London, den 5ten Oktober 1826
Ich habe eine sehr unglückliche Überfahrt gehabt. Eine bourrasque, die leidige Seekrankheit, 40 Stunden Dauer statt 20, und zu guter Letzt noch das Festsitzen auf einer Sandbank in der Themse, wo wir 6 Stunden verweilen mußten, ehe uns die Flut wieder flott machte, waren die unangenehmen événements dieser Reise. Ich weiß nicht, ob ich früher (es sind 10 Jahre seit ich England zum letztenmal verließ), alles mit verschönernden Augen ansah, oder meine Einbildungskraft seitdem, mir unbewußt, das entfernte Bild sich mit reizenderen Farben ausmalte – ich fand diesmal alle Ansichten, die wir von beiden Ufern erhielten, weder so frisch noch pittoresk als sonst, obgleich zuweilen doch herrliche Baumgruppen und freundliche Landsitze sichtbar wurden. Auch hier verstellt, wie im nördlichen Deutschland, das Lauben der Bäume gar oft die Landschaft, nur daß ihre Menge in den vielfachen Hecken, die alle Felder umgeben, und die Rücksicht, daß man ihnen wenigstens die äußersten Kronen und Wipfel läßt, den Anblick weniger trostlos machen, wie z. B. in dem sonst so schönen Schlesien. Unter den Passagieren befand sich ein Engländer, der erst kürzlich aus Herrnhut zurückkehrte, und auch das Bad von M... besucht hatte. Es divertierte mich sehr, ungekannt von ihm, seine Urteile über die dortigen Anlagen zu hören. Wie der Geschmack verschieden ist, und man daher bei nichts verzweifeln darf, kannst Du daraus abnehmen, daß dieser Mann jene düstern Gegenden ungemein bewunderte, bloß wegen der Immensität ihrer ›evergreen woods‹, womit er die endlosen monotonen Kieferwälder meinte, die uns so unerträglich vorkommen, in England aber, wo die Kiefern mühsam in den Parks angepflanzt werden, obgleich sie in der Regel schlecht gedeihen, eine sehr geschätzte Seltenheit sind. [...]
Den 7ten Oktober
Was Dich hier sehr ansprechen würde, ist die ausnehmende Reinlichkeit in allen Häusern, die große Bequemlichkeit der meuble, die Art und Artigkeit der dienenden Klassen. Es ist wahr, man bezahlt alles was zum Luxus gehört, (denn das bloß Notwendige ist im Grunde nicht viel teurer als bei uns) sechsfach höher, man findet aber auch sechsfach mehr comfort dabei. So ist auch in den Gasthöfen alles weit reichlicher und im Überflusse, als auf dem Kontinent. Das Bett z.B., welches aus drei übereinandergelegten Matratzen besteht, ist groß genug, um zwei bis drei Personen darauf Platz zu geben, und sind die Vorhänge des viereckigen Betthimmels, der auf starken Mahagoni-Säulen ruht, zugezogen, so befindest Du Dich wie in einem kleinen cabinet, ein Raum, wo in Frankreich jemand ganz bequem wohnen würde. [...]
Alles präsentiert sich so behaglich vor Dir, daß Dich sofort beim Erwachen eine wahre Badelust anwandelt. Braucht man sonst etwas, so erscheint auf den Ruf der Klingel entweder ein sehr nett gekleidetes Mädchen mit einem tiefen Knicks, oder ein Kellner, der in der Tracht und mit dem Anstand eines gewandten Kammerdieners respektvoll Deine Befehle entgegennimmt, statt eines ungekämmten Burschen in abgeschnittener Jacke und grüner Schürze, der mit dummdreister Zutätigkeit Dich fragt: ›Was schaffen's, Ihr Gnoden‹, oder: ›haben Sie hier geklingelt?‹ und dann schon wieder herausläuft, ehe er noch recht vernommen hat, was man eigentlich von ihm wollte. Gute Teppiche decken den Boden aller Zimmer, und im hellpolierten Stahl-Kamin brennt ein freudiges Feuer, statt der schmutzigen Bretter und des rauchenden oder übelriechenden Ofens in so vielen vaterländischen Gasthäusern. [...] die Dienerschaft ist stets da, wenn man sie braucht, und drängt sich doch nicht auf, der Wirt selbst aber erscheint gewöhnlich beim Anfang des dinner, um sich zu erkundigen, ob man mit allem zufrieden sei; kurz, man vermißt in einem guten Gasthofe hier nichts, was der wohlhabende gereiste Privatmann in seinem eignen Hause besitzt, und wird vielleicht noch mit mehr Aufmerksamkeit bedient. Freilich ist die Rechnung dem angemessen, und auch die waiters müssen ziemlich ebensohoch wie eigne Diener bezahlt werden. In den ersten Hotels ist ein Kellner, für seine Person allein, mit weniger als zwei Pfund Trinkgeld die Woche durchaus nicht zufrieden. Die Trinkgelder sind überhaupt in England mehr als irgendwo an der Tagesordnung, und werden mit seltner Unverschämtheit selbst in der Kirche eingefordert. [...]
