"Jetzt ging
Berlepsch das
Reichskammergericht an, und dieses, o Wunder über Wunder! dieses faßte schon am 20. Juni 1797, vier Wochen nach der ersten Eingabe, den Beschluß gegen
Georg III. als Herzog von Kalenberg: »bis zu des kaiserlich königlichen Gerichts weiterer Verordnung mit allem Verfahren gegen von Berlepsch einzuhalten«, wie der mitbeklagten Ritterschaft des
Fürstentums Kalenberg aufgegeben ward, mit der Wahl eines neuen Land- und Schatzraths nicht weiter vorzuschreiten. Wohl war das Documentum sub Aquila ausgefertigt, allein der Reichsadler hatte schon keine Kraft mehr bei den Fürsten und Corporationen, er war flügellahm. Die kalenbergische
Ritterschaft wählte am 22. Juni, an demselben Tage, an dem ihr das Decret insinuirt war, den Hofrichter von Bremer auch zum Schatz- und Landrath. Derselbe wurde von der Regierung bestätigt und in das Schatzcollegium eingeführt. [...]
Inzwischen hatte der unermüdliche Berlepsch und sein noch unermüdlicherer Anwalt
Häberlin am 30. Januar 1798 von dem kaiserlichen Reichskammergerichte sowol ein mandatum sine clausula gegen Georg III., als gegen die kalenbergische Landschaft erlangt, worin den Beklagten aufgegeben wurde, gegen Berlepsch nicht factisch und willkürlich, sondern justizmäßig im Wege Rechtens zu verfahren, ihn sofort in die bekleideten Aemter und den Genuß seines Diensteinkommens einzusetzen und innerhalb gesetzter Frist Anzeige zu thun, daß dem kaiserlichen Mandate geziemend nachgelebt sei.
Wenn man ein solches Urtheil gegen die Majestät und eine Ritter- und
Landschaft, die schlechthin mit Du angeredet wurde, sah, so mußte man glauben, so ein Reichsgericht sei eine herrliche Sache. Das glaubte mindestens der kaiserliche Kammergerichtsbote Heinrich Hauenschild aus Wetzlar, als er sich am 13. Februar desselben Jahres mit dem Land- und Schatzrathe Berlepsch, der die Expedition des Mandats selbst betrieben hatte, in Wetzlar in dessen Kutschwagen setzte und nach zwei Tagen wohlbehalten in München anlangte, wo ihn der Herr Schatzrath verließ und er in der ordinären Post weiter fahren mußte. Heinrich Hauenschild war schon weit im großen Römischen Reiche herumgekommen, er hatte schon manchem Grafen und Fürsten, manchem Bürgermeister und Rath Mandate des Gerichts behändigt, auf keine Reise hatte er sich aber so sehr gefreut als auf diese Reise nach Hannover. Denn es waren jetzt mehr als sechsundzwanzig Jahre vergangen, seit seine einzige Schwester, die im Dienste des Kammergerichtsraths Buff gestanden, mit der ältesten
Tochter Lotte, welche nach Hannover geheirathet, fortgezogen war, und er hatte sie seitdem nicht wiedergesehen. Er war damals noch ein Junge gewesen, eben confirmirt, der bei den Herren Assessoren allerlei Dienstleistungen verrichtet. Er erinnerte sich noch sehr wohl des jungen Frankfurters, für den er so unzählige Briefe an Lotte Buff bringen mußte, des seitdem so berühmt gewordenen Goethe, er hatte auch
Jerusalem gekannt, der sich todtgeschossen, und viele andere Männer, die seitdem zu hohen Ehren und Stellen gekommen waren. So kannte er auch recht wohl den Ehemann Lottens, den jetzigen Hofrath und Vicearchivarius
Johann Christian Kestner.
Als Hauenschild daher einen Brief Berlepsch's an dessen Sachführer und Notar Reischauer abgegeben hatte, eilte er in die große Aegidienstraße, wo im jetzigen Cruse'schen Hause Kestner und seine Lotte wohnten. Lotte hatte damals schon so viele Kinder, als diese Geschwister gehabt, ihr ältester Sohn war seit einem Jahre als Auditor bei dem Archiv angestellt, während ihr zehntes Kind (der in Rom verstorbene Legationsrath Kestner) mit den beiden Schwestern Charlotte und Klara noch in der Kinderstube spielte.
Lotte liebte ihre treue Magd Barbara Hauenschild, die ihr von Wetzlar gefolgt, die alle ihre Kinder gepflegt, gar sehr und nahm den Bruder wohl auf, als dieser am 19. Februar gegen Abend bei ihr einsprach. Demselben wurde ein gutes Essen bereitet, eine Flasche Wein vorgesetzt, und Lotte Kestner setzte sich selbst, während er aß, mit in die Küche und ließ sich von ihrer Vaterstadt und der Lahn erzählen. Ob der alte Dom noch stehe, ob die Buche noch vorhanden, unter der sie mit Goethe und ihrem Manne so oft gespeist, wer in den letzten Jahren in ihrer Straße geboren sei, das alles mußte Hauenschild erzählen. Lotte bedauerte nichts mehr, als daß ihr Hofrath auf ein paar Tage nach Celle gereist sei in Begleitung des Auditors.
