[...] An einer Stelle war der steile Abhang besonders dicht mit grünem, lockigem Baumlaub geschmückt. Durch künstliche Anpflanzung hatten sich hier infolge der Unebenheit des Abhanges der Nord und der Süd des Pflanzenreiches zusammengefunden. Eichen, Tannen, wilde Birnen, Ahorne, Kirschbäume und Schlehen, Kleebäume und von Hopfen umrankte Ebereschen kletterten, einander bald im Wachstum unterstützend und bald erstickend, die ganze Anhöhe von unten bis oben hinauf. Und oben am Scheitel mischten sich unter die grünen Baumwipfel die roten Dächer der Gutsgebäude, die Giebelbalken und Dachfirste der sich hinter diesen verbergenden Bauernhäuser und das Obergeschoß des Herrenhauses mit dem geschnitzten Balkon und dem großen halbrunden Fenster. Und über dieser Versammlung der Bäume und Dächer ragte mit ihren fünf vergoldeten, in der Sonne funkelnden Kuppeln die alte hölzerne Kirche. Auf jeder der Kuppeln erhob sich ein durchbrochenes goldenes Kreuz, von goldenen durchbrochenen Ketten gehalten, so daß man aus der Ferne funkelndes und glühendes Dukatengold frei in der Luft, von nichts gestützt, zu sehen glaubte. Und dies alles spiegelte sich mit nach unten gewendeten Wipfeln, Dächern und Kreuzen anmutig im Flusse, wo die unförmigen hohlen Weiden, von denen die einen am Ufer und die anderen im Wasser standen, in das sie ihre vom schleimigen Flußschwamm, der auf dem Wasser zugleich mit den gelben Seerosen trieb, umsponnenen Zweige und Blätter tauchten, dieses herrliche Bild zu betrachten schienen. Das Bild war sehr, sehr schön, doch die Aussicht von oben, vom Obergeschoß des Herrenhauses in die Ferne war noch schöner. Kein Gast, kein Besucher konnte auf diesem Balkon gleichgültig bleiben. Vor Staunen stockte ihm der Atem, und er rief bloß aus: »Gott, dieser schöne freie Raum!« Ohne Ende, ohne Grenzen dehnte sich die Ferne: hinter den mit Gehölz und Wassermühlen übersäten Wiesen grünten in mehreren Streifen die Wälder; hinter den Wäldern schimmerten durch die Luft, die allmählich neblig wurde, gelbe Sandflächen, und dann kamen wieder Wälder, aber schon so blau wie das Meer oder wie der sich weit ausbreitende Nebel. Und dann kamen wieder Sandflächen, immer blasser, aber immer noch gelb. Am fernen Horizonte erhob sich der Kamm eines Kreidegebirges, das auch bei trübem Wetter weiß schimmerte, wie von ewiger Sonne beleuchtet. [...]
Wer war aber der Bewohner und Besitzer dieses Gutes, [...] ?
Welchem Glücklichen gehörte dieser versteckte Besitz? [...]
Die Ansichten über ihn waren also gar nicht günstig. Doch unbefangen betrachtet, war er kein schlechter Mensch, er lief aber unnütz in der Welt herum. Da es wahrlich genug Menschen gibt, die unnütz in der Welt herumlaufen, warum sollte auch Tjentjetnikow nicht dasselbe tun? [...] eilte er wie alle ehrgeizigen Menschen nach Petersburg, wo bekanntlich die feurige Jugend aus allen russischen Gauen zusammenströmt – um zu dienen, zu brillieren, Karriere zu machen oder auch nur um den Rahm der farblosen, eiskalten, trügerischen gesellschaftlichen Bildung abzuschöpfen. [...]
Das ehrgeizige Streben Andrej Iwanowitschs wurde jedoch gleich am Anfang von seinem Onkel, dem wirklichen Staatsrat Onufrij Iwanowitsch gehemmt. Dieser erklärte, daß die Hauptsache eine gute Handschrift und nichts anderes sei und daß man ohne diese unmöglich Minister oder Staatsmann werden könne. Mit großer Mühe und dank der Protektion des Onkels bekam er endlich Stellung in irgendeinem Departement. Als man ihn in einen prachtvollen hellen Saal mit Parkettfußboden und lackierten Schreibtischen brachte, der den Eindruck erweckte, als säßen hier die ersten Würdenträger des Staates, die über das Schicksal des ganzen Reiches zu entscheiden hätten; als er Legionen hübscherschreibender Herren erblickte, die, den Kopf auf die Seite geneigt, mit ihren Federn einen großen Lärm machten; als man ihn selbst an einen Tisch setzte und beauftragte, irgendein Papier abzuschreiben, das zufällig einen ganz unbedeutenden Inhalt hatte – es war ein amtlicher Briefwechsel, der schon ein halbes Jahr währte und irgendwelche drei Rubel zum Gegenstand hatte –, da überkam den unerfahrenen Jüngling ein sehr merkwürdiges Gefühl: alle die Herren, die um ihn saßen, kamen ihm wie Schuljungen vor! Um diese Ähnlichkeit zu vervollständigen, lasen manche von ihnen dumme, aus fremden Sprachen übersetzte Romane, die sie in den großen Aktenbogen versteckt hielten; sie taten dabei so, als seien sie in ihre Arbeit vertieft und zuckten zusammen, sobald ein Vorgesetzter in den Saal trat. So seltsam kam ihm dies alles vor, so viel bedeutsamer erschien ihm seine bisherige Tätigkeit als diese neue, die Vorbereitung zum Staatsdienst schöner – als der Staatsdienst selbst! Er empfand Sehnsucht nach seiner Schule. [...]
Tjentjetnikow gewöhnte sich bald an den Dienst; dieser wurde ihm aber nicht zur Hauptsache und zum Lebensziel, wie er anfangs gehofft hatte, sondern zu einer Angelegenheit zweiten Ranges. Er diente ihm zur besseren Einteilung seiner Zeit, indem er ihn zwang, die ihm bleibenden freien Stunden besonders zu schätzen. Sein Onkel, der wirkliche Staatsrat, glaubte schon, daß aus seinem Neffen etwas Gescheites werden würde, doch der Neffe machte ihm einen Strich durch die Rechnung. Unter den Freunden Andrej Iwanowitschs, von denen er recht viele hatte, befanden sich zwei, die zu den sogenannten »verbitterten« Menschen zu zählen wären. Sie gehörten zu jenen unruhigen und seltsamen Charakteren, die nicht nur keine Ungerechtigkeit, sondern auch nichts, was ihnen als eine Ungerechtigkeit erschien, ruhig mitansehen können. Im Grunde gutmütig, doch in ihren Handlungen unordentlich, verlangten sie von den anderen jede Rücksicht, waren aber selbst unduldsam gegen alle anderen; durch ihre feurigen Reden und durch ihre edle Entrüstung gegen die Gesellschaft machten sie auf Tjentjetnikow einen starken Eindruck. Sie machten ihn nervös, weckten in ihm den Geist der Reizbarkeit und zwangen ihn, alle die Kleinigkeiten zu beachten, denen er früher auch nicht die geringste Beachtung geschenkt hatte. Fjodor Fjodorowitsch Ljenizyn, der Vorstand einer der Abteilungen, die sich im prunkvollen Saale befanden, mißfiel ihm plötzlich. Er fand an ihm plötzlich eine Menge Fehler. Es schien ihm, daß Ljenizyn sich bei den Gesprächen mit Vorgesetzten in ein Stück Zucker verwandelte und zu Essig werde, wenn sich an ihn ein Untergebener wandte; daß er nach Art aller kleinlichen Menschen gegen alle Beamten eingenommen sei, die an Feiertagen ihm nicht ihre Glückwünsche darbrachten, und an jenen Rache nehme, die ihre Namen nicht auf die beim Portier ausliegenden Gratulationslisten eintrugen; infolgedessen empfand er gegen ihn eine nervöse Abneigung. Ein böser Geist versuchte ihn, diesem Fjodor Fjodorowitsch eine Unannehmlichkeit zu bereiten. Mit besonderem Genuß suchte er nach einer Gelegenheit dazu, und er fand sie auch schließlich. Einmal hatte er mit ihm eine so heftige Auseinandersetzung, daß an ihn die Aufforderung erging, entweder Ljenizyn um Verzeihung zu bitten oder seinen Abschied zu nehmen. Er nahm seinen Abschied. Der Onkel, der wirkliche Staatsrat, kam zu ihm ganz erschrocken ins Haus und flehte ihn an: »Um Christi willen, Andrej Iwanowitsch! Was machst du für Sachen? Wie kann nur ein Mensch eine so glücklich angefangene Karriere aufgeben, bloß weil er einen Vorgesetzten bekommen hat, der ihm nicht paßt? Was fällt dir ein? Wenn man darauf sehen wollte, so bliebe bald niemand im Amte. Komme zu dir, gib deinen Stolz und Ehrgeiz auf, fahre zu ihm hin und setze dich mit ihm auseinander!«
»Es handelt sich nicht darum, Onkelchen«, sagte der Neffe. »Es würde mir nicht schwer fallen, ihn um Verzeihung zu bitten. Ich bin schuld: er ist mein Vorgesetzter, und ich habe mit ihm nicht so reden dürfen. Die Sache ist aber die. Mir steht ein anderer Dienst bevor: ich habe dreihundert Leibeigene, das Gut ist vernachlässigt, der Verwalter ein Dummkopf. Der Staat verliert nicht viel, wenn auf meinem Platze in der Kanzlei sich jemand anders hinsetzt, um die Papiere abzuschreiben; es ist aber für den Staat ein großer Verlust, wenn dreihundert Menschen keine Steuern entrichten. Ich bin – was glauben Sie wohl? – ein Gutsbesitzer, welcher ... der Dienst ... Wenn ich für die Erhaltung, Schonung und die Besserung der Lage der mir anvertrauten Menschen Sorge tragen und dem Staate dreihundert ordentliche, nüchterne, arbeitsame Untertanen liefere – ist dann mein Dienst weniger wert als der eines Abteilungsvorstandes Ljenizyn?« Der wirkliche Staatsrat riß vor Erstaunen den Mund auf. Einen solchen Redestrom hatte er nicht erwartet. Nach kurzer Überlegung begann er folgendermaßen: »Aber immerhin ... trotzdem ... wie kann man sich nur auf dem Lande begraben? Was für eine Gemeinschaft kann zwischen dir und den Bauern bestehen? ... Hier begegnet man auf der Straße mal einem General oder einem Fürsten. Du kommst auch selbst an einem ... vorbei ... nun, die Gasbeleuchtung, das industrielle Europa ... dort aber ist alles, was du siehst, entweder ein Bauer oder ein Bauernweib. Für welches Vergehen hast du dich zum lebenslänglichen Umgang mit dem rohen Volke verurteilt?« Alle diese überzeugenden Vorstellungen des Onkels machten auf den Neffen keinen Eindruck.
(Gogol: Die toten Seelen, 2. Teil, 1. Kapitel)
»Es handelt sich nicht darum, Onkelchen«, sagte der Neffe. »Es würde mir nicht schwer fallen, ihn um Verzeihung zu bitten. Ich bin schuld: er ist mein Vorgesetzter, und ich habe mit ihm nicht so reden dürfen. Die Sache ist aber die. Mir steht ein anderer Dienst bevor: ich habe dreihundert Leibeigene, das Gut ist vernachlässigt, der Verwalter ein Dummkopf. Der Staat verliert nicht viel, wenn auf meinem Platze in der Kanzlei sich jemand anders hinsetzt, um die Papiere abzuschreiben; es ist aber für den Staat ein großer Verlust, wenn dreihundert Menschen keine Steuern entrichten. Ich bin – was glauben Sie wohl? – ein Gutsbesitzer, welcher ... der Dienst ... Wenn ich für die Erhaltung, Schonung und die Besserung der Lage der mir anvertrauten Menschen Sorge tragen und dem Staate dreihundert ordentliche, nüchterne, arbeitsame Untertanen liefere – ist dann mein Dienst weniger wert als der eines Abteilungsvorstandes Ljenizyn?« Der wirkliche Staatsrat riß vor Erstaunen den Mund auf. Einen solchen Redestrom hatte er nicht erwartet. Nach kurzer Überlegung begann er folgendermaßen: »Aber immerhin ... trotzdem ... wie kann man sich nur auf dem Lande begraben? Was für eine Gemeinschaft kann zwischen dir und den Bauern bestehen? ... Hier begegnet man auf der Straße mal einem General oder einem Fürsten. Du kommst auch selbst an einem ... vorbei ... nun, die Gasbeleuchtung, das industrielle Europa ... dort aber ist alles, was du siehst, entweder ein Bauer oder ein Bauernweib. Für welches Vergehen hast du dich zum lebenslänglichen Umgang mit dem rohen Volke verurteilt?« Alle diese überzeugenden Vorstellungen des Onkels machten auf den Neffen keinen Eindruck.
(Gogol: Die toten Seelen, 2. Teil, 1. Kapitel)
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