1. Strukturen und Antriebe 15
2. Selbst – und Weltbeobachtung 37
"[...] Vorstufen der subjektiven deutschen Tagebuchliteratur, die in ihrer typischen Prägung erst Mitte des 18. Jahrhunderts mit dem Pietismus / einsetzt. Damals schon wurde Deutschland ein tagebuch-führendes Land par excellence. Ursache sind unter anderem die vielen Kriege, sozialen Revolutionen und Glaubenskämpfe, die den einzelnen Menschen auf sich selbst verwiesen und seine Neigung verstärkten, als Zeuge über die erschütternden Erlebnisse der Reformationszeit und des alles in Frage stellenden 30-jährigen Krieges zu berichten, zunächst einmal für sich selbst, dann auch für die eigenen Nachkommen wie für die Nachwelt, überhaupt. [...] Deutsche Tagebücher dieser Zeit künden also eher von verstärktem Beobachtungssinn als vom Einsetzen der Reflexion, mehr von wachsendem Gefühl für das Private als von Selbstanalyse." (Seite 57/58).
3. Steigerung und Auflösung der Person 76
4. Liebe, Erotik, Sexualität, 109
Das fiktive "Tagebuch des Verführers" von Kierkegaard könnte man geradezu als eine Abhandlung über die Stadien des "Mittelbar-Erotischen oder des Dichterisch-Erotischen" ansehen. Große, "erotische Gestalten", wie Faust und Don Juan, tauchen auch in seinen echten Tagebüchern immer wieder auf. Sie erscheinen ihm als Repräsentanten des Lebens außerhalb der Religion. Sie sind "negative Heilige". Insofern sind Kierkegaards Tagebücher bis heute die reichste Quelle geblieben für die Grundprobleme der "Liebe" in all ihren Schattierungen, Verkleidungen und Verfälschungen im Vorhof des Religiösen. Sein "Tagebuch des Verführers" steht als eine "ästhetisch-moralische Teufelei" sublimster Art, zwischen den Liaisons dangereuses, dem Lovell, den Elixieren des Teufels, den Fleurs du Mal dem Dorian Gray. Hier bilden Romantik und Satanismus in den Hintergründen, der intimsten Seelen- und Lebensregungen eine Einheit. Bei Kierkegaard jedoch wird dieses satanische "Stadium" in einer "Religion der Tat" überwunden, die dann das Zentralthema seiner anderen Werke und vor allem seines "echten" Tagebuch ist. "Das verborgene Leben der Liebe ist im Innersten unergründlich und in einem unergründlichen Zusammenhang mit dem ganzen Dasein. Wie der stille See tief in den verborgenen Quellen seinen Grund hat, die kein Auge sah, so hat die Liebe des Menschen ihren noch tieferen Grund in Gottes Liebe. [...] (Religion der Tat, S.160)" (Hocke, S.109) 5. Angst vor dem Nächsten und Kritik an der Umwelt 162
6.Zeugenberichte und Zeitkritik, 194
7.Diaristische Menschenkunde 268
[Einschub von Fontanefan]: Elke Heidenreich schreibt über ihre Tagebücher: "Die Tagebücher haben mir geholfen: bei der Bewältigung von Eindrücken, der Überwindung von Kummer, beim Festhalten wunderbarer Erlebnisse, beim Ideensammeln [...], bei Reisebeschreibungen. Viele schöne Geschichten in drei erfolgreichen Büchern sind nachträglich daraus entstanden – ich nenne das meine 'Romantische Trilogie': Alles kein Zufall, Männer in Kamelhaarmänteln und Ihr glücklichen Augen. Fast alle Geschichten darin gehen zurück auf Eintragungen in den Tagebüchern. Und damit haben die ihren Dienst getan, ihren Zweck erfüllt und können weg. Ich bin ja nicht Thomas Mann, ich bin auch nicht Max Frisch." (ZEIT 12.6.25) 8. Schöpferische Probleme 320
Paul Klee Seite 326 ff.Aus dem Jahre 1900: "Im Grunde Dichter zu sein, diese Erkenntnis sollte in der bildenden Kunst doch nicht hinderlich sein! Und wenn ich wirklich Dichter sein müsste, würde ich Gott weiß was anderes wollen. In mir wogt, gewiss, ein Meer, weil ich empfinde. Heillos ist es, so zu empfinden, dass an allen Enden zugleich derselbe Sturm ist und nirgends ein Herr, der dem Chaos gebietet." [...] "In Italien. begriff ich das Architektonische – hart bei der abstrakten Kunst stand ich da – der bildenden Kunst. (heute würde ich sagen, das Konstruktive)." – "Bin ich Gott? Ich habe großer Dinge so viel gehäuft in mir! Mein Haupt glüht zum Springen".(August 1905) und gleich darauf "reeller und für Kairos- Fesseln (im Tagebuch) dramatisch-deutlich: "Das Genie sitzt im Glashaus, aber im unzerbrechlichen, ideengebärend. Nach den Geburten verfällt es in Raserei. Greift zum Fenster hinaus und nach dem Nächsten, der da vorübergeht. Die Dämonskralle hackt, die eiserne Faust packt. Sonst warst du Modell, höhnt es zwischen Sägezähnen, mir bist du Materie zum Werk. Ich schmeiß dich hin an die Wand von Glas, dass du pappen bleibst, projiziert pappen…" Der "große Augenblick"! – "Wenn wirklich, wie ich glaube, sämtliche Läufe der gestrigen Tradition versanden und die sogenannten unentwegte Pfadgeher (liberale Herren), nur scheinbar gesunde und frische Mienen zeigen, im Licht der großen [327/328] Historie aber der Inbegriff von Müdigkeit sind, dann ist ein großer Augenblick gekommen, und ich begrüße sie, die an der nun kommenden Reformation mitarbeiten." (S.327/28)
Marie Bashkirtseff nimmt sich am 1. Mai 1884 vor, dass sie nur die "genaue, absolute und strenge Wahrheit" mitteilen will. Am 7. August 1877 hatte sie, nachdem sie in angeblich unerträglich heiterer Gesellschaft gewesen war, verzweifelt ihrem "Journal" das Folgende anvertraut: "Ich Wahnsinnige, Wahnsinnige, die nicht sieht, was Gott will! Gott will, dass ich auf alles verzichte und mich nur der Kunst weihe! In fünf Jahren werde ich noch ganz jung sein, vielleicht sogar schön, schön in meiner Schönheit. Aber wenn ich künstlerisch nur eine Mittelmäßigkeit werde, wie es so viele gibt? Für die Welt genügte das ja, aber sein Leben, dem widmen und es dann zu nichts bringen… Was ist das Leben ohne Widerhall, was kann man immer allein leisten? Das lässt mich die ganze Welt, meine Familie, mich selbst hassen und lästern. Leben, leben!… Heilige Maria, Mutter Gottes, Herr Jesus Christus, mein Gott, kommt mir zu Hilfe!" Der Konflikt zwischen dem Streben nach Selbstaufgabe und Lebenwollen, bleibt ungelöst. In einer schwätzenden Gesellschaft huschte Kairos vor Marie B. mit einem Lämpchen des Absoluten vorbei. Doch sie konnte – aus Eitelkeit – nicht zugreifen. Ihre geistigen Ärmchen waren zu kurz. Wieder ein Beispiel für schicksalhafte Bewegungshemmungen durch Eitelkeit." (S. 328)
9. Philosophie und Selbsterfahrung, 369
10. Chronik des Absoluten 404
Befreiung von Ich und Welt 404
Durchbruch der "geschlossenen" Person 410
Der mystische Dialog 430
Die Hinwendung zum Nächsten 452
Auswertungen: Mythik des Tagebuchs 483
Europa – suchendes Erschaffen 483
Mythen als Existenzsymbole 487
Dass Ich und die Genesis der Zeit 509
Ökumene der Liebe 519
Anthologie europäischer Tagebücher S.537ff.
