29 August 2024

Markus Tiedemann: Postaufklärungsgesellschaft

Vorstellung des Buches in einem Podcast des WDR (unter Berücksichtigung von Stellungnahmen von Hörern)

Die folgenden Themen werden behandelt (in Klammern der Zeitpunkt des Beginns der Behandlung):

  • Erste Phase der Aufklärung: Attische Philosophie in der griechischen Antike (03:05)
  • Zweite Phase der Aufklärung: Streben nach Objektivität in der Neuzeit (04:43)
  • Autoritäre Regime in Europa: Ist die Idee der Freiheit am Ende? (08:33)
  • Populisten übertrumpfen Elitäre (11:16)
  • Ziel der Aufklärung: Alle in engagierte, selbstreflektierende Bürger verwandeln (12:47)
  • Warum die Aufklärung das Beste ist, was wir hervorgebracht haben (18:21)
  • Die Aufklärung: ein europäisches Projekt, aber trotzdem universell (22:05)
  • Erwachsen, aber nicht mündig: "Kind-Erwachsene" stehen der Aufklärung im Weg (30:45)
  • Sind wir zu faul, um vernünftig zu sein? (32:44)
  • Definition einer Post-Aufklärungs-Gesellschaft (42:07)
  • Warum die freiheitliche Demokratie immer in Gefahr ist (46:20)
  • Cancel Culture und Political Correctness: Fällt die Aufklärung dem Zeitgeist zum Opfer? (48:52)

  • Tiedemann betont seine Dankbarkeit für die Aufklärung und fordert, das Wissen über die Schönheit und Leistung der Aufmerksamkeit so lange als möglich zu bewahren.

    Nach kursorischer Lektüre hier ein vorläufiges Kurzurteil:

    Angesichts der ausführlichen Darlegungen zu den Bedingungen für Aufklärung wirkt die Begründung für ihr Schwinden auf mich nahezu so spekulativ aus der Entwicklung der letzten Jahre extrapoliert wie Fukuyamas Ende der Geschichte. Bereits für das Jahr 2040 ein primäres Leben in Virtualität zu prognostizieren, wodurch die Bevölkerung schon bis dahin an die Regenerationsfähigkeit der menschengerechten Umwelt angepasst ist, scheint mir noch spekulativer. 

    Auch bei Fukuyama war der historische Rückblick wesentlich gehaltvoller als die Vorausschau. 

    Die zwei Paradoxien humanistischer Bildung:

    1. Erziehung zur Mündigkeit kann "nie ohne ein Moment der Entmündigung organisiert werden" (S.96) 

    2. "Wir können uns in einem Akt der Freiheit für die Unfreiheit entscheiden." (S.97)

    Es ist durchaus möglich, dass eine Person von sich aus Urteilskraft erwerben und sich für Freiheit entscheiden. 

    Aber: "der Mensch ist nur vernunftbegabt, er ist nicht vernunftaffin." (S.97) 

    Es besteht also "das Potential sich in einem Akt der Freiheit über die Neigungen zu erheben." Doch: "Um diesem Hang [zum Bösen, den der Mensch laut Kant hat] zu widerstehen, müssen die Kraft und Entschlossenheit aus einem humanistischen Selbstbildungsprozess gewonnen werden." (S.97) Organisiert werden kann der aber nur über ein "Moment der Entmündigung". (S.97)

    "In Ländern ohne Bodenschätze ist Bildung die einzige Ressource!" (S.98) Das ist heute allgemein anerkannt. Aber nur, wenn Bildung instrumentell als Ausbildung verstanden wird und nicht "Schulung von Urteilskraft" (S.99) zum Zwecke der Kritikfähigkeit. Denn Wirtschaftslenkern wie Staatslenkern liegt nicht an grundsätzlichem Widerspruch. (Kapitalismus, China)

    Sprache ermöglicht Ermächtigung, weil über Sachverhalte gesprochen werden kann. (S.108) 'Ausbeutung' [...] 'Rassismus', 'strukturelle Gewalt': Begriffe wie diese stehen für wichtige Erweiterungen unserer Sprache, die es ermöglichen, Unrecht zu identifizieren und gezielt zu bekämpfen. Mit dem Verbot von Sprache ist bisher noch kein humaner Fortschritt erzielt worden. (S. 109)

    Von zentraler Bedeutung ist es, die Ebene der Metasprache klar von jener der direkten Kommunikation und der Verwaltungssprache zu unterscheiden. Das Sprechen über diskriminierende Sprache ist selbst keine Diskriminierung. Die Erwähnung rassistischer Bezeichnungen ist nicht das Gleiche wie deren normative Verwendung." (S. 111)
    Natürlich kann Sprache Machtstrukturen sowohl widerspiegeln als auch verfestigen. "Allerdings liegt eine traurige Verkürzung vor, wenn Sprache nur auf Macht reduziert wird. [...] Gleichwohl bleibt folgende Differenzierung bestehen: das Zitieren und Erwähnen verunglimpfenden Vokabulars kann sehr / unterschiedliche Ursachen haben. Zu diesen zählen versteckter Rassismus ebenso wie ein Mangel an Sensibilität oder wissenschaftliche Redlichkeit. Rassisten sind immer wissenschaftlich unredlich und unsensibel, aber unsensible Menschen können ebenso Antirassisten sein, wie Personen, die sich wissenschaftlicher Genauigkeit verpflichtet fühlen.
    Diese Differenzierung zu leugnen, bedeutet, zahlreichen Formen der Irrationalität, Tür und Tor zu öffnen." (S.112/13) 

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