Achilles berichtet, dass das gesamte Griechenheer die Opferung Iphigenies fordert:
ACHILLEUS.
Schrein und Toben herrscht im Lager –
KLYTAIMESTRA.
Und worüber? Sag es an!
ACHILLEUS.
Wegen deiner Tochter.
KLYTAIMESTRA.
Oh, Weissagung schlimmer Meldungen!
ACHILLEUS.
Daß der Jungfrau Opfrung nötig sei.
KLYTAIMESTRA.
Und niemand widerspricht?
ACHILLEUS.
Selbst versucht ich's, und der Aufruhr drohte mir –
KLYTAIMESTRA.
Was? Edler Freund![901]
ACHILLEUS.
Mich mit Steinen totzuwerfen!
KLYTAIMESTRA.
Für das Leben meines Kinds?
ACHILLEUS.
Eben dies!
KLYTAIMESTRA.
Und wer vermaß sich, anzutasten deinen Leib?
ACHILLEUS.
Alle Griechen.
KLYTAIMESTRA.
Standen dir nicht deine Myrmidonen bei?
ACHILLEUS.
Ihre Empörung war die erste.
KLYTAIMESTRA.
Weh, wir sind verloren, Kind!
ACHILLEUS.
Nannten mich den brautbetörten Freier.
KLYTAIMESTRA.
Und was sagtest du?
ACHILLEUS.
Daß ich nicht die mir Verlobte morden lasse.
KLYTAIMESTRA.
Ganz gerecht!
ACHILLEUS.
Die der Vater zugesagt hat –
KLYTAIMESTRA.
Und von Argos hergesandt!
ACHILLEUS.
Doch der Aufruhr überschrie mich.
KLYTAIMESTRA.
Pöbels Wut ist fürchterlich!
ACHILLEUS.
Dennoch schütz ich dich.
KLYTAIMESTRA.
Und kämpfest einer gegen Hunderte?
ACHILLEUS.
Siehst du diese hier im Harnisch?
KLYTAIMESTRA.
Werde dir der Tugend Lohn!
ACHILLEUS.
Ja, das hoff ich.
KLYTAIMESTRA.
Und mein Kind stirbt also nicht am Opferherd?
ACHILLEUS.
Nicht, solang ich's wehren kann.
KLYTAIMESTRA.
Hand anzulegen kommt man her?
ACHILLEUS.
Tausend, und voran Odysseus.
KLYTAIMESTRA.
Wohl der Sproß des Sisyphos?
ACHILLEUS.
Eben der.
KLYTAIMESTRA.
Aus eignem Antrieb, oder hergesandt vom Heer?
ACHILLEUS.
Willig und erwählt!
KLYTAIMESTRA.
Zum Blutvergießen! Welche schnöde Wahl!
ACHILLEUS.
Doch ich werd ihn hemmen!
KLYTAIMESTRA.
Also schleppen will man sie mit Zwang?
ACHILLEUS.
Ganz gewiß, an ihren Locken!
KLYTAIMESTRA.
Und was muß ich tun dabei?
ACHILLEUS.
Häng dich an die Tochter!
KLYTAIMESTRA.
So fest, daß sie nie mir sterben soll!
ACHILLEUS.
Doch du wirst das gleiche wohl erreichen –
IPHIGENIE.
Mutter, höre mich,
Höret meine Wort: ich seh dich deinem Gatten ohne Grund
Aufgebracht sein, und erzwingen läßt sich nichts Unmögliches.
Dieses Freundes edler Eifer zwar ist alles Lobes wert,
Doch auch du mußt dies verhüten, daß das Heer ihn nicht verkenn
Und wir doch nichts weiter wirken, während er es büßen muß.
Nun vernimm, was Überlegung mir in meine Seele gab:
Sieh, ich bin zu sterben willens; aber dieses eben soll
Schön und rühmlich, mit Verbannung niedrer Sinnesart, geschehn.
Komm und prüf, o Mutter, mit mir, wie mein Ratschluß richtig sei!
