22 Februar 2020

Lewald: Wie Jenny auf die Absage ihres Geliebten reagierte

S.302:
Es schien ihr leichter, Unrecht zu haben, sich selbst eines Fehlers zu bezichtigen, als Reinhard eine Schuld beizumessen: denn wahre Frauenliebe klagt lieber sich als den Geliebten an. [...] 
S.305
Den Eltern Claras, welche sie scheidend seiner Sorgfalt empfohlen, war er ein treuer und geschätzter Freund geworden. Ihm, das wussten sie jetzt, verdankten sie das Glück ihrer Tochter, das in einer vollkommen übereinstimmenden Ehe mit William immer schöner erblühte.
[...] S.307
Nun stand Jenny allein an der Spitze ihres Hauses, auf sie war ihr Vater angewiesen.
[...] S.314
Überhaupt charakterisiert sich ein edles Gemüt, ein freier, durchgebildeter Sinn am meisten in der Art, mit welcher man Dienste empfängt und Gefälligkeiten annimmt. Sie auf eine schickliche Weise zu leisten erlernt mancher.
[...] S.315
Darum habe ich Vertrauen zu Personen, die mit guter Art anzunehmen verstehen, ohne den innerlichen Vorbehalt, durch einen Gegendienst baldmöglichst quitt zu werden oder zu vergelten.
[...] S.315
30.
So sehr Jenny und Clara sich ihres Wiedersehens erfreuten, so lieb sie einander waren, so konnte es beiden doch nicht verborgen bleiben, dass es ihnen eigentlich an jenen gemeinsamen Berührungspunkten fehle, welche die Basis der Freundschaft machen. Sie hatten im ganzen nur wenig Monate zusammen verlebt, eine Reihe von Jahren war seitdem verflossen, und trotz eines fleißigen Briefwechsels waren sie einander in ihrer gegenwärtigen Entwicklung fremd und wussten sich nicht recht ineinander zu finden. Wie Claras ganze Erscheinung Glück und Zufriedenheit ausdrückte, wie jeder Zug die Wonne aussprach, welche sie als Gattin und Mutter empfand, so zeigte sich auch in ihrer geistigen Richtung eine gewisse Ruhe, ein abgeschlossenes Begnügen. Sie hatte die höchsten Schätze des Lebens erreicht und, obgleich sie für die Außenwelt nicht abgestorben war, interessierte sie dieselbe doch eigentlich nur insoweit, als sie William berührte und mit seinen Wünschen und Ansichten zusammenhing, denn sie lebte doch eigentlich nur in ihrem Manne und in ihren Kindern. Jenny hingegen wollte, durch Eduard daran gewöhnt, teilnehmen an allem Großen und Wichtigen. Mit weiblicher Schwärmerei hing sie an den Plänen und Hoffnungen Eduards, nicht um seinetwillen allein, sondern weil sie auch die ihren geworden waren. Geistige und künstlerische Beschäftigungen füllten die größte Zeit ihres Tages aus, und mit ihrer gewohnten Lebhaftigkeit strebte sie nach neuen Kenntnissen, nach höherer, vielseitiger Ausbildung der Anlagen, die sie ungenutzt in sich fühlte. [...]
S.322
[...] ich liebe Jenny Meier nicht, so sehr ich mich ihrer Freundschaft, ihres Umganges erfreue. Es ist wahr, sie ist schön und liebenswürdig in hohem Grade, aber eine gewisse Jugendlichkeit, das weiblich Weiche fehlt ihr, das man an Mädchen ungern vermisst. Sie weiß mit Sicherheit, dass sie gefällt, es ist ihr lieb, ohne dass sie Anspruch darauf macht, und sie würde, wie mich dünkt, nicht das geringste dazu tun, die Meinung oder Gunst eines Mannes zu erwerben. Gefällt sie, ist's ihr recht, wenn nicht, so gilt's ihr gleich. Gestehen Sie, das ist eigentlich nicht die Art, welche wir an einem Mädchen lieben. Es liegt etwas Männliches darin, das interessant ist, das den Umgang sehr erleichtert, unser Vertrauen, unsere Freundschaft erweckt, aber Liebe erzeugt es nicht.
[...] S.327
Denn es gibt gewiss nichts Gleichgültigeres als die Sitte, einer fremden Dame den Arm zu bieten, und doch fast nichts Süßeres, als wenn diese gleichgültige Sitte unter Personen zur traulichen Gewohnheit wird, die es noch selbst nicht wissen, wie nahe sie schon zueinander gehören.   Was unverstanden wie eine dunkle Ahnung in Walter geschlummert hatte, das fühlte er plötzlich als unwiderstehliche Wahrheit. Er hatte Jenny immer schon geliebt, und jetzt, da sie freundlich und doch arglos, als müsse es so sein, seinen Schutz und seine Stütze annahm, jetzt ging die Sonne der Liebe siegreich in seinem Bewusstsein auf, und er fragte sich: ›Warum erst jetzt?‹ [...]