19.2.1544
"Als ich zur Messe ging, vorher nicht ohne Tränen, während der Messe viele und mit großer Gelassenheit; sehr viele Einsichten über die heiligste Dreifaltigkeit. Mein Verstand wurde von ihnen so sehr erleuchtet, dass mir schien, selbst durch ein tüchtiges Studium würde ich nicht so viel Wissen erlangen können. [...] selbst wenn ich mein ganzes Leben lang studieren wollte." (S 566)
6. März 1544
Obwohl ich darauf achtete, konnte ich nichts schauen, was der Aussöhnung noch entgegensteht. Ich hatte eine große Sicherheit und konnte nicht mehr ungewiss sein über das, was mir vor Augen gestanden und was ich geschaut hatte. (S.568)
27.3.1544
Vor der Messe Tränen, viele während der Messe, ganz auf Ehrerbietung gerichtet. Schau des göttlichen Seins in Kugelgestalt, wie die anderen Male bisher. (S.569)
Montpellier, 6.1.1554
Der Märtyrer saß geduldig, mit gen Himmel aufgehobenen Augen. Sobald das Feuer die Bücher erreicht, zog der Richter der Seil und würgt' ihn also, bis er das Haupt sinken ließ, da er sich nicht weiter rührte, und also zu Asche verbrannt ward, da die Beiden dabei stehen und zusehen mussten und ihnen ziemlich warm ward. (S.571)
Montpellier, 11.12.1554
Da er sich für Medizin interessiert, versucht Platter Gelegenheit zum Sezieren von menschlichen Leichnamen.
"[...] tote Körper, so erst an dem Tag begraben, heimlich mit bewehrter Hand vor der Stadt auf den Kirchhöfen bei den Klöstern auszugraben und dann in die Stadt in sein Haus zu tragen und daselbst zu anatomieren. hatten bestellt etliche, so aufpastsen, wo und wann etliche begraben wurden, um dann in der Nacht uns dahin zu verfügen.
Ward ich so zum ersten Mal aufgefordert, den 11. Decembris. Da führt uns Gallotus schon bei voller Nacht vor die Stadt in das Augustiner-Kloster. Da war ein verwegener Mönch, Bernhard, der sich verkleidet', und half uns dazu. Wir thaten heimlich im Kloster einen Schlaftrunk, der währte bis Mitternacht; darnach zogen wir in aller Stille mit den Waffen vor das Kloster St. Denys auf dem Kirchhof, da scharrten wir ein Corpus heraus, nur mit den Händen; denn der Grund noch locker war, weil es erst am Tag begraben. Als wir auf das Corpus kamen, legten wir ein Seil daran und rissen es gewaltsam heraus, schlugen unsere Flassadenröcke darum und trugen's auf zwei Bengelein bis an das Stadtthor; war um drei Uhr in der Nacht. Da taten wir die Corpora an einen Ort und klopfen an ein kleines Thürlein, dadurch man etwa ein- und auslässt. Es kam ein alter Pförtner hervor im Hemd, tat uns das Thürlein auf; wir baten ihn, er wolle uns einen Trunk geben, wir stürben vor Durst. Während er den Wein holte, zogen ihrer / drei, die Corpora hinein und trugen's hinauf in des Galoti Haus, das nicht fern vom Thor, dass also der Thorwächter nichts gewahr wurde. Wir zogen nach, und als wir die Linnen, darein sie vernäht war, öffneten, war es ein Weib; hatte krumme Füße von Natur, so einwärts gegeneinander sahen. Die anatomierten wir und fanden unter anderem auch etliche Adern als vasorum. spermaticorum, die nicht abwärts geradeaus, sondern auch krumm und seitwärts gingen. Sie hatte einen bleiern Ring an, der mir, weil ich sie hasse von Natur, sehr widerwärtig.
Weil uns die Sache geraten, ließen wir nicht nach. Und als wir fünf Tage hernach inne wurden, dass ein Student und ein Kind abermals auf St.-Denis-Kirchhof begraben war, zogen wir abermals zum Thor hinaus, den 16. Dec. in das Augustiner Kloster."
3.April 1735:
"O Gott, der du mir bisher geholfen hast, gib mir die Kraft in dieser Arbeit und in der gesamten Aufgabe meines gegenwärtigen Zustandes fortzufahren, damit ich, wenn ich am letzten Tage über das mir verliehene Talent Rechenschaft ablegen muss, um Jesu Christi willen Vergebung erlangen möge. Amen." (S.625)
Aufgrund seiner Biografie seines Freundes Samuel Jonson, gilt er manchen so unzweifelhaft als der beste Biograf wie Shakespeare als der beste Dramatiker. Seine Einstellung zum Leben unterscheidet sich freilich ausweislich seiner Tagebücher deutlich von der seines Freundes. Am 12.1.1763 notiert er stolz, dass er ein "göttergleiches Vermögen" gehabt habe. "Fünfmal verlor ich mich an die höchste Verzückung." "Ich habe dies Nacht geschildert, so gut ich konnte. Die Beschreibung ist etwas blass geraten, aber ich darf mich wohl füglich als Mann von Geschmack bezeichnen." Als er darauf feststellen muss, dass er eine Geschlechtskrankheit bekommen hat, fordert er von ihr (wie er im Tagebuch notiert) ein Darlehen zurück und setzt ihr eine Frist. Aus seinem Brief zitiert er u.a. "[...] ich verzichte darauf, Ihnen Vorwürfe zu machen [...] "das Bewusstsein Ihrer Tücke und Niedertracht wie auch ihre körperliche und seelische Verkommenheit [dürften] eine ausreichende Strafe darstellen. Nennen Sie nicht Missgeschick, was die Folge ihrer eigenen Nichtswürdigkeit ist." (S.633)
16.7.1763: "Johnson empfahl mir, ein Tagebuch zu führen, ehrlich und ungeschminkt; es sei eine gute Übung und werde mir später unendlich lieb sein, wenn einmal die näheren Umstände aus dem Gedächtnis verschwunden seien. Ich teilte ihm mit, dass ich schon seit meiner Abreise aus Edinburg, ein solches Tagebuch führe, was er ausdrücklich billigte. Und nun, mein Tagebuch, bist du nicht zu hoher Würde gelangt? Wirst du dich nun nicht doppelt und dreifach entfalten? Nie haben Ermahnung und Missbilligung mich dazu bringen können, dich beiseite zu / legen, und nun lässt sich irgendetwas dagegen geltend machen, das schwerer wiegen würde als Johnsons ausdrückliche Billigung? Er empfahl mir allerdings, es geheim zu halten, und meinte, ich hätte gewiss einen Freund, der es bei meinem Tode verbrennen würde. Ich für meinen Teil hänge gegenwärtig so sehr an diesem meinem Tagebuch, dass der Gedanke es je zu verbrennen, mir einen Stich gibt. Ich wäre eher dafür, es im Archiv von
Auchinleck sorgfältig aufzubewahren. Immerhin, ich kann das jetzt nicht sachlich beurteilen, in ein paar Jahren denke ich vielleicht anders. Ich gestand Johnson, ich schriebe auch allerhand Kleinkram. "Es gibt nichts", meinte er, "was zu gering wäre für ein so geringes Wesen wie den Menschen. Durch eine Beobachtung von Kleinigkeiten bringen wir es am Ende zu der hohen Kunst, unser Leben so schmerzlos als möglich zu gestalten." (S.635/36)
Nantes, 1769: Plan eines Universaltagebuchs
"Welch ein Werk über das menschliche Geschlecht! den menschlichen Geist! die Kultur der Erde! aller Räume! Zeiten! Völker! Kräfte! Mischungen! Gestalten! Asiatische Religion! und Chronologie und Polizei und Philosophie! Ägyptische Kunst und Luxus, Philosophie und Polizei! Phönizische Arithmetik und Sprache und Luxus! Griechisches Alles! Römisches Alles! Nordische Religion, Recht, Sitten, Krieg, Ehre! Papistische Zeit, Mönche, Gelehrsamkeit! Nordisch-asiatische Kreuzzieher, Wallfahrer, Ritter! Christliche heidnische Aufweckung der Gelehrsamkeit! / [Frankreich, England, Holland, Deutschland] Chinesische, japanische Politik! Naturlehre einer neuen Welt! Amerikanische Sitten usw. - - Großes Thema: das Menschengeschlecht wird nicht vergehen, bis dass es alles geschehe! Bis der Genius der Erleuchtung die Erde durchzogen! Universalgeschichte der Bildung der Welt!
