Raabe berichtet über die Schrecken de 7-jährigen Krieges; doch er versteht es, trotz durchaus realistischer Schilderung einzelner Vorgänge den Leser in so weitem Abstand von den handelnden und vom Geschehen betroffenen Personen fernzuhalten, dass er Grausamkeiten, Gefahren, Ängste und Verzweiflung gleichsam vom Lehnstuhl am Kamin zur Kenntnis nehmen kann, aber nicht ins Geschehen hineingezogen wird.
Das beginnt schon damit, dass er in einer schier endlos langen Einleitung die Hauptperson, den Magister Buchius als einen der Unwichtigsten eines umfassenden historischen Vorgangs einführt.
Außerdem betont er fortwährend, dass seine Schüler und seine Kollegen ihn nicht ernst genommen haben, ohne nur an einer einzigen Situation den Leser mitfühlen zu lassen, weshalb er darunter so gelitten hat, dass er immer wieder aus der Schule in den Wald geflohen ist, um sich vor seiner Umwelt sicher zu fühlen.
Weitere Techniken, dem Leser einen beruhigenden Abstand vom Geschehen kann man im Text in großer Zahl nachweisen.
Volltext
Ausschnitte:
1. Kapitel
Die Äbte von Amelungsborn
[...] Herrn Theodoro folgte auf dem jetzt ziemlich unbehaglichen Stuhl noch Dr. Statius Fabricius, der im Grunde als der letzte wirkliche Abt von Amelungsborn zu rechnen ist; denn nach ihm hatte das herzogliche Konsistorium zu Wolfenbüttel einen der Zeitenklemme angemessenen Gedanken. Es schlug zwei schwarze Brummer mit einer Klappe. »Wozu brauche ich noch einen Abt zu Amelungsborn, wenn ich schon einen Generalsuperintendenten zu Holzminden sitzen habe?« fragte es, – und: »Dich will ich belehnen mit Ring und mit Stabe, Dein Vorfahr besteige den Esel und trabe«, summte es noch vor Gottfried August Bürger, und Herr Hermannus Topp rückte als der erste Generalsuperintendent in Holzminden und Abt von Amelungsborn auf die Prälatenbank der Lande Braunschweig-Wolfenbüttel. [...]
Er war ein Mann der Ordnung, dieser Klosteramtmann von Amelungsborn; aber halte einmal einer Ordnung im Hause in Zeiten wie die eben vorhandenen! [...]
2. Kapitel
Magister Noah Buchius
[...] Für's erste haben wir es vor allen Dingen mit dem Magister Noah Buchius zu tun, den die Klosterschule bei ihrer Auswanderung allein zurückgelassen hatte auf dem Auerberge, wie man beim Auszug, halb des Spaßes wegen, einen alten, zerrissenen Rock am Nagel, einen alten, bodenlosen Korb im Winkel, ein altes, vermorschtes Faß im Keller zurückläßt, und das alles dem von seinen Nachfolgern schenkt, der es haben will oder es mit in den Kauf nehmen muß. Der Amtmann hatte den letzten Magister von Amelungsborn mit in den Kauf zu nehmen, nur auf allerhöchsten Spezialbefehl von Braunschweig aus, auf Gutachten herzoglichen Consistorii zu Wolfenbüttel. Wir aber heute, wir würden wohl nicht nach dem Herrn Amtmann in die Tage der Vergangenheit zurück gehorcht haben, wenn dem nicht so der Fall gewesen wäre. Wir haben dann und wann eine Vorliebe für das, was Abziehende als gänzlich unbrauchbar und im Handel der Erde nimmer mehr verwendbar hinter sich zurückzulassen pflegen. Wir nehmen manchmal das auch etwas ernster, was die Menschheit in ihrer Tagesaufregung nur für einen guten Spaß hält. O, wir können sehr ernsthaft sein bei Dingen, die den Leuten höchst komisch vorkommen. [...]
Wenn
er ein Held war, so war er ein vollkommen passiver; und diese pflegen
es dann und wann vor allen anderen Menschenkindern zu einem hohen
Alter zu bringen, wenn auch nicht immer zu einem gesegneten.
Dreißig
Jahre Schuldienst als der Sündenbock und Komikus der Schule! Der
gute Mann mit dem ernsthaften Kinderherzen! Der von Mutterbrüsten an
alte Mann mit der scheuen, glückseligen Seele der guten Kinder!
Wer
in Kloster Amelungsborn hätte ihn missen mögen, da er einmal da
war? Wer hätte nicht sein Behagen an ihm genommen? Wer hätte nicht
seinen Ärger oder seinen Witz an ihm ausgelassen, und zwar ohne sich
vorher nach seinen Stimmungen für beides ein wenig umzusehen? Im
Lehrerkonvent wie im gesamten Cötus wußten sie, was sie an ihm
hatten und wußten ihn danach zu schätzen. [...]
3.
Kapitel
[...]
Ein trüber Tag des Novembers Siebenzehnhunderteinundsechzig neigte
sich seinem Ende zu, als sie auf der alten Köln-Berliner Landstraße
zusammentrafen, der Klosteramtmann von Amelungsborn und sein
Hausgenosse, der Magister Buchius, der Ex-Kollaborator am alten Ort
der alten Klosterschule. [...]
Vom
Südwesten her über den Solling stieg es schwarz herauf
in
den düstern Abendhimmel. Nicht ein finsteres Sturmgewölk, sondern
ein Krähenschwarm, kreischend, flügelschlagend, ein unzählbares
Heer des Gevögels, ein Zug, der nimmer ein Ende zu nehmen schien.
Und vom Norden, über den Vogler und den Ith zog es in gleicher Weise
heran in den Lüften, wie in Geschwader geordnet, ein Zug hinter dem
anderen, denen vom Süden entgegen.
»Ich
bitte Ihn, Herr,« rief der Amtmann. »Sie fliegen wohl ihrer Natur
nach zu Haufen; aber hat Er je dergleichen Vergadderung des Gezüchts
wahrgenommen?«
»Wahrlich
nicht! O sehe der Herr doch, es ist, als würden sie von
kriegserfahrenen Feldherren geführt. Sie halten an. Sie schwenken
wie zur Schlachtordnung ein. Sie rüsten sich wie zur Bataille.«
»Bei
uns! Herr, bei uns! Dort über dem Odfelde, über dem Quadhagen! So
sehe Er doch, sehe Er doch, Magister! Soll man denn hier seinen
leiblichen Augen trauen dürfen? Sie fahren wahrhaftig auf sich los,
sie brechen aufeinander ein, dort dem Quadhagen zu und über dem
Odfelde!« [...]
Der
Magister hatte nicht den kleinsten Augenblick Zeit für seinen
hochgewaltigen Haus- und Brotherrn übrig. Seine Aufmerksamkeit war
ganz allein auf diese mirakulöse Schlacht der Raben, der Vögel
Wodans, über Wodans Felde, über dem Odfelde, gerichtet. Mit
erhobenen Armen und Stock focht er die Schlacht mit. In seinem
gelehrten Gehirn drehte es sich im Tummel wie dort in den Lüften
dem Mons
Fugleri zu.
Armin und Germanicus, Sachse und Franke, die Liga und der Schwed' sie
lagen sich, in einen Knäuel verbissen, wiederum im Haar im Gau
Tilithi, dem Ithgau, und der Magister Noah Buchius war von seiner
Schule hinter sich gelassen worden, hatte so lange das Leben gehabt,
um dieses Portentums mit eigenen Augen und bei vollen, klaren übrigen
Sinnen teilhaftig zu werden, und die Anwendung daraus zu ziehen für
den eben vorhandenen Tag und die gegenwärtigen schrecken- und
sorgenvollen Zeitläufte.
