23 Februar 2020

Fanny Lewald in "Jenny" über Liebe

Das ist das Geheimnis der Liebe, dass sie zwei Herzen verbindet zu einem und diese absondert unter Tausenden; dass das Gefühl der erwiderten Liebe nicht der Worte, kaum des Blickes bedarf, um sich deutlich zu machen. Es ist, als ob die Liebe wie ein flüchtiger Äther dem einen Herzen entströme, um das andere zu erfüllen und zu beleben. Aber nur das geliebte, geöffnete Herz empfindet das Lebenswehen, das für es ausgeströmt wird. Die übrigen berührt der Strom von jenseits nicht, und sie atmen ruhig die kalte Erdenluft, ohne zu ahnen, wie schnell und leicht und freudig zwei Herzen in ihrer Nähe klopfen. (S.46)

Er liebte ihre reiche, schöne Natur, ihr lebhaftes Gefühl und wurde es doch nur zu häufig mit Betrübnis gewahr, dass Jenny infolge ihrer Erziehung und der Verhältnisse, in denen sie aufgewachsen war, eine Richtung genommen hatte, die seiner ganzen Seele widerstrebte, die auch Eduard missbilligte, die aber zu ändern ihren beidseitigen Bemühungen bis jetzt nicht gelungen war. Reinhard glaubte an ihr Herz, er liebte sie, wie ein kräftiges Gemüt zu lieben vermag – und doch fühlte er eine Scheidewand zwischen sich und der Geliebten; doch konnte er die bange Ahnung nicht unterdrücken, es stehe ein Etwas trennend zwischen ihm und ihr. (S.60)

Wie Herr Horn seine Tochter Clara liebte
 Er liebte sie, wie er zu lieben imstande war. Sie war sein Stolz, die Krone seines Besitzes, und alle seine Wünsche gingen darauf hinaus, diese Tochter so glänzend als möglich versorgt zu sehen. (S.62)

Sie wünschte und fühlte in sich die Macht, ihn zu entschädigen für alles, was fremde Unduldsamkeit an ihm verbrochen hatte; sie wollte ihm zeigen, dass sie wenigstens die Vorurteile der Menge nicht teile. Darum hatte sie tausend jener kleinen Aufmerksamkeiten ihm gegenüber, in denen weibliche Liebe so erfinderisch ist, und die, allen andern unbemerkbar, sicher den Weg in das Herz dessen findet, dem sie gelten. (S.81)

»Da irrst du!« entgegnete der Vater. »Ich achte Reinhard und erkenne seine Vorzüge an, aber er lebt in einer Ideenwelt. Solche Menschen sind mir bedenklich und taugen nicht für die Ehe. Weil er mit der höchsten Anstrengung und allem Ernste daran arbeitet, die Vollkommenheit, die er im Auge hat, sein Ideal eines Menschen, zu erreichen, darum glaubt er sich berechtigt, auch an andere die gleichen Ansprüche zu machen. So wie er das Leben, die Liebe auffasst, sind sie nicht, und die Ehe, die sittliche Feststellung der Verbindung der beiden Geschlechter, bleibt trotz der höchsten Liebe, die zwei treffliche Menschen verbindet, immerdar hinter dem zurück, was einem jungen Manne oder Weibe als Ideal vorschweben mag! Der Ruhige, der Besonnene findet sich darin und tröstet sich mit dem Guten, das sich ihm in der Ehe offenbart, über das, was nicht zu erreichen ist – das aber, fürchte ich, will und kann Reinhard nicht. Weil er Jenny liebt, erscheint sie ihm geeignet, das Ideal einer Hausfrau, einer Gattin zu werden, wie er sie sich träumt; er wird es deshalb auch verlangen, dass sie sein Ideal verwirklicht und, wie ich ihn beurteile, nur zu geneigt sein, ihr aus den Unvollkommenheiten des Menschen überhaupt einen persönlichen Fehler zu machen. (S.127)

Er erriet, dass kein inneres Bedürfnis, sondern nur Liebe zu Reinhard der Beweggrund sei, welcher sie dem Christentum entgegenführe, und er tadelte sie deshalb nicht. [...] Mit dem gewissenhaftesten Eifer hatte er die Lehre Jesu und sich selbst geprüft und sich dadurch in der Überzeugung befestigt, dass Liebe und Duldung bei fortschreitender geistiger Entwicklung die Grundzüge des Christentums und besonders des Protestantismus ausmachten. In diesem Sinne hatte er sein Amt behalten und verwaltet. (S.163)