Wie viel liegt aber vor mir, diesen Schein des Ansehens zu erreichen und der erste Menschenkenner nach meinem Stande, in meiner Provinz zu werden!
Bin icsh geworden, so will ich diesen Pfad nicht verlassen und mir selbst gleichsam ein Journal halten der Menschenkenntnisse, die ich täglich aus meinem Leben, und derer, die ich aus Schriften sammle. Ein solcher Plan wird mich beständig auf einer Art von Reise unter Menschen erhalten Und der Falte zuvorkommen, in die ich mich meine einförmige Lage in einem abgelegenen skytischen Winkel der Erde schlagen könnte! Dazu will ich eine beständige Lektüre der Menschheitschriften, in denen Deutschland jetzt seine Periode anfängt und Frankreich, das ganz Konvention und Blendwerk ist, die seinige verlebt hat, unterhalten. [...]" (S. 645/46)
"Mein Leben ist ein Gang durch gotische Wölbungen oder wenigstens durch eine Allee voll grüner Schatten; die Aussicht ist immer ehrwürdig und erhaben: der Eintritt war eine Art Schauder; so, aber eine andere Verwirrung wirds sein, wenn plötzlich die Allee sich öffnet und ich mich auf dem Freien fühle. Jetzt ists Pflicht, diese Eindrücke so gut zu brauchen, als man kann, Gedanken voll zu wandeln, aber auch die Sonne zu betrachten, die sich durch die Blätter bricht und desto lieblichere Schatten malet, die Wiesen zu betrachten, mit dem Getümmel darauf, aber doch immer im Gange zu bleiben." (S.648)
Da dieser Text bei Hocke in alter Rechtschreibung wiedergegeben wird, übernehme ich ganz die neue, um nicht allzu viel von meinem Diktat in die alte Rechtschreibung verändern zu müssen.
1770
Einmal muss ich es doch wissen, wie mein Herz beschaffen ist, einmal muss ich es doch bei mir selbst ausmachen, wie ich mit Gott, meinem Schöpfer, stehe;… Sagen, ausdrücken heraus sagen will ich mir selber, wie ich mich finde; ich will mich selbst vor dem Richter Stuhl der Wahrheit und des Gewissens fordern und mein Herz in dem Namen meines Gottes und Highlands Jesu Christi, des wahrhaften, gerechten und heiligen Weltrichters zur rechten Ziehen;… Wenn Gottes Wort wahr ist, so ist das wahr, was ich bis dahin gesagt habe, war, dass ich kein Christ, kein Kind Gottes und der Seligkeit bin, dass ich… Noch ein Sklave, der Sünde und des Satans bin; [...]"
1. Januar 1773
Ein vollständiges Tagebuch zu machen, dazu habe ich keine Zeit mehr; ich will also nur, so viel, meine übrigen Augenblicke, die ich nicht besser anwenden kann, zulassen, meine merkwürdigsten Stunden, Beschäftigungen, Situationen, Vorfällen halten, Empfindungen, schwach halten, über Eylungen, Fehler, so kurz und für mich so lehrreich, als es mir möglich sein wird, aufzeichnen; desto umständlicher, je mehr ich Zeit habe; desto kürzer, je weniger. Es soll mich nicht unruhig machen, wenn ich daran gehindert werde; ich will mich auch in diesem Stücke ohne all Ängstlichkeit nach der Schickung der Vorsehung der Führung, kindlich und einfältig, bequemen.
Sei es Schwachheit oder Kinderschrei oder Unkle Barez melancholisches/zittern über den Verlust eines Jahres, über den scheinbaren Anfang eines neuen Lebensabschnitts, sei es, was es wolle, ich konnte die erste mütterlich nächtliche Stunde dieses neuen Jahres nicht verschlafen. Bis 11 Uhr konnte ich nicht zu Bette, und von 11 bis 12 Uhr hatte ich, sanft erweckt vom fernen zusammentreffenden Geläute dörflicher Glocken, genug nachzudenken. Ich wollte danken, und konnte nicht; wollte beten, und betete mehr mit Tränen und zitternden, süßen Beklemmungen, dürste nach Licht und Weisheit zu allem, Großem und Kleinem. Meine Mutter und meine Frau und Kinder und einige meiner Freunde, hatten den meisten Anteil an meinen Wünschen, und dann noch einige besondere drückende Angelegenheiten, ich entschlief.
Erst ein wenig vor sieben Uhr erwarte ich wieder und legte mich der väterlichen Güte Gottes mit Verlangen nach Weisheit dar. Ich hörte die Stimme meiner lieben Frau, ging zu ihr hin, und mit der süßesten, sanftesten, unschuldigsten Zärtlichkeit segneten wir einander und sprachen, von den uns in diesem Jahre so viel als gewiss bevorstehenden Schicksalen. Ich las das Neujahrslied, vorzüglich erwärmt,
"Kein Jahr seit diesem Jahre gleich!
So herrlich mehre sich dein Reich!"
Etwas hatte ich mich zu lange bei ihr verweilt und war nahe daran, allzu stürmisch mich anzukleiden und das zu fordern, was man vergessen hatte, in Bereitschaft zu legen.
"Ich will doch das Jahr nicht unruhig anfangen", dieser Gedanke zog mich zurück und besänftigte mich.
Jedem aufstoßenden Glückwunsche bereit zu sein, kostete mich einige Überwindung.
Unaussprechlich beschämte, demütigte mich der Segenswunsch meines Amtsbruders! O Gott, wie wirst du anders urteilen als die Menschen? "Sie sehen, was vor Augen ist, du aber siehst das Herz an."
Da ich auf der Kanzel stund, wurde mir beinahe übel; Kopfweh und Erhitzung droht mir stark. Die Predigt aber ging mir ziemlich gut von statten. Bei den Wünschen war ich etwas zerstreut. Bei dem Gebete um Weisheit für mich war ich am aufrichtigen und wärmsten.
Mit Ruhe schrieb ich bis 7 Uhr dies Tagebuch." (S.650/651).
24. Mai 1786.
Ich las um 10 Uhr Lavaters Predigt über die Vortrefflichkeit der Liebe, mit warmen Gefühl; das hob mich, und es schien mir, dass sie auch einigen der Zuhörer wohl getan hatte. Die Kinder gingen auf die Jagd; ich blieb mit D. und hatte mit ihm einige gute Stunden. Ich erklärte ihm auf sein Andringen die Quelle meiner Leiden, in der Ebbe und Flut, die mich zwischen zwei Seen von Gefahren, zwischen Stolz und Missmut, unaufhörlich gegen den Rand des einen oder des anderen wälzet [...]