S.339:
»Ich habe die Entdeckung gemacht, die Liebe eines Mannes zu besitzen, an die ich nie gedacht habe, und das ist mir unangenehm.«   Die Geheimrätin sah sie verwundert an, lächelte dann und meinte: »Das heißt, du bemitleidest ihn, weil du diese Liebe nicht erwiderst und er dir nicht gefällt. Das kommt wohl vor im Leben und sollte dir nicht so neu sein, dich so sehr zu verstimmen.«   »Im Gegenteil«, antwortete Jenny, »er ist mir lieb und wert, und gerade darum tut es mir so wehe.«   »Jenny«, sagte die Geheimrätin, plötzlich ernsthaft geworden, »ich will kein Vertrauen erzwingen, wenn du nicht geneigt bist, es mir zu gewähren. Nur das eine sage mir, mich zu beruhigen: Ist der Mann, der dich liebt, verheiratet oder sonst in einer Weise gebunden, die deine Unruhe erregt? Nur die Frage beantworte mir.«   »Nein, nein!« rief Jenny, über den feierlichen Ernst ihrer Freundin lächelnd, »er ist frei und unumschränkter Herr seines Willens; ich zweifle nicht, dass er mir seine Hand anträgt, aber das ist es, was ich fürchte und was mein Vater ungern sehen wird.« [...]
S.343:
»Nein!« antwortete Jenny, »auch in mir sind Gründe dagegen. Mir fehlt die Fähigkeit, mich in dem Leben eines andern aufgehen zu lassen. Meine Existenz ist eine fest bestimmte, in sich abgeschlossene. Ich habe mich an eine gewisse Freiheit gewöhnt, die ich nicht mehr entbehren kann und die ich in der Ehe doch aufgeben müsste.
[...] S.344
Trotz ihres klaren Verstandes besaß Jenny die Schwärmerei eines tieffühlenden Herzens und hatte mit Treue das Andenken des Geliebten ihrer Jugend in sich gepflegt, bis sich nach Reinhards Verheiratung der Gedanke in ihr ausgebildet, sie habe jetzt keinen Anspruch mehr an Liebesglück zu machen, ihr Leben sei in der Beziehung beendet.   So hatte sie sich seit Jahren mit der Idee, »entsagt zu haben«, wie mit einem Witwenschleier geschmückt, den sie jetzt abzulegen sich nicht entschließen konnte.
[...] S.352
»Mir scheint, was die Dichtung anbetrifft, Nathan der Weise überhaupt mehr eine großartige Allegorie, ein didaktisches Gedicht, als ein darstellbares Schauspiel zu sein. In dem Bestreben, die positiven Religionsunterschiede als unwesentlich darzustellen, sobald die innere, wahre Religion vorhanden, hat Lessing den einzelnen Repräsentanten der verschiedenen Konfessionen ihren nationalen und durch den Glauben bedingten Typus genommen, so dass Saladin, der Templer und Nathan, drei so ganz abweichende Charaktere, eine Art von protestantischer Familienähnlichkeit bekommen. Das tut dem Interesse Abbruch, welches man an ihnen nähme, wenn die Gegensätze schärfer gezeichnet wären. Dazu kommt noch, dass die Ruhe, mit der der Templer, der strenggläubige Christ, sich als den Abkömmling eines Muselmannes, den Bruder einer Jüdin erblickt, etwas Unwahres hat, wie der ganze Schluss, der nicht befriedigt – wenigstens auf der Bühne nicht. Das Schauspiel unterhält den Zuschauer nicht, so herrlich das Gedicht ist, und wird durch den Darsteller noch langweiliger.«
[...] S.353
»Madame Steinheim hat recht!« bekräftigte Walter. »Gerade da liegt jenes Schauspielers Fehler in dieser Rolle. Er ist nicht der schlichte, klare Mann, der aus eigener Anschauung Gott, die Welt und den Menschen begriffen hat; nicht der anspruchslose Weise, der sich seiner hohen Weisheit kaum bewusst ist und sie für die natürlichste Erkenntnis hält – sondern ein selbstbewusster Gelehrter, der seine Sentenzen im Kathedertone vorträgt, weil er ihre wichtige Bedeutung fühlt. Deshalb stellt er sich jedes Mal in Position, ehe er eine seiner moralischen Behauptungen spricht, und der Schein von Demut, von Schlichtheit, mit dem er sich umgibt, täuscht uns keinen Augenblick. Lessing dachte sich einen Erzvater in heiliger, erhabener Einfalt, und jener stellt uns einen Professor des neunzehnten Jahrhunderts vor, der wohl fühlt, dass er tausendmal gescheiter sei als sein Auditorium, sich aber hütet, es zu zeigen, weil er weltklug genug ist, niemand beleidigen zu wollen. Er erscheint feig und arrogant zugleich.«   Frau von Meining lächelte und stimmte dem Grafen bei, auch Jenny schien seine Ansicht zu teilen.
[...] S.354
»Vor allem vergessen Sie nicht, dass Nathan, der unterdrückte, der verachtete Jude, zu seinem Herrn und Unterdrücker spricht. Das mag die bescheidene, fast furchtsam Weise seines Auftretens bei aller seiner Selbstschätzung entschuldigen.«   »Im Gegenteil!« rief Jenny. »Wenn er es fühlt, dass er ein freier Mensch ist vor den Augen des Schöpfers, wenn er die Qual empfindet, unterdrückt, verachtet zu sein, so muss ihn das nur stolzer gegen seinen Unterdrücker machen. Was kann ein Mann wie Nathan fürchten? – Ketten und Gefängnis? Darüber erhebt ihn sein Selbstgefühl; – den Tod? Er hat sein Weib und seine Söhne sterben sehen und Gott getraut, er kann den Tod für sich nicht… [...]

