24 April 2022

Stifters Metaphernflut in "Feldblumen"

 "[...] Ich habe mein Modell wieder gesehen. Sie ist noch immer dieselbe. Aus Zufall sah ich sie mit ihrer Mutter in die Annenkirche gehen, und ich ging dann auch hinein. Sollte ich sie hier öfter sehen können, so will ich suchen, mir ihre Züge zu stehlen und in einer glücklichen Stunde auf die Leinwand zu werfen; dann sende ich Dir ein Miniaturbild davon für deine Sammlung schöner Menschenköpfe. [...] [41] Noch muß ich Dir sagen, ehe ich schließe, daß ich gestern wieder einmal recht spazieren war, so zu sagen unendlich, auf allen Landen herum, um Heerschau über alle Schönheiten zu halten, über lebende und leblose. Da waren die lichten, klaren, glänzenden Lüfte mit den wunderlichen Aprilwolken voll Sonnenblicken – das Zittern der anbrütenden Lenzwärme über den noch schwarzen Feldern – die schönen, grünen Streifen der Wintersaat dazwischen; – dann waren die rötlich fahlen Wälder, die an den Bergen hinanziehen, mit dem sanften, blauen Lufthauch darüber, und überall auf der farblosen Erde die geputzten Menschen wandelnd, die so gern die ersten Strahlen der schwachen Lenzsonne und der reinen Luft genießen wollten. Eine Mutter sah ich mit mehreren schönen Töchtern, die sehr jung waren und in allen Abstufungen bis zur Kindheit herab auf den lieben, runden Wangen das Rot der Unschuld und Gesundheit trugen, welches Rot noch röter wurde, als ich sie unversehens anblickte. Ich habe diese Gattung Scham so gern – gleichsam rotseidne Vorhänge zieht die junge Seele plötzlich vor dem fremden Auge über, das unberufen will hineinsehen. [...] Da dachte ich so, wie denn Gott mit den Linien und Formen des Menschenangesichts so eigen und am wunderbarsten den Geist der Schönheit verband, daß wir so mit Liebe hineinsehen und von Rührung getroffen werden; – aber kein Mensch, dachte ich, kann eigentlich dieses wundervolle Titelblatt der Seele so verstehen als ein Künstler, ein echter, rechter, wie er uns beiden oft im Ideale vorschwebte; denn der Weltmensch schaut nur oberflächlich[42] oder selbstsüchtig, und der Verliebte verfälscht, nur zu sehr am irdischen Geschöpfe hangend; aber der reine, einfältige Meister in seiner Werkstätte, tagelang denselben zwei Augen gegenüber, die er bildet und rundet, – der sieht den Finger Gottes aus den toten Farben wachsen, und was er doch selber gemacht hat, scheint ihm nun nicht bloß ein fremdes Gesicht, sondern auch eine fremde Seele, der er Achtung schuldig ist, – und öfters mag es geschehen, daß mit einem leichten ungefähren Zug des Pinsels plötzlich ein neuer Engel in die Züge tritt, davor er fast erschrickt und von Sehnsucht überkommen wird. Ferner dachte ich an Galerien, wo die Augen und Wangen längst vergangener Geschlechter noch immer ihre Freude und ihr Weh erzählen – – – – dann dachte ich an unser eignes Sterben und an den Glanz derer, die nachher sein werden – – und in dem Fortspinnen desselben düster schönen Gedankens zog ich die sanften Fäden planlosen Phantasierens um mein Haupt und über die große, stille Landschaft vor mir, – ich ging herum ins Weite und Breite und ließ von Gedanken und Phantasieen kommen, was da wollte. Ach! ein sanftes Eden liegt im Menschenherzen, und es blühen darin leuchtende und dunkle Blumen. Meine gewöhnliche Frühlingstrauer stellte sich ein. Ich weiß nicht, ob die schönen allerersten Frühlingstage auch andere traurig machen. Ist es etwa die Ruhe nach den Winterstürmen, die lächelnd in der ungeheuern Bläue liegt, und darunter auch ruhig die tote Erde und das schwarze Baumgitter, das des Keimens harrt – oder ist es physischer Einfluß der weichen Luft nach der Winterhärte, oder beides? – – – [...] Weithin über den Horizont Ungarns schweiften trübe, gedehnte Streifen – der Abend kam endlich – ein weißlicher Rauch trank die Stadt ein – Frühlingsabenddünste beschmutzten das Gold des Himmels, und ein dumpfer, roter Mond kämpfte sich langsam herauf. – Ich aber[43] dachte und dachte- – so geht es immer – und so geht es immer." (Stifter: Feldblumen, 1. Kap.  Primel, S.40-42)

So geht es weiter und weiter. 

"[...] der Vorstadtturm wirft goldne Funken, und ein ferner Taubenflug läßt aus dem Blau zu Zeiten weiße Schwenkungen vortauchen. [...] Wünsche meines Herzens stehen auf [...] endlich jene Farben zu erhaschen, die mir ewig im Gemüte schweben und nachts durch meine Träume dämmern – ach, jene Wunder, die in Wüsten prangen, über Ozeanen schweben und den Gottesdienst der Alpen feiern helfen [...] Mondenschein wäre, der im Gegensatze zu dem trübgelben Erze meines Lampenlichtes schöne, weiße Lilientafeln draußen auf die Wände legte, durch das Gezweig spielte, über die Steinbilder glitte und Silbermosaik auf den Fußboden setzte [...] gleichsam durch tausend Himmel[45] zurückgeworfene Milchstraßen [...] wir schauten gegenseitig in unsere Herzen, die auch ein Abgrund sind, wie der Himmel, aber auch einer voll lauter Licht und Liebe, nur einige Nebelflecke abgerechnet; [...]" (Stifter Feldblumen Kap. 2 Veilchen)

Ich versuche, geläufige Metaphern zu übergehen, doch wenn die ungewöhnlichen in ihrem Zusammenhang verstehen will, kann man die vertrauten nicht immer auslassen.


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