28 November 2012
Bollmann, die Französische Revolution und Goethes Lili
"Wer den letzten Brief Bollmann's aus Paris gelesen, der weiß, daß das nicht mehr derselbe Mann war, der in der Französischen Revolution den verheißenen Messias der Juden sah, der voll Glut und Hingebung das Evangelium der Freiheit und Gleichheit der ganzen Welt predigte, der mit Forster und seiner Therese, mit Huber und den andern Demokraten in Mainz auch eine volle Erlösung der Menschheit von aller Knechtung, von Unwissenheit und Schlechtigkeit durch die Freiheit hoffte. Wir wissen aus den von Varnhagen von Ense im ersten Bande seiner »Denkwürdigkeiten« veröffentlichten Briefen Bollmann's an die Staatsräthin Brauer und aus den in unserm Besitze befindlichen Briefen an den Vater und die Freunde aber auch ziemlich genau, wie diese Wandlung vor sich gegangen war.
Bollmann war gegen Mitte Januar 1792 nach Strasburg gekommen, wo er in der Familie des Herrn von Türkheim und seiner Gemahlin (Goethe's Lili) seine aristokratische Formen, junge Frauenzimmer, von denen er nicht wußte, ob sie mehr schön oder witzig waren, warme, freundliche Aufnahme und thätige Unterstützung in bedrängten, pecuniären Verhältnissen fand. Den Vater mochte er nicht angehen, der Onkel aus Birmingham, der schon im Januar nach Paris hatte kommen wollen, ließ nichts von sich hören, so kam ihm das freundliche Anerbieten des reichen Bankiers gelegen, und er war nicht blöde, das gebotene Darlehn anzunehmen, trug er doch das Bewußtsein in der Brust, daß die Zeit kommen würde, wo er zurückzahlen könne mit den durch eigene Kräfte verdienten Mitteln.
Unser Freund aus Hoya trat in Strasburg zum ersten mal dem politischen Parteigetriebe näher, aber es stieß ihn ab. Die Demokraten im deutschen Club, denen er sich zugesellte, waren wie heute und immer gänzlich uneinig, man gerieth öfter so heftig aneinander, daß die Wache Ruhe stiften mußte. Menschen, die nichts zu verlieren, die nicht einmal etwas zu geben hatten, da sie arm an Gedanken, desto reicher aber an Phrasen waren, drängten sich vor und die Menge fiel ihnen zu. Der Norddeutsche konnte sich kaum Gehör verschaffen, noch viel weniger sich zum Führer emporschwingen, sah die Führerschaft vielmehr in den Händen der unbedeutendsten Menschen. Er sah die Trägheit und Unwissenheit der Masse, er bemerkte als praktischer Mann früh den Fehler, den die Nationalversammlung begangen hatte, indem sie sich mit ihren eigenen Erfahrungen von der legislativen Versammlung ausschloß. Daß von 8000 activen Bürgern in Strasburg im Februar 1792 nur 400 zur Wahlurne gingen, in Paris von 60000 nur 10000, empörte ihn; er sah, wie die Erbitterung zwischen den mit 15 Sous täglich besoldeten undisciplinirten Nationalgarden und den mit 8 Sous täglich besoldeten Linientruppen letztere nothwendig dahin führen mußte, die Constitution und alle Neuerungen zu hassen und eine Stütze des Adels und Königthums zu werden."
(Heinrich Oppermann: Hundert Jahre, 3. Buch 1. Kapitel)
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen