"[...] Dem Zarathustra-Ton bin ich sofort und, wie sich dann herausstellte, für immer verfallen. Zum Beispiel: „Das Nachtlied. Nacht ist es: nun reden lauter alle springenden Brunnen. Und auch meine Seele ist ein springender Brunnen.“ Daraus wurde bei mir immerhin ein Romantitel. Alles, was Zarathustra singt und sagt, ist feierlich, anmaßend, betörend, zärtlich, rücksichtslos, verletzend, heilend. Was Zarathustra singt und sagt, ist, was du brauchen kannst. Das ist die wirkliche Kraft dieser Dichtung, du kannst damit machen, was du kannst. Du kannst bloß genießen. Du kannst dich erheben lassen in Höhen, in denen du nicht zuhause bist. Du kannst diese Sprache nicht lesen wie eine Mitteilung. Zarathustra ist ein großer Tänzer, und du bist unwillkürlich aufgefordert, mitzutanzen. [...]
Der Autor, der mir am meisten galt, verkündet: Gott ist tot. Ich hatte immer das Gefühl, dieser Satz sei unter Nietzsches Niveau. Dass Nietzsche bisweilen lustvoll unter seinem Niveau agiert, wusste ich ja. Trotzdem: gottlos!? Das war doch zu simpel für diesen Ausbund der Feinheit. Also: Gott ist tot als eine Verlegenheit bis zu dem Tag, an dem ich Karl Barths Buch „Der Römerbrief“ las. Ein Buch, das in der Welt des Gedruckten nur eine Verwandtschaft hat: Nietzsches „Zarathustra“.
Es scheint mir erwähnenswert zu sein, dass beide, Nietzsche und Karl Barth, Pfarrerssöhne sind. Und dass Gott tot sei, heißt bei Karl Barth: „ Als der unbekannte Gott wird Gott erkannt ... Als der, an den man nur ohne Hoffnung auf Hoffnung glauben kann.“ Und glauben, heißt es auch bei ihm, ist „der Sprung ins Leere“.
Beide, Nietzsche und Karl Barth, kennen keine datierbare, erreichbare Zukunft.
Und das ist der andauernde Zarathustra-Refrain: „Euren höchsten Gedanken aber sollt ihr euch von mir befehlen lassen: der Mensch ist etwas, das überwunden werden muss.“ Mir wurde durch die spürbare Nähe der Pfarrerssöhne die Gottlosigkeit Nietzsches neu erlebbar. [...]"
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