05 Februar 2020

Fanny Lewald: Diogena

Fanny Lewald     
"Lewald war eine Vorkämpferin der Frauenemanzipation: Sie forderte das uneingeschränkte Recht der Frauen auf Bildung und auf gewerbliche Arbeit ebenso, wie sie sich gegen die Zwangsverheiratung junger Frauen einsetzte (sie selbst hatte sich in ihrer Jugend erfolgreich der Verheiratung mit einem ungeliebten Mann widersetzt). Auch gegen das Scheidungsverbot opponierte sie und sprach sich in ihrem dritten Roman Eine Lebensfrage für die Erleichterung der Ehescheidung aus." (Wikipedia)
Diogena sucht wie Diogenes mit der Lampe einen Menschen den idealen Liebhaber.
Dieser Roman ist sehr konstruiert (Gottfried Keller sagt ihren Romanen durchweg nach, sie seien zu abstrakt, es fehle ihnen an Lebenswirklichkeit. Dies Urteil wollte ich überprüfen), es ist der einzige kürzere Roman von ihr, den ich für meinen Kindle erreichen konnte. .
"[...] Mein ganzes Herz hatte das Wort »Liebe« wie ein Zauber erfüllt; wie die Gottheit dem Pantheisten das All ist, so war es mir die Liebe gewesen. Jetzt, da die positive Frage an mich gerichtet wurde, da Bonaventuras Augen mit sehnsüchtigem Ausdruck auf mir ruhten, da war es mir plötzlich, als erschlössen sich die verborgenen Tiefen meiner Seele, als sähe ich in den aufgetanen Schachten meines Herzens das funkelnde flammende Gold, die strahlenden Brillanten und die blutroten Rubine der Liebespoesie mir entgegenstrahlen, und das ganze profunde Mysterium der Liebe enthüllte sich mir wie durch eine instantane Revolution. Ich schlug die mächtigen Augenlider empor und sagte, indem ich mit prächtigem Stolze die Grafen abwechselnd anblickte: »Was die Liebe sei, das weiß ich durch den Glauben meines Herzens so sicher, wie der Christ vermöge des Glaubens weiß, daß und was die ewige Seligkeit ist. Die Liebe ist das Einssein von zweien; ich höre auf zu sein, um in einem anderen erst wieder zu werden. Es ist eine Regeneration, es ist ein Aufgehen in dem Geliebten, dessen ganzes Wesen dafür mein eigen wird, mein eigen ganz und gar. Ein Mensch allein durchdringt das Geheimnis des Daseins nicht; aber zwei vereint zu einer Liebe, die durchdringen es. Die wirbeln sich empor mit der Lerche, im Frühlicht der Sonne entgegen, die lauschen dem schweigenden Pulsschlag der Erde in träumerischer Nacht, die beherrschen mit mächtigem Zauberstab die ganze Skala der Gefühle, daß alle Akkorde des menschlichen Daseins sich vor ihrem Willen zusammenfügen zu der wahren Sphärenharmonie, deren ewiger Text das eine Wort ist, ›Liebe!‹ –
[...]
»Du weinst, Madonna?« fragte er. »Bist du nicht glücklich durch meine Liebe?« »Ich liebe dich nicht, Anatole!« sagte ich. »Ich kann dich nicht täuschen. Du bist brillant, du bist sublim als Kavalier, und du liebst mich; aber fühle es, mein Herz klopft ruhig und still. Meine Nerven versinken in ihre frühere Apathie, und in diesem Momente ist es allein der Dépit über meines Mannes Vernachlässigung, der meinem Dasein noch einen Impuls, einen Anschein von Leben gibt. Ach, ich fühle es, ich werde sterben, denn mir fehlt die bewegende Kraft für meine Existenz. Ich schlafe ein vor Unmöglichkeit zu leben.« »Aber Madonna!« rief Anatole in Verzweiflung, »du empfindest nichts, nichts? Und ich verzehre mich in Gluten, die deine Schönheit anfacht, deine Blicke nähren! Du erwiderst den Druck meiner Hand, du duldest meine flammenden Küsse – und du liebst mich nicht! Du sagst, du empfändest nichts? Aber was soll ich denn tun, damit du lebst, statt zu sterben?« »Lehre mich lieben! Lehre mich fürchten und hoffen, aufjauchzen und verzweifeln, laß mich die ganze Skala der Sensationen durchlaufen in dem Gedanken an dich und mache, daß dies nie, niemals ende, und wie eine Sklavin ihrem Herren will ich dein eigen sein.« Anatole kreuzte die Arme über der Brust, sah mich mit einem langen dezidierten Blicke an, sagte mit gepreßter Stimme. »Leb wohl, Diogena!« und sprang vom Balkon, auf dem ich saß, hinunter in den Garten.
