30 Juli 2024

Franz Grillparzer: Libussa u.a.

 Grillparzer war mir sehr früh aus unserem Dichterquartett aufgrund seiner charakteristischen Locken bekannt, dann spielte meine Schwester in einer Schulaufführung von Weh dem, der lügt! mit. Gelesen habe ich von ihm mit Ausnahme der Novelle Der arme Spielmann (1847) wohl nichts mehrmals.   Bekannt war mir aus seinem Lobgedicht An Radetzky („Glück auf, mein Feldherr, führe den Streich! Nicht bloß um des Ruhmes Schimmer – In deinem Lager ist Österreich!“) nur das Zitat "In deinem Lager ist Österreich!“ (und auch das war mir nicht ganz korrekt in Erinnerung. Dagegen fand ich sehr geistreich sein Wort "Eifersucht ist eine Leidenschaft, // Die mit Eifer sucht, was   Leiden schafft.", von dem ich erst heute gelernt habe, dass es von ihm stammt. Beide Zitate habe ich nicht durch eigene Lektüre für mich gewonnen, sondern nur von meinen Lehrern gehört.

Gestern habe ich zwei Reclamhefte mit Stücken von ihm aus einem 'Austauschbücherregal' mitgenommen und darin etwas gelesen. Sie sollen künftige Wartezimmerlektüre werden (so wie in letzter Zeit Fidelio) und zwar Libussa und Medea. Libussa steht bei Grillparzer für das sagen- und märchenhafte Matriarchat sowie für für Dichtung als schöpferisches Prinzip als Grundlage für Weltverständnis. Eine Tragödie wird das Stück, weil Libussa sich in Primislaus (Přemysl) verliebt und dann das von ihr gegründete Prag ihm zur Herrschaft überlässt. ("Nach den Ausführungen in der Chronica Boemorum des Cosmas von Prag sind die Přemysliden Nachkommen des sagenhaften Stammvaters Přemysl des Pflügers, eines eingeheirateten Stammesführers, und seiner Frau Libussa. Cosmas überlieferte auch die Namen weiterer vorchristlicher Přemysliden" -Wikipedia) Grillparzer verdankt seinen Ruf als Nationaldichter Österreichs wohl nicht zuletzt Libussa und Ein Bruderzwist in Habsburg (1848), vgl. auch Ottokar I. .

Zitate aus Libussa:

Zunächst unwillig, ihr Geisterreich zu verlassen, fühlt sich Libussa dann zur Herrschaft über die Tschechen berufen und will sie in weiblicher Weise lenken.

Nicht losen? Und wer weiß, ob ich's auch will?
Ein Schritt aus dem Gewohnten, merk ich wohl,
Er zieht unhaltsam hin auf neue Bahnen,
Nur vorwärts führt das Leben, rückwärts nie.
Ich soll nicht losen? Und ich will es nicht.
Wo sind die Männer aus der Czechen Rat?
Den Vater will ich ehren durch die Tat,

Mögt ihr das Los mit dumpfen Brüten fragen:
Ich will sein Amt und seine Krone tragen.

Tetka. Libussa, oh!

Kascha.         Hör erst auf mich, Libussa!
Wenn ich gekränkt dich mit zu raschem Wort –

Libussa. Du kränktest mich nicht mehr, ich seh's, als dich.
Doch was ich sprach, es bleibt. Mein Wort ein Fels.
Und mag ich's nur gestehn! Denk ich von heut
Mich wieder hier in eurer stillen Wohnung
Beschäftigt mit – weiß ich doch kaum womit –
Mit Mitteln zu den Mitteln eines Zwecks,
Mit Mond und Sternen, Kräutern, Lettern, Zahlen,
Dünkt's allermeist einförmig mir und kahl.
Dies Kleid es reibt die Haut mit dichtern Fäden
Und weckt die Wärme bis zur tiefsten Brust
Mit Menschen Mensch sein dünkt von heut mir Lust,
Des Mitgefühles Pulse fühl ich schlagen,
Drum will ich dieser Menschen Krone tragen.

Heraus Wladiken! Czechenvolk heraus! [...]

