23 April 2022

Stifter: Condor - Die Verbannung der Metapher

Stifters frühe Erzählungen sind voll von Gefühlen und Metaphern. Insofern folgt er Jean Paul.

"Sie drückte ihre Hände nur noch fester gegen das Gesicht,[28] und nur noch heißer und nur noch reichlicher flossen die Tränen hervor.

Ihm aber – – wie war ihm denn? Angst des Todes war es über diese Tränen, und dennoch rollte jede wie eine Perle jauchzenden Entzückens über sein Herz – – wo ist die Schlange am Fenster hin? wo der drückende blaue Himmel? – Ein lachendes Gewölbe sprang über die Welt, und die grünen Bäume wiegten ein Meer von Glanz und Schimmer!

Er hatte noch immer ihren Arm gefaßt, aber er suchte nicht mehr ihn herabzuziehen – sie ward ruhiger – endlich stille. Ohne das Antlitz zu enthüllen, sagte sie leise: »Sie haben mir einst über mein den Männern nachgebildetes Leben ein Freundeswort gesagt,...«

»Lassen wir das,« unterbrach er sie, »es war Torheit, Anmaßung von mir...«

»Nein, nein,« sagte sie, »ich muß reden, ich muß Ihnen sagen, daß es anders werden wird – – ach, ich bin doch nur ein armes, schwaches Weib, wie schwach, wie arm selbst gegen jenen greisen, hinfälligen Mann – – sie erträgt den Himmel nicht! – –«

Hier stockte sie, und wieder wollten Tränen kommen. Der Jüngling zog nun ihre Hände herab; sie folgte, aber der erste Blick, den sie auf ihn tat, machte sie erschrecken, daß plötzlich die Tränen stockten. Wie war er verwandelt! Aus den Locken des Knaben schaute ein gespanntes, ernstes Männerantlitz empor, schimmernd in dem fremden Glanze des tiefsten Fühlens; – aber auch sie war anders: in den stolzen, dunklen Sonnen lag ein Blick der tiefsten Demut, und diese demütigen Sonnen hafteten beide auf ihm, und so weich, so liebreich wie nie – – hingegeben, hilflos, willenlos – sie sahen sich sprachlos an die heiße Lohe des Gefühles wehte – das Herz war ohnmächtig – ein leises Ansichziehen – ein sanftes Folgen und die Lippen schmolzen heiß zusammen, nur noch ein[29] unbestimmter Laut der Stimme – und der seligste Augenblick zweier Menschenleben war gekommen, und – vorüber.

Der Kranz aus Gold und Ebenholz um ihre Häupter hatte sich gelöset, der Funke war gesprungen, und sie beugten sich auseinander – aber die Häupter blickten sich nun nicht an, sondern sahen zur Erde und waren stumm.

Nach langer, langer Pause wagte der Jüngling zuerst ein Wort und sagte gedämpft: »Cornelia, was soll nun dieser Augenblick bedeuten?«

»Das Höchste, was er kann«, erwiderte sie stolz und leise. »Wohl, er ist das Schönste, was mir Gott in meinem Leben vorgezeichnet,« sagte er, »aber hinter der großen Seligkeit ist mir jetzt, als stände ein großer, langer Schmerz – Cornelia – wie werde ich diesen Augenblick vergessen lernen?!«

»Um Gott nicht,« sagte sie erschrocken, »Gustav, lieber, einziger Freund, den allein ich auf dieser weiten Erde hatte, als ich mich verblendet über mein Geschlecht erheben wollte – wir wollen ihn auch nicht vergessen; ich müßte mich hassen, wenn ich es je könnte. – Und auch Sie, bewahren Sie mir in Liebe und Wahrheit Ihr großes, schönes Herz.«

Er schlug nun plötzlich die Augen zu ihr auf, erhob sich von dem Sitze, trat vor sie, ordentlich höher geworden, wie ein starker Mann, und rief: »Vielleicht ist dieses Herz reicher, als ich selber weiß; eben kommt ihm ein Entschluß, der mich selber überrascht, aber er ist gut: meine vorgenommene Reise trete ich sogleich und zwar morgen schon an. – Ich kann noch an das neue Glück nicht glauben – ist es etwa nur ein Moment, ein Blitz, in dem zwei Herzen sich begegneten, und ist es dann wieder Nacht? Laß uns nun sehen, was diese Herzen sind. Verloren kann diese Minute nie sein, aber was sie bringen wird!?[30] Sie bringe, was sie muß und kann – und so gewiß eine Sonne draußen steht, so gewiß wird sie eines Tages die Frucht der heutigen Blume beleuchten, sie sei so oder so – – – ich weiß nur eines, daß draußen eine andere Welt ist, andere Bäume, andere Lüfte – und ich ein anderer Mensch. O Cornelia, hilf mirs sagen, welch ein wundervoller Sternenhimmel in meinem Herzen ist, so selig, leuchtend, glänzend, als sollt‹ ich ihn in Schöpfungen ausströmen, so groß, als das Universum selbst, – aber ach, ich kann es nicht, ich kann ja nicht einmal sagen, wie grenzenlos, wie unaussprechlich und wie ewig ich Sie liebe und lieben will, so lange nur eine Faser dieses Herzens halten mag.«

