28 Juli 2024

Susanna Agnelli: Wir trugen immer Matrosenkleider

 Susanna AgnelliWir trugen immer Matrosenkleider. Piper Verlag, München 1976, engl. Original 1974, italien. Fassung 1975 Fischer TB 2037

Leben

"Nach dem Unfalltod ihres Vaters kamen sie und ihre fünf Geschwister zum väterlichen Großvater, der ihrer Mutter verbot, mit den Kindern Kontakt zu haben. Erst auf Drängen Benito Mussolinis, den ihre Mutter um Hilfe gebeten hatte, konnten die Kinder zu ihr zurück. Susanna Agnelli war Mitglied der Piccole Italiane, einer der Balilla entsprechenden Organisation für Mädchen. Im Zweiten Weltkrieg arbeitete sie nach dem Abitur zunächst als Krankenschwester im römischen Lazarett der Luftwaffe, dem Ospedale Littorio. Nachdem ihre Mutter sie und ihre Schwestern in die Schweiz nach Ouchy zur Weiterbildung geschickt hatte, schrieb sie sich an der Universität Lausanne zum Medizinstudium ein, welches sie nach Kriegsende an der Universität Rom fortsetzte, ohne es jedoch abzuschließen. Wie aus ihren Memoiren eindeutig hervorgeht, war sie von Jugend auf eng befreundet mit der Familie des italienischen Außenministers Graf Galeazzo Ciano und hatte auch Kontakt zu Emilio Pucci.[1]

Danach war sie von 1974 bis 1984 Bürgermeisterin von Monte Argentario. Seit 1982 antwortete sie auf Leserprobleme in der Wochenzeitschrift Oggi.[2]

Für zwei Legislaturperioden, von 1976 bis 1983, vertrat Agnelli den Partito Repubblicano Italiano (PRI) in der Camera dei deputati. 1979 wurde sie ins Europäische Parlament gewählt. Dort blieb sie etwas über zwei Jahre und war Mitglied im Ausschuss für Außenwirtschaftsbeziehungen. 1983 und 1987 wurde sie zur Senatorin gewählt. Zwischen 1984 und 1987 war Susanna Agnelli Mitglied in der Menschenrechtskommission der UNO. 1993 bewarb sich Susanna Agnelli um den Bürgermeisterposten in Rom. Nachdem sie bereits in verschiedenen Regierungen (von 1983 bis 1991) Staatssekretärin des Außenministeriums gewesen war, wurde sie von 1995 bis 1996 in der Regierung von Ministerpräsident Dini zur ersten Außenministerin in der Geschichte Italiens.

1984 verlieh ihr das Mount Holyoke College einen Ehrendoktortitel in Rechtswissenschaften.

Sie bezeichnete ihre Familie oft als die „Kennedys“ Italiens. Agnelli war mit Urbano Rattazzi (1918–2012[3]) verheiratet, von dem sie sich später scheiden ließ, und Mutter von sechs Kindern." (Wikipedia)


Über dies Buch im Fischer TB 2037:

"Die jüngste Schwester des Fiat-Königs Gianni Agnelli hat ihre Erinnerung geschrieben an Kindheit und Jugend in einer der reichsten Familien Europas. Es ist ein ebenso buntes wie informatives Familienalbum der Fiat-Dynastie im Italien, Mussolini, in dem klangvolle Namen, rauschende Feste, politischer Ereignisse verzeichnet sind. Kein Familientratsch, keine billigen Enthüllungen, sondern die Entwicklung eines Kindes, das mit fünf Geschwistern, meist in Matrosenkleidern, in einem goldenen Käfig, aufwuchs, umgeben von Kindermädchen, Gouvernanten und Dienern zur selbstständigen jungen Frau, die – und hier enden die Erinnerungen – wie fast alle Agnellis in die höchsten Adelskreise einheiratete. Es ist ein romanhafte Lebensweg an der Seite der schönen Mutter und Freundin von Malaparte, umgeben von Literaten* und den höchsten Politikern des Landes. Und überall öffnete dem jungen Mädchen das Zauberwort Agnelli, Tür und Tor, drehte sich das an Agnelli-Karussell zur Beseitigung aller Schwierigkeiten in der Zeit von Faschismus und Krieg. Aber Susanna genoss nicht nur die Welt des europäischen Hochadels und der politischen Creme. Zwischen Turin, der Schweiz und Rom, lag nicht nur an den Mittelmeerstränden und lutschte Eis – sie wuchs auch in ein eigenwilliges Denken, in politische Verantwortung hinein und schloss sich  zusammen, mit Gianni zu guter Letzt dem Widerstand an." 

