Wie ganz Abdera vor Bewunderung und Entzücken über die Andromeda des Euripides zu Narren wurde. Philosophisch-kritischer Versuch über diese seltsame Art von Phrenesie, welche bei den Alten insgemein die Abderitische Krankheit genannt wird, – den Geschichtschreibern ergebenst zugeeignet.
Als der Vorhang gefallen war, sahen die Abderiten noch immer mit offnem Aug und Munde nach dem Schauplatze hin; und so groß war ihre Verzückung, daß sie nicht nur ihrer gewöhnlichen Frage: Wie hat Ihnen das Stück gefallen? vergaßen, sondern sogar des Klatschens vergessen haben würden, wenn Salabanda und Onolaus (die bei der allgemeinen Stille am ersten wieder zu sich selbst kamen) nicht eilends diesem Mangel abgeholfen, und dadurch ihren Mitbürgern die Beschämung erspart hätten, gerade zum ersten Male, wo sie wirklich Ursache dazu hatten, nicht geklatscht zu haben. [...]
Wenn der Rat nicht (wie so viele andre, die uns von den Weisen gegeben werden) den einzigen Fehler hätte – daß er nicht praktikabel ist, so würden wir eilen was wir könnten, allen Menschen den Rat zu geben: «niemals von irgend einer Begebenheit, die ihnen erzählt wird, ein Wort zu glauben». Denn unzählige Erfahrungen, die wir hierüber seit mehr als dreißig Jahren gemacht, haben uns überzeugt, daß an solchen Erzählungen ordentlicher Weise kein Wort wahr ist; und wir wissen uns in ganzem Ernste nicht eines einzigen Falles zu besinnen, wo eine Sache, wiewohl sie sich erst vor wenigen Stunden zugetragen hatte, nicht von jedem, der sie erzählte, anders, und also (weil doch ein Ding nur auf Eine Art wahr ist) von jedem falsch erzählt worden wäre. Da es diese Bewandtnis mit Dingen hat, die zu unsrer Zeit, an dem Ort unsers Aufenthalts, und beinahe vor unsern sichtlichen Augen geschehen sind: so kann man leicht ermessen, wie es um die historische Treue und Zuverlässigkeit solcher Begebenheiten stehen müsse, die sich vor langer Zeit zugetragen, und für die wir keine andre Gewähr haben, als was uns davon in geschriebenen oder gedruckten Büchern vorgespiegelt wird. [...]
(Wieland: Die Abderiten, 3.Buch, 12. Kapitel)
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