Jan Philipp Reemtsma: Christoph Martin Wieland
"Was ist heute an diesem Autor des 18. Jahrhunderts so faszinierend? Ein Gespräch mit dem Biografen Interview: Alexander Cammann"
"Reemtsma: Wieland war in der Mitte seines Lebens der bekannteste deutsche Autor – und wirkte in seinen Altersjahren schon überlebt, etwa ab 1800. Das dauerte dann bis in die 1980er-Jahre, als Wielands Werke als Reprint wieder aufgelegt wurden. Vieles, wofür Wieland stand, behagte dem 19. Jahrhundert nicht mehr: In der Romantik war die Zeit der Orientierung nicht mehr die Antike, sondern das Mittelalter, man wurde fromm und wurde der Wielandschen Skepsis fremd. Und man wurde deutsch – Wieland hingegen hielt Patriotismus für eine "Modetugend". Wielands Erotik in manchen Werken, seine freie, wie man heute sagen würde, Auffassung der Geschlechterverhältnisse empfand man als ärgerlich. Der politische Autor, der kluge Kommentator der Französischen Revolution wurde erst vor ein paar Jahrzehnten wiederentdeckt. [...]
Er schreibt 1808: "Ich weiß recht gut, daß ich Etwas bin, und, unter uns gesagt, ich bin sogar überzeugt, daß ich, da wo ich stehe, ganz allein stehe, und Niemand unter den Völkern mit mir ist noch war." Das klingt vermessen, aber es meint die Rolle in einer Literatur – der deutschen –, die noch am Anfang steht und mit ihm und Lessing zu dem wurde, worauf dann die nächste Generation aufbaute. Erst mit Wieland wird die deutsche Literatur zur Weltliteratur. Aber er fügt hinzu: Ein "Dichter von der ersten Größe" wie Goethe und Schiller sei er keineswegs, "dazu habe ich weder Genie noch Talent", er sei vielmehr "eine Art von Poet, und das ist ein Macher". [...]
Ich war wohl 13, da las ich Stücke von Dürrenmatt, darunter das Hörspiel Der Prozess um des Esels Schatten, mit der rätselhaften Unterzeile: "Nach Wieland – aber nicht sehr". Da bin ich zu meiner Buchhändlerin gegangen und habe sie gefragt, was das wohl bedeutet und wer das wohl sei, dieser Wieland. Sie gab mir die Reclam-Ausgabe von Wielands Geschichte der Abderiten. Das Buch gefiel mir, aber ich war zu jung. Später stieß ich auf den bahnbrechenden Rundfunkessay Wieland oder die Prosaformen von Arno Schmidt. Ich las dann Wielands großen Roman Aristipp und einige seiner Zeitgenossen und war sofort fasziniert. Und stellte fest, dass Schmidt dessen Bedeutung erkannte, lange vor der traditionellen Germanistik, die ihn fast vollständig ignoriert hatte. Da war also einiges zu tun."
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