rosteck schreibt überhaupt nicht ausgewogen, er ist uneingeschränkt beeindruckt:

"Nie ließ sie sich vereinnahmen, nie gab sie sich parteiisch, nie saß sie - die Stimme des Protests schlechthin - einer Ideologie auf. Nie wurde sie müde, ihre Maxime 'Ich trage keine Scheuklappen' zu wiederholen, angesichts der Anfeindungen durch hartnäckige Kritiker." (S.12)

Er erwähnt die Kritik, macht sie sich aber nicht zu eigen, sondern baut begründeter Kritik vor - etwa an ihrer scharfen Kritik an dem noch vielseitiger hochbegabten Bob Dylan in der Zeit ihres Zerwürfnisses mit ihm - mit: "Man konnte ihre Kompromisslosigkeit gelegentlich mit Starrsinn oder Besserwisserei verwechseln." (S.12) Ästhetische Kritik, Kritik an Starkult und Vergötterung durch ihre Fans wehrt er ab, indem er ihre Prioritäten anführt: "Alles, was letztlich zählte, war ihr Einsatz für die Benachteiligten dieser Erde, bedingungslose Friedfertigkeit ihr wichtigstes Anliegen - und ein immerwährender Kampf für ihre Durchsetzung. Ausnahmslos mit rein künstlerischen Mitteln ausgefochten." (S.13)

Diese Prioritäten übernimmt er, ohne ihr Handeln an Effizienz und Effektivität zu messen, wie das gegenwärtig fast durchgängig der Maßstab für alles gesellschaftliche Handeln ist.

Was heute als unerlaubt gilt, Einsatz für Benachteiligte, ohne andere mit ihnen in Konflikt Stehende ebenfalls Geschädigte ausdrücklich anzuführen (Engagement für Palästinenser als eine Form von "Antisemitismus"); sich zur Stimme von Unterdrückten zu machen, ohne dass man ihre Herkunft und ihr spezifisches Schicksal teilt ("kulturelle Aneignung"), das lässt er als Kritik nicht gelten, weil  damals Unterdrückte meist keine Mindestanforderungen an die stellten, die sie unterstützen wollten. 

Und bevor er Joan Baez' Lebensstufen schildert, stellt er - ohne sich an Chronologie zu halten - ihren Einsatz für Opfer bestimmter Verhältnisse dar. 

2005: Aktivisten belagern den Ferien-Wohnsitz von George W. Bush und fordern von ihm Rechenschaft für den Tod eines Opfers des Irakkrieges Casey Sheehan, J. Baez singt. (S.23ff.)

1978: Ein Rock-Konzert mit Frank Zappa. J. Baez singt nur mit akustischer Gitarre.  (Diesmal nicht für Opfer, doch Rosteck bewundert sie für ihren Mut für den Stilbruch und dafür, dass sie damit ankommt.) (S.27ff.)

Mai 1966: J. Baez gibt ein Konzert vor wenigen ausgesuchten parteitreuen in der DDR, setzt durch, dass der mit Auftrittsverbot belegte Wolf Biermann es besuchen darf, und singt ausdrücklich für ihn: Oh, Freedom. (S.21ff.)

28.8.1963: Die 22-jährige J. Baez singt auf dem March on Washington for Jobs and Freedom und dirigiert die Teilnehmer zum Refrain von Oh, Freedom und We shall Overcome. Martin Luther King hält seine Rede I have a Dream.

Durch diese Zeitsprünge übergeht er die Frage nach der Tragik des frühen Erfolgs, die sich bei Stars im Sport (Boris Becker) oder im Showgeschäft des öfteren stellt. Vergleiche mit Madonna (Pop-Ikone) oder Paris Hilton (it-Girl) drängen sich nicht auf, auch wenn Rosteck  al Kapitelüberschrift für die Kindheit Nowhwere Girl (S.45) verwendet. Denn J. Baez hat trotz ihres teilweise finanziellen Erfolgs keine kommerzielle Karriere gemacht, sondern wurde beim March on Washington for Jobs and Freedom als junge Erwachsene für einen Auftritt ausgesucht, was sie in eine Reihe mit bereits weltbekannten Showstars brachte.