Doch hört mein Wort.
Es hielt euch fest des Vaters strenge Rechte
Und beugt' euch in heilsam weises Joch.
Ich bin ein Weib und, ob ich es vermochte,
So widert mir die starre Härte doch.
Wollt ihr nun mein als einer Frau gedenken,
Lenksam dem Zaum, so daß kein Stachel not,
Will freudig ich die Ruhmesbahn euch lenken,
Ein überhörtes wär' mein letzt' Gebot.
So wie ich ungern nun von hinnen scheide,
Lenkt' ich zurück dann meinen müden Lauf
Und träte bittend zwischen diese beide;
Ihr nähmet, Schwestern, mich doch wieder auf? [...]

Domaslav. Nicht fruchtlos sollst du, zweimal nicht uns mahnen,
Nimm unsern Schwur darauf und unsrer Untertanen.

Libussa. Dies letzte Wort, es sei von euch verbannt,
In Zukunft herrscht nur eines hier im Land:
Das kindliche Vertraun. Und nennt ihr's Macht,
Nennt ihr ein Opfer das sich selbst gebracht,
Die Willkür, die sich allzu frei geschienen
Und, eigner Herrschaft bang, beschloß zu dienen.
Wollt ihr als Brüder leben, eines Sinns,
So nennt mich eure Fürstin und ich bin's;
Doch sollt' ich zwein ein zweifach Recht erdenken,
Wollt' eher ich an euch euch selbst als Sklaven schenken.
Seid ihr's zufrieden so? [...]

Swartka
Der Osten graut, dem Tage weicht die Nacht!"


Besonders die Adligen wollen aber nicht Güte, von der die Armen genauso profitieren wie sie, sondern wollen ihre Vorrechte behalten. So fordern sie, Libussa solle heiraten, damit wieder ein Mann sie regiert. Drei treten im Stück auf, planen Zusammenarbeit, entzweien sich aber bald wieder. 

Libussa gibt ihrer Forderung nach, lässt aber das Pferd, das sie bei ihrer Rettung aus einem Bach von einem Bauern erhalten hat, seinen Herrn (Primislaus) suchen. 


Gehöft vor Primislaus' Hütte wie zu Anfang des ersten Aufzuges. Ein umgewendeter Pflug rechts im Vorgrunde.

Primislaus [...]

Wär' sie ein Hirtenmädchen, nicht Libussa,
Und ich der Pflüger der ich wirklich bin,
Ich träte vor sie hin und sagte: Mädchen,
Ich bin derselbe dem du einst begegnet.
Sieh hier das Zeichen. Wird's nun licht in dir,
Wie längst in dieser Brust, so nimm und gib!
(Die Hand hinhaltend.)
Dann könnte sie nicht sprechen: Guter Mann,
Stellt dort euch zu den Dienern meines Hauses,
Des, wes ihr mich erinnert, denk ich kaum.

Ei wackrer Mann, setz dich nur wieder hin,
Nimm Käs' und Brot aus deiner Pflügertasche
Und halte Mahl am ungefügen Tisch.
Ist's eignes Brot doch, das erhält und stärkt,
Das Brot der Gnade nur beengt und lastet.
(Er hat sich wieder gesetzt und den Inhalt seiner Tasche auf die Pflugschar ausgelegt.)

Sie hat mein Roß, das etwa so viel gilt
Als diese goldnen Spangen die ich trage,
Und so sind sie mein Eigentum zu Recht.

Ich wollte, sie bestieg' einmal den Zelter
Und in Gedanken ihm die Zügel lassend,
Trüg' sie das Tier hieher.
        Doch welch Geräusch?
Täuscht mich mein Aug? Das ist mein Roß; doch leer
Und ohne Reiter, rings von Volk umgeben.
Bin ich im Land der Märchen und der Wunder?
Doch folgen die Wladiken, seh ich nun,
Die sich erdachten etwa solchen Fund
Um zu ergänzen was nur halb in ihrer
Und halb in meiner Hand. Kommt immer, kommt!
Ich fühle mich als Herr in meinem Haus,
Und so brech ich mein Brot. Ist doch der Pflüger,
Indem er alle nährt, den Höchsten gleich:
Wie Wasser und wie Luft, die niemand kauft,
Doch mit dem Leben zahlt, entbehrt er ihrer.

