11 Oktober 2023

Das Gilgamesch-Epos

 Wikipedia

freie Übersetzung der 12 Tafeln

Stephan Grundy: Gilgamesch

https://www.histo-couch.de/titel/3520-gilgamesch-herr-des-zweistromlandes/ (Kurzvorstelloung)


Zwei Drittel Gott und ein Drittel Mensch

Stephan Grundy: Gilgamesch    Herr des Zweistromlandes.

Roman. Aus dem Amerikanischen von Verena C. Harksen. Wolfgang Krüger Verlag, Frankfurt/M. 1999, 669 S. 

Eine Rezension von Licita Geppert:


2700 Jahre v. Chr. lebte im Zweistromland ein legendärer Herrscher: Gilgamesch. Noch zweitausend Jahre nach seinem Tod wurde das Hohelied von seinen Taten gesungen und als Heldenepos niedergeschrieben. Zwölf Tafeln umfaßt der Text, der seinerseits auf ein bereits damals etwa tausend Jahre altes altbabylonisches Epos zurückgeht. Einen derart alten Text für die heutigen Leser aufzubereiten ist eine schöne, aber auch schwierige Aufgabe. Historische Genauigkeit, das heißt vor allem Nähe zur Überlieferung, wird dann problematisch, wenn schon die Überlieferung Widersprüche enthält. Hier war dies der Fall bei der zwölften Tafel. Grundy löste dieses Problem durch das Einfügen von Visionen, die den Inhalt dieser Tafel dokumentieren. Mit viel Aufwand und großer Akribie hat Stephan Grundy gemeinsam mit seiner Frau Melodi Lammond Grundy das Gilgameschepos in seinen verschiedenen Fassungen recherchiert und daraus eine eigene Prosaversion entwickelt, die einem das Lesen und das Verständnis dieser fernen Zeit leichtmacht.

Vieles bleibt unter dem dunklen Mantel der Historie verborgen, dennoch mutet diese seltsame Dreiecksgeschichte sehr modern an, die sich zwischen Gilgamesch, dem Herrscher und obersten Kriegsherrn der Stadt Erech (Uruk), seinem Geliebten, dem Löwenmann Enkidu, und der Schamhatu, Hohepriesterin der Göttin Innana und damit religiöse Gattin von Gilgamesch, entwickelt. Der Machtantritt des fünfzehnjährigen Gilgamesch, zwei Drittel Gott und ein Drittel Mensch, als neuer Ensi der Stadt Erech, d. h. Herrscher, und als Lugal, d. h. oberster Kriegsherr, stellt ein Ereignis dar, das die überlieferten Traditionen der weltlichen und religiösen Herrschaft auf den Kopf zu stellen scheint, weigert sich Gilgamesch doch, die rituelle Hochzeit mit der Schamhatu, seiner einstigen verhaßten Gefährtin aus Kindertagen und nunmehrigen Hohepriesterin, zu vollziehen. Damit findet die Verbindung zwischen der Göttin und den Menschen nicht statt, was aber damals unabdingbar war für die Existenz einer prosperierenden Stadt. Eine Trennung von Religion und weltlichem Leben hatte noch nicht stattgefunden. Beides war so eng und so selbstverständlich miteinander verwoben, daß niemand auch nur auf die Idee kam, die Verbindung in Frage zu stellen. Daraus folgte andererseits aber auch, daß ein Ausweg für die Heilige Hochzeit gefunden werden mußte, die sich nun in der Weise vollzog, daß der alte En, der uralte Hohepriester der vergangenen Generation, sein Amt bis zu Gilgameschs Bereitschaft weiter ausübte.

