"[...] Da saß meist allein in einer Ecke des Café Odeon ein junger Mann mit einem kleinen braunen Bärtchen, auffallend dicke Brillen vor den scharfen dunklen Augen; man sagte mir, daß es ein sehr begabter englischer Dichter sei. Als ich nach einigen Tagen James Joyce dann kennenlernte, lehnte er schroff jede Zusammengehörigkeit mit England ab. Er sei Ire. Er schreibe zwar in englischer Sprache, aber er denke nicht englisch und wolle nicht englisch denken – „ich möchte“, sagte er mir damals, „eine Sprache, die über den Sprachen steht, eine Sprache, der sie alle dienen. In Englisch kann ich mich nicht ganz ausdrücken, ohne mich damit in eine Tradition einzuschließen.“ Mir war das nicht ganz klar, denn ich wußte nicht, daß er damals schon an seinem „Ulysses“ schrieb; er hatte mir nur sein Buch „Portrait of an artist as a young man“ geliehen, das einzige Exemplar, das er besaß, und sein kleines Drama „Exiles“, das ich damals sogar übersetzen wollte, um ihm zu helfen. Je mehr ich ihn kennenlernte, desto mehr setzte er mich durch seine phantastische Sprachkenntnis in Erstaunen; hinter dieser runden, fest gehämmerten Stirn, die im elektrischen Licht wie Porzellan glatt glänzte, waren alle Vokabeln aller Idiome eingestanzt, und er spielte sie in brillantester Weise durcheinander. Einmal als er mich fragte, wie ich einen schwierigen Satz in „Portrait of an artist“ deutsch wiedergeben würde, versuchten wir die Formung zusammen in Italienisch und Französisch; er hatte für jedes Wort vier oder fünf in jedem Idiom parat, selbst die dialektischen, und wußte ihren Valeur, ihr Gewicht bis in die kleinste Nuance."
(Stefan Zweig: Die Welt von Gestern. Im Herzen Europas)
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