29 Juli 2007

Jugendbewegung

Das Buch von Else Frobenius [und Wikipedia] (Mit uns zieht die neue Zeit : eine Geschichte der deutschen Jugendbewegung, Berlin 1927) habe ich erst vor kurzem entdeckt. (Der Titel ist eine Zeile aus dem Lied "Wann wir schreiten Seit an Seit" von Hermann Claudius (1916). Einige Jahre war die Tonfolge dieser Zeile das Pausenzeichen des Deutschlandsenders*)
Im Unterschied zu anderen Büchern über die Jugendbewegung ist es einerseits um eine möglichst unparteiische, umfassende Darstellung der Bewegung bemüht, andererseits aber noch aus unmittelbarer Beziehung zur Jugendbewegung geprägt. So ist es in einer Sprache gehalten, die für uns Heutige starke Anklänge an die Zeit des Nationalsozialismus hat. Und mit Paul de Lagarde und Julius Langbehn werden außer Friedrich Nietzsche Personen als geistige Vorbilder genannt, die mit mehr oder weniger Recht auch als Vorbereiter der nationalsozialistischen Ideologie gesehen werden.
Anders steht es mit Ellen Key, von deren Buch "Jahrhundert des Kindes" Frobenius sagt, dass es "die Heiligkeit der Generationen predigt" (S.34).
Den Wandervogel sieht Frobenius als "Zeitphänomen", "Menschheitsphänomen" und "urdeutsches Phänomen" (S.45) sowie als "Weltanschauung" (S.92).
Für das Deutschland vor dem Krieg habe er eine höchst wichtige Verjüngung bedeutet. Die Situation bei der Gründung des Wandervogels sieht sie so: "Die Unterrichtsmethode in den Schulen beruht auf einer mechanischen Aneignung des Lehrstoffs, die das jugendliche Empfinden leer läßt und den Charakter nicht bildet." (S.31) Dies sei in Deutschland besonders schlimm, denn: "Deutschland ist das Land der alten Leute. Offiziere und Beamte gelangen erst mit 40 Jahren, also mit dem Alter, wo die Franzosen sich schon als Rentner zur Ruhe setzen zu einer Lebensstellung, die die Gründung einer Familie ermöglicht." (S.33)
(Anklänge an heutige Sehweisen von Schule und Altersstruktur Deutschlands sind wohl nicht rein zufällig. Das Verhältnis der Jugendlichen zum Wandergedanken, zur Natur und zu deutschem Liedgut ist freilich heute ein deutlich anderes als 1896. Die Unterscheidung von der vorhergehenden Generation läuft heute nicht auf dieser Schiene.)
Als Einführung in den Geist des Wandervogels, z.B. des Nerother Wandervogels, der sich auf Karl Fischer, den Gründer des ersten Wandervogels, beruft, scheint es mir gerade aufgrund seiner Sprache geeignet.

Die Deutschbaltin Else Frobenius begann 1908 als gut 30-Jährige in Berlin das Studium der Germanistik, fand mit 50 Verbindung zur zur Jugendbewegung, ihr Buch schrieb sie 1927, als sie noch in der Deutschen Volkspartei (DVP) engagiert war. 1933 trat sie - vom Führerprinzip überzeugt - der NSDAP bei und schrieb das Buch "Die Frau im Dritten Reich".
* Meine Erinnerung daran war sehr deutlich, aber Erinnerungen können täuschen. Offenbar hatte ein anderer Sender dies Pausenzeichen, und ich erinnere mich nur daran, dass das Lied in der DDR aufgegriffen worden war.

Gustav Wyneken
Knud Ahlborn
Avenarius
Freideutsche Jugend
Meißner

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