Nowhwere Girl (Kindheit und Jugend, S.45-80)

Nach den Berichten über das Stimmwunder und den kometenhaften Aufstieg und den unerschütterlichen vom Elternhaus übernommenen Pazifismus rechnet man nicht mit Panikattacken und ständigen Brechanfällen in der Jugend, nicht damit, dass die ständigen Ortswechsel aufgrund der Berufsentscheidungen des Vaters heimatlos und ohne Bindungen an einen Freundeskreis machten. Man rechnet nicht damit, dass sie ihre Stimme durch fortwährendes Manipulieren an ihrem Kehlkopf zurecht trimmt, nicht damit, dass sie vom Vater sich ganz unverstanden fühlt und der nicht, weiß, was er mit ihr anfangen soll, ihr hilflos gegenüber steht. Rechnet nicht damit, dass die entscheidende Erziehung zum Pazifismus im Sinne Gandhis erst durch Ira Sandperl erfolgt.

Der Umzug des Vaters ans MIT in Cambridge führt die Familie dann in das Studentenmilieu von Boston und Harvard, wo sie Anerkennung findet. "Innerhalb weniger Monate hatte Joan sich einen Namen gemacht in den wenigen Quadratkilometern rund um den Harvard Square und damit auf den Brettern, die damals die Welt für sie bedeuteten. [...] Zum ersten Mal in ihrem jungen Leben durfte sie richtig glücklich sein und  sich begehrenswert fühlen." (S.76)

Lady Madonna (Der Aufstieg, S.81ff.)

Begegnung mit Bob Dylan

"Richtig an ihn heran kommt Joan allerdings kaum, auch dann nicht, als sie bereits ein Paar sind. 'Er hält uns alle auf Abstand, abgesehen von jenen ganz seltenen Momenten, nach denen wir alle gieren.' Ihre Zuneigung zu ihm wächst jedoch stündlich, der Ton in den Briefen an Big Joan, wenn sie über ihr Zusammensein Bericht erstattet, wird zusehends euphorischer. [...] 'Wir sahen dieses verwahrloste, kleine, dreckige menschliche Wesen mit dem blassen Gesicht auf die Bühne gehen und seinen Song to Woody singen.' Sein rauer, ungehobelter Vortragsstil lässt sie innehalten, wirkt aufwühlend auf sie. Das Ruppige und Kauzige an ihm zieht sie in den Bann. Zärtlich tauft sie ihn ihren 'Dada-König'. (S.107)

"Sie spürt mehr denn je zuvor, dass ihr bisheriges Repertoire, ausnahmslos Folk-Oldies Songs aus der Child-Sammlung und Traditionals, schon seit langem viel zu begrenzt ist und sie zunehmend einengt. 'Ich wusste nicht, wie ich diese Lücke füllen sollte – es lagen nun / mal nicht überall tolle neue Protestsongs herum.' Auf Anhieb erkennt sie, dass Dylan alle jene Anliegen, die ihr am Herzen liegen, mit seinen Liedern auf den Punkt bringt und den Zuhörern damit eine Vision eröffnet; sie reißt sich daher um jede neue Frucht seines Schaffens, stürzt sich auf seine Songs wie eine Verdurstende. Ringt ihm mehr als einmal das Versprechen ab, diese Perlen innovativer Kunst als Erste interpretieren zu dürfen, nimmt für jede neue Solo- Platte mehrere Dylan-Titel auf. [...]
Baez kann mit Dylans Songs endlich das Image der Artigen und Harmlosen loswerden; ihr Agieren und ihr Gesang sind endlich deckungsgleich. Alles Nostalgische wird von nun an eliminiert. Ein immenser Zuwachs an künstlerischer und politischer Identität ist für sie zu verzeichnen. Und einige seiner Songs verwandelt sie sich auf eine derart vereinnahmende Weise an, erfüllt sie dermaßen mit Leben, Seele und Inbrunst, dass man glauben könnte, sie seien ihre eigenen 'brain children', und macht sie im Handumdrehen zu Klassikern ihres Repertoires.".(S.108/109)
Für mich hat diese Passage etwas Komisches: Ihr Ton "wird zusehends euphorischer. [...] 'Wir sahen dieses verwahrloste, kleine, dreckige menschliche Wesen [...]" 
Sie "stürzt sich auf seine Songs wie eine Verdurstende. [...] Ein immenser Zuwachs an künstlerischer und politischer Identität".  Wie kann man durch fremde Texte Zuwachs an 'Identität' gewinnen? stürzt sich auf seine Songs wie eine Verdurstende. Vorher hat Roseck es besser getroffen: Er findet dichterische Worte für das, was sie weitergeben will

