13 August 2024

Fürst Pückler-Muskau über seine Besichtigung ägyptischer Altertümer

Im Zusammenhang mit den Königsgräbern in Theben

 Denn sehr richtig sagt Prokesch: «Griechische und ägyptische Kunst stehen nicht unter-, noch über-, sondern nebeneinander.»

"[...] englische Ungerechtigkeit gegen Champollion; denn obgleich er in einigen Phrasen nicht umhin kann, mit der ganzen gebildeten Welt dessen hohes Verdienst anzuerkennen, so möchte er doch gern insinuieren, daß es eigentlich der Doktor Young und die Engländer seien, welche zur Entzifferung der Hieroglyphenschrift das Eis gebrochen hätten und durch ihre «früheren Entdeckungen» die Winke gegeben, nach welchen Champollion nur weiter geforscht – was ungefähr ebensoviel sagen will, als dem Erfinder des Teekessels einen höheren Ruhm als dem der Dampfmaschine beizulegen. Es ist aber auch eine schon an sich höchst unrichtige Behauptung, da das eigentlich Wesentliche, nämlich die Entdeckung des phonetischen Elements in der Hieroglyphenschrift Champollion ganz allein zu verdanken ist und nur dadurch endlich eine systematische Analyse der letztern möglich ward, die uns in wenigen Jahren besser belehrt hat als die früheren Bemühungen der Gelehrten zu demselben Zweck in vielen Jahrhunderten.[Fußnote: Bekanntlich behauptete Young fortwährend, daß die Hieroglyphenschrift nur figurativ und symbolisch sei, selbst der demotische Text der Tafel von Rosette nur aus Zeichen von Ideen bestünde, höchstens, setzt er hinzu, «mit Ausnahme jener wenigen Gruppen, die griechische Namen enthalten.» ] Später aber gibt Herr Wilkinson sogar nicht undeutlich zu verstehen (S. 55, 56 und 57), daß er sich selbst nicht für viel weniger als einen zweiten Champollion halte (wenn er auch, als façon de parler, sich vor einer solchen Arroganz verwahren will), denn er freut sich bei seinen eignen Forschungen, so häufig dieselben Resultate mit Herrn Champollion aufgefunden zu haben, «obgleich er nie mit diesem in irgendeiner Verbindung gestanden». Das kann doch nur heißen, daß er ihn nie gesehen, noch mit ihm korrespondiert habe, aber nicht, daß ihm Champollions Entdeckungen unbekannt geblieben seien," (S. 258)

"[...] Die Kunst zu charakterisieren besaßen überhaupt die Ägypter in hohem Grade, und ein humoristischer Hang zur Karikatur wird nicht weniger in ihren Kompositionen sichtbar. So fand ich eine Hinrichtung, wo der Scharfrichter, über sein Opfer gebeugt, ganz die Stellung und den sentimentalen Ausdruck eines Vaters hatte, der seine Kinder segnet, während er sie in die andere Welt zu befördern im Begriff ist. Ein anderer seiner Kollegen hieb dagegen so furchtbar mit seinem breiten Schwerte zu, daß drei schon vorher expedierte Verbrecher noch ruhig auf den Knien lagen, ohne daß irgendwo eine Spur ihrer Köpfe am Boden sichtbar ward, als seien diese zu weit weggeflogen, um sie auf demselben Bilde noch mit darstellen zu können. [...] 

Großes war in diesen Tagen an uns vorübergegangen, doch Größeres noch stand uns bevor! Vor Luxor und Karnak muß der stolzeste Geist sich beugen. Man glaubt Werke von Halbgöttern zu erblicken, denn die jetzigen Menschen sind ihrer nicht mehr fähig. [...]

Schon der Palast von Luxor findet seinesgleichen nicht mehr in der übrigen Welt, und doch ist er nur klein noch gegen die Riesenwerke von Karnak! (S. 261)

"Und doch sieht man, daß, als sie die höchste Staffel, deren sie fähig war, erstiegen hatte, sie, ob aus Weisheit oder aus einer Notwendigkeit ihrer Natur, anhielt und das Gewonnene, es gleichsam versteinernd, durch einen heiligen Stil, durch eine feste Norm, die nicht nur die Kunst, sondern das ganze Leben umfaßte und von dem keine Abweichung mehr gestattet wurde, durch lange Jahrhunderte noch zu erhalten wußte, dadurch aber vielleicht das einzige Mittel fand, einem nie endenden Streben nach unerreichbarer Vollkommenheit zuvorzukommen, jener ewigen Unzufriedenheit mit dem Bestehenden, die unsere Zeit namentlich so auffallend charakterisiert und ihr bis jetzt mehr Stützen zu rauben als neue zu schaffen scheint. Jede Art menschlicher Ausbildung hat im einzelnen, bei Nationen wie Individuen, wohl ihre Grenze, über die sie nicht hinaus kann. Ist dieser Kulminationspunkt erreicht, so muß sie ihn vielleicht durch irgendeine angewandte positive Macht zu fixieren suchen, und gelingt ihr dieses nicht, sich mit Resignation auf den unvermeidlichen Rückgang aller menschlichen Dinge vorbereiten. (S.263)

"In Griechenland war dagegen die Form eben alles, man diente der Kunst nur um der Kunst willen. In Ägypten war sie nur ein mächtiges Mittel, den Gedanken zu verkörpern. Die geringste Zierde ägyptischer Architektur hat ihre eigne Bedeutung und steht in direktem Bezug zu der Idee, die der Gründung des ganzen Gebäudes zum Grunde lag, während die Ausschmückungen griechischer und römischer Tempel zu oft nur dem Auge zu schmeicheln suchen und für den Verstand stumm bleiben. " (S.265)

"[...] traten wir endlich unerwartet von innen durch das Pylonentor des Eingangs hinaus und befanden uns plötzlich im hellsten Scheine des Vollmondes grade zwischen den verstümmelten Ramseskolossen und sahen uns rechts zur Seite den schönsten aller Obelisken, dem die Franzosen seinen Gefährten raubten, so schwarz und schlank gen Himmel aufschießen, als sei er ein Pfeil, der sich eben anschicke, von der Erde nach dem Monde zu fliegen. Dieser überraschende Anblick, alle Maße der uns umgebenden Gegenstände noch durch den Dämmerschein nächtlicher Beleuchtung fast verdoppelt, gehörte zu denen, die sich dem Gedächtnisse für immer einprägen. [...]" (S.271)

"Die Grazie, die wahrhaft bezaubernde Schönheit vieler dieser Schildereien ist meines Erachtens nirgends überboten worden. Weder die Antike noch die Zeit Raphaels haben auf ihrem Standpunkt Vollendeteres hervorgebracht. Ich fand hier die Abbildung eines jungen Königs – der Porphyrpforte gegenüber, die aus der Galerie, welche den kleinen Saal des Allerheiligsten umgibt, in ein zerstörtes Nebengemach führt –, deren unbeschreibliche Herrlichkeit mich im Innersten ergriff." (S.271)

an die Stelle des Vaterlandes, für das man sich sonst opferte, scheint jetzt das Publikum getreten zu sein, welches jedoch eine ganz andere Idee repräsentiert, als die alte res publica.[...]

Auch war es Philae – gewiß eins der lieblichsten Wunder im fabelhaften Reiche der Pharaonen und, wenngleich nur mit den wenigsten seiner Bauwerke noch aus ihrer Zeit herstammend, doch einer der Glanzpunkte Ägyptens und das schönste Denkmal der kunstliebenden Ptolemäer,

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Wenn Großes dem Kleinen verglichen werden darf, so möchte ich sagen: Philae verhalte sich zu Theben wie die Farnesina zum Palast Farnese. Es ist nicht mehr die fast göttliche Erhabenheit, der fast schauerliche Ernst der Tempel von Karnak und Luxor – dafür aber tritt uns eine noch erhöhte Zierlichkeit, mehr Abwechslung, eine behaglichere Lieblichkeit, wenn ich mich so ausdrücken darf, in den vorliegenden Räumen entgegen, die erste Spur des beginnenden Überganges zum verhältnismäßig Modernen. [...]

Wenn ich in Theben geistig anbetete, so genoß ich hier in irdischer Behaglichkeit. Theben ist ein Aufenthalt für Götter, Philae erscheint nur wie der Palast eines epikureischen Einsiedlers.

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"das Peristil des Haupttempels, welcher vielleicht eine deutlichere Vorstellung als irgendwo von der ehemaligen Pracht ägyptischer Tempel durch die in einem so offnen Raume, wie schon gesagt, fast wunderbare Erhaltung der lebendigsten Kolorierung gibt. Keine der herrlichen Säulen dieser Halle ist der andern gleich, jede schimmert in verschiednem Farbenglanze; jede entfaltet andre überraschende Zierden der Form, alle aber vereinigen sich dennoch als ein Ganzes in vollständigster Harmonie. Die riesenmäßigen Figuren außerhalb auf den Wänden der Pylonen, deren ganze Höhe sie fast erreichen, sind zwar größtenteils durch den Fanatismus vandalischer Religionsschwärmer mühsam mit dem Eisen ausgemeißelt worden, doch leidet der Totaleffekt nur wenig dadurch, und einige der Götter und Helden prangen noch unversehrt in aller ihrer alten Schönheit. So leicht das Zerstören im Vergleich mit dem Schaffen ist, so scheiterte doch in Ägypten an den Riesenwerken dieser Giganten bis jetzt der persische wie der christliche Wahnsinn, immer wenigstens zur Hälfte," (S. 286)

In der Pforte, welche durch diese Pylonen führt, ließen die Chefs der französischen Expedition sowie die Gelehrten, welche sie begleiteten, eine lange Inschrift auf die linke, von Hieroglyphen freie Wand eingraben, und ein späterer Reisender dieser Nation hat alle anderen neueren Inschriften daneben vertilgen, die Wand glätten und mit schwarzer Farbe darüber schreiben lassen: «Une page de l'histoire ne doit pas rester barbouillée par des noms insignifiants.» – Wieviel englische Touristen mögen bei dieser diktatorischen Handlung zugrunde gegangen sein! Man hat indes bis jetzt die Anordnung respektiert, zu wünschen bliebe nur übrig, daß die Charaktere der eingemeißelten Namen der französischen Generale und Gelehrten, eben jene «page de l'histoire», von einer geschickteren Hand ausgeführt worden wären, da solche, Gänsepfoten mehr ähnliche Buchstaben, den kunstreichen Hieroglyphen und Bildern der Alten grade gegenüberstehend, einen Begriff von Barbarei hervorrufen, der mit dem hochtrabenden Inhalt der Inschrift zu komisch kontrastiert, um nicht ein unwillkürliches Lächeln zu erregen – um so mehr vielleicht, da jene ephemere Expedition so gar keine Folgen zurückließ. (S. 286)

"um beim Untergang der Sonne die Aussicht von der obersten Plattform zu genießen, die gewiß zu den originellsten in der Welt gehört. Unter uns breiteten sich, von den Fächern der Palmen umwogt, der Säulenwald und alle die Pforten, Pylonen, Höfe und Mauern Philaes aus, bedeckt mit tausend Götter- und Heroenbildern, von welchen einige, mit dem Fuß fast auf der Erde ruhend, doch mit dem Haupte noch bis zu uns hinaufreichten. Genau ersichtlich war hier der Plan des ganzen Baues wie auf einer Karte, umzogen vom Nil, der nach Ägypten zu einen toten See voll dunkler, abenteuerlicher Granitfelsen bildet. Einer unter diesen, auf welchen in den Stein gehauene Stufen hinanführen, gleicht einem kolossalen Königsthrone. Zur Lehne dient ihm eine mit Hieroglyphen und Bildern geschmückte Tafel, und ein ungeheurer, wie in der Luft schwebender Block formt seinen Baldachin. Von Nubien aus strömt dagegen der mächtige Fluß mit eiligem Laufe im eng zusammengedrängten Bette heran, von wenigen Palmengruppen eingefaßt, zwischen welchen sich links einige verlaßne weiße Moscheen, rechts, auf der grotesk gezackten Steininsel Bithié, die Ruinen eines andern antiken Tempels zeigen, wie denn überhaupt in ältester Zeit hier wahrscheinlich eine ganze Masse davon verteilt waren, daher es auch sehr problematisch bleibt, wo der Gott oder vielmehr nur, wie die Fabel sagt, der wesentlichste Teil desselben begraben wurde. Dicht hinter den schmalen Uferstreifen erheben sich dunkle Felsenmauern in fast gleicher Höhe auf beiden Seiten des Stroms, in deren Spalten…"(S.289)

Der Nil nimmt nun immer mehr einen von dem bisherigen sehr verschiednen Charakter an, der jedoch bald ebenso einförmig wird als der frühere. Während er in Unterägypten durch ewig flache grüne Ufer, fruchtbare Ebnen und weit hingedehnte Palmenhaine fließt, in Oberägypten meistens in einem zwar gleich fruchtbaren, aber schon weit engeren Tale strömt, das rechts und links die niedrigen Ketten des libyschen und arabischen Gebirges begrenzen, ist er jetzt im schmalsten Bette andauernd von schwarzen, chaotisch übereinander geworfnen Felsen eingeschlossen, die aus lauter einzelnen, von den Fluten aufgetürmten Blöcken zu bestehen scheinen, und an deren Saume nur selten hinlänglicher Raum für einige Kultur und Palmengruppen übrigbleibt. Gewöhnlich erblickt man dann zwischen diesen ärmliche Dörfer mit schwarzen nackten Gestalten, die wenig Teilnahme an dem zeigen, was um sie her vorgeht; oder man wird in der Öde durch die kolossalen Trümmer antiker Tempel überrascht, die in ungestörter Einsamkeit ihre dunklen Säulen gegen den blauen Himmel abzeichnen und durch ihre Menge verkünden, welch reges Treiben einst diese jetzt so verlassenen Ufer belebt haben muß.

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Weit anziehender als diese Massen ohne Kunstwert ist ein Speos (kleiner in den Felsen eingehauener Tempel), der sich eine Viertelstunde nördlich von hier tiefer im Lande befindet und die Ringe des Sesostris trägt. Der einzige Saal wird nur von zwei aus dem Felsen selbst herausgearbeiteten, kurzen flach kannelierten Säulen getragen, derengleichen man nur in den ältesten Bauten Ägyptens und Nubiens findet und die vielleicht das erste Vorbild des späteren dorischen Stiles gewesen sind. Die Hieroglyphen auf den Säulen wie an der Decke sind nur gemalt und die sitzenden Figuren in den Nischen gänzlich verstümmelt. Die schönsten Skulpturarbeiten aber schmücken die Felswände des sonst ganz einfachen Vorhofes.

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Der Felsentempel von Yerf-Hussein ist mir als einer der merkwürdigsten im ägyptischen Reiche vorgekommen, da ich nach der Belehrung des Augenscheins überzeugt bin, daß er trotz der Ringe des dritten Ramses oder Sesostris, die man auf den Kolossen des Vorbaues und auf den zerstörten Sphinxen und Statuen findet, welche die von der Flußseite hinansteigende großartige Treppe zierten, doch einer ungleich älteren Epoche angehört und vielleicht tausend Jahre vor Ramses schon existierte. Es scheint unmöglich, daß ein und dieselbe Zeit Werke von so heterogener Natur, als die Monumente von Theben und dem nahen Ypsambul mit diesem Tempel darbieten, hätte hervorbringen können – dort an beiden Orten die Vollendung höchster Kunst, hier nur ihr plumper, noch unbeholfner, aber bereits alle Elemente düstrer Großartigkeit in sich enthaltender Anfang. (Seite 301)

Während unsres Aufenthalts langten drei ganz mit Sklaven angefüllte Barken von Dongola hier an. Es ist dies schon die vierte Karawane schwarzer Sklaven beiderlei Geschlechts, der wir seit Assuan begegnen, sonst nur den erwähnten Franzosen, welche die einzigen Touristen auf dem Nil waren. (Seite 302)

Ypsambul Den 10. April Wir sahen uns genötigt, wieder zum Ziehen der Barke durch Menschen und zum notwendigen Pressen der Eingebornen zu diesem Dienst unsre Zuflucht zu nehmen, womit man freilich nicht schnell vorwärts kommt. Auch entwischten häufig die Gepreßten unserm Kawaß, was langen neuen Aufenthalt verursachte. So erreichten wir erst spät nach Mittag den Tempel von Hamada, der von geringem Umfang, aber größter Schönheit aller Details und aus der besten Zeit der Pharaonen ist. Schade, daß der Sand der Wüste ihn so tief verschüttet hat, daß man bequem vom Boden auf sein Dach steigen kann, das hier aus doppelten übereinander liegenden Steinblöcken, jeder von zwei Fuß Dicke, besteht.

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In der Mitte dieser soliden Decke haben die Kopten, welche den Tempel eine Zeitlang als Kirche benutzten, ein weites Loch gebrochen, um eine Art weißgetünchter Kuppel aus Erdziegeln darauf zu stülpen, die einem Taubenhause gleicht, wie die meisten dieser Arbeiten aber schon wieder zur Hälfte eingefallen sind. Man bemerkt in diesem Tempel, dessen Inneres (in das man durch ein enges Loch kriechen muß) weniger mit Sand angefüllt ist, als es die äußere Verschüttung erwarten läßt, ähnliche kannelierte Säulen ohne Kapitäl mit bloßer Deckplatte wie in dem Speos zu Kalabsche und findet nur die Ringe ältester Pharaonen darin, vom Geschlechte Thutmosis' III., der für den König Moeris des Herodot gehalten wird, Ammenophis' II. und einiger andern. Mit Champollions Tafel in der Hand ist es jetzt jedem leicht geworden, der sich nur die Mühe der Vergleichung geben will, die meisten dieser Ringe zu erkennen, frühere Reisende hatten es nicht so bequem. (Seite 304)

Der Sonnenuntergang spielte an diesem Abend unter Doerrs hohen Palmen mit unnachahmlichen Farben. Der ganze Himmel schien ein zerflossner Regenbogen, in dessen Mitte die junge Mondessichel, nicht gelb wie bei uns, «gleich einem Eierdotter», wie Schefer singt, sondern brennend smaragdgrün wie ein Goldkäfer glänzte. Auch der Nil rollte heut nur bunte Wellen, und selbst der graue Wüstensand hatte sich in Rosa- und Silbersand verwandelt. (S.305)

Nicht ohne gespannte Neugierde nahten wir den alten Denkmälern von Ypsambul, oder eigentlicher Abu-Simbel. Seit Burkhardt diese erhabensten aller Felsentempel in Afrika aufgefunden und Belzoni mit unermüdlicher Geduld sie geöffnet, wobei er wochenlang zubrachte, um das Riesentor des größten nur zur Hälfte vom Sande zu befreien – in welchem Zustande es auch noch jetzt ist –, setzen die beharrlichsten der Touristen ihre ägyptische Expedition häufig bis hierher und auch wohl bis zu den nicht mehr weit entfernten Katarakten von Ouadi-Halfa fort, aber darüber hinaus dringt seltner ein Fremder. (Seite 306)

Die Wirkung der gegen siebenzig Fuß hohen vier Kolossen an der Fassade des größten Tempels, die in majestätisch heitrer Ruhe, die Hände behaglich auf die Knie gelegt, in ihrer 100 Fuß hohen, 115 Fuß breiten und 24 Fuß tiefen geglätteten Felsennische dicht am Wasser sitzen und als des unterirdischen Heiligtums treue Wächter hier schon über dreitausend Jahre lang unverrückt harren und sich das Spiel der Wellen beschauen, ergreift vielleicht manche Einbildungskraft noch gewaltiger als die Säulen- und Obeliskenwälder Thebens.

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Die Kompositionen nähern sich oft dem naiven Sinne unsrer altdeutschen Maler, einige erreichen die Vollkommenheit der Antike. [...] 

Die innere Einrichtung dieses zweiten troglodytischen Monuments ist der des andern gleich, und die außerhalb an die Wand gelehnten Kolosse des Königs und der Königin schienen mir noch vollendeter gearbeitet als die des größern Tempels, besonders sind die üppigen und zarten Formen der weiblichen wie die Durchsichtigkeit und der schöne Faltenwurf der Gewänder merkwürdig gelungen bei so kolossalen Verhältnissen. Eine liebliche Wirkung macht es auch, daß an den Knien der Eltern Söhne und Töchter gruppiert sind. Diese Anordnung bereichert das Ganze und mildert den strengen Ernst der Riesenbilder durch gemütlichere Gefühle." (S.309)

Empörend ist es aber zu sehen, wie schamlos neuere Besucher diese Bildwerke durch die obszönsten Zusätze, mit Kohle und selbst mit schwarzer Ölfarbe sorgsam gezeichnet, herabgewürdigt haben. Wahrlich, der niedrigste der Eingebornen würde sich keine solche Gemeinheit zuschulden kommen lassen, und es ist schmachvoll zu denken, daß Menschen, die so weit aus dem gebildeten Europa hierherkommen, solche Spuren ihrer Anwesenheit zurücklassen können!

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Die letzte derselben, ganz abgesonderte, enthält eine wunderbar erhaltene, völlig unbeschädigte Figur, die mir zu den reizendsten Schöpfungen ägyptischer Kunst zu gehören scheint. Es ist ein junges aufrecht stehendes Mädchen von rührender Schönheit mit einem tief schwermütigen Ausdruck im Antlitz; die gefalteten Hände ruhen herabgesunken in ihrem Schoß und, wie über ihren eignen frühen Tod trauernd, schaut sie, ein Bild klagender, aber engelgleicher Unschuld, sinnend vor sich nieder in die rastlos vorüberströmende Flut. Auch die Gegend um Abu-Simbel hat den eigentümlichen Charakter durch die besondere Form ihrer Felsen, (S. 311)

Ritt durch die Wüste nach Dongola, Samneh, Dal, Saki-el-Abd

"Unweit davon liegen die Reste einer alten Stadt, die man für Tasitia hält." (S. 317)

Eine Siedlung mit primitiven Hütten:

Sie sind sämtlich aus in der Sonne getrockneten Erdziegeln gebaut, und zwischen ihnen steht auf einem isolierten Felsen ein kleiner, aber zierlicher Tempel mit den Ringen der Pharaonen Ortoasen III. und Thutmosis IV. Gegenüber an dem rechten Ufer des Nils erblickt man die Trümmer eines andern größeren, aber weit mehr zerstörten Tempels, die wir aus Mangel eines Kahns zum Übersetzen diesmal nicht besuchen konnten und für später aufhoben. Die Skulpturen und Hieroglyphen des kleinen Tempels, der nur ein einziges, korridorähnliches Zimmer enthält (denn Saal kann man es nicht nennen), sind zum Teil sehr graziös, auch einige Farben, namentlich das Blau der Decke mit ihren gelben Sternen noch leidlich erhalten, doch hat man in späterer Zeit mitten auf die alten Figuren der äußern Fassade eine lange Hieroglyphenschrift eingemeißelt, die so elend gearbeitet ist, daß koptische Christen sie nicht schlechter hätten machen können. Auch hier findet man zwei jener kannelierten altägyptischen Säulen wieder, welche den dorischen gleichen. Es sind die einzigen, welche der Tempel gehabt zu haben scheint, der auf der Flußseite auch noch mit einer Art Galerie, von vier Pfeilern gestützt, verziert ist. Eine Reihe Felseninseln zieht sich von hier quer durch den Fluß bis zu dem andern Tempel hin, und die meisten derselben tragen Reste alter Mauern, wahrscheinlich befestigte Schlösser, die hier den Fluß mit Leichtigkeit zu sperren vermochten. Ein englischer Reisender ist dadurch auf die Vermutung gebracht worden, daß dies die vom Wasser umgebenen Schlösser seien, welche auf einem der Schlachtbilder in Theben vorkommen. Obgleich diese Bestimmung etwas gewagt erscheint, so ist doch so viel gewiß, daß des Ramses Eroberungen sich nicht nur bis hierher, sondern auch noch ungleich weiter nach Süden erstreckt haben müssen, wovon mehr Beweise übrig geblieben sind als von den nach Norden gerichteten. (S.318)

Gleich Herrn Cadalvene begegneten wir aber auch auf diesem Punkte einer großen Sklavenkarawane aus dem Innern. Doch konnten wir darüber nicht dieselben Bemerkungen machen als er. Herr Cadalvene sah, nach seiner ihn in Ägypten selten verlassenden trüben Stimmung, alles dabei ebenso schwarz wie die Farbe der Sklaven selbst und diese daher nur gleich verzweiflungsvollen Jammergestalten vorüberziehen, während wir sie lachend und uns in ihrer Sprache Scherze zurufend wohlgenährt, hinlänglich für dies Klima, wo die meisten nackt gehen, gekleidet und ohne alle Spuren von Kummer oder Sorge ihren Weg rüstig verfolgen sahen. Warum die Sachen so übertrieben und anders darstellen, als sie wirklich sind? Sklaverei, abstrakt genommen, ist bei einem gebildeten Zustande der Gesellschaft gewiß etwas Empörendes – niemand widerspricht dem. Aber daß das individuelle Los der hiesigen Sklaven – den Zustand ihrer Bildung und ihrer Gewohnheiten ins Auge gefaßt – so unsäglich traurig und jammervoll sei, selbst während der schlimmsten Periode, der ihres Transports nach Kahira, muß ich nach allem, was ich so vielfach selbst davon sah, gänzlich bestreiten. Denn daß sie halb nackt sind, daß sie da, wo sie nicht auf dem Nile fahren können, wenn sie nicht krank sind (wo man sie reiten läßt), zu Fuß gehen müssen und daß sie nur Durrabrot und hie und da etwas Gemüse oder Datteln mit Nilwasser zur Nahrung erhalten, ist nur dasselbe, was allen diesen ebenso mäßigen als armen Völkern hier überall gemein ist. Sobald sie aber verkauft sind, wird im Orient ihr Los in der Regel weit besser, ja oft glänzend." (S.318)

