10 Oktober 2023

Library Wars

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"Library Wars" in den Vereinigten Staaten

Für diese spezielle Form des Kulturkampfes hat das amerikanische Magazin "The New Yorker" kürzlich erst den Terminus "library wars" – Büchereien-Kriege – gefunden. In den Vereinigten Staaten tobt der Kampf um Bibliotheken und deren Bücherbestände sowie um die Frage, wer in ihnen auftreten darf, schon einige Jahre – und Drag-Lesungen werden immer wieder von Protesten begleitet. Im vergangenen Dezember versuchten konservative Aktivisten, die Kinderbuch-Lesung einer Drag Queen in einer Zweigstelle der New York Public Library zu verhindern – erfolglos. Die von Gewaltandrohungen gegen die auftretende Person begleitete Veranstaltung fand im Rahmen der 2015 gestarteten Reihe "Drag Story Hour" statt.

Der New Yorker Stadtratsabgeordnete Erik Bottcher von den Demokraten, der die Drag-Lesung besucht hatte, sagte im Anschluss, die Vorstellung, Kinder würden in irgendeiner Form "Opfer" bei einer Drag-Lesung, sei eine "verrückte rechte Verschwörungstheorie". Den Protestierenden ginge es seiner Meinung nach einzig darum, die LGBTQI+-Community "einzuschüchtern und zum Schweigen zu bringen". Vor wenigen Tagen erst hat es in Lake Luzerne im US-Bundesstaat New York lautstarke Proteste gegen eine angekündigte Drag-Lesung für Kinder gegeben, die so massiv waren, dass diese verschoben werden musste.

Ausstellungsbesuch von Drag Queen in Bayern geplant

Nicht allein in städtischen Bibliotheken wie z.B. den Bücherhallen Hamburg treten Drag Queens hierzulande auf: An Christi Himmelfahrt wird heuer im Museum Oberschönenfeld in Gessertshausen die Drag Queen Gia LaRue (bürgerlicher Name Moritz Hering) im Rahmen der Sonderausstellung "Über Grenzen – Menschen in Schwaben und ihre Geschichten" über ihre Erfahrungen im Umgang mit Geschlechtergrenzen berichten.

Gegenüber dem BR sagt die in Augsburg aufgewachsene und heute in Mammendorf lebende Gia LaRue über die für kommende Woche geplante Veranstaltung, dass er sich vor dieser nicht fürchte: "Tatsächlich habe ich mir in der Hinsicht gar keine Gedanken gemacht bisher. Wir waren erst kürzlich zur Midisage da und haben aus Anlass der Halbzeit dieser Ausstellung eine Podiumsdiskussion geführt. Da habe ich alle Leute als sehr offen erlebt. In der Gesprächsrunde war auch eine der Schwestern des ansässigen Klosters mit dabei, die uns sehr offen begegnet ist. Deshalb mache ich mir nicht groß Sorgen darüber, dass das im Museum jetzt auch so eine Welle lostreten wird."

Queerness: John Irving ist wieder ganz bei seinem Thema

Er wuchs mit einem schwulen Bruder und einer lesbischen Schwester auf und als Schriftsteller wurde LGBTQ zum Lebensthema von John Irving. Das schlägt sich auch in seinem neuen Roman nieder: "Der letzte Sessellift". (von Tilman Urbach) "Natürlich ist mein Buch für sich genommen schon ein Solidaritätsakt für die LGBTQ Community", sagt John Irving über seinen neuen dickleibigen Roman "Der letzte Sessellift". Auf über tausend Seiten erzählt er eine regelrechte Familiensaga. Von Adam, den wir schon als Kind kennenlernen und seiner geheimnisvollen Mutter, die zu ihm eine fast inzestuöse Liebe hegt. Vom abwesenden Vater, der schemenhaft durch die Seiten geistert. Drum herum bevölkert Irving sein Buch mit einer ganzen Anzahl naher Verwandter – ein jeder ein eigener Charakter. Ein Muster, dass sich durch alle Irving-Romane zieht.