Nach dieser Phase der Gemeinsamkeit hat Dylan aber genug von den politisch ausgerichteten Songs und wendet sich dem Rock zu. Bei seiner Tour durch Großbritannien im Frühjahr 1965 fährt sie zwar noch in seinem Tross, aber er genießt seine Show für sich allein, holt sie nicht auf die Bühne. Der Bruch ist eindeutig. (S.110-122)
1975/76 gehen die beiden aber noch einmal auf eine gemeinsame Konzertreise "begleitet von einer ganzen Schar musikalischer und literarischer Paradiesvögel, auf der Bühne der Rolling Thunder Revue, einem karnevalesken Wanderzirkus der Sonderklasse, und touren damit quer durch die Vereinigten Staaten. Geschminkt, verkleidet, tanzend, changierende Identitäten ausprobierend und zusammen eine herrliche, unbeschwerte Zeit genießend. [...] Selten hat man Baez und Dylan so unbeschwert und natürlich erlebt wie auf dieser kunterbunten Konzertreise". Joan spielt dann auch noch als "Woman in White" in Dylans Filmcollage Renaldo und Clara mit. (S. 124)
2015 sagt Joan Baez im Rückblick: "Die paar Jahre, die ich mit ihm auf der Bühne stand, waren jedenfalls glorios. Es war schlicht die beste Zeit meines Lebens." (S.125)

Mit (einem Gott auf ihrer Seite: Baez singt Dylan (S.127-135)
"Als Interpretin blieb Baez Dylans vielseitigen Schöpfungen auch treu, als er sich längst von der Ära der Friedensmärsche, des Kampfes gegen die Rassentrennung und des Civil-Rights- Movement losgesagt bzw. emanzipiert hatte. Selbst wenn sie sich mit seinem Verzicht auf konkretes Engagement, seinen Unwillen [!] zu direkten Stellungnahmen und seiner Abkehr von politischer Aktualitätl ange Zeit nicht abfinden mochte. [...] 'Dylans Name', so prophezeite Baez schon Mitte der 1980er Jahre in ihren Memoiren würde 'auch in Zukunft dermaßen mit der Rad die kahlen Bewegungen der Sixties in Verbindung gebracht werden, dass er, mehr als alle anderen, die auf ihn folgten [...] für alle Zeiten in die Geschichtsbücher Eingang finden würde als ein Anführer, der Widerspruchsgeist verkörperte und dem es um sozialen Wandel zu tun war. Ob es ihm gefiel oder nicht.' [...] Dylan gehörte zu ihrem ganz persönlichen 'Welt'-Kulturerbe." (S.131/132)  Andererseits lässt sie sich "zu Dylan-Parodien hinreißen: indem sie sich über seinen Gesangstil mokierte" (S.133)

Peacenik, Häftling, Troubadour (S.136-160)

