30 April 2023

Lieblingsgedichte der Deutschen

 Piper Verlag

Die Lieblingsgedichte der Deutschen nach einer Hörerumfrage des Westdeutschen Rundfunks aus dem Jahr 2000. Natürlich sind es nur die Lieblingsgedichte der Hörer, die bei dieser Umfrage mitgemacht haben, also die von literarisch Interessierten, die Gedichte mögen.

Bob Dylan-Fans werden dabei nicht in großem Umfang teilgenommen haben.

Naheliegenderweise ist Erich Kästners Berlin in Zahlen* nicht dabei, obwohl ich es dem einen oder anderen der unten genannten vorziehen würe.

1. Hermann Hesse: Stufen 

Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
 Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe, 
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend 
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern. 
Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe 
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne, 
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern 
In andre, neue Bindungen zu geben. 
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, 
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben. 

 Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten, 
An keinem wie an einer Heimat hängen, 
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen, 
Er will uns Stuf´ um Stufe heben, weiten. 
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise 
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen; 
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise, 
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.

 Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde 
Uns neuen Räumen jung entgegen senden, 
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden, 
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!

2. Joseph von Eichendorff: Mondnacht
3. Rainer Maria Rilke: Herbsttag
4. Theodor Fontane: Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland
5. Rainer Maria Rilke: Der Panther
6. Friedrich Schiller: Die Bürgschaft
7. Erich Fried: Was es ist
8. Eduard Mörike: Er ist's
9. Conrad Ferdinand Meyer: Der römische Brunnen
10. Johann Wolfgang Goethe: Der Zauberlehrling
11. Friedrich Hölderlin: Hälfte des Lebens
12. Rainer Maria Rilke: Herbst
13. Matthias Claudius: Abendlied
14. Johann Wolfgang Goethe: An den Mond
15. Johann Wolfgang Goethe: Erlkönig
16. Paul Celan: Todesfuge
17. Joseph von Eichendorff: Wünschelrute
18. Erich Kästner: Der Mai
19. Johann Wolfgang Goethe: Wandrers Nachtlied II
20. Eduard Mörike: Um Mitternacht
21. Johann Wolfgang Goethe: Prometheus
22. Friedrich Hebbel: Herbstbild
23. Friedrich Schiller: Das Lied von der Glocke
24. Otto Ernst: Nis Randers
25. Theodor Fontane: John Maynard
26. Hermann Hesse: Im Nebel
27. Ludwig Uhland: Frühlingsglaube
28. Johann Wolfgang Goethe: Gesang der Geister über den Wassern
29. Theodor Storm: Abseits
30. Hans Carossa: Der alte Brunnen
31. Rainer Maria Rilke: Ich lebe mein Leben
32. Wilhelm Lehmann: Atemholen
33. Joachim Ringelnatz: Die Ameisen
34. Erich Kästner: Sachliche Romanze
35. Anonym: Du bist mîn, ich bin dîn
36. Heinz Erhardt: Die Made
37. Jakob van Hoddis: Weltende
38. Ina Seidel: Trost
39. Gottfried Benn: Nur zwei Dinge
40. Berthold Brecht: Erinnerung an die Marie A.
41. Hilde Domin: Nicht müde werden
42. Annette von Droste-Hülshoff: Der Knabe im Moor
43. Joseph von Eichendorff: Sehnsucht
44. Paul Fleming: An sich
45. Johann Wolfgang Goethe: Gefunden
46. Johann Wolfgang Goethe: Mailied
47. Hugo von Hofmannsthal: Vorfrühling
48. Hugo von Hofmannsthal: Die Beiden
49. Eduard Mörike: Im Frühling
50. Ingeborg Bachmann: Die gestundete Zeit
51. Berthold Brecht: An die Nachgeborenen
52. Wilhelm Busch: Selbstkritik
53. Annette von Droste Hülshoff: Am Turme
54. Marie von Ebner-Eschenbach: Ein kleines Lied
55. Andreas Gryphius: Betrachtung der Zeit
56. Kurt Tucholsky: Augen in der Groß-Stadt
57. Eduard Mörike: Gebet
58. August von Platen: Das Grab im Busento
59. Rainer Maria Rilke: Liebes-Lied
60. Joachim Ringelnatz: Ich hab dich so liebe
61. Ludwig Uhland: Des Sängers Fluch
62. Dietrich Bonhoeffer: Von guten Mächten wunderbar geborgen
63. Wilhelm Busch: Ein dicker Sack
64. Adelbert von Chassimo: Das Riesen-Spielzeug
65. Johann Wolfgang Goethe: Willkommen und Abschied
66. Friedrich Hebbel: Sommerbild
67. Johann Gottfried Herder: Ein Traum
68. Else Lasker-Schüler: Ein alter Tibetteppich
69. Christian Morgenstern: Das ästhetische Wiesel
70. Rainer Maria Rilke: Blaue Hortensie
71. Joachim Ringelnatz: Im Park
72. Gottfried Benn: Astern
73. Eduard Mörike: Septembermorgen
74. Anonym: Dunkel war's, der Mond schien helle
75. Gottfried Benn: Reisen
76. Berthold Brecht: Die Liebenden
77. Matthias Claudius: Die Sternseherin Lise
78. Hilde Domin: Nur eine Rose als Stütze
79. Johann Wolfgang Goethe: Mignon
80. Johann Wolfgang Goethe: Wanders Lied I
81. Heinrich Heiner: Ein Jüngling liebt ein Mädchen
82. Heinrich Heine: Das Fräulein stand am Meere
83. Heinrich Heine: Im wunderschönen Monat Mai
84. Heinrich Heine: Leise zieht durch mein Gemüt
85. Herrmann Hesse: Beim Schlafengehen
86. Mascha Kaléko: Sozusagen grundlos vergnügt
87. Else Lasker-Schüler: Mein blaues Klavier
88. Christian Morgenstern: Der Lattenzaun
89. Börries von Münchhausen: Lederhosen-Saga
90. Rainer Maria Rilke: Advent
91. Joachim Ringelnatz: Arm Kräutchen
92. Eugen Roth: Ein Mensch
93. Gustav Schwab: Das Gewitter
94. Kurt Schwitters: An Anna Blume
95. Georg Trakl: Verklärter Herbst
96. Kurt Tucholsky: Ideal und Wirklichkeit
97. Walther von der Vogelweide: Ich saz ûf eime steine
98. Theodor Fontane: Die Brücke am Tay
99. Rose Ausländer: Nicht fertig werden
100. Joachim Ringelnatz: Überall
*Erich Kästner (1899-1974)