Da wurde laut und heftig an die Thür gepocht, es erschienen drei Männer mit rothen Röcken und großen dreieckigen Hüten, wie sie schon nicht mehr Mode waren, die sich als Regierungsbote Tubbe, als Kanzleibote Sprenger und als Consistorialbote Ringe kundgaben und begehrten, den sogenannten Reichskammergerichtsboten Hauenschild, der sich hier aufhalten sollte, zu sprechen.
Die Frauenzimmer, Lotte wie Hauenschild's Schwester, waren natürlich sehr erschrocken, und begab sich nun folgende Haupt- und Staatsaction in der Küche. Der Regierungsbote zog ein großes Schreiben mit Siegel und der Unterschrift des Geheimraths von Kielmannsegge hervor, stemmte die eine Hand auf den großen Bambusstock und las den Befehl der Geheimräthe, der dahin lautete: »Dem allhier sich eingefundenen Kammergerichtsboten Hauenschild werde damit zur Nachachtung bedeutet, daß das von ihm überbrachte insinuandum in Sachen u. s. w., in welchen das kaiserliche und Reichskammergericht offenkundigermaßen incompetent sei, von Se. Majestät dem Könige nicht angenommen werden könne, dermalen ihm befohlen würde, sich aller heimlichen und öffentlichen Insinuation davon, als welche ein für allemal hierdurch cassirt und für ungültig und unstatthaft erklärt werde, bei unangenehmer Verfügung zu enthalten und sich sogleich aus Seiner Majestät hiesiger Residenz hinwegzubegeben.«
Unser kaiserlicher Reichskammergerichtsbote aber warf sich in die Brust, wies auf seinen kaiserlichen Adler vor derselben und meinte, er sei doch kein Spitzbube, als welcher er hier überfallen und behandelt würde, sondern ein kaiserlicher Bediensteter, und der Kaiser stehe über Reich und Königen. Und das meinte seine Schwester Barbara erst recht, und fuhr auf den Regierungsboten Tubbe, den sie niemals hätte beleidigen mögen, los, daß diesem für seine Augen bange wurde. Lotte Kestner suchte zu begütigen und meinte, morgen komme ihr Mann wieder, und der werde das schon ausmachen, für heute sei Hauenschild ihr Landsmann, ihr Gast, und man möge hier ihn nicht weiter belästigen. Tubbe aber war in seiner Würde als Regierungsbote angegriffen, er befahl dem Hauenschild, bei Strafe sofortiger Verhaftung insinuandum und sonstige Papiere vorzulegen. Und als die ängstlich gewordene Barbara das in Riemen geschnürte Actenpacket, das neben dem Hute und Rocke des Bruders lag, hervorholte, hing Tubbe dasselbe dem Reichskammergerichtsboten um, befahl seinen Begleitern, denselben unter den Arm zu nehmen, und so führte man den Mann, der die Befehle des Kaisers und Reichs ausführen sollte, aus dem Hause zum Aegidienthore heraus. Hauenschild protestirte fortwährend, und als man in die Vorstadt kam, bat er, ihn, da er ein alter Mann sei, der in der Nacht und bei dem schlechten Wetter nicht gehen könne, daselbst zu lassen. Allein man schleppte den Reichskammergerichtsboten bei Nacht und Nebel durch Koth und Dreck bis an die Grenze des Stifts Hildesheim, wo man ihm bei Gefängnißstrafe das Kurfürstenthum zu betreten verbot. Der Reichskammergerichtsbote brachte die Nacht im Fieber auf der Landwehrschenke zu, setzte am andern Morgen ein großes Promemoria auf, daß Se. kaiserliche Majestät und das hohe Kammergericht in seiner Person in Hannover beschimpft sei, und begab sich dann nach Hildesheim, wo er durch die kaiserlichen Notare Albrecht und des statt zweier Zeugen subrequirirten Notars Firnhaber das Originalmandat vom 29. Januar 1798 der königlichen Landesregierung wie auch der kalenbergischen Landschaft durch die Post insinuiren ließ.
Da Hauenschild
grubenhagensche und
göttingensche Landestheile noch berühren mußte, um nach der Heimat zurückzugelangen, vertauschte derselbe vorsichtigerweise seinen kaiserlichen Livreerock mit einem bürgerlichen Kleide, und da er nicht wagte, die ordentliche Post zu benutzen, und sich fürchtete, weil er dennoch heimlich insinuirt hatte, in Haft genommen zu werden, kam er nach großen Mühseligkeiten und Beschwerden im Hessischen, im Hause Berlepsch an, wo der Gerichtshalter Seutheim und Justitiar Rausch über seine Behandlung in Hannover ein gerichtliches Protokoll aufnahmen, das sich in der »Sammlung sehr wichtiger Actenstücke in der Berlepsch'schen Sache«, so 1798 in Frankfurt und Leipzig erschienen, Seite 7–17 abgedruckt findet. Das war der letzte kaiserliche Reichskammergerichtsbote, der das Land Hannover betrat."
(Heinrich Oppermann: Hundert Jahre, Buch 3, 9. Kapitel)
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