Wer in den zwanziger und dreißiger Jahren in Göttingen studirte, oder sich dort Studirens halber aufhielt, der ist auch im Hause des witzigsten aller Kroneninhaber, Friedrich Bettmann, gewesen, in der Goldenen Krone* an der Weenderstraße, in welcher Kaiser und Könige zu öftern malen seitdem ihr Nachtquartier aufgeschlagen haben. Wer dort aber jenerzeit ein- und ausging, der fand allda alltäglich ein altes, kleines, zusammengeschrumpftes Männchen, mit gelber Perrüke, die weniger als Haarschmuck, denn zur Erwärmung des Kopfes diente, abends in der hintern Stube vor der Mutterflasche mit gelbem Lack sitzen, sich und den Stammgästen daraus einschenkend und diese lebhaft unterhaltend. Als die Georgia Augusta ihr funfzigjähriges Jubiläum feierte, da war dieser alte Mann schon wohlbestallter Universitäts-Kupferstecher, und als 1837 Göttingen sein hundertjähriges Jubiläum feierte, da war Riepenhausen neben Brüderchen Heinrich Dietrich, dem Sohne des obenerwähnten Buchhändlers Heinrich Dietrich, dem Pastor Luther u. a. m. einer der wenigen, die noch vom Jahre 1787 erzählen konnten als Festgenossen und Universitätsmitglieder von damals. Riepenhausen, der Freund Lichtenberg's, Blumenbach's, Wrisberg's, der Hauswirth Bürger's in seiner schwersten Lebenszeit, der geniale Mann, der Hogarth's Meisterwerke mit seinem Griffel für Deutschland zugänglich, ja mit Lichtenberg's Erklärungen zum Nationaleigenthum gemacht hat, war zu der Zeit nach 1830 nichts mehr als ein alter schwacher Mann und Vater zweier berühmter Söhne, der Gebrüder Riepenhausen, Maler in Rom, während ein jüngerer Sohn bummelnd und nichtsthuend ihm das Mark des Lebens aus dem Beutel sog, und eine Tochter, Präsidentin eines 1822 gestifteten Ypsilanticlubs, nach dem Einen wahren Zukünftigen schmachtete. Riepenhausen war, sobald es dunkelte, Sommer und Winter der erste Gast in der Krone. Er wußte viel zu erzählen, der alte Herr, und er hat mir Dinge berichtet, von denen in unzähligen Büchern, die über Göttingen geschrieben sind, kein Wort steht, und hätte sich Otto Müller von ihm eine Stunde über Bürger erzählen lassen, er würde einen bessern Roman als den uns vorliegenden geschrieben und Novalis nicht mit dem Vetter des Fürsten von Hardenberg verwechselt haben.
Heinrich Oppermann: Hundert Jahre, 2. Buch 1. Kapitel
*1951 wurden auf dem Gelände der Gastwirtschaft die Kreissparkasse, die Gastwirtschaft "Alte Krone" und ein Kino errichtet.
sieh auch:
Göttinger Hainbund
Wiki-Göttingen
Peter Bichsel: Die schöne Schwester Langeweile (2023)
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