1. Februar 1787.
Eine lange Unterbrechung, die mir im dunklen Felder der Seele oftmalige Unruhe verursachte und das drückende meines Zustandes / vermehrte. Wenigstens will ich den heutigen Tag dazu anwenden, mein Gewissen, so viel mein Gedächtnis und die p.m. der Kinder dazu behilflich sein können, zu durchforschen, und was mir bei dieser durch Forschung etwa beifallen möchte, aufzuschreiben. Den Vorsatz, mich künftig einer solchen Nachlässigkeit nicht mehr schuldig zu machen, hingegen fest erneuern und in diesem Monate aufrecht zu halten, suchen, durch Betrachtung der Ursachen und großen Nachteile meiner Nachlässigkeit. [...] (S.657/58)
Donnerstag konnte ich meinem Vorsatz gemäß mein Tagebuch nicht zu Stande bringen, weil ich einem höheren Vorsatz der Liebe gemäß H., der mir Veranlassung, Nützliches zu sprechen, gab, den ganzen Nachmittag aufopfern musste; doch war die Unterhaltung so nützlich eben nicht; sie lief mehr nach dem Gesetzen einer sehr gewöhnlichen Assoziation, als nach irgendeinem vernünftigen Zweck und bestand beinahe ganz aus Erzählungen von meinen Brüdern und der Prinzessin Ferd.. Dieses beunruhigte mich nachher über die Aufopferung meines nachgesetzten, für mich doch so nötigen Zweck, und ich reflektierte, dass ich das oben erwähnte Hauptgesetz der Liebe nicht blindlings befolgen, sondern dann, sobald ich bemerkte, dass es zwecklos wirkte, nicht aus bloß fortgesetzten / Reize oder aus falscher Timidität, die sich scheut abzubrechen, oder endlich gar aus Inertie fortfahren müsse.
A. H. Hat in diesem Monat angefangen, ohne Unterbrechung ein Tagebuch über sich selbst zu halten.
B. hat er in eben diesen Monate angefangen mit mehrerer wahren Lust zu arbeiten und mit seiner Zeit ökonomischer umzugehen.
C. habe ich einen merklichen Wachstum an deutlichen Begriffen und Beobachtungen über sich selbst gespürt.
D. Haben unter den vielen Unterhaltungen mit ihm drei ganz bestimmt nützliche Folgen für ihn gehabt und sehr selige Eindrücke zum Wachstum meiner Liebe zu ihm hinterlassen.
(S.658/659).
12. Februar 1787
[...]. aber ich erinnere mich an die Worte des Trostes: was bei den Menschen unmöglich ist, das ist bei Gott möglich, und ferner: wer im kleinen treu ist, den will ich über größer setzen; und mit diesen Worten wie mit einem Schilder bedeckt, will ich, mit dir vereinigt, meine Bahn wieder neugeboren antreten. Oh, weiche nicht von mir. – Amen. (S.660)
Sonntag, 29. April 1787
Als die Kinder weg waren, erinnerte ich mich, H. habe mir aufgetragen, sein vergessenes Tagebuch ihm aufzubewahren. Ich dachte, nun will ich’s herausnehmen und in Sicherheit bringen. Als ich die Spinde öffnete, fiel mir ein, ich wäre doch neugierig zu wissen, Wie er meinen donnerstägigen Ausfall, die Peinschke und Heinrich betreffend aufgenommen – und ob er von meinem nachherigen Kampf, ihn betreffend, der bis Sonntag dauerte, etwas gemerkt hat, da er mir doch davon nichts geäußert hat. Als ich diese Neugier merkte, hatte ich noch die Spindentüre in der Hand und dachte bei mir selbst: Nein, da du diese Neugierde hast, so will ich so willst du lieber die Spinde wieder zumachen. [...]" (S.661)
Sophie von Kühn "(*17. März 1782; † 19. März 1797 in Grüningen) war die Verlobte Friedrich von Hardenbergs (Novalis), die im Alter von 15 Jahren starb. Ihr Andenken bewahrte er in vielen seiner Werke, insbesondere in den Hymnen an die Nacht (1800). [...] Auf dem Schloss Grüningen begegneten sich am 17. November 1794 die zwölfjährige Sophie und der 22-jährige Novalis zum ersten Mal. Novalis teilte seinem Bruder Erasmus von Hardenberg in einem Brief darüber mit, dass eine „Viertelstunde“ über sein Leben entschieden habe. Am 15. März 1795,[1] kurz vor ihrem dreizehnten Geburtstag, gab es schon ein inoffizielles Verlöbnis mit Friedrich von Hardenberg. Im November 1795 erkrankte Sophie an Leberentzündung und Lungentuberkulose,[2] erholte sich aber scheinbar wieder. Nach drei schweren Operationen (damals noch ohne Narkose) zwischen Mai und Juli 1796 in Jena bei Dr. Johann Stark[3] verstarb sie jedoch am 19. März 1797 auf dem Schloss Grüningen."
Tennstedt, 18. April 1797
Früh sinnliche Regungen. Mancherlei Gedanken über sie und über mich. Phil(osophie). Ziemlich heiter und leicht. Der Zielgedanke stand ziemlich fest. Gefühl von Schwäche – aber Extension und Progression. Moritz. Bei Tisch und nachher heiter und gesprächig. Just spielte das Lied: "Sing, o. Lied! und Zitterspiel." Im Wilhelm Meister fiel mir eine passende Stelle aus dem vierten Buche – ein Selbstgespräch Meisters – auf. [...]
4. Mai 1797
[...] - dann ging ich nach Gr(üningen). Unterwegs war ich heiter und gedankenvoll. Ich traf bloß die Danscour. Sie kamen aber bald von Klingen. Die Nacht schlief ich unruhig. Den folgenden Tag regnete es beständig. Früh weint ich sehr. Nach Tisch wieder. Den ganzen Tag war ich ganz ihrem Andenken heilig. [...] dann ging ich zu ihrem Grabe und steckte die Blumen darauf [...] Heute früh lebhaft an S(ophie) gedacht. - Der Entschluss ward etwas düster angesehen. Dann Meister. Dann den Brief an Slevoigt auf die Post getragen. [...]
Die Gesellschaft will mir noch gar nicht bekommen. Strebe nur nach der höheren permanenten Reflexion und ihrer Stimmung. Oh, dass ich so wenig in der Höhe bleiben kann.
19. Mai 1797.
[...] Auf dem Spaziergange fasste ich einige deutliche Ideen. Am Grabe war ich nachdenkend – aber meistens unberührt. Seit einigen Tagen ängstigen mich diese Erinnerungen wieder – ich fühle mich unaussprechlich einsam in gewissen Momenten – so entsetzlichen Jammer in dem, was mir begegnet ist. Beim Grabe fiel mir ein, dass ich durch meinen Tod der Menschheit eine solche Treue bis in den Tod vorführe. Ich mache ihr gleichsam eine solche Liebe möglich.
Spät fühlt ich mich S(ophiens) wegen unruhig. Doch schlief ich bald ein. Je mehr der sinnliche Schmerz nachlässt, desto mehr wächst die geistige Trauer, desto höher steigt eine Art von ruhiger Verzweiflung. Die Welt wird immer fremder. Die Dinge um mich her immer gleichgültiger. Desto heller wird es jetzt um mich und in mir. [...] (S.664/65).
16. bis 29. Juni 1797
Es muss aber immer besser werden. Besonnenheit und Ruhe ist die Hauptsache. Lass vorzüglich, auch die Aufmerksamkeit auf gefälliges und vorsichtiges Betragen gegen den Vater nicht aus der Acht – hüte dich im Umgang mit Schlegeln, übe dich unaufhörlich in besonnener Wirksamkeit, habe Söfchen stets vor Augen – vergiss nicht die Kürze von drei Monaten – übernimm dich nicht – Sei mäßig – und überlass dich nicht zu sehr deinem Hange zu vexieren und zu belustigen. Jetzt schickt es sich doch nicht mehr recht für dich, – wenigstens sehr mit Maß. Christus und Sophie.