Die Schamhatu ihrerseits ist das weiblich-überlegene Gegenstück zum jungen, hochfahrenden, aber in jeder Hinsicht einzigartigen Gilgamesch. Doch auch sie kann ihn nicht zähmen, geschweige denn in ihr Bett locken. Daran sind nicht nur die persönlichen Abneigungen schuld, sondern auch eine alte Todesprophezeiung. Da in den alten Texten die Schamhatu mal als Hure, mal als Hohepriesterin dargestellt wird, hat der Autor hier eine Art Synthese geschaffen, die aus der hohen Würdenträgerin eine Art oberste Hure werden läßt. Leider ist die Rezensentin wenig bewandert in den originalen Texten und den gesicherten historischen Gegebenheiten, jedoch erscheint die stark sexuell motivierte Version etwas zu modernistisch. Es ist, als hätte der Autor das Epos zumindest in der ersten Hälfte als Vorwand für allerlei sexuelle Phantasien über heterosexuelle und gleichgeschlechtliche Liebe, Gruppensex, käufliche Liebe bis hin zur Sodomie benutzt. Stellenweise war es einfach zu dick aufgetragen, zuviel, schlichtweg überflüssig. Die eigentliche Handlung allerdings bleibt davon unberührt, ist spannend gestaltet.

Die Anrufung der Götter durch die alte Schamhatu, die Ziehmutter Gilgameschs und nunmehrige Rimsat-Ninsun, den En und die junge Schamhatu bewegt die Götter, zu Gilgamesch ein Gegenstück an Mut, Kraft und Geist zu schaffen, mit dem er ringen würde, das er aber auch mit ganzer Kraft lieben würde. So schufen sie Enkidu, den wilden Löwenmann, der ein leeres Gefäß für den Willen und den Geist der Götter war, bis ihn die Schamhatu in der Wildnis die „Me“, die zivilisatorischen Gaben Innanas lehrte. Seit dem Moment der Ankunft Enkidus in Erech sind Gilgamesch und Enkidu ein unzertrennliches Paar. Gemeinsam gehen sie auf die Jagd, gemeinsam vertreiben sie als Anführer ihres Heeres Agga von Kisch, dem Gilgamesch die Tributzahlungen verweigerte, und gemeinsam ziehen sie aus, um den schrecklichen Huwawa zu besiegen, der den heiligen Zedernwald vor den Menschen verborgen hält. Sie sind eins und teilen nicht nur Tisch und Bett und ihre Frauen, sondern jede Freud und jedes Leid. Enkidu ist die beseelte Seite Gilgameschs, der mit den Instinkten eines Löwen begabte, dennoch oder gerade deswegen ohne Falsch und Hinterlist Lebende und Denkende, wo Gilgamesch eitel, ruhm- und machtbesessen ist, aber auch ein selbstbewußter Herrscher und kampferprobter Feldherr. Sie kennen und lieben die Stärken wie die Schwächen ihres Widerparts und erleben, wie sie vereint unbesiegbar sind. Gleichzeitig jedoch, und je mehr sie sich voneinander entfernen, begreifen Gilgamesch und die Schamhatu, daß sie durch Bande miteinander verbunden sind, die den Haß und die Demütigung überwinden. Es wird noch längere Zeit dauern, bis sie sich über ihre unter einem Trümmerberg alter Anfeindungen verschütteten wahren Gefühle für einander klar werden.

Diese beiden Handlungsstränge laufen als eine Art Selbstfindungsprozesse nebeneinander her. Auch Enkidu und die Schamhatu hüten ihre ganz eigene Art der Beziehung, so daß letztendlich ihrer aller Leben miteinander verwoben sind. Seine Pflichten gegenüber den Göttern und der Schamhatu vermag Gilgamesch jedoch erst nach dem Tode Enkidus und einem sich anschließenden Reifeprozeß erfüllen. Der fürchterliche, quälende Todeskampf Enkidus läßt Gilgamesch in Trauer versinken, einer Trauer, die so tief ist wie das Meer und so unermeßlich wie dessen Weite. Er verläßt seine Stadt und zieht sich in die von Enkidu so geliebte Natur zurück, wo ihn Visionen der Göttin ereilen, die ihn schrittweise wieder ins Leben zurückführen. Die Verzweiflung, die ihn in eine Sinnkrise stürzte, wird schließlich überwunden durch neue, ungeahnte Einsichten in den Lauf der Welt und seine Stellung und Aufgabe darin.