Sieh, das ganze große Hellas richtet seine Blick auf mich;
Denn die Überfahrt der Flotte ruht auf mir und Trojas Sturz,
Und daß künftig keine Frauen aus dem seligen Hellas mehr
Werden weggeführt, wenn diese Leides tun den Welschen dort
Und den Raub Helenens strafen mit des Landes Untergang.
Allem diesem bring ich sterbend Schutz und Heil, und herrlich wird
So mein Tod sein; denn ich heiße Griechenlands Befreierin.
Ja, auch ich darf nicht am Leben hängen, Mutter, gar zu fest;
Dir allein gehör ich nicht an, sondern auch dem Vaterland.
Wo so viele tausend Männer, angetan mit Stahl und Erz,
Viele tausend Ruderschwinger sind bereit, des Vaterlands
Schmach zu rächen an den Feinden und zu sterben für sein Wohl,
Dürfte da mein einzig Leben allem dem im Wege stehn?
Sag, was läßt sich dem entgegnen? Welcher irgend billige Grund?
Laß mich dann auf jenes kommen: dieser Mann soll nicht in Kampf
Mit dem Griechenvolk geraten, nicht sich opfern für ein Weib.
Mehr denn tausend Frauenleben wiegt das Leben eines Manns.
Und wenn Artemis doch einmal meinen Leib zum Opfern will,
Werde ich, ein sterblich Wesen, hindern, was die Göttin will?
Nein, umsonst! Ich gebe willig meinen Leib für Hellas hin:
Opfert mich, verwüstet Troja! Ewiges Angedenken bleibt
Dieses mir: dies gilt für Gatten, Kinder mir und Ehrenkranz.
Daß die Griechen über Welsche herrschen, ziemt sich, aber nicht
Welsche über Griechen: sie sind Sklaven, aber jene frei.
CHOR.
Dein Handeln, Jungfrau, zwar ist groß und heldenhaft,
Allein das Schicksal und die Göttin ungerecht.[903]
ACHILLEUS.
O Kind Agamemnons, selig machen wollte mich
Ein gnädiger Gott wohl im Besitze deiner Hand.
Um dich beneid ich Hellas, und um Hellas dich.
Denn deine Rede ist herrlich, wert des Vaterlands,
Denn auf das Ringen mit des Schicksals stärkrer Macht
Verzichtend, fühlst du, was die Pflicht heischt und die Not.
IPHIGENIE.
Ohn andre Rücksicht gegen jeden sag ich das.
Daß Tyndars Tochter zwischen Männern Kampf und Mord
Um ihren Leib verschuldet, ist genug – um mich
Sollst du, mein Freund, nicht sterben, keinen töten auch;
Und laß mich Hellas retten, wenn's mir möglich ist.
ACHILLEUS.
O hohe Seele! Gegen dieses läßt sich nichts
Erwidern, weil es dir genehm ist. Ja, du denkst
Erhaben! Sollt ich nicht die Wahrheit eingestehn?
Doch wär es möglich, daß dich dein Entschluß gereut.
Drum daß du, wie ich's meine, durch die Tat erfährst,
So werd ich, diese Kriegerschar beim Opferherd
Aufstellend, deiner Erscheinung dort gewärtig sein.
Ab mit den Kriegern.
IPHIGENIE.
O Mutter, stille Tränen feuchten deinen Blick?
KLYTAIMESTRA.
Und hab ich nicht zum Weinen Grund, ich armes Weib?
IPHIGENIE.
Erweiche mich nicht, auch gewähr mir dieses noch –
KLYTAIMESTRA.
Sprich nur, mein Kind: nichts, wie's auch sie, versag ich dir.
IPHIGENIE.
Du sollst vom Haupt dir keine Locken schneiden und
Auch keine Trauerkleider legen um den Leib.
KLYTAIMESTRA.
Wieso, mein Kind? Ich werde deiner doch beraubt!
IPHIGENIE.