Es
wäre sicherlich aber auch für den nüchterneren und in den exakten,
den empirischen Wissenschaften besser beschlagenen Menschen des
neunzehnten Jahrhunderts dieser Luftkampf nicht ohne Interesse
gewesen und es hätte sich für ihn, wenn er den schreibenden Ständen
angehörte, wohl verlohnt, einen Artikel darüber an die nächste
Zeitung einzusenden und ornithologische Aufklärung in der Sache zu
erbitten. Wir aber halten
uns
mit dem letzten gelehrten Erben der Cistercienser von Amelungsborn
einzig an das Prodigium, das Wunderzeichen, und danken für alle
fachwissenschaftliche Belehrung: wir lassen uns heute noch gern da an
den Zeichen in der Welt genügen, wo besser Unterrichtete ganz genau
das – Genauere wissen. [...]
Der
Magister, immerfort aufwärts in das schaurige Luftkriegsspiel
starrend – zuckte die Achseln. Zugleich aber griff er zu und hielt
den Stockschlag auf, den der Klosteramtmann nach einem der aus der
Schlacht herabgestürzten und verwundet vor seinen Stiefeln
flatternden Kämpfer tun wollte. [...]
Wodurch schafft der Erzähler Abstand von seinem Gegenstand, dem 7-jährigen Krieg?
Wodurch schafft der Erzähler Abstand von seinem Gegenstand, dem 7-jährigen Krieg?
4.
Kapitel
Die
Unglückskrähe
[...] Der
Magister hielt seinen Gehstock unterm Arm und den schwarzen, leise
zappelnden und erschöpft sich wehrenden Streiter zwischen beiden
Händen, behutsam und mit allem Mitleid gegen die Kreatur,
betrachtend vor sich. Nun zog er sein Sacktuch und an den geschickten
Griffen, mit welchen er den Vogel hineinband, erwies sich
einleuchtend, daß er nicht nur aus seinen Büchern, sondern auch von
seinen Scholaren etwas gelernt habe; daß er nicht umsonst an einer
hohen Wald- und Wildnisschule zum Katheder hinan- und von demselben
herabgestiegen war.
Der
Amtmann sah seinem Beginnen anfangs verwundert stumm, sodann aber mit
ängstlich-unwilliger Remonstranz zu und meinte zuletzt:
»Er
wird mir doch das Untier nicht gar mit sich nach Hause schleppen
wollen?«
»Ich
möchte es wohl, mit des Herrn Amtmanns gütiger Permission. Sei
es ad
memoriam dieses
seltsamen Abends sei es zur Genossenschaft in der Einsamkeit der
Winterstube.« [...]
5.
Kapitel
Sie
blickten alle auch dem Magister nach, wie er seiner Tür zustapfte,
die nicht in das Amts- und Wirtschaftsgebäude führte, sondern in
den Flügel des Klosters, der einst hauptsächlich der berühmten
Schule und ihren Lehrern Unterkunft gegeben hatte. Bemerkungen
machten sie nicht hinter ihm drein, sie schüttelten höchstens die
Köpfe. [...]
8.
Kapitel
Monsieur
Thedel von Münchhausen
[...]
Monsieur
Thedel von Münchhausen, der neuen Hohen Schule zu Holzminden erster
– »noch zu Amelungsborn oft genug verwarneter« – Relegatus!...
Ach, der Magister Buchius kannte ihn schon!... Daß er, Monsieur
Thedel, der tolle Thedel, die Gegend zwischen der Weser und der
Homburg auch bei Nacht kannte, das war diesmal wirklich sein Glück.
Wäre es bei Tage gewesen, so hätte man es ihm wohl angesehen, daß
ihm das Gezweig im Dickicht häufig genug den Hut vom Kopfe gestoßen
habe, daß er nicht selten der ausgefahrenen Heerstraße aus dem Wege
gegangen sei und einen Umweg durch die Wildnis nicht gescheut habe,
um einem unnötigen oder gar niederträchtigen Aufenthalt auf seinem
Marsche auszuweichen. Mehr denn einmal hatte ihn das Marodevolk von
Auvergne, Pikardie oder hatten ihn welche von den Freiwilligen von
Austrasien zum Führer brauchen wollen; doch auf die Gefahr hin, am
nächsten Baum zu baumeln, war er den Zumutungen entgangen. Auf
Stunden Weges wenigstens hatte er, wie er vermeinte, den Herrn Herzog
von Broglio hinter sich gelassen und seine blauen, weißen und gelben
Dragoner oft recht nahe auf den Fersen gehabt. Wie konnte der
holzmindensche Schüler genau wissen, wo der große französische
Oberfeldherr in diesen Tagen sich persönlich aufhielt? Hinter Lobach
unter dem Eberstein hatte er aber seinetwegen jeden gebahnten Weg
ganz aufgegeben und sich ganz im Walde verloren. Verloren? Das nun
wohl nicht im wörtlichsten Sinne des Wortes. Dazu kannte er –
leider Gottes – das Revier zu gut als der schlimmste nächtliche
Wilderer der Sekunda und der Prima der frommen und hochgelahrten
Klosterschule von Amelungsborn. Daß er dem Strick des Herrn Generals
von Poyanne entging, war eigentlich gar kein Wunder, da ihn
seinerzeit die Büchsenkugeln der Herzoglich Braunschweigischen
Kammerförster der ganzen lustigen grünen Wildnis auch höchstens
nur geschrammt hatten. [...]
Herr Thedel von Münchhausen ging lieber auch um Negenborn herum,
eben wegen zu guter Bekanntschaft mit dem Förster dort, und schlug
sich rechts durch den Wald, in welchem er von hier an jeden Baum,
Stein, Stock, Stuken und Erdfall so genau kannte wie nur irgend
Fuchs, Dachs, Hirsch, Reh und Wildschwein, sowie herzogliche
grünröckige Beamtenschaft im Revier. So kam er ein wenig außer
Atem und mit fressendem Hunger, aber bei sonst gesunden Gliedmaßen
an auf dem südlichen Rande des Hooptals gegenüber dem Küchenbrink
und Auerberge und saß, mitten in der Novembernacht den Schweiß von
der Stirn mit dem Ärmel trocknend, einen Augenblick auf einem Stein
und meinte: »Guck, er hat immer noch Licht!« Nach dem kurzen
Augenblick des Verschnaufens nun hinunter zum Forstbach und auf der
andern Seite des Tals wiederum in die Höhe, den steilen Abhang
empor, zu dem Lichtschein aus der Zelle des Bruders Philemon und des
Magisters Noah Buchius! Auch da ging am Gestein und im Gestrüpp ein
Schlupfweg, den nicht alle Leute im Kloster so gut kannten wie der
Junker Thedel von Münchhausen, welcher aber sicher doch schon seit
manchem lieben Jahrhundert von Geschlecht zu Geschlecht durch die
Leute von Amelungsborn hinter der Hand zu nützlicher Kenntnis
weitergegeben worden war. »Der Schrecken, wenn ich ihn jetzt von
hier aus auf sein: Qui vive? anschriee: France!« lachte der wilde,
junge, nächtliche Wanderer, die flache Hand an die Mauern von
Kloster Amelungsborn legend. »Aber wissen möchte ich wohl, wie spät
es eigentlich am Tage ist. O Selinde, Selinde, du wirst nicht mehr
Licht haben wie der Magister! Mein Herz, ach, wenn du wüßtest, wer
jetzo hier um die Mauern schleicht!« Er schlich oder tastete in
Wahrheit jetzt die Mauer des Klosters entlang. Wo andere um diese
dunkle Stunde Hals und Beine gebrochen haben würden, ging er sicher
wie – ein Nachtwandler. Jawohl, es war auch nicht das erstemal, daß
er auch hier über dem Hooptal verbotene Wege gewandelt war. Der
Baumast, der dort, wo die Gebäude zu Ende sind und die Hofmauer
anfängt, an diese Mauer reicht, hängt seit der Tertia seiner
nächtlichen Abenteuer voll. Er reitet auf diesem Ast, als der erste
Hund von Amelungsborn seine Visite merkt und anschlägt. Und – bum
– bum – bum, da ist auch die Turmuhr. Wie dem Magister Buchius
zählt sie dem Junker Thedel von Münchhausen die elfte Stunde des
Abends zu; aber dem Junker fehlt freilich die Muße, die feierlichen,
langsamen Schläge gelassen nachzuzählen. »Verfluchte Köter!«
murmelte er auf seinem Zweige zwischen den Zähnen. »Das ganze Nest
machen sie mir rebellisch! Da hätte ich ebensogut morgen früh mit
dem Herrn Marquis von Poyanne einrücken können! O Selinde,
Mademoisell Selinde, mein Stern, meine Fackel, mein Herzbrand!« Und
trotz allem Gekläff und Gebelfer in allen Tonarten der Hundekehle
aus allen Gehöften der weiland Brüder Zisterzienser mit einem
letzten Schwung vom Ast auf die Mauer! Erst rittlings da und dann mit
beiden Beinen in den Klostergarten hinunter baumelnd:… [...]
Der
Hund, der den Alarm gegeben hatte, stand innerhalb des umfriedeten
Bezirks mit den Vorderpfoten hochaufgerichtet an der Mauer und
blaffte immer wütender zu dem nächtlichen Eindringling empor.
»Kotz
Blitz,« rief dieser. »Ich bin's, Erdmann! Pfü–it!« Und ein
langgezogener Pfiff verwandelte das Gebell des treuen Wächters
zuerst in ein erstauntes Schweigen, sodann in ein zärtlich Winseln
und freudig Hin- und Herspringen. Schon stand der Schüler unten im
Hof –
»Hund!
Spitzbube, hab' ich dich!« schrie's ihm im Ohr, und ein schwerer
Prügel wurde ihm um den Kopf geschwungen.
»Diesmal
bin ich's noch einmal, Heinrich!« flüsterte der Junge lachend.
»Hand vom Kamisol; und – wer ist außer dir noch wach zu
Amelungsborn?«
»Herr
Gott, unser Musjeh Thedel!« stammelte der Knecht Heinrich Schelze.
»Der Herr Junker von Münchhausen. I du meine Güte – nu, nu, –
also noch einmal so mitten in der Nacht? Ach je, ach herrje!«
»Kerl,
so bring' doch zuerst die andern verdammten Bestien zur Ruhe. 's ist
doch nicht das erstemal, daß wir uns so treffen hier an der Mauer?
Diesmal aber habe ich nicht die Förster, sondern die Franschen auf
den Hacken. Und der Herzog Ferdinand ist über die Weser, und ich bin
auf dem Wege zum Herzog Ferdinand –.«
»Auch
der!« murmelte der Knecht. [...]
Was erfahren wir über den Junker? Was hat er mit dem Krieg zu tun? Womit vergleicht er den Krieg?
Was erfahren wir über den Junker? Was hat er mit dem Krieg zu tun? Womit vergleicht er den Krieg?
9. Kapitel
[...]
Thedel von Münchhausen zuckte greinend die Achseln:
[...]
Ach ja, was ganz Besonderes ist nicht weiter vorgefallen, das Faß
ist übergelaufen und damit basta. Sie haben mir in Zärtlichkeit
geraten, nunmehro das Vaterland nicht länger warten zu lassen,
sondern zum Kalbfell zu schwören, wie es mir in der Wiege gesungen
worden sei, und zumal da der Herr Vormund in Wolfenbüttel ja selber
dazu rate. Daß sie mir mit dem Herrn Vormund und Oheim rieten, doch
meinen Herrn Vetter von Bodenwerder unter den hannöverschen Jägern,
den hohen Alliierten und dem Herzog Ferdinand aufzusuchen, das traf
wohl meine Meinung auch; aber – ohne meine Sehnsucht nach Ihm, Herr
Magister, hätte ich sie doch noch einmal persuadiert, es noch
einmal, zum allerletztenmal mit der lateinischen Stallfütterung bei
mir armen Corydon zu probieren. Aber das Verlangen nach dem Herrn
Magister –«
»Nach mir?« rief der gute alte Herr, die magern Hände zusammenschlagend. »O Theodorice, Theodorice, Er wird wohl noch auf Seinem Sterbebette Seinen Jokus treiben wollen! Ist denn dies eine Zeit zum Scherzen? So nehme Er jetzo doch für eine Viertelstunde Vernunft an und rede Er verständig, Monsieur. Er siehet doch meinen Kummer um Ihn, und – wir sind hier nicht mehr auf der Großen Schule zu Kloster Amelungsborn – sondern nur in der Kammer des alten, verbrauchten, unnützen Buchius, und – morgen früh ruft weder Ihn noch mich die Glocke zu den Lektionen, und Er hat an mir keine Materia mehr, sich zu präparieren zu einem neuen Spaß, mit dem Er die Herren Kommilitonen über den närrischen Magister Buchius zum Lachen bringen möchte!«
Dies kam nun in einer Weise zum Vorschein, die den jungen Menschen vollständig duckte. Es war keine Dumme-Jungen-Komödie in dem Ausdruck der Betroffenheit, der Reue, mit dem er sich auf die Hände des alten, vor Erregung zitternden Schulmeisters niederbeugte, sie ergriff und zwischen Verlegenheit und – ja, auch zwischen Tränen stotterte: »Der Herr Magister haben recht, Sie haben recht! Wir haben es alle, Konvent und Cötus, nicht um den Herrn Magister verdient, daß Sie einen einzigen freundlichen Gedanken für uns haben. Da; gleich und wie ein Lamm gutwillig lege ich mich da vor dem Herrn über den Stuhl – holen der Herr Magister Buchius Ihr spanisch Rohr und zahlen Sie mir nachträglich durch den Rest der Nacht, was ich an Ihnen pekziert und meritiert habe, und geben Sie's mir für das ganze Kloster, Abt, Amtmann, Rektor, Doktoren und Kollaboratoren mit. Haue Er sie nach Herzenslust in meiner Person. Lasse Er mich in dieser Nacht den wohlverdienten Sündenbock sein für Seine armen, elenden dreißig unbelohnten, übelbelohnten Jahre am Schuldienst zu Amelungsborn. Nachher brauche ich nur noch einen andern Abschied hier am Ort zu nehmen; dann werd ich ja auch wohl den Herrn Vetter auf dem Marsche durch den Ith irgendwo tot oder lebendig treffen, oder wenn den nicht, so doch ohnzweifelhaft den Herrn Herzog Ferdinand und – nachher werd ich's an die Franzosen weitergeben, was Er mir, liebster Herr Magister, in dieser Nacht an Restanten ausgezahlet hat. Da verlasse Er sich drauf! Vivat Ferdinandus dux! imperator! victor! Sie belieben zuzuhauen und mir den meritierten Lohn zu verabreichen.«
Der
reuige Sünder hatte wahrhaftig sich den Stuhl vor dem Magister
zurecht gerückt und holte wirklich und im vollen Ernst den Stock aus
dem Winkel und bot ihn dem guten Herrn hin; aber dieser sprach, die
gefalteten Hände vor sich hinstreckend und so mit ihnen abwehrend
und mit einer durch Erregung und Rührung erstickten Stimme:
»Mein
lieber Junker von Münchhausen!?« ...
»Sie
belieben nicht? Der allerbeste Herr wollen alles mir boshaften Kujon
und Halunken hingehen lassen? (ein Blick des Bösewichts streifte
hier auch ganz unwillkürlich die Kuriositätensammlung des wackern
Gelehrten), der Herr Magister will nicht an Thedel Münchhausen
nachholen, was Er in dreißig Jahren an der ganzen hohen Schule von
Amelungsborn, Cötus und Lehrerkonvent, hat verabsäumet? Dann –
gebe Er mir Seine gute Hand und glaube mir, im ganzen
römischen
Reich, ja, im Universo lebet außer dem Herzog Ferdinand kein anderer
außer Ihm, nach dem der wilde Münchhausen solch ein Desir und
Verlangen gespürt hat in den letzten Zeiten!« [...]
10. Kapitel
»Woraus
denn deutlich zu ersehen, wieviel diese barbarisch scheinenden Wörter
bedeuten und wie geschickt sie besonders sind, alle sowohl allgemeine
als besondere Schlußregeln zu übersehen und in jeder Figur sich
alle richtigen Schlußarten einzuprägen. – Davon zeigt barbara die
allgemein bejahenden, celarent die
allgemein verneinenden, darii die
besonders bejahenden und ferio die
besonders verneinenden an usw.«
Also
sagte dagegen, nämlich gegen die Lieder des siebenzehnten
Jahrhunderts in Schweinsleder, die Deutliche und praktische
Vernunftlehre für Schulen insgemein und also auch für die
weiland hohe Kloster-, Wald- und Wildnis-Schule zu Amelungsborn. Aber
wer gar nichts im Wachen und im Traum auf: Cacresen,
bamalip, dimatis, fesapo, fresison hielt,
das war des Herrn Klosteramtmanns Vetterstochter Mademoiselle Selinde
Fegebanck. Sie war seinerzeit mit der Schule auch ohne die Logika der
Scholastiker ganz gut ausgekommen und fertig geworden. Schlüsse wie:
Wer
nicht gelehrt ist, ist kein Mensch,
Kein
Bauer ist gelehrt, also
Ist
kein Bauer ein Mensch,
mochten nach Paragraph Einundneunzig den Herren Primanern zum warnenden Muster diktiert werden, für Mamsell hatten sie nicht den geringsten Sinn. Die brauchte kein Muster, die wußte von ihrer Mutter her schon ganz genau, wo der Mensch anfängt und wo er aufhört. Sie hatte einfach gekreischt unter den Eichen im Sundern über die Konklusion:
Kein
Mensch ist ein Engel,
Kein
Vieh ist ein Engel, also
Kein
Vieh ist ein Mensch.
»Musjeh
von Münchhausen«, hatte sie gelacht, »wenn Er mich künftig wieder
einmal einen Engel nennen will, bleibe Er mir nachher mit Seinem
Buche und Seiner Gelehrsamkeit vom Leibe. Und dazu weiß ich auch gar
nicht, was daraus werden sollte, wenn ich so dumm wäre wie Er. Aber
ein guter Mensch ist Er, und ich sitze ganz gern mit Ihm hier im
Grünen und bei der Hitze im Schatten im Hoop, und daß Er voll
Lieder und Singsang steckt, wie der Buchenbaum voll Maikäfer, das
gefällt mir auch schon; aber – Musjeh Thedel, wo wollte Er wohl
mit mir hin? über die Eichbäume hinaus! ins Himmelblau und gar
jetzo mitten im Kriege! und wie mein Onkel und Seine Herren Lehrer
über Ihn denken, das weiß Er doch auch; und – Herr von
Münchhausen, Er närrischer Eulenspiegel, zu früh soll doch niemand
erfahren, wo Barthel Most holt. Das hat mir meine selige Mutter zu
zehntausend Malen gesagt und hat noch auf ihrem Totenbett gesagt:
Mädchen, daß du mir nicht dumme Dinge machst in Amelungsborn unter
den Herren Scholaren und jungen Herren Magistern. – Da, küsse Er
mir denn die Hand, wenn Er durchaus es nicht lassen kann!« ... [...]
Und
auf den Lippen mit den Reimen:
»Ist
es möglich, daß du weinest?
Ist
es möglich, daß du meinest,
Daß
ich dich verlassen kann?«
war
sie guten Gewissens und gesund eingeschlafen, um im Traum ihr Dasein
und Wesen in der Welt weiter zu spielen wie im Wachen. Kloster
Amelungsborn, sein Amt und seine Schule, der Siebenjährige Krieg,
die schwarzen Lateiner, die preußischen Husaren, die französischen
Dragoner vertrugen sich in Mademoiselle Selindens harmloser, alberner
Seele besser miteinander, als es die meisten Geschichtsschreiber für
möglich halten. Und wenn die Leute auf der Letzteren Schrift doch
bauen und trauen und ihr auch gern nachgehen haufenweise, so ist das
recht gut aus mehrfachen Gründen.
Das gute Mädchen
flog ebenfalls die ganze Nacht durch. Von der Rabenschlacht hatte sie
natürlich auch vernommen und auch den Kämpfer aus derselben, den
Magister Buchius mit nach Hause brachte, betrachtet. Von
der Rabenschlacht hatte sie natürlich auch vernommen und auch den
Kämpfer aus derselben, den Magister Buchius mit nach Hause brachte,
betrachtet. Sie hatte wie die meisten andern ihrem Ekel über das
Untier Worte verliehen, und nun rächte sich der Spuk, so gut er
konnte, und ließ sie im Traum erleben, was der Justizamtmann Bürger
zu Alten-Gleichen im Calenbergischen, zehn oder elf Jahre später, in
die deutsche Literaturgeschichte als großer neuer Poet hineinsang
nach dem Dorfmädchenliede:Sie hatte wie die meisten andern ihrem Ekel über das Untier Worte verliehen, und nun rächte sich der Spuk, so gut er konnte, und ließ sie im Traum erleben, was der Justizamtmann Bürger zu Altengleichen im Calenbergischen, zehn oder elf Jahre später, in die deutsche Literaturgeschichte als großer neuer Poet hineinsang nach dem Dorfmädchenliede:
»Der
Mond, der scheint so helle,
Die
Toten reiten so schnelle:
Feines
Liebchen, graut dir nicht?«
Und
an den an der Gartenmauer den ewigen Schlaf schlafenden
Königsdragoner Unterleutnant Seraphin hatte sie auch nicht ohne
Gefährde beim Zubettesteigen gedacht.
Sie hatte einen feinen Traum; und man hebt einen Zipfel von der Decke
vor dem großen Mysterium der Welt, wenn man bedenkt und ganz genau
in Betrachtung zieht, daß die Dummen und Armen im Geiste die
allerwundervollsten und geistreichsten Träume haben können, ebenso
geistreiche und sonderbare als wie die Klugen, die Weisen, sowohl am
Tage wie bei Nacht. Mamsell Selinde wurde auch im November 1761
abgeholt von ihrem toten Dragoner wie Lenore von ihrem Wilhelm. Es
stand aber ein weißes Roß an der Mauer des Gemüsegartens, und der
Himmel war hellblau, die Sonne stand im Mittage, Wald, Feld und
Wiesen waren grün, und es kam ein lustiges, frisches Windeswehen
dazu her vom Hils, vom Ith, vom Vogler über die alte Ringmauer der
Zisterziensermönche von Kloster Amelungsborn. Lustige Musik von nah
und von fern klang der Jungfer ins Ohr. Als ob es sich von selbst so
verstünde, war sie in ihrem allerbesten Sonntagsstaat mit Bändern
und Reifrock und Stöckelschuhen, mit Puder und Handschuhen – eben
noch in ihrer Kammer auf dem Bettrande und nun draußen im Garten, im
blühenden Garten voll von Bienen und Buttervögeln.