Grundy ist mit dem Gilgameschepos eine faszinierende Mischung aus Überlieferung und modernem Roman gelungen. Sein Erzählvermögen ist der Gewalt des Stoffes durchaus angemessen, seine Sprache fügt sich in Zeit und stofflichen Rahmen in einer Weise ein, die jede Distanz vergessen läßt. Der sumerische König Gilgamesch entsteht so vor dem geistigen Auge des Lesers zu einer lebendigen Gestalt, auf die sich beim Lesen des Buches dieselben Emotionen richten wie es im wirklichen Leben auch der Fall sein könnte: Unverständnis und Ablehnung, wo er selbstgerecht und größenwahnsinnig erscheint, Freude, wo er selbst Freude verschenkt, Anteilnahme an seinen Leiden und Erleichterung bei seiner Errettung. So soll es sein bei einem guten Roman. Daß Grundy überdies auch die mystische Dimension des Heldengesanges nicht zur Fantasy-Schnulze verkommen läßt, sondern neben der Verwendung von Originaltexten bei Gebeten und Anrufungen auch tiefes Empfinden für religiöse Zusammenhänge offenbart, gibt dem Buch zusätzlich eine ganz eigene Note.

Inhalt:

Die Priesterin, S.11

Der Oberste Krieger S.65

Der Löwenmann, S. 101

Zentrale Stellen:

Der Löwenmann 

"Im babylonischen Gilgamesch-Epos war Enkidu der Begleiter und treue Freund von Gilgamesch, der ihn auch „Maulesel auf der Flucht“, „Wildesel aus dem Gebirge“ und „Panther aus der Steppe“ nannte. Die Beinamen beziehen sich auf die Geburt und das Wesen des Enkidu, der in der Stille der Steppe von der Muttergöttin Aruru zum Zwecke der Kontrolle Gilgameschs aus Lehm erschaffen wurde. Enkidu verkörpert ein Ur- bzw. Naturwesen, das ein Gegengewicht zum kultivierten und zivilisierten Gilgamesch bilden soll.

Der nackte, behaarte und wilde Enkidu lebte zunächst mit den Gazellen der Steppe, aß Gras mit ihnen und trank mit ihnen von der Wasserstelle. Auch beschützte er sie vor den Fallen des Fallenstellers, des Urjägers, und zog so dessen Zorn auf sich, da dieser seiner Arbeit nicht ungehindert nachgehen konnte. Dieser beschwerte sich daraufhin bei seinem Vater, der ihm riet, sich an König Gilgamesch von Uruk zu wenden. Gilgamesch, der ein Drittel Mensch, zwei Drittel Gott ist, hatte durch einen Traum bereits von Enkidu erfahren und riet dem Fallensteller Hierodule Schamchat mitzuführen, deren Macht der eines Mannes gleich sei. Enkidu erlag somit der Sinnlichkeit der von Gilgamesch gesandten Tempeldienerin Schamchat, vereinigte sich sieben Tage und Nächte mit ihr und wurde so „zivilisiert“ und der Natur entfremdet. [...]" (Wikipedia)

Kapitel 12 (S.179-185)