Überdies macht das bequeme Gehen auf den vortrefflichen Londoner Trottoirs, die bunten fortwährend wechselnden Bilder in den Straßen und die vielen reichen Läden, welche die meisten zieren, die Spaziergänge in der Stadt, besonders bei Abend, für den Fremden sehr angenehm. Außer der glänzenden Gasbeleuchtung sind dann vor den vielen Apothekerläden große Glaskugeln von tief roter, blauer und grüner Farbe aufgehangen, deren prachtvolles Licht meilenweit gesehen wird, und oft zum Leitstern, aber auch zuweilen zum Irrstern dient, wenn man unglücklicherweise eines mit dem andern verwechselt. [...]
Wie hätte ich aber die City verlassen können, ohne ihren wahren lion (englischer Ausdruck für jedes Außerordentliche in seiner Art) ihren Beherrscher – mit einem Wort: Rothschild, besucht zu haben. Auch er bewohnt hier nur ein unscheinbares Lokal (denn im West End of the town befindet sich sein Hotel), und in dem kleinen Hof des comptoirs wurde mir durch einen Frachtwagen, mit Silberbarren beladen, der Eingang zu diesem Haupt-Alliierten der heiligen Allianz ziemlich schwierig gemacht. Ich fand den russischen Konsul daselbst, der eben seine Cour machte. Es war ein feiner und gescheiter Mann, der seine Rolle perfekt zu spielen, und den schuldigen Respekt cum dignitate zu verbinden wußte. Dies wurde um desto schwerer, da der geniale Selbstherrscher der City eben nicht viel Umstände machte, denn, nachdem er gegen mich, der ihm seinen Kreditbrief überreicht hätte, ironisch geäußert: wir wären glückliche reiche Leute, daß wir so umherreisen und uns amüsieren könnten, während auf ihm armen Manne Weltlasten lägen, fuhr er damit fort, sich bitter zu beklagen, daß kein armer Teufel nach England käme, der nicht von ihm etwas haben wolle. So habe noch gestern wieder ein Russe bei ihm gebettelt, eine Episode, die dem Gesicht des Konsuls einen bittersüßen Stempel aufdrückte, »und«, setzte er hinzu, »die Deutschen lassen mir vollends gar keine Ruhe!« Hier kam die Reihe an mich, gute contenance zu halten. Als sich nachher das Gespräch auf politische Gegenstände richtete, gaben wir beide gern zu, daß ohne ihn Europa nicht mehr bestehen könne; er lehnte es aber bescheiden ab, und meinte lächelnd: »Ach nein, da machen Sie nur Spaß, ich bin nichts mehr als ein Bedienter, mit dem man zufrieden ist, weil er die Geschäfte gut macht, und dem man dann aus Erkenntlichkeit auch was zufließen läßt.« Dies wurde in einer ganz eigentümlichen Sprache, halb englisch, halb deutsch, das Englische aber ganz mit deutschem Akzent, vorgetragen, jedoch alles mit einer imponierenden assurance, die dergleichen Kleinigkeiten unter ihrer Aufmerksamkeit zu finden scheint. Mir erschien gerade diese originelle Sprache sehr charakteristisch an einem Manne, dem man Genialität, und sogar einen in seiner Art großen Charakter gar nicht absprechen kann.
Pückler-Muskau: Briefe eines Verstorbenen, Dritter Teil [chronologisch der erste]
Pückler-Muskau: Briefe eines Verstorbenen, Dritter Teil [chronologisch der erste]
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