Das wirst du nicht: ich lebe dir zu hohem Ruhm.
KLYTAIMESTRA.
Wie meinst du? Um dein Leben muß ich trauern doch?
IPHIGENIE.
Mitnichten! Kein Grabhügel türmt sich über mir.
KLYTAIMESTRA.
Wie? wenn du doch verscheidest? Ziemt Bestattung nicht?
IPHIGENIE.
Der Göttin Herd, der Zeusenstochter, ist mein Grab.
KLYTAIMESTRA.
Ja, Kind, ich will dir folgen, weil du richtig sprichst.
IPHIGENIE.
Ich sterb als Siegerin und Wohltäterin Griechenlands.
KLYTAIMESTRA.
Was soll ich deinen Schwestern von dir melden, Kind?
IPHIGENIE.
Auch ihnen lege keine schwarzen Kleider an.
KLYTAIMESTRA.
Und sag ich ihnen nicht von dir ein holdes Wort?[904]
IPHIGENIE.
Ein Lebewohl! Oresten da erzieh zum Mann.
KLYTAIMESTRA.
Küß ihn noch einmal, denn du siehst ihn nimmermehr.
IPHIGENIE.
Du liebes Herz, du hast mich redlich unterstützt.
KLYTAIMESTRA.
Vermag ich dir in Argos was zulieb zu tun?
IPHIGENIE.
Nicht grollen sollst du meinem Vater, deinem Mann.
KLYTAIMESTRA.
Er soll um dich mir manchen harten Kampf bestehn.
IPHIGENIE.
Er bringt mich ungern Griechenland zum Opfer dar.
KLYTAIMESTRA.
Doch hinterlistig, feige! Atreus schämt sich sein!
IPHIGENIE.
Wer führt mich hin, eh man mich bei den Locken faßt?
KLYTAIMESTRA.
Ich gehe mit –
IPHIGENIE.
O nein, das ist nicht wohlgetan!
KLYTAIMESTRA.
An dein Gewand mich hängend.
IPHIGENIE.
Mutter, folge mir
Und bleibe: schöner steht es so uns beiden an;
Und einer von des Vaters Dienern leite mich
Zur Aue hin der Göttin, wo das Opfer fällt.
KLYTAIMESTRA.
Du gehst, mein Kind?
IPHIGENIE.
Ich gehe ohne Wiederkehr!
KLYTAIMESTRA.
Fort von der Mutter?
IPHIGENIE.
Wie du siehst, so unverdient!
KLYTAIMESTRA.
Verlaß mich nicht! Ob, bleibe!
IPHIGENIE.
Weinen sollst du nicht!
Ihr aber, Jungfraun, stimmet an ein Jubellied
Bei meinem Untergange! »Singet Artemis,
Zeus' Tochter!« schalle Segensruf im Danaerheer!
Herbei die Opferkörbe, laßt die Flamme glühn
Vom Sühnungsguß des Grieses! Und mein Vater soll
Rechtshin den Herd umwandeln! Denn Triumph und Heil
Dem Vaterland und Ruhm zu bringen, zieh ich hin!
So führt mich hin, mich, der Burg, Trojas Überwinderin!
Bringt Binden her – hier ist die Locke! –, bringt den Kranz
Und die Weihungssprengen!
Schlingt Reigen um den Altar,
Tanzt der Fürstin Artemis, der selgen!
Perlentau von Vaters Hand
Und heilige Sprenge harrt mein,[905]
Daß mein Blut, mein Opfertod, weil es sein
Muß, den Schicksalsbeschluß entrolle!
Als deutlich wird, dass das gesamte Griechenheer von Agememnon fordert, er solle Iphigenie opfern, damit sie guten Wind für die Fahrt nach Troja bekommen, ringt sich Iphigenie zu einer neuen Haltung durch. Sie rät Klytämestra und Achilles, dem Heer keinen Widerstand zu leisten, und sagt:
"Mutter, höre mich,
Höret meine Wort: ich seh dich deinem Gatten ohne Grund
Aufgebracht sein, und erzwingen läßt sich nichts Unmögliches.
