Umso mehr wunderte es mich, dass ich bei einer wiederholten Lektüre von Unwiederbringlich feststellte, wie deutlich herausgestellt wird, dass Graf Holk, Kammerherr einer dänischen Prinzessin, aus dessen Sicht die Handlung fast durchweg dargestellt wird, unfähig ist, den Eindruck, den er bei seiner Frau und bei der von ihm umworbenen Frau erweckt, realistisch einzuschätzen.
Obwohl er vorher beim Gedanken an eine Kapitänswitwe, die sein Interesse erregt hat, sich noch sagte "Eine schöne Person. Aber unheimlich. Ich darf ihrer in meinem Brief an Christine gar nicht erwähnen", schreibt er dann über sie an seine Frau:
Frau Kapitän Hansen ist eine schöne Frau, so schön, daß sie dem Kaiser von Siam vorgestellt wurde, bei welcher Gelegenheit sie zugleich der Gegenstand einer siamesischen Hofovation wurde. Sie hat eine statuarische Ruhe, rotblondes Haar (etwas wenig, aber sehr geschickt arrangiert) und natürlich den Teint, der solch rotblondes Haar zu begleiten pflegt. Ich würde sie Rubensch nennen, wenn nicht alles Rubensche doch aus gröberem Stoffe geschaffen wäre. Doch lassen wir Frau Kapitän Hansen. Du wirst lachen, und darfst es auch, über das Interesse, das aus dem Vergleich mit Rubens zu sprechen scheint. Und Rubens noch übertroffen!Im selben Brief schildert er eine Hofdame der Prinzessin mit folgenden Worten:
An Stelle der Gräfin Frjis, die, während der letzten zehn Jahre, der Liebling der Prinzessin war, ist ein Fräulein von Rosenberg getreten. Ihre Mutter war eine Wrangel. Diese Rosenbergs stammen aus dem westpreußischen Städtchen Filehne, wurden erst unter Gustav III. baronisiert und haben keine Verwandtschaft weder mit den böhmischen noch mit den schlesischen Rosenbergs. Das Fräulein selbst – nur immer der älteste Sohn führt den Baronstitel – ist klug und espritvoll und beherrscht die Prinzessin, soweit sich Prinzessinnen beherrschen lassen. Unzweifelhaft, und dafür haben wir ihr alle zu danken, hat sie dem kleinen Nebenhof im Prinzessinnen-Palais den Charakter der Langeweile genommen, der früher der vorherrschende war. Ich konnte mich gestern, wo ich Dienst hatte, von diesem Wandel der Dinge überzeugen, mehr noch vorgestern, wo wir eine Wagenpartie nach Klampenborg und der Eremitage machten. Es war ein wundervoller Tag, ... (Unwiederbringlich, Kapitel 15)Dann berichtet der Erzähler: Er "überflog das Geschriebene noch einmal. Einiges mit Zufriedenheit" und gleich darauf, dass ihn bei den Worten, die er über seine Frau geschrieben hatte, "eine leise Rührung" überkam, "von der er sich kaum Ursach und Rechenschaft zu geben vermochte. Hätt er es gekonnt, so hätt er gewußt, daß ihn sein guter Engel warne."
Bei der ersten Lektüre habe ich die epische Vorausdeutung gewiss wahrgenommen, aber die grobe Verkennung dessen, was er tat und was er zu tun bereit war, hat mir damals noch nicht so deutlich ins Auge gestochen.
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