Marie Bashkirtseff S.833 ff.
(Wikipedia): Ihr Tagebuch, das sie bis wenige Tage vor ihrem frühen Tod geführt hatte, wurde in einer von der Mutter gekürzten und zensierten Fassung 1887 auf Französisch publiziert. Bis 1891 waren 8000[2] Exemplare verkauft. 1889 lag die englische und 1897 die deutsche Übersetzung vor. Laura Marholm bezeichnete das Tagebuch in ihrem Buch der Frauen (1894) als „Geheimbibel“ der jungen Frauen ihrer Zeit.[4] Fanny Reventlow schrieb 1901 in ihr Tagebuch: „Ich lese Marie Bashkirtseff, das möchte die einzige Frau gewesen sein, mit der ich mich ganz verstanden hätte, vor allem auch in der Angst, etwas vom Leben zu verlieren und vor dem unerhörten Prügelbekommen vom Schicksal.“[5] Theodor Adorno erklärte sie zur „Schutzheiligen des Fin de siècle“.[2]
"Paris, 1. Mai 1884 [...]
Meine freundlichen Leser, ihr könnt also sicher sein, dass ich mich auf diesen Seiten vollständig zur Schau stelle. Mein Ich hat für euch vielleicht nur ein winziges Interesse, aber denkt nicht, dass ich es bin, sondern ein menschliches Wesen, das euch alle seine Eindrücke von der Kindheit erzählt. Als menschliches Zeugnis ist das sehr interessant. Fragt Herrn Zola und sogar Herrn de Goncourt und sogar Maupassant! Mein Tagebuch beginnt mit zwölf Jahren und bedeutet etwas erst von fünfzehn oder sechzehn Jahren an. Es gilt also eine Lücke auszufüllen, und ich will eine Art von Vorrede schreiben, die es erlauben wird, dies literarische und menschliche Denkmal zu verstehen.
Also nehmt an, ich sei berühmt. Wir fangen an:
Ich bin geboren am 11. November 1860. Das ist erschreckend wenig, wenn ich es schreibe. Aber ich tröste mich bei dem Gedanken, dass ich sicherlich älter sein werde, wenn ihr mich lest. S.833/34
Mein Vater war der Sohn des Generals [...] Ich war immer bei Großmama, die mich abgöttisch liebte. Um mich anzubeten, war bei Großmama auch meine Tante, wenn Mama sie nicht mit sich nahm. Meine Tante war jünger als Mama, aber nicht hübsch, sie wurde ausgenutzt und ließ sich von allen ausnutzen.
1870 im Mai sind wir ins Ausland gereist. Der von Mama lange gehegte Traum wurde wahr. In Wien blieb man einen Monat und berauscht es sich an. Neuigkeiten zwischen Raum in Baden-Baden haben wir im Juni an.[...] In Baden habe ich die große Welt und die Eleganz begriffen und wurde von Eitelkeit gequält. S.834/835 Aber ich habe nicht genug von Russland und von mir gesprochen, was doch die Hauptsache ist. [...] ich war übrigens ziemlich schmächtig, dünn und nicht hübsch. Was nicht hinderte, dass alle mich als ein Wesen ansahen, das schicksalhaft unweigerlich einen eines Tages, die Schönste, die Glänzendste, die Großartigste werden würde. Mama ging zu einem Juden, der die Zukunft voraus sagte: Du hast zwei Kinder, sagte er, der Sohn wird sein wie alle Leute, aber die Tochter wird ein Stern werden!… [...]
Das machte mich ganz stolz. Seit ich denke, seit dem Alter von drei Jahren (ich wurde bis dreieinhalb gestillt) habe ich immer nach irgendetwas Großartigem gestrebt. Meine Puppen waren stets Königinnen und Könige; alles, was ich dachte und alles, was um Mama herum gesprochen wurde, schien sich immer S.834/35 auf diese großartigen Dinge zu beziehen, die ganz sicher kommen würden. [...] S.838 Wenn ich nicht lang genug lebe, um berühmt zu werden, wird dies Tagebuch die Naturforscher interessieren: das Leben einer Frau, Tag für Tag, ohne Pose, so, als ob niemand es jemals lesen sollte und gleichzeitig mit der Absicht, dass es gelesen wird, das ist immer etwas Merkwürdiges; denn ich bin sicher, dass man mich sympathisch finden wird… Und ich sage alles, alles, alles. Wenn nicht, wozu? Übrigens, das wird man bald merken, dass ich alles sage... [...] S.840 Ich weiß nicht… Aber es scheint mir, als könne ich nur im Rom meinen universalen Träumereien nachhängen…
Dort ist man wie auf dem Gipfel der Welt.
Ich habe das Tagebuch eines Diplomaten in Italien zum Teufel geworfen; diese französische Eleganz, diese Höflichkeit, diese banale Bewunderung beleidigen mich für Rom. [...]
Rom muss als Stadt das sein, wofür ich mich als Frau hielt. Jedes vorher und auf andere gebrauchte Wort, dass auf… uns angewendet wird, ist eine Profanation. (S. 833-840)
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