* z.B. Alberto Moravia

Ähnlich habe ich es auch bei der zweiten Lektüre gelesen, durchweg interessiert. Verstörend die Einschränkungen durch die britische Gouvernante Miss Parker, die zügellose Freiheit und Empörung, als ihrer Mutter durch deren Vater Senator Agnelli nach dem Tod ihres Mannes Eduardo Agnelli zeitweise das Sorgerecht entzogen war und die Bediensteten den Kindern keinen Einhalt mehr gebieten konnten. Dann Rückgabe des Sorgerechts an die Mutter, die die Kinder in der Schweiz und an der Riviera leben ließ, sie ohne Führerschein mit 15 Jahren weit herumfahren ließ, oft ohne Schulbesuch. Susannas Liebschaft mit dem sizilianischen Macho Raimonndo, einem unehelichen Sohn des Fürsten von Trabia. Dann aber ließ Susannas Mutter diese  nach ca. 5 Jahren versäumten Unterricht durch Professoren und einen jüdischen Nachhilfelehrer in 3 Monaten so coachen, dass sie die externe Reifeprüfung bestand, dann Medizin studierte (ohne Abschluss) und als Rotkreuzschwester auf Lazarettschiffen als Krankenschwester arbeitete.

Zusammen mit anderer biographischer und halbautobiographischer Lektüre in en frühen 1980er Jahren an der ES Culham in der Oberstufe behandelt:

Adelheid Popp: Jugend einer Arbeiterin (Anf. 1981)

Ingeborg Drewitz: Gestern war heute

Der Matrosenanzug


Zitat:

"[...] Wir trugen immer Matrosenkleider: blaue, im Winter, blauweiße in der Übergangszeit und weiße im Sommer. Zum Abendessen zogen wir uns ein elegantes Kleid und seidene Kniestrümpfe an. Mein Bruder Gianni wechselte nur den Matrosenanzug.

Beim abendlichen Waschen ging es sehr laut zu, mit viel Gekreisch und Geplansche. Wir drängelten uns im Badezimmer, in der Badewanne und brachten die Zimmermädchen zur Verzweiflung. Sie kämpften und bürsteten uns die langen, krausen Haare und banden sie schließlich mit riesigen schwarzen Schleifen zusammen. Dann erschien Miss Parker. Wenn sie uns alle beisammen hatte, sagte sie: 'Let’s go, und macht keinen Lärm!' Wir flitzten, so schnell wir konnten den Korridor entlang, durch die Marmoreingangshalle, wirbelten um die Ecke, wobei wir uns an der Säule der Herrschaftstreppe festhielten,  und weiter bis zum kleinen Esszimmer, wo wir keuchend stehenblieben. 'Ich habe euch doch gesagt, ihr sollt nicht rennen', tadelte Miss Parker, 'one day verletzt ihr euch, und wir sind daran schuld. Dann werdet ihr es keinem danken.'
Zu essen, gab es immer das, was wir am wenigsten mochten; ich glaube, das gehörte zu unserer britischen Erziehung. Und was wir auf den Teller bekommen hatten, musste aufgegessen werden." (S. 9) 

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