Eduard zu Clara
»Jene Stunde, die ich mit aller Wonne der Liebe erwartet hatte, ist herangekommen und zur Trennungsstunde für uns geworden – das höchste Glück, das Bewusstsein, Ihre Liebe zu besitzen, wird zum Schmerz, denn auch auf Sie fällt die Pein des Scheidens. – Zürnen Sie mir um deshalb nicht. Mehr als mein eigener Schmerz peinigt mich der Gedanke, dass Sie mit mir leiden, dass meine Liebe Sie nicht zu schützen, nicht zu beglücken vermag. Ich könnte eine Welt hassen, in der Herzen, die zusammengehören, getrennt werden, weil das eine so, das andere anders zu seinem Schöpfer betet, der beide füreinander erschuf, der sie, wie uns, zusammenführte. Jahrtausende hat der Fluch über meinem Volke geschwebt, nun hat er auch mich getroffen. [...] Aber wer hieß Dich, einen Juden zu lieben? Warum wolltest Du lieben, was die Deinen hassen? Die Deinen, welche sich zu einer Religion der Liebe bekennen! – Oh! Christus wusste, wie der Hass zerfleischt, entmenscht, darum predigte er Liebe, und die Unwürdigen begriffen nur den Hass, vor dem er sie gewarnt. (S.194)

Der Staat, der es erlaubt, dass Menschen ohne alle innere Zusammengehörigkeit einander den Eid der Treue vor dem Altare schwören, der es duldet, dass die Jungfrau mit gebrochenem Herzen in die Arme eines Mannes geführt wird, welcher vielleicht noch gestern an der Brust einer Buhlerin des Bundes lachte, den er heute beschwört, der Gesetze gibt, diese fluchenswerten Ehen zu schützen derselbe Staat will es nicht dulden, dass zwei Herzen, die in reinstem Einklang schlagen, sich verbinden, weil sie auf verschiedene Weise Gott für das Glück danken würden, das er ihnen durch ihre Liebe gewährt. – Das sind die Gesetze, vor denen man Achtung verlangt!   Nur eine Zuflucht bietet sich uns dar, wenn Du es vermöchtest, Dich von allen Vorurteilen zu befreien, wenn Du Dich entschließen könntest, mir unter dem Schutze der Meinen in ein Land zu folgen, das unsere Ehe zulässt, und dort die Meine zu werden; wenn ich Dich im Triumphe zurückführen dürfte und den Verblendeten zeigen dürfte, wie die Liebe frei ist vor dem Urteil eines weiseren Staates; wenn Du durch ein Wort uns den versagten Himmel zu öffnen bereit wärest – ein Leben voll der wärmsten, ergebensten Liebe sollte es Dir lohnen; Dir, aus deren Hand mir die Liebe und Freiheit zugleich gegeben würden. (S.196)

So nimm denn wenigstens das heilige Versprechen, Du Geliebte, dass ich mit keinem Worte versuchen werde, das Urteil, wie Du's auch fällst, zu ändern. Was Dein liebendes Herz vermag oder nicht vermag, was Dein gerader Sinn Dir zu tun gebietet, das soll auch meine Richtschnur sein. Nur versage mir die Gunst nicht, Dich noch einmal zu sehen. Und somit Lebewohl!« (S.197)

