20 September 2024

Christa Wolf: Kassandra

 Christa WolfKassandra 

Zitate: 

"Die Leute des Eumelos waren an der Arbeit. Sie hatten Anhänger und der Palastschreiber und Tempeldiener gewonnen. Auch geistig müssten wir gerüstet sein, wenn der Grieche uns angreife. Die geistige Rüstung bestand in der Schmähung des Feindes (von 'Feind' war schon die Rede, eh noch ein einziger Grieche ein Schiff bestiegen hatte) und im Argwohn gegen die, welche verdächtig waren, dem Feind in die Hände zu arbeiten:/ Panthoos, der Grieche. Briseis, des abtrünnigen Kalchas  Tochter. Die weinte abends oft in meinem Schlafraum. Auch wenn sie sich, um ihn nicht in Gefahr zu bringen, von Troilos trennen würde: er ließ sie ja nicht gehen. Auf einmal war ich die Beschützerin eines gefährdeten Paares. Mein junger Bruder Troilus, der Sohn des Königs, wurde angefeindet, weil er sich eine Liebste nach seinem Geschmack nahm: Unvorstellbarer Vorgang. Tja, sagte König Priamos, schlimm, schlimm." (S.84/85) 

"Sie leisteten es sich, Mord und Totschlag weniger zu fürchten als die rollende Augenbraue ihres Königs und die Denunziation durch Eumelos. Ich leistete mir ein bißchen Voraussicht und ein kleines bißchen Trotz. Trotz, nicht Mut.

Wie lange habe ich an die alten Zeiten nicht gedacht. Es stimmt: Der nahe Tod mobilisiert noch mal das ganze Leben. Zehn Jahre Krieg. Sie waren lang genug, die Frage, wie der Krieg entstand, vollkommen zu vergessen. Mitten im Krieg denkt man nur, wie er enden wird. Und schiebt das Leben auf." (S.87)


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