15. April 1800
Süße Wehmut ist der eigentliche Charakter einer echten Liebe – das Element der Sehnsucht und Vereinigung.
Es gibt so manche Blumen auf dieser Welt, die überirdischen Ursprungs sind, die in diesem Klima nicht gedeihen und eigentlich Herolde, rufende Boden eines besseren Daseins sind. Unter diese Blume gehört vorzüglich Religion und Liebe.
Das höchste Glück ist seine Geliebten gut und tugendhaft zu wissen. Die höchste Sorge ist die Sorge für ihren Edelsinn.
Aufmerksamkeit auf Gott und Achtsamkeit auf jene Momente, wo der Strahl einer himmlischen Überzeugung und Beruhigung in unsere Seelen einbricht, ist das Wohltätigste, was man für sich und seine Lieben haben kann. (S. 667)
9. Oktober 1800.
Wähl ich nicht alle meine Schicksale seit Ewigkeiten selbst? Jeder trübe Gedanke ist ein irdischer, vorübergehender Gedanke der Angst.
Jede trübe Stimmung ist Illusion. [..]. (S.668)
Am besten ist es, wenn man den Sinn hat, alles Geschehende mit freudigem Herzen wie eine Wohltat Gottes hinzunehmen. Durch Gebet erlangt man alles. Gebet ist eine universale Arznei. (S. 669)
"London, 2. Juni 1816
Die drei Gipfelpunkte menschlichen Glücks sind erstens das Bewusstsein, seine Pflicht getan zu haben und die fromme Reinheit, welche die Seele erfüllt. Der nächste: Erfolg bei großen Plänen und der dritte ein hübsches Mädchen, das dich liebt, nach dem Essen auf deinen Knien sitzt, ihren himmlischen Busen gegen deinen atmend, ihr Arm um deinen Nacken mit deinem Haar spielend [...] während du genug erhitzt bist, um dich leidenschaftlich, bis zur Ekstase leben zu fühlen, ohne doch deine Sinne durch Übermaß verloren zu haben [weitere 7 Zeilen]
Die erlesenste Süßigkeit des Paradieses
In des Lebens sonst bitterem Kelch destilliert." (S. 699)
"Paris, 22. bis 31. Oktober 1814
Sie hat mich abermals einen schlechten Tag verbringen lassen. Aber nun geht es wohl um andere Dinge. [...] Ich muss mich entscheiden. Ich habe mich entschieden. Ich nehme an. Unabhängig von meiner unheilvollen und lächerlichen Liebe, die nicht abklingt, liegen gute Gründe vor, anzunehmen. Meine Stellung in Frankreich ist schlecht. Wenig Vermögen, meine Frau, der Hass der aristokratische Klasse, der Widerstand, der sich der vorgefasste Meinung über den Ausländer verbindet, all das macht einen anderen Weg notwendig. Er bietet sich an. Das Schicksal treibt mich, ich gehorche. Schlimmstenfalls ist es die Schweiz oder Deutschland oder Amerika. Gleichviel. (S.701) [...] Ich habe mich so sehr danach gesehnt, allein zu leben, und heute schaudert mir davor. [...] Ich werde niemals wieder zu ihr gehen. (S.703)
18.1.1815: Recht zärtliches Zusammensein mit Juliette. (S.704) Paris, 14.2.1815: Diese Leidenschaft zehrt mich stumpfsinnig auf. 6.-13.3.1815: Sollte es wahr sein, dass Bonaparte in Frankreich wäre? [...] Juliette gesehen. Sie hat sich geweigert, mich zu empfangen. [...] aber ich habe ganz andere Dinge zu tun. Paris, 14.-30.4.1815: Mit dem Kaiser zusammengekommen. Lange Unterredung. [...] Brief an den Kaiser. Vielleicht eine Dummheit.
[...] Bei Juliette gespeist. Ich bin dumm genug, mir etwas aus ihrer Gleichgültigkeit zu machen, wenn ich an ganz andere Dinge zu denken habe. (S.704-711)
9. Juni 1847.
Hier steckt doch in gewissen Sinn mein ganzes Unglück: hätte ich kein Vermögen gehabt, wäre es mir niemals möglich gewesen, das entsetzliche Geheimnis meiner Schwermut zu retten. (Barmherziger Gott, wie doch auch mein Vater in seiner Schwermut, entsetzliches Unrecht an mir getan hat – ein Kreis, der seine ganze Schwermut auf ein armes Kind ladet, um nicht von dem noch Furchtbareren zu reden, und doch bei alledem, der beste Vater.) Aber so wäre ich auch nicht der geworden, der ich geworden bin. Ich wäre gezwungen gewesen, entweder verrückt zu werden oder durchzudringen. Nun glückte es mir, einen Salto mortale in die reine Geistesexistenz hinauf zu machen. Aber so werde ich wieder völlig heterogen mit Menschen im allgemeinen. Was mir eigentlich mangelt, ist Leib und leibliche Voraussetzungen.
Was mein Leben so ungeheuer angestrengt gemacht hat, aber auch so voller Entdeckungen, ist, dass ich niemals im Endlichen zu etwas gezwungen worden bin, sondern unendlich die Entscheidung wählen musste. Aber daraus ist auch eine Schwierigkeit entstanden. Denn in den Entscheidungen des Geistes kann man sich frei entschließen, aber im Verhältnis zur Endlichkeit (z. B. leibliches Empfinden) soll man eigentlich gezwungen werden. Die endlichen Entscheidungen sind in gewissen Sinn zu wenig, um von der Unendlichkeit her zu Ihnen zu kommen –darum muss man gezwungen werden./ "Gezwungen werden" ist die einzige Hilfe in der Endlichkeit – die Wahl der Freiheit das einzig Rettende in der Unendlichkeit." (S.743/744)
Tagebuch-Austausch, 31. Oktober 1858.
Weißt du denn nicht, mein Kind, dass ich nur von dir – nur von dir abhänge? Dass die ernste Heiterkeit, mit der das dir gesamte Tagebuch abschloss, nur das Spiegelbild deiner, mir mitgeteilten, schönen Stimmung war? O, halte mich nicht für so groß, dass ich ganz für mich und aus mir sein könnte, was ich bin, und wie ich bin. Wie tief fühle ich dies jetzt. Von unsäglichen Weh und Jammer bin ich bis in das Innerste zerspalten; – ich habe deine Sendung erhalten, dein Tagebuch, deine Antwort gelesen! – Weißt du es denn wirklich noch nicht, wie ich nur von dir lebe? Glaubtest du es nicht, als ich noch kürzlich es dir sagen ließ? Dir gleich, deiner würdig zu sein, – das ist der Haft meines Lebens! Schelte mich nun nicht, wenn ich dir nun sage, dass ich eben ganz wie du bin, wie du empfinde, ganz deine Stimmung, dein feinstes Weh teile, nicht nur, weil es das deine ist, sondern weil es mir so klar und gewiss auch das meine ist! – Weißt du denn noch, wie wir uns schrieben, da ich in Paris war, und vereint gleichzeitig aus uns der Jammer hervor brach, nachdem wir, wie begeistert uns unsere Vorsätze mitgeteilt? So ist es noch! So wird es bleiben, immer und immer! – Alles ist Wahn! Alles Selbsttäuschung! Wir sind nicht gemacht, uns die Welt einzurichten. O du lieber, lauterer Engel der Wahrheit! Sei gesegnet für deine himmlische Liebe! [...] (S.780/81)
Einmal wurde in meiner Gegenwart die Frage gestellt, worin der höchste Genuss der Liebe bestände.