Es war schon Nachmittag, als Enkidu mit hängenden Schultern zum Wasserloch zurückkam.
Voller Freude rannte ihm die Schamhatu entgegen, ohne auf die üblen Gerüche zu achten, die ihn einhüllten wie eine Decke. Er schloss sie in seine gewaltige Umarmung, wobei er sie sanfter hielt als früher, und obwohl sie erwartet hatte, dass er sie so gleich hinwerfen und nehmen würde, ließ er sie nach ein paar Augenblicken los. Dann fiel er zu ihrer Überraschung auf die Knie und presste den Kopf an ihren Bauch.
"Als sie mich sahen", seufzte er und Tränen strömten ihn aus den Augen, "rannten die Gazellen davon und stoben auseinander. Die Tiere der Wildnis flohen vor mir. Ich wollte mich erheben, aber mein Körper zog mich zurück, meine Knie erstarrten; alle Tiere haben sich von mir abgewandt. Schwach bin ich geworden, und ich kann nicht mehr laufen wie vorher."
"Aber du sprichst", erwiderte die Schamhatu. So seltsam es auch schien, sie wunderte sich nicht, dass ihm die Worte auf einmal so leicht vom Munde flossen. Sie wusste, dass die Götter ihn mit einem Verstand geschaffen hatten, der wie ein leeres Tongefäß war – zunächst ohne Inhalt, nun ganz plötzlich gefüllt mit dem fließenden Strom der Sprache. Es war ein zweites, kleineres Wunder nach dem großen Wunder seiner Schöpfung. "Wenn du die Gaben der Tiere verloren hast, so hast du dafür die der Menschen gewonnen, und die Götter haben dir das Beste davon geschenkt." Sie bückte sich und zog ihn wieder auf die Füße, schob den wirren Bart zur Seite und küsste ihn auf die Halsgrube. "Enkidu, du bist schön, wie ein Gott bist du geworden. Warum solltest du mit den wilden Tieren durch die Wildnis streifen? Komm mit mir; wenn die Zeit reif ist, werde ich dich nach Erech-der-Schafhürde bringen, in den heiligen Tempel, wo An und Inanna wohnen, den Ort, an dem Gilgamesch lebt, der vollkommen an Weisheit ist, aber stolz auf seine Macht über die Menschen, dass er alles zerstampft wie ein wilder Stier."
Enkidu bewegte langsam den Kopf. Die Schamhatu konnte die Gedanken hinter seinen Augen knirschen hören wie die großen Müllsteine der Tempelkornspeicher. Stumm wartete sie auf seine Antwort.

"Ich werde gehen", erklärte er endlich. "Du hast mich zum Menschen gemacht; ich muss dir in den heiligen Tempel folgen, dorthin, wo An und Inanna wohnen, und wo Gilgamesch lebt, vollkommen an Weisheit aber hochmütig in seiner Macht wie ein wilder Stier. Ich werde ihn rufen, ich werde ihn rufen, so laut ich kann." Seine Kiefernmuskeln spannten sich, seine Schultern strafften sich und mit einer Stimme, die der Schamhatu in den Ohren dröhnte, fuhr er fort: "Lass es mich hinausschreien in Erech: 'Ich bin der Mächtige!' Führe mich hin, und ich werde den Lauf der Dinge ändern: denn der besitzt die größte Stärke, der in der Wildnis geboren ist." (S.181/182)

Kapitel 18 (S.213-222) 

Der Kampf zwischen Enkidu und Gilgamesch

Als Gilgamesch sich der Tür näherte, flog sie plötzlich auf. Ein tiefer Bass, rauh und ländlich, knurrte: du kannst nicht herein kommen. Hier steht das Hochzeitsbett Inannas, in dem sie ihren Bräutigam erwartet. Der Schatten vor dem trüben flackernden Licht der einzigen Lampe am Ende des Schreins die ragte riesig und vierschrötig vor ihm auf und war in der Dunkelheit fast so groß wie Gilgameschs eigener Schatten.

Irgendetwas an der Stimme erregte Gilgameschs Zorn, darum antwortete er scharf: "Und wer sagt, dass ich es nicht kann? Ich bin Gilgamesch, der Ensi, und Jungfrau oder Matrone, die Frau die auf ihren Bräutigam wartet, muss zuerst zu mir kommen denn niemand kann meinem Zorn widerstehen."

"Glaubst du?" murmelte der Schatten. "Dann sollst du erfahren, dass du dich irrst. Ich bin Innanas Krieger, der Wächter ihrer Schlafkammer, und du bist es, gegen den ich sie verteidigen soll, du Hirte, der seine eigene Herde frisst."