Die Erzählerin über Eduards Sicht auf Clara
 Ihr preiset das süße Lächeln des holden Mundes, der nur zu oft traurig lächelt über ein Dasein, das so grelle Gegensätze in sich schließt. Kommt dann einer einmal zu der Erkenntnis des Schmerzes, den solch ein heiteres Frauenantlitz birgt, dann schreit er über die Verstellung, die Unwahrheit des Geschlechts und vergisst, dass jeder, der ein Mädchen traurig sieht, ohne sich zu bedenken, auf eine unglückliche Liebe schließt und mit roher Hand das stille Geheimnis an das Licht ziehen möchte. Ein Frauenherz, in dem einmal der Strahl wahrer Liebe gezündet, erkennt seinen Besieger in dem Manne, fühlt sich ihm untertan, als Sklavin seines Willens, und möchte doch aus angeborenem Schamgefühl nicht dem Auge jedes Ungeweihten die Fessel zeigen, durch die es gebunden wird, die oft blutig drückt und selbst zerbrochen unvertilgbare Narben zurücklässt. Geliebt werden ist das Ziel der Frauen. Ihr Ehrgeiz ist Liebe erwerben; ihr Glück lieben, und die Liebe, nach der sie gestrebt, nicht erlangen können, unglücklich lieben, eine Kränkung, welche nur die edelsten Frauennaturen ohne Schädigung zu tragen vermögen. So beruht die ganze Entwicklung der weiblichen Seele auf dem Verhältnis zum Manne; und man darf das Weib nicht der Falschheit anklagen, wenn es den geheimnisvollen Prozess seines geistigen Werdens schamhaft der Welt verbergen möchte. (S.201)

Über Jenny
Sie schauderte vor der Wahl zwischen der Wahrheit und der Liebe; sie fühlte, dass alle sie bedauern, alle mit ihr leiden würden, falls sie sich wirklich entschließen müsste, den Geliebten ihrer Überzeugung zu opfern. (S.232)

Jenny in ihren Glaubenszweifeln
Nicht nur um glücklich zu machen, sondern um es zu werden, war sie Christin geworden; es lag Selbstsucht auch in dieser Handlung, und die Bemerkung, dass es ihr fast zur Gewohnheit geworden, sich nach ihrem Bedürfnis zu täuschen, vermehrte ihre Seelenpein in einem Grade, der ihr jedes ruhige Urteil raubte. [...] ›Auch Reinhard‹, sagte sie sich, ›ziehe ich mit in mein Verderben; auch ihn wird der Strudel erfassen, wenn ich ihm nicht mehr verbergen kann, dass ich nicht glaube. Was soll er dann beginnen? Er wird mich lieben und mir doch nicht verzeihen können! Auch er wird in den heillosen Kampf zwischen seiner Liebe und seinem Glauben geraten; auch auf sein teures Haupt werde ich das Elend herabbeschwören, das mich nicht ruhen lässt, und das wird die erste Strafe sein, mit der Gott meine Sünden rächt.‹ (S.286)
»Geliebtester! Wieviel glücklicher wären wir beide, wenn statt dieses Briefes die Nachricht in Deine Hände käme, Deine Jenny sei gestorben. Du würdest weinen, mein Reinhard. Du würdest um mich trauern, mein Andenken lieben, wie Du mich liebst, und ich wäre, erhoben von diesen Gedanken, geschieden und hätte Ruhe. Warum konnte ich nicht sterben, als du mich das letzte Mal in Deine Arme schlossest, als Deine Liebe mich so beglückte? Denkst Du daran, wie ich es wünschte, wie ich es Dir sagte, weil ich schon damals ahnte, dass ein Augenblick wie der jetzige mir bevorstehen könnte?   Bei der Erinnerung an jene Stunde beschwöre ich Dich, bei der Liebe und Nachsicht, die Du mir damals gelobt hast, stoße mich jetzt nicht von Dir, Geliebter! Du, der mich fast seit meiner Kindheit kennt, den ich liebte, seit ich ihn zuerst sah. Du bist mein Lehrer gewesen und kennst meine Seele; Du weißt, dass mein Geist ebenso heiß nach Wahrheit dürstet, als mein Herz nach Liebe verlangt. Darum kannst Du mich verstehen, darum musst Du Mitleid mit mir haben, wenn ich Dir sage, dass ich Dich mehr als die Wahrheit liebe, dass ich meine Überzeugung zwingen wollte, sich meiner Liebe zu fügen. Ich vermag es nicht länger.   Von Augenblick zu Augenblick zögere ich, Dir ein Bekenntnis zu machen, von dem ich fürchte, dass es Dich tief betrüben, mich in Deinen Augen heruntersetzen könne. Ich möchte Dich an all die Liebe erinnern, die uns vereint, an das Glück, das wir gemeinsam erhoffen, damit sie Dir vorschweben, wenn ich Dir alles gesagt haben werde.   Ich glaube nicht, dass Christus der Sohn Gottes ist; dass er… (S.287)