"Ich sage freie Sklavenarbeit, weil unser Industrieland an vielen Orten Europa, die Leiden der Sklaverei vollkommen aufwiegt, ja sie oft noch übertrifft und ebenso demoralisierend wirkt. Ich bin dem ungeachtet weit entfernt davon, der Sklaverei das Wort reden zu wollen, ich meine nur, daß der Orient in der Bildungsperiode, worin er steht, und bei seinen von den unsern so ganz abweichenden Verhältnissen auch hinsichtlich der dort bestehenden Sklaverei nicht zu einseitig von uns beurteilt werden darf." (S. 320)

Ein erfrischendes Bad im Nil mit einem natürlichen schwarzen Granitthron daneben, um mich darauf aus- und anzuziehen, beschloß mein idyllisches Tagewerk; ich war aber nicht wenig betreten, als ich den Fluß verlassend dicht neben der gewählten Badestelle die ganz frische Spur eines enormen Krokodils erblickte, so schön wie eine ägyptische Hieroglyphe auf dem glatten und weichen Ufersande abgedrückt. [...]

Es werden jetzt jährlich viele tausend Kamele aus den äthiopischen Ländern für Ägyptens Gebrauch geliefert und die Konsumtion der Sklaven ist noch größer. [...]

Der dieser kühlen Nacht folgende Tag war der heißeste, den wir bisher gehabt, 35 Grad Reaumur im Schatten."  (S.321)

"Das belustigendste Schauspiel für mich jeden Abend ist das Aufladen der Kamele, welches in der Regel von vier bis sechs Uhr andauert. Die Manieren dieser originellen Tiere mit ihrem Giraffenkopf, ihrem Schwanenhals, ihrem Hirschleib und Kuhschwanze nebst dem grotesken Höcker und den Hinterbeinen, die sie, wie mit Scharnieren versehen, so geschickt und taktmäßig in drei Teile zusammenlegen, sind zu komisch, um sie ohne Lachen mit ansehen zu können. Wie ungezogene Kinder schreien und quieken diese Tiere bei jeder Berührung, sehen immer im höchsten Grade melancholisch und empört aus, verlieren aber doch während ihres Ärgers keinen Augenblick, um dazwischen wieder emsig zu käuen, welche Operation, da sie nur die untere Kinnlade dazu in gleichem Tempo mit großer Ernsthaftigkeit rechts und links bewegen, ihnen ganz die Allüre eines alten Weibes gibt, das mit schlechten Zähnen vergeblich eine Brotrinde zu kauen versucht. Ihre Zähne sind indes nur zu gut, und wenn sie sich in der Brunst befinden, ist ihr Biß so fürchterlich, daß man uns in Kahira erzählte: im vorigen Jahre habe ein Kamel dem Offizier der Wache am Tore des Friedens den Kopf abgebissen. Ich selbst sah sie nur mit Verwunderung die Äste der Mimosen samt deren eisenfeste, fünf Zoll lange Stacheln so unbesorgt abbeißen und kauen, als seien es Salatblätter." (S.328)

 "Noch immer begegneten wir Karawanen von Kamelen und von Sklaven. Eine der letzteren hatte sich sehr malerisch in einem Garten neben den Ruinen von Sedenga gelagert und belustigte uns, als wir mitten durch sie hinzogen, durch eine Gruppe ausgelassner Mädchen, die uns auf alle Art und Weise verspotteten, wozu unsre weiße Farbe und unser fremdartiges Kostüm ihnen die beste Gelegenheit gaben. Auf unsre Frage: ob eine der mutwilligsten und hübschesten darunter zu verkaufen sei? – ward nur mit einem barschen «Nein!» geantwortet, denn die Sklavenhändler aus dem Innern schienen einen ebenso großen Abscheu vor den ungläubigen Christenhunden zu haben als die Sklaven selbst. Ich bin überzeugt, daß kein Individuum dieser ganzen Gesellschaft, wenn wir es ihm hätten anbieten können, mit uns getauscht haben würde. – Alles in der Welt beruht auf Meinung!" (S.333)

(Fortsetzung)

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