Über die Klosterringmauer sah der weiße Pferdekopf und winkte der
junge lachende Reiterleutnant im weißen Rock und Silber der Dragons
de Ferronays mit dem Federhut: Wir reiten, wir reiten, Mademoiselle!
– Ich wollt Ihm aber doch noch ein Zweiglein Rosmarin an die
Kokarde stecken, Monsieur, sagte die Jungfer, hat er es denn gar so
eilig, Monsieur Seraphin?... Die wilde Rose, la fleur d'églantine,
dort vom Busch, Mademoiselle! Wir reiten, wir reiten – Sattel und
Steigbügel! – Unsere Zeit ist hin im deutschen Lande –
westwärts, südwärts, durch Nebel und Schnee, durch Regen und Sturm
über den Rhein in die Sonne, ins warme lustige Frankreich zurück!
Es ist Platz im Sattel, Mademoiselle, ma belle, ma jolie fleur de
romarin – wir reiten, Mademoiselle Selinde! [...]Alles im Sonnenschein – der Garten, das alte Kloster – weiße Tauben in Schwärmen um die Dächer und den Kirchturm und – mit einem Male in den Lüften über der grünen Welt – im Sattel vor dem Reiter des Königs Ludwigs des Fünfzehnten, mitten im Tilithigau: La France! Vive la France! Mamsell Selinde verstand im Wachen kein Französisch, aber im Traume verstand sie es: »Frankreich, Frankreich!« rief und jauchzte es um sie her tausendstimmig. Zu Hunderten, zu Tausenden ritten sie – ritten sie westwärts der Weser zu – alle die törichten Kinder der belle France, die ihr Grab ostwärts des gelben Stromes, diesmal im lieben kleinen Kriege der Madame de Pompadour gefunden hatten. Auf Wodans Felde, über dem Odfelde, über dem Quadhagen, wo gestern die schwarzen Vögel gestritten hatten, sammelten sich die luftigen, lustigen Geschwader in Gold und Rot und Blau, in Silber und Weiß und Grün und Gelb: Champagne und Limousin, Dragoner von Ferronays und du Roy, Freiwillige von Austrasien, Grenadiers von Beaufremont, Grenadiers royaux, Carabiniers von Castella, Carabiniers von Provence. Wer zählt es im Wachen, was Mamsell Selinde nicht im Traume zählen konnte – alles das, was in den beiden letzten Jahren nur zwischen dem Harz und der Weser der Mutter Erde und dem Bauernspaden anheimgefallen war? Ja, hurre, hurre, hop hop hop, aber beim hellichten Tagesschein und ohne alles gespenstische Grauen! Mademoisell Selinde fand nicht das geringste Sonderbare dabei, daß sie den linken Arm um den hübschen jungen Dragoner vom Regiment Ferronays geschlungen hielt und mit der rechten Hand hoch aus den Lüften über dem Campus Odini des Magisters Buchius deuten konnte: da unten geht ja die Frau Tante übern Hof, und in der Milchkammer sollte ich eigentlich auch jetzo sein, Musjeh Seraphin! – [...]
11.Kapitel
»Herr Magister!«
Das wurde wie in einen tiefen Brunnen hinuntergerufen, und es dauerte seine Weile, ehe Antwort heraufkam.
»Herr
Magister Buchius!«
»Eh
– eh – heu! Si
fractus illabatur –«
»Jawohl
– orbis! wenn
der Erdball einfällt, den Weisen weckt's nicht! Eben schlagen sie
das Hoftor ein, und der alte Impavidus nimmt's bloß für den
Weltuntergang und schnarcht weiter, weil ihn die Ruinierung nichts
angeht. Einen famosen Schlaf mit gutem Gewissen muß der alte Herr
bei dem Lärm haben! Aber auf muß er. Herr Magister! Herr Magister
Buchius – die Schulglocke!«
Beim
letzten Wort saß der alte Schulmeister aufrecht auf seinem Bett, mit
beiden Händen hastig um sich herumgreifend wie nach seinen nötigsten
Kleidungsstücken, seinen Büchern, seinem nur zu harmlosen Bakel.
Dem jungen grinsenden Bösewicht zitterte in seiner Lust an dem Witz
der Stunde die Lampe, mit der er dem erschreckten Kollaborator ins
Gesicht leuchtete, in der Hand.
»Ecce!
ehem! hem! papae! um
Gottes willen, wie spät –«
»Beruhige
sich der Herr Magister nur. Zu spät ist's noch nicht. Wir haben das
ganze Pläsier noch vor uns. Der Tag bricht eben erst an, und es ist
nicht der Herr Rektor von Amelungsborn, der an der Tür trommelt,
sondern es sind nur die
lieben
Herren Franzosen, die wieder das Tor einschlagen und nochmal Quartier
verlangen. Der Herr Prior und Rektor liegen hoffentlich zu Holzminden
im Frieden und in den Federn und lassen höchstens im Traum den Herrn
Magister grüßen.«
Diese
ausführlicheren Benachrichtigungen waren wirklich nicht nötig.
Zu halbem Bewußtsein gelangt,
merkte es der alte Herr schon, daß es nicht sein früherer Scholarch
sei, der ihm auf den Hacken sitze, sondern daß nur der Krieg der
Krone Preußen mit der ganzen Welt augenblicklich noch fortdauere und
Kanada immer noch in Deutschland erobert werde. Die Trommeln der
ziehenden Truppen, das Krachen des eingeschlagenen Klostertores, das
Gebrüll und Hallo auf den Höfen, auf den Treppen und in den
Korridoren sprachen laut und deutlich genug für sich selber. Nur die
Anwesenheit, die Gegenwärtigkeit des Junkers von Münchhausen war
dem aus tiefstem Schlaf Erweckten für einige Momente noch
unbegreifbar.
»Die Franzosen!
Ei, ei. Aber – nae ego – Er, Monsieur Thedel? Ja, aber ist Er –
wie kommt Er?... Ja so!«
Mit den letzten
zwei Worten war Magister Buchius wieder vollkommen bei sich und mit
allen vom Himmel gespendeten Seelenkräften beim laufenden Tage: »So
hat Er recht gehabt, Musjeh Thedel; und uns möge Gott noch einmal
gnädig sein, wie er uns schon so oft geholfen hat.« [...]
12. Kapitel
[...] Magister Buchius nahm seinen Hut vom Haken und drückte ihn
fest auf die Perücke. Er nahm seinen Stock aus dem Winkel. Wie ein
richtiger alter Römer beim Einbruch der Gallier wollte er auf alles
gerüstet und gefaßt sein. Es war auch nur ein Unterschied in der
Zeitenfolge und im Kostüm, wie er so dasaß an seinem Tische auf
seinem Stuhl in seinem Museo, Wohn- und Studiergemach – aufrecht,
das hispanische Rohr fest aufgestellt auf den Boden zwischen den
Knieen, den Hut auf dem Haupte. Wenn Kloster Amelungsborn heute im
Abgrunde des Zornes des Höchsten versank, den Magister Buchius fand
und empfing der Abyssus in voller Erkenntnis seiner Sündhaftigkeit
vor dem Herrn; aber auch außer durch den Trost auf die
Barmherzigkeit desselbigen Herrn für alles aufs wackerste gewappnet
durch die tagtägliche, erfreuliche Beschäftigung mit dem Altertum!