Cornelia war im höchsten Grade erstaunt über den Jüngling und seine Sprache. – Sie war mit ihm in gleichem Alter, aber sie war eine aufgeblühte, volle Blumeer konnte zu Zeiten fast noch ein Knabe heißen. – Bewußt oder unbewußt hatte sie die Liebe vorzeitig aus ihm gelockt – in einer Minute war er ein Mann geworden; er wurde vor ihren Augen immer schöner, wie Seele und Liebe in sein Gesicht trat, und sie sah ihn mit Entzücken an, wie er vor ihr stand, so schön, so kräftig, schimmernd schon von künftigem Geistesleben und künftiger Geistesgröße, und doch unschuldig wie ein Knabe und unbewußt der göttlichen Flamme Genie, die um seine Scheitel spielte.

Seele kann nur Seele lieben, und Genie nur Genie entzünden.

Cornelia war nun auch aufgestanden, sie hatte ihre schönen Augen zu ihm emporgeschlagen, und alles, was je gut und edel und schön war in ihrem Leben, die unbegrenzte Fülle eines guten Herzens lag in ihrem Lächeln, und sie wußte es nicht, und meinte zu arm zu sein, um dieses Herz lohnen zu können, das sich da vor ihr entfaltete. Er aber versprach sich in diesem Momente innerlich,[31] daß er ringen wolle, so lange ein Hauch des Lebens in ihm sei, bis er geistesgroß und tatengroß vor allen Menschen der Welt dastehe, um ihr nur vergelten zu können, daß sie ihr herrlich Leben an ihn hingebe für kein anderes Pfand, als für sein Herz.

Sie waren mittlerweile an das Fenster getreten, und so sehr jedes innerlich sprach, so stumm und so befangener wurden sie äußerlich. [...]"

Stifter: Condor, Kap3.: Blumenstück

So schrieb Stifter in seinen frühen Erzählungen. In seinen Romanen - in seinem Altersstil - äußern sich seine Liebenden anders.


»Und ich habe schöne Jungfrauen und Mädchen vor dir gesehen, und keine war mir lieb«, sagte Witiko.
»Siehst du?« sprach Bertha.
»Und weil ich dir lieb war, hast du mit mir geredet?« fragte Witiko.
»Weil du mir lieb warst, habe ich mit dir geredet«, antwortete Bertha.
»Und weil ich dir lieb war, bist du mit mir zu den Sitzsteinen an den Ahornen gegangen?« fragte Witiko.
»Weil du mir lieb warst, bin ich mit dir zu den Sitzsteinen an den Ahornen gegangen«, antwortete Bertha.
»Und bist neben mir auf den Steinen gesessen«, sagte Witiko.
»Und bin neben dir auf den Steinen gesessen«, sprach Bertha.
»Und mir bist du so lieb gewesen«, sagte Witiko, »daß ich immer bei dir hätte sitzen, und immer mit dir hätte reden mögen. Du bist heute wie damals gekleidet, Bertha.«
»Es ist das nämliche Gewand, welches ich an jenem Sonntage an gehabt hatte«, antwortete Bertha, »nur das schwarze Röcklein ist mir ein wenig kürzer geworden.«
»Mir ist alles wie in jener Zeit«, sagte Witiko. [...]
Da sie bei den Steinen angekommen waren, sagte Witiko: »Bertha, setze dich nieder.«
»Ich bin auf diesem gesessen«, sagte Bertha.
»So setze dich wieder auf ihn«, sprach Witiko.
Sie tat es.
»Und ich bin neben dir auf diesem gesessen«, sagte Witiko, »er ist niederer, und ich setze mich wieder auf ihn.«
Er tat es.
»Siehst du, Bertha«, sagte er, »unsere Angesichter sind nun wieder in gleicher Höhe, wie damals, da ich dich angeblickt hatte, und da du mich angeblickt hattest.«
»Bist du größer geworden, Witiko?« fragte Bertha.
»Es muß ein wenig sein«, antwortete Witiko, »da ich dir hier wieder gleich bin, und da du gesagt hast, daß dir dein Röcklein kürzer geworden ist. Mein Lederkleid dehnt sich.«
»Und so wie damals ragt dein Schwert in die niedreren Steine«, sagte Bertha, »und in den nämlichen Gewändern sitzen wir hier wie vor sechs Jahren.«
»Nur die Bäume, die jenseits der hellen Wiese stehen, an deren Rande wir sitzen«, sprach Witiko, »glänzen nun im Sonnenscheine, da sie damals im Schatten waren, und die Blätter der Ahorne über uns sind dunkel, die damals geschimmert hatten.« 
(Adalbert Stifter: Witiko)

 

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