[...]
Oh, und es ist auch ein Unterschied zwischen dem Gähnen des Liebhabers und dem Gähnen des Ehemannes! Das eine reizt unsere Eitelkeit, das andere vernichtet sie; das eine belebt uns, das andere ist der Tod. Lord Ermanby's Blasiertheit interessierte mich, denn sie war der Reflex meiner eigenen Leiden.
[...]
»Liebe ist Gehorsam! Liebe ist Glaube!« sagte ich leise zu Servillier. »Verlassen Sie mich, Anatole, wenn ich an Ihre Liebe glauben soll.« Er tat, wie ich es verlangte. Ich atmete auf, soulagiert von der Angst dieses Momentes und entzückt über die schöne Hingebung des Vicomte. Der Lord hatte nicht einmal den Kopf gewendet, er sah ruhig auf seine Fußspitzen nieder, plötzlich fragte er mich: »Wann wollen wir reisen, Diogena?« »Reisen?« wiederholte ich verwundert, »und wohin?« »Gleichviel!« »Aber wozu denn?« »Um miteinander zu sein, solange es uns Freude macht, solange wir uns lieben.« »Und dann? Und wenn wir uns nicht mehr lieben?« »Dann trennen wir uns oder versuchen, ob es uns tentiert, zusammen zu sterben!« sagte er mit einem Gleichmut, vor dem ich schauderte. Wie konnte ein so junger Mann bereits alle Quellen des Lebens erschöpft haben! Bot denn das Leben so wenig, oder war er einer der Titanen, die den schäumenden Becher schnell bis auf seine Hefe leeren, um ihn dann mit Degout von sich zu schleudern? Was für trostlose Erfahrungen, was für Deceptionen mußte er erlitten haben, um nicht mehr an Liebe, an Freude zu glauben, um nur im Tode einen neuen Reiz für seinen Geist zu finden! Ich dachte an mein eigenes unverstandenes Dasein, ich fragte mich, wie, wenn wir beide berufen wären, die trostlose Leere zu füllen, die wir fühlen? Er fesselte doch wenigstens mein Interesse, er gab meinen Gedanken eine Richtung, er machte mir Furcht. Ich setzte mich an seine Seite und sagte, indem ich zu lächeln versuchte: »Sie erwarten schwerlich, daß ich Ihren Reiseplänen beistimme, Mylord! Ich bin Graf Bonaventuras Frau –« »Das eben reizt mich«, meinte Ermanby. »Ich möchte wissen, wie er sich dabei betragen würde, wenn sein Freund ihm seine Frau entführte; die Deutschen sind so troublesome in diesen Angelegenheiten.« »Und wenn ich nun dennoch fest erklärte, nicht reisen zu wollen?« »So würde ich nicht weiter darauf bestehen.« »Und Sie behaupten, daß Sie mich lieben?« »Ja, Diogena! Ich liebe dich! – Oh!« rief er plötzlich, und ein Feuer, wie ich es nie in ihm gesehen hatte, flammte über sein ganzes Wesen empor, »o Diogena! Laß den Funken unter der Asche schlummern, die sich über mein Herz gelegt hat.« Er stand auf, seine Bewegungen waren ganz Nerv und voller Energie. Er ging heftig im Zimmer auf und ab. Plötzlich blieb er vor mir stehen und sagte: »Es war eine Zeit, in der ich an das Leben glaubte, in der ich die Liebe erstrebte und die Treue erwartete, weil ich selbst treu war. Damals hatte ich eine Braut, so rein, so hold wie das erste Weib, das hervorging aus den Händen des Schöpfers. Sie war mir verlobt und entfloh mit meinem Bruder, den ich geliebt hatte mit allen Fibern meines Herzens. Ich gab den beiden ein Rendezvous auf der Insel Chios, mein Bruder – doch wozu dies?« rief er und ging wieder mit großen Schritten auf und nieder. Eine dunkle Wolke hatte sich über seine Stirne gelagert, es war etwas Dämonisches in ihm, ich konnte meine Blicke nicht von ihm… [...]