S.362:
Sie konnte sich es nicht verhehlen, sie liebte Walter, nicht mit der stürmischen Glut der Leidenschaft, die sie für Reinhard einst gefühlt, sondern mit jener ruhigen Zuversicht, die an der Brust des Geliebten zwar nicht den Himmel jugendlicher Hoffnung, aber eine sichere Zuflucht in allen Stürmen des Lebens erwartet. Sie wusste, wie teuer sie ihm sei, sie konnte sich in den lieblichsten Farben eine Zukunft an seiner Seite denken und hatte ihre Hoffnung, ohne es zu wissen, bereits an diese Zukunft geknüpft. Das fühlte sie an dem Schmerz, den der Gedanke, sich von Walter trennen zu müssen, in ihr hervorrief. Aber diese Trennung stand jetzt als Notwendigkeit vor ihr. Die Äußerungen Steinheims am Morgen und die Unterhaltung, deren Zuhörerin sie am Abend gewesen war, hatten ihr gezeigt, was sie ohnehin fühlte, dass sie Walter, indem sie seine Hand annehme, in den Kampf verwickle, den sie als Jüdin gegen die Meinung der Menge zu bestehen hatte.   ›Ich war stark genug‹, sagte sie, ›noch ein halbes Kind, meiner Liebe zu entsagen, um Frieden mit mir selbst zu haben, und sollte nicht Kraft besitzen, für Walter ein Gleiches zu tun, für ihn, der mir ein so großes Opfer bringen will? Nein! Den Leidenskelch, der mir vom Schicksal bestimmt ist, will ich allein leeren. Ich will Walter wiedersehen, ich will ihm morgen sagen, dass ich nie die Seine werde, weil ich ihn liebe, und mir wenigstens den Trost erhalten, sein Leben nicht verbittert zu haben.‹

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