Jemand antwortete natürlich: im Empfangen – und ein anderer: in der Hingabe. – Jener sagte: Lust des Stolzes – und dieser: Wollust der Erniedrigung! All diese Schmutzfinken sprachen wie die Nachfolge Christi.– Schließlich fand sich ein schamloser Utopist, der behauptete, die größte Lust der Liebe sei: dem Vaterlande Bürger zu schenken / Ich aber sage: die einzige und höchste Wollust der Liebe liegt in der Gewissheit, das Böse zu tun. Und Mann und Weib wissen von der Geburt an, dass das Böse alle Wollust enthält. (S.782/83).
"Durch sein akademisches und literarisches Wirken sowie durch seine Konversion beeinflusste Newman das geistige Leben Englands und Europas im 19. und 20. Jahrhundert tief. Er gehört zu den Wegbereitern eines vor dem Wissenshorizont der Moderne verantworteten Katholizismus. Am 19. September 2010 wurde John Henry Newman selig- und am 13. Oktober 2019 heiliggesprochen." (Wikipedia) 8. Januar 1860
[...] Was ich als Protestant schrieb, hatte viel größere Kraft, Gewalt, Bedeutung und Erfolg als meine katholischen Werke, und das beunruhigt mich sehr…" (S.792)
Die Italiener gleichen einem Gärtner, der einen Baum in der Hand hält, und das Loch nicht hat, worin er ihn pflanzen soll. Das unermessliche Ereignis: Rom, zur Hauptstadt eines italienischen Reiches heruntergesetzt, Rom, die kosmopolitische Stadt seit 1500 Jahren, das moralische Zentrum der Welt, zum Sitz eines Königshofs geworden, wie alle anderen Hauptstädte, will mir gar nicht recht begreiflich sein. Ich ging mit diesen Gedanken durch Rom, und fand, dass man hier auf jedem Schritt nur Erinnerungen und Monumente der Päpste sieht, Kirchen, Klöster, Museen, Fontänen, Paläste, Obelisken mit dem Kreuz, die Kaisersäulen mit S. Peter und Paul auf ihren Gipfeln, tausend Bildsäulen von Päpsten und Heiligen [...], kurz ganz Rom, ein Monument der Kirche in allen ihren Epochen, von Nero und Constantin in bis zu Pius IX. Alles Zivile, Politische, Weltliche verschwindet darin, oder taucht nur auf als die graue Ruine einer Vorzeit, wo Italien nichts war, als eine Provinz von Rom, und die Welt nichts als eine Provinz von Rom. Die Luft Roms taugt nicht für ein frisch auflebendes Königtum, welches an seiner Residenz eines leicht zu behandelnden Stoffes bedarf, dem es sich schnell eindrücken kann, wie Berlin und Paris oder Petersburg. Der König von Italien wird hier nur die Figur machen, wie einer der Dacischen Kriegsgefangenen vom Triumphbogen des Trajan; größer wird er hier nicht aussehen.
Alles wird Rom verlieren, seine republikanische Luft, seine kosmopolitische Weite, seine tragische Ruhe." (S.793)
Über das Unfehlbarkeitsdogma: "Acron sagte mir, dass Hefele, der jetzige Bischof von Rottenburg, zu ihm geäußert habe: Deutschland werde in zwei Jahren protestantisch sein, wenn das Dogma durchgehen sollte. Die Jesuiten haben übrigens die Rechnung der Stimmen gemacht und gefunden, dass sie auf die große Mehrheit zählen können." (S.796)
Streit um Titel: Versailles, 17. Januar 1871
Ferner sagte er [Wilhem I.] in äußerste Aufregung, er könnte uns gar nicht schildern, in welcher verzweifelter Stimmung er sich befände, da er morgen von dem alten Preußen, an welchem er allein festhielte und fernerhin auch festhalten wolle, Abschied nehmen müsste. Hier unterbrachen Schluchzen und Weinen seine Worte. Nun redete ich ihm allen Ernstes gut zu, indem ich auf unserer Hausgeschichte hinwies, und kurz schilderte, wie aus dem Burggrafentum, die Kurwürde und aus dieser die Krone entstanden sei, wobei die Fürsten doch auch jedes Mal genötigt gewesen wären, zu der bis dahin liebgewordenen Stellung eine neue hinzuzufügen, ohne dadurch Land oder Haus zu schädigen. Wenn König Friedrich I seinerzeit auch nur ein Scheinkönigtum "in" Preußen geschaffen habe, so weise, doch die preußische Geschichte deutlich genug nach, was aus diesem ursprünglichen Scheinkönigtum geworden sei: so mächtig sei / es geworden, dass gegenwärtig die alte deutsche Kaiserwürde auf uns übergehe. Der König ließ diese doch unschlagbaren historischen Tatsachen förmlich zurück und rief in der Aufregung aus: "Mein Sohn ist mit ganzer Seele bei dem neuen Stand der Dinge, während ich mir nicht ein Haar breit daraus mache und nur zu Preußen halte." (S.823)
10.9.1900. "[...] Ich war unglaublich einsam. Mir schien, als gingen die Worte gar nicht auf mich zu, als liefen sie immer im Kreis, um die Lachenden herum. [...]
Aber das Ende war doch noch schön, und die Mädchen in Weiß haben das gemacht. Ich öffnete die Tür meines Zimmers, welches blau und kühl wie eine Grotte dunkelte. Ich stieß mein Fenster auf, und da kamen sie zu dem Wunder und lehnten hell in die Mondnacht hinaus, die ihre lachheißen Wangen umgab. Und nun sind sie hier alle so rührend in ihrem Schauen. Halb Wissende, dh. Maler, halb Unbewusste, dh. Mädchen. Erst fasste die Stimmung sie, der ganze Ton dieser Nebelnacht mit dem fast vollen Monde über den drei Pappeln, Diese Stimmung von mattem beschlagenen Silber, macht sie wehrlos und zwingt sie in das Mädchensein, in das dunkle, sehnsüchtige.… Dann gewinnt der Künstler in ihnen, Macht und schaut und schaut, und wenn er tief genug geworden ist, in seinem Schauen, sind sie wieder an der Grenze ihres eigenen Wesens und Wunders und gleiten leise wieder in Ihr Mädchenleben hinein. Darum schauen Sie immer lange in die Landschaft… Und so standen sie an meinem Fenster, und alle sie, die ich vor einer Weile nur ungern in meine Stube gelassen hätte, als ihre Lustigkeit sie verzerrt hatte, sie brachten jetzt ein Geheimnis herein mit dem, was sie lebten, und ich war Ihnen dankbar für Ihre Schönheit, die mein großes Fenster weiß, einfach umfasste. (S. 870)
Besuch bei Tolstoi 15.9.1900
Welche Freiheit war in mir, als wir mit zitternden Glocken durch die welligen Wiesen fuhren, zum ersten Mal in der russischen Landschaft reisend, ganz so wie Gogol und Puschkin gereist sind, laut mit läutenden Geschirren und galoppierenden Pferden. [...] ich bücke mich zu dem weißen Hund, und wie ich mich wieder erhebe, sehe ich hinter dem Glas, ungewiss und entstellt von den Fehlern der Scheibe, suchende Augen in einem kleinen greisen Gesicht. Die Tür geht auf, lässt dich herein und schlägt heftig gegen mich, so dass ich, erst als dich der Graf schon begrüßt hat, hinzukomme und nun auch vor ihm bin, etwas zu groß für mein Gefühlen neben seiner schmalen hellen Gestalt.