Berlin in Zahlen [1931]

Laßt uns Berlin statistisch erfassen!
Berlin ist eine ausführliche Stadt,
die 190 Krankenkassen
und 916 ha Friedhöfe hat.

53 000 Berliner sterben im Jahr,
und nur 43 000 kommen zur Welt.
Die Differenz bringt der Stadt aber keine Gefahr,
weil sie 60 000 Berliner durch Zuzug erhält.
Hurra!

Berlin besitzt ziemlich 900 Brücken
und verbraucht an Fleisch 303 000 000 Kilogramm.
Berlin hat pro Jahr rund 40 Morde, die glücken.
Und seine breiteste Straße heißt Kurfürstendamm.

Berlin hat jährlich 27 600 Unfälle.
Und 57 600 Bewohner verlassen Kirche und Glauben.
Berlin hat 606 Konkurse, reelle und unreelle,
und 700 000 Hühner, Gänse und Tauben.


Berlin hat jährlich 27 600 Unfälle.
Und 57 600 Bewohner verlassen Kirche und Glauben.
Berlin hat 606 Konkurse, reelle und unreelle,
und 700 000 Hühner, Gänse und Tauben.
Halleluja!


Berlin hat 20 100 Schank- und Gaststätten,
6300 Ärzte und 8400 Damenschneider
und 117 000 Familien, die gern eine Wohnung hätten.
Aber sie haben keine. Leider.

Ob sich das Lesen solcher Zahlen auch lohnt?
Oder ob sie nicht aufschlußreich sind und nur scheinen?
Berlin wird von 4 500 000 Menschen bewohnt
Und nur, laut Statistik, von 32 600 Schweinen.
Wie meinen?

(zitiert nach: Berlin. 100 Gedichte aus 100 Jahren Aufbau Verlag 1987)


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