(Die drei Wladiken kommen, von Volk begleitet, von der linken Seite.)

Biwoy. Hier blieb der Zelter stehn, hier ist der Ort.

Domaslav. Und hier der Mann, der, wie Libussa sprach,
An einem Tisch von Eisen sitzt, sein Brot
Auf einer Pflugschar mit den Händen teilend.

Biwoy. Derselbe ist's, es ist der nämliche,
Der unsern Streit geschlichtet.

Lapak.         Mir wird's hell.

Primislaus (aufstehend).
Glück auf ihr Herrn! Was führt euch her zu mir?

(Man hat das Pferd gebracht. Primislaus hinzutretend und es streichelnd.)

Ha Prischenk, du mein Roß, du wieder heim?

Lapak. Sein Roß?

Primislaus.         Noch einmal denn: was führt euch her?

Domaslav. Der Fürstin Wort.

Primislaus.         Libussas?

Lapak.                 Sie befahl
An ihren Hofhalt dich mit uns zu führen.

Primislaus. Galt mir auch, euch zu folgen, der Befehl?

Lapak. Das nicht.

Primislaus.         Doch, wenn ich's nun verweigerte,
Kommt ihr mit Macht, mich nöt'genfalls zu zwingen.
Seid unbesorgt, ich folg euch ohne Zwang.
Was aber war der hohen Ladung Grund?

Domaslav. Wir wissen's nicht.

Lapak.         Vielleicht doch ward ihr kund,
Daß du ein schlauer Richter bist zu eignem Nutzen,
Und wünscht als Richter dich zu nutz dem Volk.
Zum mindsten lag ein Fall vor, der verwirrte.

Primislaus. Ich richte niemand als mich selber etwa,
Und täusche nicht, als wer sich selbst getäuscht.

Domaslav. Besteig das Roß denn und folg uns nach Hof.

Primislaus. Dies Tier, das meine Fürstin hat getragen,
Besteige niemand, der nicht eignen Rechts,
Nebstdem daß es das ihre, und ich wünsche,
Daß es das ihre bleibe, nach wie vor.
Dann, sollt' ich mit der Arbeit Staub beladen
Mich nahn dem Ort, wo Arbeit nur ein Gast,
Nicht der Bewohner ist? Ich geh ins Haus
Und schmücke mich wie sich der Landmann schmückt.
Auch, da man Höhern naht mit Ehrengaben,
Bring ich von Früchten und von Blumen ihr,
Wie sie der Armut eignen, ein Geschenk.
So lang, ihr Herrn, zerstreut euch im Gehöft.
Man reicht euch Met und Milch und nährend Brot,
Auf daß gestärkt wir gehn, wo Stärke not.

(Er entläßt sie mit einer Handbewegung und geht in die Hütte.)

Lapak. Hast du gehört?

Domaslav.         Wie stolz.

Biwoy.                 Nun um so besser.
Stolz gegen Stolz, wie Kiesel gegen Stahl,
Erzeugt, was beiden feind, den Feuerstrahl."
(Grillparzer: Libussa 3. Akt           Gutenberg.org)


Ähnlich stolz tritt er dann vor Libussa.




Grillparzer Aphorismen

Wir sind gegen keine Fehler an andern intoleranter, als welche die Karikatur unsrer eigenen sind.


(1818.)

Man ist nie eifersüchtiger, als wenn man in der Liebe anfängt, zu erkalten. Man traut dann der Geliebten nicht mehr, weil man dunkel fühlt, wie wenig einem selbst mehr zu trauen ist.


(1822.)

Der Mann thut durch Untreue seiner Frau ein Unrecht, die Frau, indem sie untreu ist, dem Mann einen Schimpf. Die Frau eines untreuen Mannes bedauert man, über den Mann einer untreuen Frau spottet man. Schon hierin liegt genug von dem Unterschiede, der zwischen beiden Geschlechtern in Bezug auf den Grad der Beleidigung obwaltet, die sie sich durch Untreue zufügen.

(1846)

Die gescheiten und die dummen Leute erkennt man unter andern auch daraus, daß die Dummen das verehren, was in ihrer eigenen Richtung liegt, die Gescheiten aber, was sie fühlen, daß ihnen abgeht.