Er lässt uns mit [L. L]. allein und zieht sich nach diesem Empfang wieder in seine Arbeitsstube zurück. Dann gehe ich hinter euch die Holztreppe hinauf und trete in den überaus hellen Saal ein, in welchem die alten Ölbilder allein dunkel sind. [871/72] Wir sahen auf Bücher, die hinter Glas und auf Schränken lagen, versuchten verschiedene Portraits zu sehen, horchten aber doch nur auf den Schritt des Grafen, der im Flur erschien. Es war irgendetwas geschehen: Stimmen erregten sich, ein Mädchen weinte, der Graf tröstete, dazwischen vollkommen teilnahmslos, das Organ der Gräfin… Schritte auf den Treppen [872/723], alle Türen in Bewegung, und da tritt der Graf herein. Kalt und höflich fragt er dich irgendetwas, sein Auge ist nicht bei uns, nur sein Blick kommt zu mir und die Frage: 'Womit beschäftigen Sie sich?' Ich weiß nicht mehr, ich antwortete, scheint mir: 'Ich habe einiges geschrieben…" (S. 871-873).
"Sonntag nacht, 1. Juni 1907
[...]Sie ist müde. Vorige Nacht lag ich in ihren Armen – und heute Nacht hasse ich sie – was bei Licht besehen, so viel heißt, dass ich sie anbete: dass ich nicht in meinem Bett liegen kann, ohne den Zauber ihres Körpers zu fühlen, was bedeutet, dass das Geschlecht mir wie nichts erscheint. All diese so genannten sexuellen Triebe, fühl ich viel stärker bei ihr als bei irgendeinem Mann. Sie bezaubert und versklavt mich – Und ihr persönliches Selbst – ihren Körper vergötterte ich unbedingt. Ich fühle, wenn ich meinen Kopf auf ihre Brust lege, dass ich fühle, was das Leben geben kann. All meine Unruhe, meine elenden Ängste sind weggefegt. Weg sind alle Erinnerungen an Caesar und Adonis, weg ist die schreckliche Banalität des Lebens. Nichts bleibt als die Zuflucht ihrer Arme.
Und vor einer Woche hätte ich natürlich alles ertragen können, weil ich nie erfahren hatte, was leben und geliebt zu werden – leidenschaftlich anzubeten, wirklich bedeutet. Aber jetzt fühle ich, wenn sie mir versagt ist, muss ich – meine Seele geht auf die Straße, und erfleht Liebe von dem zufälligen Fremden, bittet und bettelt um ein bisschen von dem kostbaren Gift. Ich bin halb verrückt vor Liebe. Sie ist im Augenblick wirklich alles für mich – mehr sogar als meine Musik – und jetzt entschwindet sie. Vorgefühl ist zu Wirklichkeit geworden. Die Seifenblase hat ihren Ursprung aus dem Feenreich erwiesen – das ist wirklich meine letzte derartige Erfahrung – meine allerletzte. Ich kann es nicht länger ertragen; es tötet meine Seele; jedes Mal empfinde ich es tiefer, weil jedes Mal der Dolch frisch in die Wunde dringt und das Messer neues Fleisch verletzt und die Qualen in dem alten wieder aufstört.
Neben mir brennt, golden und blütenhaft, die stille Flamme / der Kerze; aber wenn ich hier lange genug sitze, wird sie flackern und vergehen. Und so ist das Leben und so – vor allem ist die Liebe – ein unfassbares, vorüber gleitendes fließendes Ding. Und ein dürrer und schrecklicher Pessimismus starrt mir ins Gesicht und ich klammere mich an alte Illusionen. Ich liebe Regenbogen und Kristallgläser. Der Regenbogen verblasst, und das Glas ist in tausend Diamantsplitter zersprungen. Wo sind sie verstreut, in der Unendlichkeit des Himmels, nach allen vier Windrichtungen – wohin?
In meinem Leben – so viele Liebe in der Fantasie, in Wirklichkeit 18 sterile Jahre – niemals ein reiner, unmittelbarer, zärtlicher Aufschwung. Adonis war – wenn ich tief in mein Herz hinein zu horchen, wage – nichts als eine Pose und nun kommt sie – und an sie geschminkt, ihre Hände umklammernd ihr Gesicht an den meinen bin ich ein Kind, eine Frau und mehr als ein halber Mann.
1. Juni
Und dann krochen Geräusche so nah heran, dass ich zurück ins Schlafzimmer ging und in der Dunkelheit mich aus dem Fenster beugte. Sie schlief friedlich. Ich konnte sie nicht wecken, ich versuchte sogar, aber vergeblich; und in jedem Augenblick schien mein Entsetzen zu wachsen. Sogar der Zaun im Hof war schreckerregend. Als ich auf die Pfähle starrte, wurden sie zu scheußlichen Chinesen – ganz lebendig und fürchterlich. Sie lehnten träge gegen nichts mit gekreuzten Beinen und wackelnden Köpfen. Es war schrecklich kalt. Ich lehnte mich weiter hinaus und beobachtete eine Gestalt. Er krümmte sich und schnitt Fratzen und schwankte hin und her – dann rollte sein Kopf unter das Haus – er rollte rundherum: ein schwarzer Ball – vielleicht eine Katze – und sprang in den Raum. Ich sah wieder auf die Gestalt– sie war gekreuzigt, hing leblos, aber grinsend vor mir. Tiefe Stille. Das war zu grässlich. Ich streifte mein Hauskleid und die Pantoffel ab und saß auf dem Bettrand, zitternd, halbweinend, hysterisch vor Kummer. Irgendwie wachte sie schweigend auf und rückte zu mir herüber – nahm mich wieder in den Schutz ihrer Arme auf. Wir legten uns, immer noch schweigend, zusammen hin, sie presste mich manchmal an sich, mich küssend, mein Kopf an ihrer Brust, ihre Hände um meinen Leib, mich liebevoll streichelnd /– mich wärmend, um mir wieder Leben zu schenken. Dann ihre Stimme, flüsternd, "Ist's jetzt besser, Liebling? Mit Worten konnte ich nicht antworten. Und wieder: "Du konntest es mir wohl nicht sagen." Ich schmiegte mich eng an ihren süßen, warmen Leib, glücklicher, als ich je gewesen bin, als ich mir je vorstellte, dass man es sein könnte – die Vergangenheit wieder begrabend, an ihr hängend, in dem Wunsch, die Dunkelheit möge ewig wären.
Niemals war das Besitzgefühl so stark, dachte ich. Hier kann nur ein einziger Mensch mit ihr sein. Hier kann ich durch tausend zarte Andeutungen ganz in ihr aufgehen – eine Zeitlang. Was für eine Erfahrung." (S.902-904)
Wikipedia: "[...]
