11 Juli 2024

Richard Wagner: Götterdämmerung (noch einmal)

 Meine Mutter hat mich durch die parodistische Wiedergabe einer Vorstellung von "Rheingold" gegen Wagners Operntexte relativ gut immunisiert. Das hielt durch, bis wir im Musikunterricht die "Meistersinger" durchnahmen. Hier fehlten die krampfhaft altertümelnden Alliterationen, die ziemlich erfolglos Stabreime zu imitieren suchten, statt dessen fanden sich relativ frei gehandhabte Reime. Die Musik kam für mich nicht ganz an den "Freischütz" heran, aber sie gefiel mir in Teilen durchaus, weil sie nicht so bombastisch daher kam, wie manches, was ich sonst von Wagner gehört hatte. 

Ganz hervorragend gefiel mir eine Tannhäuserparodie, die ich im Rundfunk hörte.

Im Ohr habe ich noch: "Wolfram [oder: -gang] von Dreschenbach beginne!" und die Aufforderung an Tannhäuser: "Fort zur Zukunftsmusik!"

Ich habe von damals Nestroy als Verfasser in Erinnerung. Die vermutlich ursprüngliche Parodie von Hermann Wollheim, der einzige Text, den ich im Internet gefunden habe, Tannhäuser oder die Keilerei auf der Wartburg erscheint mir im Vergleich zu meiner Jugenderinnerung mit seinem "Wolfram von Gröschelbach" dem gegenüber merkwürdig platt. 

Nach Teilen von Fernsehaufführungen von Lohengrin und einer ziemlich vollständig mitverfolgten Fernsehaufführung von Parsifal sind meine Vorurteile abgeschwächt. Und heute lässt mir ein (nach 2022) erneuter Blick in die Götterdämmerung sogar ganze Passagen daraus passabel erscheinen. Dabei mag Herfried Münklers Marx Wagner Nitzsche eine wichtige Rolle gespielt haben, da Münkler Wagner als einen politischen Autor, der sinnvoll mit Marx und Nietzsche verglichen werden kann, vorgestellt hat. 

Zwar Antisemit, aber Kunstrevolutionär mit einem ernsthaften Programm, so sehr es einem missfallen mag. 

Wenn mir wieder einfällt, welche Melodie von Wagner meine Mutter auf die Worte "Herr Graf, das Schaf ist ins Wasser gefallen" vorzustellen liebte, will ich es hier vermerken. 

Fontannes folgende briefliche Kritik an Wagner  halte ich inzwischen für etwas zu scharf:

"Er [Wagner] ist, aller glänzenden Rekapitulationen unerachtet, doch in einer totalen Konfusion steckengeblieben; deshalb steckengeblieben, weil er sich eine Aufgabe stellte, die entweder überhaupt nicht zu lösen war oder für die wenigstens seine Kräfte, so respektabel sie an sich an und für sich waren, nicht ausreichten.
Und welches war nun diese Aufgabe? Die Verschmelzung zweier Sagen oder Fundamentalsätze, von denen jeder einzelne gerade Schwierigkeiten genug bot. Erster Fundamentalsatz: An der Gier, an dem rücksichtslosen Verlangen hängt die Sünde, das Leid, der Tod. Wer den Goldring der Nibelungen hat, der hat ihn immer nur zum Unheil und Verderben. Zweiter Fundamentalsatz: Die Götter sind gebunden und regieren nur durch Vertrag. Auch dem Himmel kann gekündigt werden. Wächst der Mensch, so sinken die Götter; der eigentliche Weltenherrscher ist der freie Geist und die Liebe. [...] Satz 1 ist die alte Evageschichte, sündiges Verlangen und die bekannten Konsequenzen. Satz 2 hat durch Feuerbach einen viel prägnanteren und viel geistreicheren Ausdruck empfangen:

"Ob Gott die Menschen schuf, ist fraglich; dass sich die Menschen ihren Gott geschaffen, ist gewiss." "


06 Juli 2024

Meron Mendel: Über Israel reden

 Meron Mendel: Über Israel reden. Eine deutsche Debatte, 2023

Die große Leistung dieses Buches ist, dass Mendel klarstellt, dass nicht die Forderung eines Endes der israelischen Besetzung der Palästinensischen Gebiete, antisemitisch ist, sondern dass der Boykott aller israelischen Initiativen die Palästinensisch-israelische Verständigung behindert. Nicht die Ziel des BDS seien falsch, sondern die Methode des Boykotts. Denn so entstehe de Möglichkeit, eine Unterstützung der Ziele als antisemitisch zu bezeichnen. (S.69-111)
"Solange die eine Seite Israelboykott immer als Form des Antisemitismus sieht und die andere Seite Boykott immer als legitimes Mittel im palästinensischen Kampf für Freiheitsrechte, werden wir von einem Skandal zum nächsten stolpern. Solange in Deutschland beide Seiten, den Konflikt zwischen Israel und den Palästinenser nur als Projektionsfläche nutzen, um ihre eigene moralische Überlegenheit zur Schau zu stellen, wird keine aufgeklärte Diskussion möglich sein." (S. 111) 
"Anfang der 90er-Jahre entwickelte sich mit den so genannten "Antideutschen" eine politische Strömung, die der nahezu kompromisslosen Unterstützung der Palästinenser eine nahezu kompromisslose Unterstützung von Israel entgegensetzte. Zwei Ereignisse trugen zur Bildung dieser Strömung bei: die deutsche Einheit 1990 und der Golfkrieg 1991. Die Wiedervereinigung war auf der radikalen Linken verknüpft mit der Furcht vor neuem Großmachtstreben Deutschlands und einem neu erstarken Nationalismus – zwei Weltkriege inklusive Völkermord sollten Grund genug sein, sich einem 'Vierten Reich' entgegenzusetzen. Schon am 3. Oktober 1990 demonstrierten Linke unter dem Motto "Deutschland, halt’s Maul" gegen die Vereinigung, später wurde auch der Slogan "Nie wieder Deutschland" populär. Diese Parolen zeigen eine klar gegen Deutschland gerichtete, also im Wortsinne antideutsche Positionierung. Der Konflikt im Nahost spielte zunächst noch keine große Rolle, Israel war vor allem in Rückgriff auf Erinnerungen Thema, die auch eine inhaltliche Beschäftigung mit der Shoah und Antisemitismus beinhalteten." (S.118/119) 
Wikipedia: "Das Buch kam in der Sachbuch-Bestenliste von Deutschlandfunk Kultur, dem ZDF und Die Zeit für April 2023 auf Anhieb auf Platz 1[25] und wurde für den Deutschen Sachbuchpreis 2023 nominiert.[26] In der Süddeutschen Zeitung schrieb Ronen Steinke, es sei „ein großes, in großer geistiger Unabhängigkeit geschriebenes Essay eines Autors, der an billigem Applaus und muffigem Zugehörigkeitsgefühl offenbar so fantastisch desinteressiert ist, wie es auf diesem Gebiet leider sehr, sehr selten geworden ist.“[27]