Dem klassischen nämlich. Fast mit einem süßen Grauen wartete er
darauf, daß ihn der Neugallier an der Nase in Ermangelung eines
Bartes zupfe. Er hatte sein volltönend Wort dafür in Bereitschaft;
aber – er hatte zu warten. Während der Lärm drunten fortdauerte
und drüben von Augenblick zu Augenblick ärger wurde, ließ sich in
seinem abgelegenen Winkel keine Seele blicken. Er wartete auf den
barbarischen Feind ebenso vergeblich wie auf seine Morgensuppe. Es
blieb ihm wahrhaftig nichts anderes übrig, als wie in ruhigeren
Zeiten so auch heute zuerst »in das Wetter« zu sehen. Er tat's,
indem er sich mit einem Seufzer von seinem Stuhl erhob. Sein
Stubengenoß hüpfte ihm dicht auf den Fersen nach und hob sich wie
von demselben Gedanken getrieben und sprang neben ihm in die
Fensterbank, gleich einem, der auch wohl in dieser Hinsicht sein
Urteil abzugeben habe. Es war nunmehr ein wenig heller geworden,
wenngleich noch lange nicht Tag. Der Regen hatte aufgehört, aber ein
dichter Nebel füllte nicht bloß das Hooptal, sondern bedeckte die
Welt um Amelungsborn überhaupt, als habe das alte Kloster seine
weiland Mönchskappe nochmals ob dem Greuel der Welt bis über die
Ohren hinuntergezogen. [...]Es kracht dort tüchtig in den Bergen, sowohl Gewitterdonner wie Kanonendonner. Für die Mord- und Raubbande auf dem Klosteramtshofe war das Gekrach vom Ith wie ein neuer Stein; aber diesmal wie ein Stein in einen Spatzenhaufen. »L'ennemi! l'ennemi! Der Feind, der Feind! Les Prussiens, les Prussiens! Les Anglais! les Anglais! Le duc Ferdinand!« Die wüste Menschenwelle, die sich eben gegen das Haus gewälzt hatte und über den Magister Buchius und den Herrn Amtmann, ohne sich um ihre Knochen zu kümmern, weggegangen war, schlug jetzt zurück. Im panischen Schrecken stürzte alles Kriegsdiebsgesindel, mit sich schleppend, was es in der Morgendämmerung und Hast gegriffen hatte, aus allen Türen und wälzte sich, wiederum über die beiden zu Boden liegenden Herren weg, gegen das Hof- und Klostertor. Binnen fünf Minuten war Amelungsborn rein von ihm bis auf den vom Faustschlag Thedels von Münchhausen immer noch besinnungslos auf dem Stroh liegenden Korporal oder Sergeanten Ribaudin. Also so frei von Einquartierung, als das an einem Tage wie dieser und an einer so nahe beim Schlachtfelde gelegenen Wohnstätte nur irgend der Fall sein konnte! [...]
13. Kapitel
Trotz aller Bedrängnis vorhin hatte Magister Buchius sein hispanisch Rohr nicht fahren lassen. [...]
Von irgendwelchem Unrecht, so ihm im Leben geschah, kam ihm die genauere Empfindung erst nach genauerer Überlegung. Ja, wochenlang, mondenlang hatte er sich in solchen Fällen über die Frage abzuquälen und abzuängsten: ob das Unrecht nicht auf seiner Seite liege und er also den Lohn dafür in Geduld hinnehmen müsse. Dieses tat dem Faktum, daß er ein tapferer Mann, ein seiner gelehrten römischen und griechischen Ahnen gar würdiger Mann war, nicht den mindesten Abbruch. Er bleibt deshalb doch diesmal unser Held – unser Heros, und wir kennen unter unseren lebenden Bekannten nicht viele, mit denen wir lieber betäubt, verwirrt, unfähig zu begreifen, uns zu fassen im Kreise taumelten und – wieder fest auf die Füße gelangten. Wir greifen mit ihm nach dem Hut, den ihm wie im äußersten Bedürfnis, nichts von ihm in seinem Hof- und Hausbezirk bei sich zu behalten, der Klosteramtmann von Amelungsborn vermittelst seines bestiefelten Fußes in der wirklichen Unzurechnungsfähigkeit aus der Tür auf die Landstraße nachschickt; und wir drücken ihn uns mit ihm auf die zerzauste Perücke und – suchen uns mit dem Magister zu fassen. [...]
14. Kapitel
[...] Faß Er zu, Thedel. Dei providentia mundus administratur, sagt Marcus Tullius: wer weiß, wozu Er gestern nacht nach Amelungsborn gesendet worden ist, lieber Münchhausen. Hat Er den Invaliden fest? Hoch mit ihm und – sursum corda, hat der Herr uns bis hieher in seinem Nebel geführt, so wird er uns auch im Lichte seines Morgens nicht verlassen. Siehst du, es ging, Wieschen. Da hast du deinen Schatz sicher im Arm. Der Herr Amtmann werden uns auch diesen Notgebrauch seines wackern Gauls verzeihen. Nehme Er den Hans am Zügel, und, Mademoisell, Sie nehmen gütigst meinen Arm. Das nennet man in Wahrheit vasa colligere, lieber von Münchhausen, und itzo dieses im bittern Ernst ein agmen compositum. Nun denn, signa canunt! Wir können leider keine Speculatores voraufschicken. Gradaus! vorwärts! Vivat der Herr Herzog Ferdinand! Grad seinem Kanon zu, hin unter des Löwen schützende, großmütige Tatzen. Ihr Berge fallet über uns und decket uns, daß die Heere über uns wegtreten und wir ihren Fußtritt über uns hören, so wir uns bergen im Schoße der Erden!« »Wer sein Testamente noch in procinctu machen will, der tue es«, lachte der tolle Thedel, und Magister Buchius meinte verwundert: »Siehe, siehe, Er hat doch dann und wann in denen Lektionen besser acht gegeben, als man hat glauben dürfen.« Sie machten nämlich dann und wann vor dem Angriff ihr Testament, die alten Römer: in procinctu, auf dem Sprunge. Mit einem Seufzer dachte der Magister an sein wunderlich Hab und Gut in der Zelle des Mönchs Philemon und mit einem Schulterzusammenziehen an die, so sich in gegenwärtiger Stunde wohl schon selber zu Erben seiner Reichtümer eingesetzt haben mochten.
15. Kapitel
Vom achten September siebenzehnhunderteinundsechzig war die Verordnung des Marschalls Duc de Broglio datiert, durch welche »allen Behörden, Beamten, Untertanen der von den Truppen Sr. Allerchristlichsten Majestät in Besitz genommenen Hannöverschen und Braunschweigischen Lande befohlen wurde, in ihren bisherigen Aufenthaltsorten zu verbleiben und sich vor allen Dingen nicht mit ihren Pferden und Vieh in die Wälder und auf die Berge und auch nicht – unter die Erde zu flüchten«. Der Strick stand drauf, wie schon gesagt worden ist, und das Edikt war am fünften November des genannten Jahres mehr denn je in Kraft zwischen der Weser und der Hube bei Einbeck. Magister Buchius, der letzte Kollaborator von Kloster Amelungsborn, hatte aber dessenohngeachtet die feste Absicht, ihm zu trotzen, alle Consequentien auf sich zu nehmen und sich so tief als möglich bei den Unterirdischen zu verkriechen. Er hatte mit seinen Begleitern wohl ebenso guten, triftigen Grund dazu wie jeder arme Bauer mit Weib und Kind und der letzten magern Kuh. [...]