Gilgamesch brüllte auf vor Wut und griff nach seinem Schwert. Doch vor der Scheide saß eine gewaltige, haarige Hand, und eine zweite hielt die andere Seite seines Gürtels fest. Wie er es von Jugend auf gelernt hatte, griff er ohne nachzudenken nach dem Gürtel des anderen, und die kühle Stimme der Schamhatu sprach aus der Dunkelheit.

"Fangt an".

Gilgamesch wollte den Gegner vom Boden heben, der aber war wie ein Felsblock, den man nicht bewegen kann. Der Ensi schnappte nach Luft, als die großen Hände seinen Gürtel ruckartig bis unter die Rippen rissen und in ihrerseits mit roher Gewalt hochheben wollten. Das hatte noch niemand gewagt. Völlig überrascht merkte er, wie ist sein linker Fuß sich hob und wusste, dass er geschlagen war; aber im gleichen Augenblick spürte er das ganz leichte Zögern des anderen, warf sich mit voller Wucht mit dem rechten Bein nach vorne und rammte den anderen hart mit der Schulter. Er hörte dass verblüffte Grunzen und verstärkte seinen Griff. Dabei duckte er sich, wie man es ihm beigebracht hatte, als er noch jünger war und Männern gegenüber stand, die nicht kleiner waren als er." (S. 215/216)

Gilgamesch fühlte, wie ihm heiße Tränen in die Augen schossen. Er streckte den Arm aus und streichelte die Schulter des anderen. "Wer bist du? Woher kommst du?"

"Ich bin Enkidu, in der Wildnis geboren. Eure Priesterin die Schamhatu, fand mich und machte mich zum Menschen. Sie brachte mich nach Erech, damit ich sie beschützte; aber ich versage vor deiner Stärke."
"Enkidu", hauchte Gilgamesch. Du bist es, der unvergleichlich ist, mächtig wie Ans fallender Stern. Ich träumte von dir; du hattest niemanden, der dir das zottige Haar schnitt, geboren warst du in der Einöde, und niemand konnte es mit dir aufnehmen. [...] Lass uns Freunde sein", bat er. "Es gibt keinen im Land, der so gewaltig ist wie wir, keinen, der uns gleichkommt, außer wir beide einander." (S.217)

Der Jäger (S.223-328)

Gilgamesch geht mit dem Enkidu und mit dem Jäger und Fallensteller Akalla auf  die Jagd und erlegt einen Leoparden, Enkidu trifft einen ihm vertrauten Löwen, der rettet Gilgamesch vor einem Mordanschlag eines seiner Leibwächter.

Die Belagerung (S.329-375)




















Agga von Kisch rückt mit seinem Heer vor die Stadt Erech. Gilgamesch wagt auf Rat der Krieger keine offene Feldschlacht, sondern nimmt den feindlichen Herrscher inmitten von dessen Heer gefangen und zwingt ihn zu einem ungleichen Vertrag. Die Erzählung lässt dabei der Anteil Enkidus (Gebrüll der Löwen) und der Priester (der Götter, des Zufalls) als bedeutsamer erscheinen als den Gilgameschs, dessen Sieg im persönlichen Kampf gegen Agga wegen seiner Knieverletzung eher unglaubwürdig erscheint. Auch hier kann man auf eine Fügung der Götter schließen. Die Priester von Kisch schicken eine Botschaft an die Schamhatu von Eresch ( "Agga hat es übertrieben. Wir brauchen eine gute Ernte. Ninurta steht nicht mehr hinter ihm." S.356) 

