22 August 2014

Warwick Castle

Warwick den 28sten Dez. 1826
 Teuere Julie! 
Beim Himmel! diesmal erst bin ich von wahrem und ungemeßnem Enthusiasmus erfüllt. Was ich früher beschrieben, war eine lachende Natur, verbunden mit allem, was Kunst und Geld hervorbringen können. Ich verließ es mit Wohlgefallen, und obgleich ich schon Ähnliches gesehen, ja selbst besitze, nicht ohne Verwunderung. Was ich aber heute sah, war mehr als dieses, es war ein Zauberort, in das reizendste Gewand der Poesie gehüllt, und von aller Majestät der Geschichte umgeben, dessen Anblick mich noch immer mit freudigem Staunen erfüllt. Du erfahrne Historienkennerin und Memoirenleserin weißt besser als ich, daß die Grafen von Warwick einst die mächtigsten Vasallen Englands waren, und der große Beauchamp, Graf von Warwick, sich rühmte, drei Könige entthront, und ebenso viele auf den leeren Thron gesetzt zu haben. Sein Schloß steht schon seit dem 9ten Jahrhundert und ist seit Elisabeths Regierung im Besitz derselben Familie geblieben. Ein Turm der Burg, angeblich von Beauchamp selbst erbaut, hat sich ohne alle Veränderung erhalten, und das Ganze steht noch so kolossal und mächtig, wie eine verwirklichte Ahnung der Vorzeit da.
 Schon von weitem erblickst Du die dunkle Steinmasse [Bild], über uralte Zedern vom Libanon, Kastanien, Eichen und Linden, senkrecht aus den Felsen am Ufer des Avon, mehr als 200 Fuß hoch über die Wasserfläche emporsteigen. Fast ebenso hoch noch überragen wieder zwei Türme von verschiedener Form das Gebäude selbst. Der abgerissene Pfeiler einer Brücke, mit Bäumen überhangen, steht mitten im Fluß, der, tiefer unten, grade wo die Schloßgebäude beginnen, einen schäumenden Wasserfall bildet, und die Räder der Schloßmühle treibt, welche letztere, mit dem Ganzen zusammenhängend, nur wie ein niedriger Pfeilervorsprung desselben erscheint. Jetzt verlierst Du im Weiterfahren eine Weile den Anblick des Schlosses, und befindest Dich bald vor einer hohen krenelierten Mauer aus breiten Quadern, durch die Zeit mit Moos und Schlingpflanzen bedeckt. Die Flügel eines hohen eisernen Tors öffnen sich langsam, um Dich in einen tiefen, durch den Felsen gesprengten Hohlweg einzulassen, an dessen Steinwänden ebenfalls von beiden Seiten die üppigste Vegetation herabrankt. Dumpf rollt der Wagen auf dem glatten Felsengrunde hin, den in der Höhe alte Eichen dunkel überwölben. Plötzlich bricht bei einer Wendung des Weges das Schloß im freien Himmelslichte aus dem Walde hervor, auf einem sanften Rasenabhang ruhend, und zwischen den ungeheuren Türmen, an deren Fuß Du Dich befindest, verschwindet der weite Bogen des Eingangs zu dem Schein einer unbedeutenden Pforte. Eine noch größere Überraschung steht Dir bevor, wenn Du durch das zweite eiserne Gittertor den Schloßhof erreichst. Etwas Malerischeres und zugleich Imposanteres läßt sich beinah nicht denken! Laß Dir durch Deine Phantasie einen Raum hinzaubern, ungefähr noch einmal so groß als das Innere des römischen Colosseums, und versetze Dich damit in einen Wald voll romantischer Üppigkeit. [...]
Vor Dir jedoch erwartet Dich, wenn Du jetzt den Blick nach der Höhe erhebst, von allem das erhabendste Schauspiel. Denn auf dieser vierten Seite steigt aus einem niedrigen bebuschten Kessel, den der Hof hier bildet, und mit dem sich auch die Gebäude eine geraume Strecke senken, das Terrain von neuem, in Form eines konischen Berges steil empor, an dem die gezackten Mauern des Schlosses mit hinan klimmen. Dieser Berg, der ›Keep‹, ist bis oben dicht bewachsen mit Gesträuch, das jedoch nur den Fuß der Türme und Mauern bedeckt. Dahinter aber ragen, hoch über alle Steinmassen, noch