16. Kapitel
Magister Buchius überhörte diese Frage und den laut hinausgejauchzten Weidmannsruf wie alles andere, was eben geschwatzt worden war. Er stand auf sein spanisch Rohr gelehnt und sah auf die Schlacht hin und hinunter, wie er am gestrigen Abend zu ihr emporgeschaut hatte. Nun wimmelte das Odfeld von streifenden Reitertrupps beider kämpfender Heere, und die Pferdehufe stampften die Leichname der schwarzen geflügelten Sieger und überwundenen von gestern in Sumpf und Moor und den Heideboden. Den Ith entlang scholl die Trommel und der Dudelsack ununterbrochen in das Kleingewehrfeuer hinein, und über den Quadhagen und den Eschershausener Stadtberg hinaus hörte man wohl, daß General Conway und Mylord Granby den Herrn von Poyanne scharf in der Schere hielten, um dem Herrn Generalleutnant von Hardenberg so lange als möglich Zeit zu lassen, auch an ihn heranzukommen und möglicherweise das Beste zum Tage zu tun. Man vermochte es nicht mehr zu unterscheiden, was als Nebeldampf noch an den Bergen hing und aus den Tälern aufstieg, oder was Dampf der Schlacht war. Aber auf ruhige Zuschauer war nicht gerechnet, und langes Besinnen galt nicht für Leute, die unbemerkt durchschlüpfen und ihren Leib – einerlei wo, ob über der Erde, ob unter der Erde, in Sicherheit während der Bataille zu bringen wünschten. Wer wußte jetzt einen Unterschlupf? Sie taten die Frage und – »Ich!« sagte Magister Buchius, und er hatte noch niemals in seinem an die Seite gedrückten, scheuen, schweigsamen, überschrieenen, überlächelten, überlachten Dasein den Accentus so kraftvoll auf das persönlichste aller Fürwörter gelegt wie jetzt. [...]
Der Magister führt seine Gefährten in eine Höhle, die er sich in den Zeiten, als sich Schüler und Lehrer über ihn lustig gemacht hatten, als geheimen Rückzugsort eingerichtet hat.
18. Kapitel
[...] »Der alte Buchius!... er ist ein Held, ein Heros – ein
Heros! Und die Große Schule zu Kloster Amelungsborn war der richtige
Eselstall. Vivat der alte Buchius, der Magister Buchius! Aber wundern
soll's mich, was für ein Nest er sich verstohlen und heimlich,
selbst hinter meinem Rücken, hier in der Wildnis ausgebaut hat. Sehe
ein Mensche – nur mutig, Courage, Mamsell, Allerschönste – es
geht ja ganz hübsch in die Tiefe – o ihr unsterblichen Götter,
na, dies ist denn wirklich ganz riesig, ganz famos und das
Kuriöseste, was mir heute passieren konnte.« [...]
»'s ist wie lebendig begraben! Lange halte ich das nicht aus«, wimmerte Mamsell. »Ich auch nicht«, rief Thedel Münchhausen, und dann erlosch das Licht in der Laterne, und Magister Buchius ergriff das Wort. Er – er – er versuchte es wenigstens, die Angst der gejagten Menschenkreatur im Finstern zu beschwichtigen; er, der so oft in seinem kümmerlichen Dasein, im dunkeln Winkel verkrochen, vor dem lustigen Leben der Welt den Vogel Strauß hatte agieren müssen. »Liebe Freunde, liebe Kinder«, sagte er und riet er, »einen Augenblick, nur eine kurze Weile die Augen zumachen! Nachher scheinen die Sterne wieder in den Brunnen, oder, ich sage es besser, wir sehen noch ferner das angenehme Licht auch dieses schlimmen Tages.« Wie die Kinder taten sie, was ihnen geraten wurde, und saßen eine geraume Weile still, auf die Schlacht draußen horchend, auf diesen Donner, der nur wie ein ununterbrochenes leises Murren durch die Felsenspalten zu ihnen in die Tiefe hinabdrang. Als sie wiederum aufblickten, merkten sie, daß der schwache Schimmer des Tageslichtes, welcher durch dieselben Steinritzen in ihren Zufluchtsort einsickerte, genügte, sie »lebendig im Grabe« bei Besinnung zu erhalten. Nach fünf weiteren Minuten seufzte Thedel wahrhaft kläglich vor sich hin: »Und das hat Er, Er, Er herausgefunden?!... Er! Und wir haben gemeint, der Wald und der Berg vier Stunden um Amelungsborn sei nur für uns in die Welt hingestellt worden! Jetzt steckt Er uns alle in die Tasche, und der Bauerochse Schelze kann ihm nur verstohlen auf der Fährte folgen. Es ist eine Blamage für die ganze Schule, und es war die allerhöchste Zeit, daß sie aus der lichtgrünen Waldgloria nach Holzminden zu den Schustern, Schneidern und Leinewebern verlegt wurde.« Laut rief er – im rand- und bandlos hervorbrechenden Enthusiasmo schrie er: »Vivat der Herr Magister Buchius! Der Herzog Ferdinand und die Canaillen, der Poyanne und der Chabot, müssen sich am Ith treffen, daß der letzte vom richtigen Amelungsborner Cötus nun, da es zu spät ist, seinen besten, liebsten, tapfersten, klügsten Herrn Magister ganz kennenlerne.« [...]
19. Kapitel
Sie saßen ja wohl nunmehr in verhältnismäßiger Sicherheit. Wie lange aber der Jüngste unter ihnen, der wahrlich nicht hierum in vergangener Nacht von Holzminden herübergelaufen war, es in solcher Sicherheit aushält, das werden wir wohl auch erfahren. Zuerst gefiel es ihm in diesem dunkeln Loch nur allzu gut, wenn auch aus einem Grunde, den Magister Buchius wenig oder gar nicht billigen konnte. Er, Junker Thedel von Münchhausen, hatte es wahrlich auch so weit im Virgilius gebracht auf der Großen Schule zu Amelungsborn, daß er grinsend in dem saubern unterirdischen Cachot das Wort des in solchen Sachen ganz erfahrenen Vaters Zeus, nein, seiner tugendsamen Gattin, der auf Sitte, Zucht und Anstand sehr haltenden Frau Juno, zitieren konnte: »Weil die geschäftigen Rotten die Tal umstellen mit Fanggarn, Schütt ich hinab und errege mit haltendem Donner den Himmel Dann zur selbigen Kluft gehn Dido und der Gebieter Trojas ein.«... »Jeses, man kriegt so schon keine Luft vor Angst und in der Pechrabenschwärze – dichter braucht Er mir nicht auf den Leib zu rücken, Thedel. So lasse Er doch das Drängeln, Herr von Münchhausen!« klang es plötzlich aus einem Winkel der Spelunca, weinerlich, verdrießlich, abwehrend. »Münchhausen!« erscholl es von der andern Seite her, vermahnend, abmahnend; »aber lieber Münchhausen, wenn Er da drüben keinen Platz findet, so krieche Er hier herüber zu mir her und belästige Er nicht Mademoisell unnotwendigerweise. Hier ist des Raumes zur Genüge für Ihn und mich.« »Mademoisell Selinde, o mein Licht im Dunkel«, flüsterte es drüben, während Magister Buchius vergeblich auf Antwort und Folgsamkeit wartete. »Mein Wiesenstern, mein Rosenstrauch, mein Schönheitsspiegel, je tiefer der Abgrund, desto höher meine Seligkeit; je finsterer die Hölle, desto heller meine Sonne; je kälter der Keller, desto heißer meine Amour!...« »Er ist ein ganz dummer Kerl, Herr von Münchhausen, und wenn mir nicht alle Glieder vor Nässe, Frost und Ängsten beberten, so sollte Er schon – jetzt aber lasse Er ab – ist das ein Ort und eine Stunde für dumme Flattusen und Dummejungens-Kindereien? So höre Er doch auf Seinen alten verrückten Schulmeister, Thedel!« flüsterte es zurück. [...]