Hesse siedelte Mitte April 1919 allein ins Tessin um. Er bewohnte zunächst ein kleines Bauernhaus am Ortseingang von Minusio bei Locarno und zog dann am 25. April nach Sorengo oberhalb des Muzzaner Sees in eine einfache Unterkunft weiter, die ihm von seinem Musikerfreund Volkmar Andreae, mit dem er seit etwa 1905[43] befreundet war, vermittelt worden war. Doch anschließend mietete er am 11. Mai 1919 in Montagnola, einem höher gelegenen Dorf südwestlich und nur unweit von Lugano, vier kleine Räume in einem schlossartigen Gebäude, der „Casa Camuzzi“, die sich im 19. Jahrhundert einer der Tessiner Baumeister in Gestalt eines neobarocken Palazzos errichtet hatte. Von dieser Hanglage aus („Klingsors Balkon“) und oberhalb des dichtbewachsenen Waldgrundstückes überblickte Hesse nach Osten den Luganersee mit den gegenüberliegenden Hängen und Bergen auf italienischer Seite. Die neue Lebenssituation und die Lage des Gebäudes inspirierten Hesse nicht nur zu neuer schriftstellerischer Tätigkeit, sondern als Ausgleich und Ergänzung auch zu weiteren Zeichenskizzen und Aquarellen, was sich in seiner nächsten großen Erzählung Klingsors letzter Sommer von 1920 deutlich niederschlug. Im Dezember 1920 lernte Hesse, ebenfalls im Tessin, Hugo Ball und dessen Gattin Emmy Hennings kennen.[44]"
1920: "Ach, zehn und mehr Tagebücher sollte ich zur Zeit führen! Drei, vier habe ich schon begonnen. Eines heißt Tagebuch eines Wüstling, eines Urwald der Kindheit, eines "Traumbuch". Dazu müsste ein Malertagebuch kommen, ein Musiktagebuch, eines über den alten Kampf zwischen Lebenstrieb und Todessehnsucht, ein Tagebuch des Selbstmörders, vielleicht auch ein Tagebuch der Besinnung, des Suchens nach Maßstäben: Anwendung des persönlich Gedachten auf Allgemeines, auf Natur, auf Politik, auf Geschichte auf Sprache. [...]
Und mit all diesen zehn Tagebüchern wäre ja nur erst notiert, nur erst die Mechanik des Schreibens erledigt! Noch nicht geschlafen und geträumt, noch nicht gemalt und musiziert, noch nicht Freundschaft, Liebe, Hunger, Geschlecht, Lebensfülle gelebt – nein, der Tag müsste tausend Stunden haben!
Man kann freilich Maß halten, man kann Technik und Ökonomie üben, kann beim Möglichen bleiben – aber jedes versuchte Maß ist gar so nah bei jenem Maß, mit dem die Schullehrer den Goethe messen – und ist es denn genug, ja ist es erlaubt, sich um Mögliches zu bemühen? Schon das kleinste Kunstwerkchen, eine Bleistiftskizze von sechs Strichen und ein Gedichtvers von vier Zeilen für sucht frech und blind das Unmögliche, geht aufs Ganze, will das Chaos in die Nussschale schöpfen. Und wenn die Gnade dabei war, gelingt es.
Das ist unser Künstlerleid. Ein Werk gestalten, geduldig, fleißig, liebevoll, ein Gedicht, ein Bild, einen Roman – Und daneben rollt die Welt, wird ständig stündlich reicher, voller, vielfältiger – [S.939/949] um weiter an der einen dünnen Melodie zu dichten, in der man doch, auch im besten Fall, kein Tausendstel des Gewollten einfängt! Furchtbar ist dieser Zwang zum Gestalten, furchtbar und herrlich, und wird von Mal zu Mal, von Versuch zu Versucht von Werk zu Werk, schwerer, verhängnisvoller, entsagungsreicher, wütender und glühender. Und dann das Ergebnis! Ich meine, nicht den Erfolg, das Urteil der anderen, den Beifall des Bürgers, den Brief des Backfischs – [...] sondern das tatsächliche Ergebnis, das Werk selbst [...]" (S.939/40)
Seit dem 21. September 1932 führte Jochen Klepper Tagebuch; ab Februar 1933 überschrieb er die Einträge oft mit den Losungen der Herrnhuter Brüdergemeine. Das gekürzte Tagebuch wurde 1957 von seiner Schwester Hildegard unter dem Titel Unter dem Schatten deiner Flügel herausgegeben, in mehr als 20 Auflagen wurden über 100.000 Exemplare gedruckt. [...] Ab 20. Mai 1939 wohnte die Familie in Nikolassee in dem von ihnen gebauten Haus in der Teutonenstraße 23. Seine ältere Stieftochter Brigitte hatte kurz vor Kriegsausbruch nach England ausreisen können. Am 25. November 1940 erhielt Klepper die Einberufung zur Wehrmacht und war vom 5. Dezember 1940 bis 8. Oktober 1941 Soldat. Er wurde in Polen und auf dem Balkan eingesetzt und nahm schließlich im Stab einer Nachschubeinheit der 76. Infanterie-Division, Heeresgruppe Süd, von Rumänien durch Bessarabien am Angriff auf die Sowjetunion teil.[9] Wegen seiner „nichtarischen Ehe“ wurde er im Oktober 1941 als „wehrunwürdig“ aus der Wehrmacht entlassen.
Ende 1942 scheiterte die Ausreise der jüngsten Tochter ins rettende Ausland, ihre Deportation stand unmittelbar bevor. Überdies musste Klepper nach einer persönlich erteilten Auskunft des Reichsinnenministers Wilhelm Frick davon ausgehen, dass Mischehen zwangsweise geschieden werden sollten und damit auch seiner Frau die Deportation drohte. Die Familie nahm sich in der Nacht vom 10. auf den 11. Dezember 1942 durch Schlaftabletten und Gas gemeinsam das Leben." (Wikipedia)
27.3.1933: Das stille Pogrom hat heut in der Legalisierung des Boykotts gegen jüdische Geschäfte, Richter, Anwälte, Ärzte, Künstler einen Höhepunkt erreicht. Was damit in jungen Juden an Hass gesät wird, muss furchtbar werden. Abbruch einer neuen Zeit? Zuckungen eines sterbenden Jahrtausends? Und oft berührt es mich stark, dass mein Leben in das sterbende Jahrtausend hineinwächst, mit ihm hingeht. Ja, es scheint mir ein Kernstück meiner Gedanken, meiner ganzen Geistes- und Seelenwelt zu sein, dass ich meine Zeit in diesem Sinne betrachten muss. –
Das Jüdische hat in meinem Leben zu weiten und tiefen Raum, als dass ich jetzt nicht all in all dem Guten, das immer noch über meinem eigenen Leben reichlich bleibt, sehr leiden müsste. Denn mir ist, als gäbe die Heilsgeschichte der Juden der Weltgeschichte, den Sinn. – [...]
9.12.1942: 'Wenn der Herr die Gefangenen Zions erlösen wird, so werden wir sein wie die Träumenden.'
Noch ein Tag so qualvollen Wartens. Und doch geht alles so rasch. – Abends die arme Hilde bei uns zur Testamentsbesprechung.
Hanni armes Herz trauert noch immer um 'Das ewige Haus'. Brigitte – Katharina
10.12.1942: Nachmittags die Verhandlung auf dem Sicherheitsdienst. Wir sterben nun – ach, auch das steht bei Gott – / Wir gehen heute Nacht gemeinsam in den Tod.
Über uns steht in den letzten Stunden das Bild des Segnenden Christus, der um uns ringt.
In dessen Anblick endet unser Leben." (S. 956/957)
St. Exupéry
La Marsa bei Tunis, Juli 1943
Zwei Milliarden Menschen hören nur noch auf den Roboter, werden selber zu Robotern. Alle Erschütterung der letzten dreißig Jahre haben lediglich zwei Ursachen: die Sackgassen, in die das Wirtschaftssystem des 19. Jahrhunderts führt, die geistige Verzweiflung… Die Menschen haben die Catesianischen Werte ausprobiert: außerhalb der Naturwissenschaften hatten sie kaum Erfolg damit. Es gibt nur ein Problem, ein einziges: es gilt wieder zu entdecken, dass es noch ein Leben des Geistes gibt, das höher steht als das Leben der Vernunft und das allein den Menschen zu befriedigen vermag. Das übersteigt noch das Problem des religiösen Lebens, das nur eine seiner Erscheinungsformen ist – wenn auch das Leben des Geistes vielleicht notwendig zu den anderen hinführt." (S.1003)
Sieh auch:
René Hocke: Im Schatten des Leviathan
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