ungeheure uralte Bäume hervor, deren glatte Stämme man wie in der Luft schwebend erblickt, während auf dem höchsten Gipfel eine kühne Brücke, auf beiden Seiten von den Bäumen eingefaßt, gleich einem hehren Himmelsportal plötzlich die breiteste, glänzendste Lichtmasse, hinter der man die Wolken fern vorüberziehen sieht, unter dem Schwibbogen und den dunklen Baumkronen durchbrechen läßt. Stelle Dir nun vor: diese magische Dekorationen auf einmal zu übersehen, verbinde die Erinnerung damit, daß hier neun Jahrhunderte stolzer Gewalt, kühner Siege und vernichtender Niederlagen, blutiger Taten und wilder Größe, vielleicht auch sanfter Liebe und edler Großmut, zum Teil ihre sichtlichen Spuren, oder wo das nicht ist, doch ihr romantisch ungewisses Andenken, zurückgelassen haben – und urteile dann, mit welchem Gefühl ich mich in die Lage des Mannes versetzen konnte, dem solche Erinnerungen des Lebens seiner Vorfahren durch diesen Anblick täglich zurückgerufen werden, und der noch immer dasselbe Schloß des ersten Besitzers der Veste Warwick bewohnt, desselben halb-fabelhaften Guy, der vor einem Jahrtausend lebte, und dessen verwitterte Rüstung mit hundert Waffen berühmter Ahnen in der altertümlichen Halle aufbewahrt wird. Gibt es einen so unpoetischen Menschen, in dessen Augen nicht die Glorie dieses Andenkens, auch den schwächsten Repräsentanten eines solchen Adels, noch heute umglänzte? [...]
War ich nun vorher, schon seit dem ersten Anblick des Schlosses, von Überraschung zu Überraschung fortgeschritten, so wurde diese, wenngleich auf andre Weise, fast noch in den Zimmern überboten. Ich glaubte mich völlig in versunkene Jahrhunderte versetzt, als ich in die gigantische baronial-hall trat, ganz wie sie Walter Scott beschreibt, die Wände mit geschnitztem Zedernholz getäfelt, mit allen Arten ritterlicher Waffen angefüllt, geräumig genug um alle Vasallen auf einmal zu speisen, und ich dann vor mir einen Kamin aus Marmor erblickte, in dem ich ganz bequem mit dem Hute auf dem Kopf, noch neben dem Feuer stehen konnte, das auf einem 300 Jahre alten eisernen, seltsam gestalteten Roste, von der Form eines Korbes, wie ein Scheiterhaufen aufloderte. Seitwärts war, der alten Sitte getreu, auf einer Unterlage, gleichfalls von Zedernholz, mitten auf dem steinernen Fußboden, den nur zum Teil verschossene hautelisse-Teppiche deckten, eine Klafter ungespaltenes Eichenholz aufgeschichtet. Durch einen in Braun gekleideten Diener, dessen Tracht, mit goldnen Kniegürteln, Achselschnüren und Besatz hinlänglich altertümlich aussah, wurde von Zeit zu Zeit dem mächtigen Feuer, vermöge eines drei Fuß langen Klotzes, neue Nahrung gegeben. Hier war überall der Unterschied zwischen der echten alten Feudalgröße, und der nur in moderner Spielerei nachgeahmten ebenso schlagend, als zwischen den bemoosten Trümmern der verwitterten Burg auf ihrer Felsenspitze, und der gestern aufgebauten Ruine im Lustgarten eines reich gewordnen Lieferanten. Fast alles in den Zimmern war alt, prächtig und originell, nirgends geschmacklos, und mit der größten Liebe und Sorgfalt unterhalten. Es befanden sich die seltsamsten und reichsten Zeuge darunter, die man jetzt gar nicht mehr auszuführen im Stande sein möchte, in einer Mischung von Seide, Samt, Gold und Silber, alles durcheinander gewirkt.
Pückler-Muskau: Briefe eines Verstorbenen

Warwick Castle als Touristenattraktion
Bildergalerie

Pückler Muskaus Reisebeschreibungen erschienen zwei Jahre vor dem ersten Baedeker-Reiseführer. Doch Karl Baedeker folgte seinerseits dem Vorbild des ersten Rhein-Reiseführers von 1827.

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