1968 heiratet sie den Journalisten David Harris, dem Gründer der Draft evasion in the Vietnam War, lebt mit ihm zusammen, bis er ins Gefängnis kommt. Beim Woodstock-Festival ist sie mit ihrem Sohn Gabriel (*Dez. 1969) im 6. Monat schwanger. Als Harris 1970 entlassen wird, hat sie sich aber schon wieder von ihm gelöst. Die Ehe hat nur bis 1973 Bestand.
" 'Ich weiß einfach nicht, wie Künstler überhaupt mit einer Person verheiratet sein können', hadert sie im Gespräch mit einer deutschen Ärztin und Musikkritikerin, und gibt auf die Nachfrage, warum nicht, zur Antwort: 'Weil da immer etwas ist, was du für interessanter hältst, gerade dort, um die nächste Ecke, und manchmal ist es auch so.'
Die so überaus kurze Ehe mit Harris, über die sie ständig widersprüchliche Aussagen trifft – einerseits 'passen wir perfekt zusammen', andererseits soll die Verbindung von Beginn an dem Untergang geweiht gewesen sein –, zerbricht denn auch keinesfalls aufgrund von Bagatellen oder Launenhaftigkeit. [...] 'Ich konnte nicht länger versuchen, eine Ehefrau zu sein. Nur das Alleinsein passt zu mir, und so habe ich es seitdem auch gehalten.' Sie räumt ein, hoffnungslos promiskuitiv gewesen zu sein. Oder sie konstatiert mit entwaffnender Ehrlichkeit: 'Es ist unmöglich, mit mir zu leben.' [...]Es ist für mich keine Option, im selben Haus mit irgendjemandem zu leben. Manchmal fühle ich mich sehr, sehr einsam. Aber ich ziehe diese Einsamkeit dem verzweifelten Gefühl des Scheiterns vor, das mich befällt, sobald mir klar wurde, dass es mir nie gelingen würde', eine ideale Gattin oder, eine Nummer kleiner, einfach nur Harris' Ehefrau zu sein." (S.203)
"1972 reiste sie in der Weihnachtszeit mit einer Delegation der Friedensbewegung  nach   Nordvietnam. Dort wurde sie von der US-Militäraktion Operation Linebacker II (bekannt auch als Christmas Day Bombing) überrascht, bei der die US-Luftwaffe zwölf Tage lang Hanoi massiv bombardierte; viele Menschen wurden dabei getötet, die Stadt schwer beschädigt. Baez und ihre Mitreisenden überlebten den Angriff.[18] Nach eigenen Angaben wurde sie von dem Erlebnis schwer traumatisiert. Das 1973 erschienene Album Where Are You Now, My Son? gibt im gleichnamigen vertonten Gedicht, das mit live aufgenommenen Tonbandaufzeichnungen des Geschehens vor Ort untermalt ist, in einer Länge von etwa 21 Minuten die Eindrücke von Joan Baez’ Erleben in Hanoi wieder.[19] Auch nach Beendigung des Vietnamkriegs engagierte sich Baez weiterhin in Südostasien. In den 1980er-Jahren reiste sie mit einer humanitären Organisation nach Kambodscha, um Lebensmittel und Medikamente in den besonders notleidenden Westen des Landes zu bringen. [...] Václav Havel sprach sie „entscheidenden Einfluss auf die samtene Revolution“ in der Tschechoslowakei von 1989 zu. Im selben Jahr veröffentlichte sie den Protestsong China, in dem sie die blutige Niederschlagung des Volksaufstandes auf dem Tian’anmen-Platz (Tian’anmen-Massaker) anprangerte. [...] Sie sang gegen Diktaturen und Militärputsche in Südamerika und gründete 1979 die Menschenrechtsorganisation  „Humanitas International Human Rights Committee“, die sich um Boatpeople aus Vietnam kümmerte.[*] Sie leitete die Organisation, bis diese 1992 ihre Dienste einstellte." (Wikipedia
[*] Dazu wurde sie von Ginetta Sagan angeregt, die mit ihr das Engagement für Amnesty International teilte.




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