(1834.)

Von einem haben die sogenannten gebildeten Leute gewöhnlich keine Vorstellung: daß jemand den zusammengesetzten und künstlichen Zustand, den sie Bildung nennen und der auch wirklich Bildung ist, durchgemacht haben könne und auf der andern Seite wieder ins Einfache und Natürliche herausgekommen sei. Ihnen scheint alles Schlichte: Unkultur.



  • Marie von Ebner Eschenbach über Grillparzer

    "[...] Das schwere Blut hatte er von seiner Mutter geerbt, das war sein Unglück, unter dem er litt und leiden machte. Ein Meister der Selbstquälerei, zerpflückte er eine der kleinen Freudenblüten, die ihm noch geblieben waren, nach der andern.

    Was die Musik ihm bedeutete, weiß jeder, der den »rhythmischen Zauber« seiner Verse empfunden hat. »Die Musik der älteren Zeit, das ist für mich nicht Musik, in ihr liegt mein[888] Leben, in ihr rauscht meine Jugend«, sind seine eignen Worte. Die Musik hatte ihn mit den Schwestern Fröhlich zusammengeführt. Durch Anna und Josephine, beide hochgeschätzte Gesangs- und Klavierlehrerinnen, hatte er Schuberts Lieder kennengelernt. Er war ein guter Klavierspieler, phantasierte mit sehr viel Talent. Vor einigen Jahren noch hatte es ihm Vergnügen gemacht, täglich eine Stunde mit Anna zu musizieren. Sie kam zu ihm herüber, und sie spielten vierhändig Symphonien von Haydn, Beethoven, Mozart. Einmal nun hatte sie wie gewöhnlich Platz genommen am Klavier, Noten aufgelegt und wartete. Grillparzer blieb an seinem Schreibtisch sitzen, rührte sich nicht, und als sie endlich fragte: »Nun, ist's heute nichts, wird nicht gespielt?« schüttelte er den Kopf: »Heute nicht und überhaupt nicht mehr.« – »Ja, um Gottes willen, warum denn nicht?« – »Meine Finger sind steif geworden, es geht nicht mehr.« – »Und gestern ist's doch noch gegangen. Was Ihnen nur einfallt, Grillparzer!«

    Sie lachte ihn aus, wurde im Scherz böse und auch im Ernst, bat innigst, inständigst, doch nicht einer Laune nachzugeben. Schad um jedes Wort. Er hat seine Hände nie wieder aufs Klavier gelegt.

    Es war aus von einem Tag zum andern und für immer.

    So vergrub er vorzeitig ein Talent, dem er noch manche schöne Stunde hätte verdanken können. Aber das ist der ganze Grillparzer: der Reichtum im Ausüben einer Kunst hat abgenommen, und auf die Überbleibsel legt er keinen Wert. Nicht anders hält er's mit der Poesie, und ohne die Dazwischenkunft der drei Getreuen wären uns viele seiner geflügelten Worte vorenthalten worden.

    Es ist seine Gewohnheit, beim Frühstück allerlei Verse auf Papierschnitzel zu kritzeln, die er jämmerlich zerknüllt und auf das Kaffeebrett wirft. Die Verse haben einer momentanen Stimmung Ausdruck gegeben, ihre Aufgabe ist erfüllt, nun fort mit ihnen. Aber Susanne legt die dem Untergang Geweihten in die Hände ihrer Gebieterinnen; sie werden entfaltet, gelesen, geordnet. Wenn eine hübsche Anzahl beisammen ist, lernt Anna sie auswendig, geht zu Grillparzer hinüber, stellt sich in Positur und spricht: »Der kleine Deklamator ist da.«

    Vielen Dank erntet sie für ihren Vortrag nicht, meistens heißt es: »Schon gut, schon gut. Sein S' noch nit fertig?«

    Aber ein Befehl, die kleinen Dichtungen geheimzuhalten, wurde nicht gegeben, sie dürfen Freunden mit geteilt werden,[889] und viele von ihnen haben schon bald nach ihrem Entstehen eine Wanderung durch ganz Wien angetreten. [...]"

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