Dieses Freundes edler Eifer zwar ist alles Lobes wert,
Doch auch du mußt dies verhüten, daß das Heer ihn nicht verkenn
Und wir doch nichts weiter wirken, während er es büßen muß.
Nun vernimm, was Überlegung mir in meine Seele gab:
Sieh, ich bin zu sterben willens; aber dieses eben soll
Schön und rühmlich, mit Verbannung niedrer Sinnesart, geschehn.
Komm und prüf, o Mutter, mit mir, wie mein Ratschluß richtig sei!
Sieh, das ganze große Hellas richtet seine Blick auf mich;
Denn die Überfahrt der Flotte ruht auf mir und Trojas Sturz,
Und daß künftig keine Frauen aus dem seligen Hellas mehr
Werden weggeführt, wenn diese Leides tun den Welschen dort
Und den Raub Helenens strafen mit des Landes Untergang.
Allem diesem bring ich sterbend Schutz und Heil, und herrlich wird
So mein Tod sein; denn ich heiße Griechenlands Befreierin.
Ja, auch ich darf nicht am Leben hängen, Mutter, gar zu fest;
Dir allein gehör ich nicht an, sondern auch dem Vaterland.
Wo so viele tausend Männer, angetan mit Stahl und Erz,
Viele tausend Ruderschwinger sind bereit, des Vaterlands
Schmach zu rächen an den Feinden und zu sterben für sein Wohl,
Dürfte da mein einzig Leben allem dem im Wege stehn?"
[...]
Offensichtlich gibt es Gemeinsamkeiten von dieser Forderung eines Kindesopfers zu der Forderung an Abraham, seinen Sohn Isaak zu opfern, bis hin zu dem Opfertier, das der Gott im letzten Augenblick als Ersatz für das Kind zur Verfügung stellt.[...]
IPHIGENIE.
Weinen sollst du nicht!
Ihr aber, Jungfraun, stimmet an ein Jubellied
Bei meinem Untergange! »Singet Artemis,
Zeus' Tochter!« schalle Segensruf im Danaerheer!
Herbei die Opferkörbe, laßt die Flamme glühn
Vom Sühnungsguß des Grieses! Und mein Vater soll
Rechtshin den Herd umwandeln! Denn Triumph und Heil
Dem Vaterland und Ruhm zu bringen, zieh ich hin!
So führt mich hin, mich, der Burg, Trojas Überwinderin!
Bringt Binden her – hier ist die Locke! –, bringt den Kranz
Und die Weihungssprengen!
Schlingt Reigen um den Altar,
Tanzt der Fürstin Artemis, der selgen!
Perlentau von Vaters Hand
Und heilige Sprenge harrt mein,
Daß mein Blut, mein Opfertod, weil es sein
Muß, den Schicksalsbeschluß entrolle!
[...]
Der echte Schluß des Dramas ist verloren. In unseren Handschriften folgt ein Botenbericht, der mindestens größtenteils Ergänzung ist. Durch ein antikes Zitat ist gesichert – was ohnehin von der Anlage des Stücks gefordert wird –, daß Artemis erschien und die Rettung Iphigenies ankündigte. Aus ihrer Rede, in der sie zweifellos auch begründete, warum sie gerade Agamemnons Tochter als Opfer verlangt habe, werden folgende Verse angeführt.
(ARTEMIS.)
Und einen hochgehörnten Hirsch den Griechen will
Ich in die Hände spielen, welchen schlachtend, sie
Dein Kind zu schlachten träumen ..."
Wie weit Schiller in seiner Darstellung der bewussten Annahme des Todesurteils durch Maria Stuart von Euripides beeinflusst war, möchte ich nicht bestimmen. Sicher ist, dass er dessen Iphigenie bereits 12 Jahre vor Abfassung seiner Maria Stuart übersetzt hat.
Hier das Link zum Schluss des Dramas in Schillers Übersetzung.
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