 Der "normalste Typ" ist der "merkwürdigste" 

In "Der letzte Sessellift" stelle er eine Familienkonstellation vor, die genau umgekehrt sei als die einer Normalfamilie, sagt Irving. Sein Erzähler in der Ich-Perspektive, Adam, sei – sexuell gesehen – der einzig "gradlinige" Typ in dieser ausgreifenden Familie. "Seine Mutter, deren Freundin, der Ehemann seiner Mutter, der sich in eine Frau verwandelt, seine Kusine Nora und deren Girlfriend – sie alle sind queer. Und Adam, der einzige Heterosexuelle benimmt sich am schlechtesten. Diesen Punkt wollte ich bewusst setzen: Ich wollte, dass der – in Anführungsstrichen – normalste Typ der merkwürdigste von allen Figuren ist. All die Homosexuellen in dieser Familie sind normaler als er."

Seine Geschichte lässt Irving 1941 in Aspen, Colorado beginnen. Dort tritt die 18-jährige Rachel bei den Skimeisterschaften an. Als sie nach New Hampshire zurückkehrt, ist sie schwanger. Aber über den Vater wird sie sich für immer ausschweigen. Adam wächst vaterlos auf. Um dieses Familiengeheimnis drechselt der Autor seine Handlung. Am Ende ist es Adams ganzes Leben.# Wie immer bei Irving trägt der Roman autobiografische Züge, fußt auf dem eigenen Erleben: "Meine Mutter arbeitete als Schwesternhelferin in einer Bezirks-Familienberatung. Was zu der Zeit bedeutete, dass sie meist sehr junge Frauen beriet, die schwanger waren. Viele von ihnen waren minderjährig. Viel zu jung um Sex zu haben, trotzdem waren sie schwanger. Meine Mutter beriet sie bevor Abtreibungen sicher und legal wurden und danach. Also entwickelte ich schon in der Kindheit ein Bewusstsein für Frauenrechte und die Abtreibungsproblematik lange bevor ich Schriftsteller wurde, weil meine Mutter von ihrer Arbeit erzählte, wenn sie nach Hause kam."

 Lebensthema LGBTQ

 So spielt die Diskriminierung junger alleinerziehender Mütter in den Roman herein. In seinen Büchern hat Irving immer gesellschaftspolitisch Stellung bezogen. In "Garp und wie er die Welt sah" zeichnete er mit Roberta Muldoon schon in den 70er-Jahren einen hinreißenden Transmenschen, der vor seiner Geschlechtsumwandlung ein gefeierter Footballstar war. LGBTQ – für Irving ein Lebensthema: "Meine jüngeren Geschwister, ein Junge und ein Mädchen, Zwillinge, waren schwul und lesbisch. (…) Die schlechte Behandlung von Frauen und die Diskriminierung, die die LGBTQ Leute erfuhren, das war etwas, mit dem ich aufwuchs. Es war Teil meines Lebens bevor ich darüber schrieb. Deshalb war ich immer ein Alliierter, ein Freund des Feminismus, der Frauenbewegung, der Frauenrechte und der der LGBTQ Community. Als ich von 14 bis 34 Ringer in einer Wettkampfmannschaft war (…), bekam ich ziemlich viele homophobe Witze mit. Und natürlich auch eine Menge anzügliches Gerede über Frauen. Und so war ich immer der, der sagen musste: Entschuldigung! Aber redet nicht so in meiner Gegenwart. Mein Bruder ist schwul und meine Schwester ist lesbisch."

Und so ist "Der letzte Sessellift" ein Roman, der auch als Statement zu lesen ist – gegen den in den USA grassierenden Rechtskonservatismus. Aber es ist am Ende vor allem ein Buch das – man möchte es im Fall von Irving so altmodisch sagen – ungeheuer lebensklug ist." (BR24  26.4.2023)

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