Es schien ihr leichter, Unrecht zu haben, sich selbst eines Fehlers zu bezichtigen, als Reinhard eine Schuld beizumessen: denn wahre Frauenliebe klagt lieber sich als den Geliebten an. (S.302)

Graf Walter über sein Verhältnis zu Jenny (in Unklarheit über seine Gefühle)
[...] ich liebe Jenny Meier nicht, so sehr ich mich ihrer Freundschaft, ihres Umganges erfreue. Es ist wahr, sie ist schön und liebenswürdig in hohem Grade, aber eine gewisse Jugendlichkeit, das weiblich Weiche fehlt ihr, das man an Mädchen ungern vermisst. Sie weiß mit Sicherheit, dass sie gefällt, es ist ihr lieb, ohne dass sie Anspruch darauf macht, und sie würde, wie mich dünkt, nicht das geringste dazu tun, die Meinung oder Gunst eines Mannes zu erwerben. Gefällt sie, ist's ihr recht, wenn nicht, so gilt's ihr gleich. Gestehen Sie, das ist eigentlich nicht die Art, welche wir an einem Mädchen lieben. Es liegt etwas Männliches darin, das interessant ist, das den Umgang sehr erleichtert, unser Vertrauen, unsere Freundschaft erweckt, aber Liebe erzeugt es nicht. (S.322)

Die Erzählerin über Graf Walter
Er hatte Jenny immer schon geliebt, und jetzt, da sie freundlich und doch arglos, als müsse es so sein, seinen Schutz und seine Stütze annahm, jetzt ging die Sonne der Liebe siegreich in seinem Bewusstsein auf, und er fragte sich: ›Warum erst jetzt?‹ (S.327)

Jenny zur Geheimrätin
»Ich habe die Entdeckung gemacht, die Liebe eines Mannes zu besitzen, an die ich nie gedacht habe, und das ist mir unangenehm.«   Die Geheimrätin sah sie verwundert an, lächelte dann und meinte: »Das heißt, du bemitleidest ihn, weil du diese Liebe nicht erwiderst und er dir nicht gefällt. Das kommt wohl vor im Leben und sollte dir nicht so neu sein, dich so sehr zu verstimmen.«   »Im Gegenteil«, antwortete Jenny, »er ist mir lieb und wert, und gerade darum tut es mir so wehe.«  [...] er ist frei und unumschränkter Herr seines Willens; ich zweifle nicht, dass er mir seine Hand anträgt, aber das ist es, was ich fürchte und was mein Vater ungern sehen wird.« (S.339)

Trotz ihres klaren Verstandes besaß Jenny die Schwärmerei eines tieffühlenden Herzens und hatte mit Treue das Andenken des Geliebten ihrer Jugend in sich gepflegt, bis sich nach Reinhards Verheiratung der Gedanke in ihr ausgebildet, sie habe jetzt keinen Anspruch mehr an Liebesglück zu machen, ihr Leben sei in der Beziehung beendet.   So hatte sie sich seit Jahren mit der Idee, »entsagt zu haben«, wie mit einem Witwenschleier geschmückt, den sie jetzt abzulegen sich nicht entschließen konnte. (S.344)

Sie konnte sich es nicht verhehlen, sie liebte Walter, nicht mit der stürmischen Glut der Leidenschaft, die sie für Reinhard einst gefühlt, sondern mit jener ruhigen Zuversicht, die an der Brust des Geliebten zwar nicht den Himmel jugendlicher Hoffnung, aber eine sichere Zuflucht in allen Stürmen des Lebens erwartet. [...] ›Ich war stark genug‹, sagte sie, ›noch ein halbes Kind, meiner Liebe zu entsagen, um Frieden mit mir selbst zu haben, und sollte nicht Kraft besitzen, für Walter ein Gleiches zu tun, für ihn, der mir ein so großes Opfer bringen will? Nein! Den Leidenskelch, der mir vom Schicksal bestimmt ist, will ich allein leeren. Ich will Walter wiedersehen, ich will ihm morgen sagen, dass ich nie die Seine werde, weil ich ihn liebe, und mir wenigstens den Trost erhalten, sein Leben nicht verbittert zu haben.‹ (S.362)

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