Er sah mich mit einem furchtbaren Blicke an. »Und wozu das elende Spiel in dieser Stunde, Diogena?« fragte er. »Wozu das Verbrechen, noch einmal Leben zu erwecken in einem Herzen, das aufgehört hat zu vibrieren?« fragte er. »Oh!« rief ich, »vergib, vergib! Ich wollte ja versuchen, ob ich dich lieben könne.« »Und du glaubst, ein Mann sei der Spielball deines törichten Willens? Du glaubst, ein Mann sei da, deine müßigen eiteln Kaprizen zu befriedigen, weil du schön bist? Denn schön bist du.« Ich schwieg. Er hielt mich am Handgelenk fest, das er mit einer Vehemenz preßte, welche mir Tränen in die Augen trieb. »Liebst du mich?« fragte er. Mein Stolz war auf das Empfindlichste verwundet: Ermanby imponierte mir, aber er sollte es nicht wissen, weil ich ihn nicht liebte, und mit vollkommner Ruhe sagte ich, während ich zu lächeln versuchte, ein deutliches »Nein!« Da schleuderte der Lord meine Hand von sich und sagte mit einem eisigen Hohne: »So soll doch der Moment, in dem ich das lästige Leben von mir werfe, wenigstens dazu dienen, das kälteste, hochmütigste Weib zittern zu lehren, so soll doch das herzloseste Weib mich niemals vergessen.« »Um Gottes willen, Ermanby! Was willst du tun?« rief ich schaudernd. »Mann, um der Liebe willen, die ich suche, suche, ohne sie zu finden, was ersinnst du?« Ich hatte noch nicht die letzten Worte vollendet, als ein kleines Terzerol in des Lords Hand aufblitzte, ein Knall – und Ermanby sank lautlos in die Couchette zurück. Mit einem Schrei des furchtbarsten Entsetzens brach ich zusammen. Als ich erwachte, lag ich auf meinem Lager. Rosalinde saß an meiner Seite, durch die geöffnete Türe entdeckte ich den Fürsten Callenberg, aufgestützt an einem mit Arzneigläsern besetzten Tische.
[...]
Ich sehnte mich nicht nach meinem Gatten, ich dachte ohne Liebe an die beiden Männer, welche für mich und durch mich gestorben waren. Ja, selbst ein Gefühl des Hasses mischte sich in die Erinnerung an sie. Sie waren mir durch ihren Tod Gegenstände des Entsetzens, und weshalb? – Hatte ich einem von ihnen ein Glück zu danken? Warum hatten sie sich in die verzehrende Glut meiner Nähe gewagt, diese erbärmlichen Eintagsfliegen? Warum hatten sie versucht, diese schwachen Naturen, in den Kreis einer Diogena zu treten, deren Kometenlauf sie fortreißen mußte aus der bescheidenen Bahn, welche solch kleinen Seelen prädestiniert ist. Ich richtete mich empor, groß und frei, wie Marius auf den Ruinen von Karthago. »Rosalinde!« sagte ich, »legen Sie mir ein elegantes Reisenegligé zurecht und lassen Sie packen. Sobald es Tag wird, gehen wir nach Paris.« »Darf ich Ihnen folgen?« fragte der Fürst. »Fürchten Sie nicht das Schicksal der andern?« »O nein, meine Gräfin, wie sollte ich, da ich nicht die Prätensionen habe wie jene. Ich kann ja weder hier allein zurückbleiben noch Sie allein reisen lassen, so folge ich Ihnen nach Paris.« Ich reichte dem Fürsten die Hand. »Oh!« rief ich, »Sie sind sublim in Ihrer Treue. Das ist die wahre instinktive Treue des Hundes, der liebt und folgt, ohne zu wissen weshalb, ohne Dank, ohne Anspruch, ohne Verlangen. Oh, die Tiere sind unegoistischer als wir und glücklicher obenein, denn sie kennen nicht das ewig wache, ewig ungestillte Sehnen in unserer Brust, das, vom Himmel stammend, hier rastlos und vergebens nach Befriedigung sucht.« »Schlafen Sie noch eine Stunde, meine Gräfin«, sagte der Fürst, »ich will es auch tun – und dann lassen Sie uns reisen, es freut mich, daß ich doch nun weiß, wohin ich von Baden gehen soll. Ich konnte zu keinem Entschlusse kommen bis jetzt. Gute Nacht, meine Gräfin!« Und innerlich sagte er sich: Welch ein Tor ist doch der Graf, sich von dieser Frau zu entfernen, deren prächtige Kaprizen alle Tage neu sind, so daß man vollauf beschäftigt ist und gar keine Langeweile hat, wenn man nur all das tut, was sie verlangt. Solch eine Frau, wenn sie jung und reich und schön ist wie diese Gräfin, ist ja ein veritabler Tresor.« [...]"

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