Der Zedernwald (S.377-432) 
Vor dem Gang in den Zedernwald wird deutlich, dass die Schamhatu keine Gegnerin oder Rivalin von Gilgamesch ist, und außerdem, dass sie Intrigen im Bereich ihres Tempels fürchtet. So wie Gilgamesch den jungen Schreiber besonders schätzt, weil der auf seinen Tafeln Gilgameschs Leistungen dauerhaft überliefern kann, so schätzt die Schamhatu ihren jungen Eunuchen Atab, weil er in von ihr unbezweifelter Loyalität zu ihr steht. 
Gilgamensch und Enkidu töten gemeinsam den Huwawa. Sie lassen Zedern fällen und kehren nach Erech zurück.
Aber in der Nacht ihrer Rückkehr treten Himmelszeichen auf: Eine Mondfinsternis und ein Komet sind gleichzeitig zu sehen (S.456f.). Die Shamhatu kommt als Inanna zu Gilgamesch und fordert ihn auf, mit ihr zu schlafen. Er aber - trotz heftigen Begehrens - fürchtet dir Vorhersage, dass er wie Dumuzi nach der Vereinigung sterben werde, und verweigert sich. (S.375-479)  Darauf geht sie zum Tempel des An und fordert ihn auf, den Himmelsstier freizulassen. 

Der Fluch (S.433-489)
Es kommt eine furchtbare Dürre über das Land, die Schafe verdursten. 

Rückblick
Es wird berichtet, eine Fau habe zu Thomas Mann gesagt, nach der Lektüre der Josephsromane wisse sie endlich, wie die Geschichte Josephs wirklich abgelaufen sei.
So denken wir angesichts Grundys ausführlicher Ausgestaltung der bruchstückhaften und in sich widersprüchlichen Epos aus verschiedenen Jahrhunderten nicht. 
Aber es ist Grundy gelungen, aus dem Gerippe weniger Verse eine Welt erstehen zu lassen, die - trotz aller Fremdheit - Einfühlung ermöglicht. Das ermöglicht es, dass einem Gestalten vor Augen treten und menschliche Beziehungen die kurze fragmentarische Gestaltung lebendig werden lassen.
Bemerkenswert, wie unbedenklich Grundys Helden die Gebote der Götter übergehen, was in den Josephsromanen so nicht möglich wäre.  und wie unterschiedlich die Götter auf die Herausforderungen durch Gilgamesch und Enkidu reagieren. Das hängt zum einen damit zusammen, dass die Götter nicht wie die griechischen olympischen Götter in einer Familie mit unterschiedlichen Funktionen organisiert waren, zum anderen daran, dass die Überlieferung noch widersprüchlicher ist als die der Bücher Moses.
Dazu Grundy:
"Die Götter der Sumerer wurden normalerweise mit den Stadtstaaten identifiziert, in denen ihr Kult besonders gepflegt wurde: Inanna in Erech, Enlil in Nippur, Enki in Eridu usw. Der Tempel kontrollierte große Teile des wirtschaftlichen und sozialen Lebens, war aber bei weitem nicht die einzige Instanz. Die drei hauptsächlichen Herrschaftstitel, En, Ensi und Lugal, eröffnen einen faszinierenden Blick darauf, wie der sumerische Stadtstaat organisiert war. Der En war der Hohe Priester oder die hohe Priesterin, die als Gemahl oder Gemahlin der Stadtgottheit auftrat, der Ensi sehr wahrscheinlich ein allgemeiner Führer, während der Lugal speziell als Kriegsherr fungierte. Diese drei Ämter konnten in einer Person vereinigt sein oder getrennte Träger haben, ganz wie es die besonderen Umstände erforderten.." (S.662)
Auffallend, wie unterschiedlich Gilgamesch den überirdischen Mächten am Anfang gegenübertritt und wie sie auf ihn reagieren. Als er mit Enkidu gemeinsam auszieht, überwinden sie die schier unüberwindlichen Schwierigkeiten und fordern damit den Zorn der Götter heraus. Auf dem Wege zur Unterwelt merkt Gilgamesch, dass er allein hilflos ist. Die ihm überlegenen Mächte helfen ihm aber mit guten Ratschlägen aus, statt ihn zu vernichten. Und er seinerseits weiß, dass er ohne ire Hilfe sein Ziel nicht erreichen kann. 

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