Verhältnismäßig sicher ist es zwar in der Höhle, aber dunkel, feucht und ausgesprochen ungemütlich. Da Thedel von Münchhausen aufgrund des Widerstandes der von ihm geliebten Mamsell Fegebank das Dunkel nicht für seine Zwecke nutzen kann, sondern sogar erheblich im Gesicht gekratzt wird, und weil es draußen ruhiger geworden ist, wagen sich die ersten, aus der Höhle zu gehen. Dort fallen sie aber alle in die Hände der alliierten Soldaten, die unter Herzog Ferdinand kämpfen. Als sie in die Nähe des Herzogs kommen, wird dieser aufgrund der Hilferufe von Wieschen auf sie aufmerksam. Thedel von Münchhausen bietet sich als ortskundiger Führer der Vorhut an, und der Herzog befiehlt seinen Soldaten, die Übrigen so weit in Richtung des Klosters zu bringen, dass sie nicht mehr in die Hände von Marodeuren fallen können. Sie verstecken sich im Dickicht und warten ab, bis sich der Schlachtenlärm verzogen hat. Als sie herauskommen, finden sie auf dem Odfeld unter den Leichen von Freund und Feind Thedel von Münchhausen.
23. Kapitel
Er, der Junker Thedel von Münchhausen, lag mit einem letzten im Tode erstarrten lustigen Lachen auf dem Knabengesicht unter dem schweren engländischen Reiterpferd. Man sah es ihm an, daß er noch sein fröhlich Teil an der Franzosenjagd genommen hatte und weggenommen war von der Erde im vollsten Triumphe, die Elliots gut geführt und sie nach bestem Wissen und Kräften und zur Zufriedenheit Seiner Durchlaucht des Herzogs Ferdinand heute noch einmal an den Feind gebracht zu haben. Aber der Magister Buchius kniete wortlos unter den Leichnamen von Menschen und Vieh auf dem Odfelde und hielt das Haupt seines bösesten und besten Schülers, seines liebsten, liebsten Schülers in den Armen; und mit einem Male fing er an, bitterlich zu weinen, als ob alles, was er an Kummer und Verdruß in seinem langen Leben und am heutigen kurzen Tage still hintergeschluckt hatte, in einem Strom sich Bahn breche aus seiner tiefsten Seele heraus. [...]
»Herr, Herre, lieber Herre, Schlimmeres hätte auch mir heute nicht passieren können, ausgenommen wenn ich nicht mein Mädchen bei Leben, gesunden Gliedern und bei Ehren hätte behalten können. So reden der Herr Magister doch nur ein Wort! Ach Gott, so ein junger Herr und Menschensohn! Was ist es uns für ein Trost, daß es ihm doch noch besser zuteil geworden ist als tausend andern heute? Guck, da richtet sich wieder einer im Röhricht auf und jammert nach uns herüber auf engelländisch, ohne daß wir ihm nach Hause helfen können.« »Nach Hause!« murmelte Magister Buchius. »Ja, nach Hause!« rief Knecht Heinrich, seine Pudelmütze zwischen den harten Fäusten zerknüllend. »Ein schönes Nach-Hause für alles, was heute hier um den Ith herum gern nach Hause möchte aus Frankreich, England, Bückeburg und dem Hessischen, Braunschweig und allem, was sonst so zu uns ortsangeborenem deutschen Volke gehört. Herr Magister, lieber Herr Magister, da haben der Herr Junker doch wieder ihren Willen gekriegt. Die wollten immerdar nur von Hause weg – von Schulen und von Hause weg – und sie haben einen sanften Tod gehabt, liebster bester Herr Magister, und brauchen sich nicht mehr zu sorgen wie wir andern, was ihnen zu Hause für den Abend aufgehoben ist, liebster, bester Herr Magister. Ach, lasse Er mich Ihm wieder aufhelfen, lieber Herre!« »Ach Gott ja, es hilft ja nun weiter nichts! lasse Er uns doch nur Ihm wieder aufhelfen, liebster Herr Magister«, schluchzte auch das Wieschen. Magister Buchius ließ das Haupt Thedels von Münchhausen sanft aus seinem Schoße in das triefende Gras und Kraut des Odfeldes niedersinken: »Du bist freilich jetzt zu Hause, mein wilder, guter Sohn, und brauchst nicht mehr auf der Welt Schulbänke auf und ab zu rücken. Dir ist es wahrlich einerlei, ob die Katheder von Kloster Amelungsborn noch stehen oder ob sie übereinandergestürzt worden sind.« [...]
Im Kloster finden sie den Klosteramtmann und seine Leute schwer getroffen durch die Plünderung und die Misshandlungen völlig apathisch vor. Obwohl Amtmann Magister Buchius zuvor aus dem Kloster gewiesen hatte, ist er jetzt zufrieden, dass der wieder zurückgekommen ist. Der Magister findet seine Zelle verschlossen vor, die Marodeure sind nicht eingedrungen. Freilich, trotzdem ist vieles zerstört. Das Unheil hat der Rabe verursacht, als er bei seiner vergeblichen Nahrungssuche immer aufgeregter wurde.
25. Kapitel
[...] »Krah!« rief der Vogel, als wolle er bemerken, daß er noch immer da sei. Und er flatterte auf und ungeduldig in der Zelle des Bruders Philemon im Kreise umher und schlug noch einen letzten germanischen Aschenkrug dem Gastfreund vom Brette. Man merkte es ihm wahrlich nicht mehr an, daß er gestern seinerseits eine Wunde aus der Schlacht über dem Odfelde davongetragen habe. »Du? Du? Du?« murmelte der Magister Buchius. »Du willst hinaus? Du willst helfen von der Weser bis zum Hils? Du willst mir, mir helfen auf dem Odfelde?« Er hielt den Fensterriegel, wie um ihn gegen Gott, Teufel und Welt festzuhalten, und das Fenster zu. Und er reichte in seinem Grauen mit seiner Kraft doch nicht aus. Der wilde, schwarze Bote und Streiter Wodans wurde immer ungebärdiger, wurde wie toll in seinem Willen. Er flog gegen den Kopf des Magisters, er stieß mit seinem Kopf gegen die kleinen runden Scheiben, daß sie in ihren Bleieinfassungen erklirrten. Vergebens wehrte sich der alte Schulmeister der weiland Großen Schule von Amelungsborn mit vorgehaltenem linken Arm und Ellenbogen: das Tier setzte seinen Willen durch. »Fahre zu!« ächzte der Greis, das Fenster öffnend und seinem dunkeln Gast den Ausgang aus seiner Zelle freigebend. »Ich weiß nicht, von wannen du gekommen bist, ich weiß nicht, wohin du gehst; aber gehe denn – in Gottes Namen – auch nach dem Odfelde. Im Namen Gottes, des Herrn Himmels und der Erden, fliege zu, fliege hin und her und richte ferner aus, wozu du mit uns andern in die Angst der Welt hineingerufen worden bist.«
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