Gleich bleibt das Befremden über die Sprache verbunden mit dem Gefühl, dass sie wichtig ist, den Geist der Zeit wahrzunehmen.
Bemerkenswert das Gefühl, dass die Bewegung weitgehend die gesamte Jugend erfasst habe, dass eine Macht entstanden sei und dass sie auf eine Revolution hindränge.
Wichtig ist die Betonung des Gedankens, dass die Jugend sich selbst erziehen solle und dass zwischen den Knaben (Mitglieder, Scholaren) und den Jugendlichen (Bachanten - Jugendführer) als getrennten "Altersklassen" (Leo Frobenius) unterschieden werden solle.
Zitate:
An die Spitze des "Ausschusses für Schülerfahrten" tritt als Vorsitzender der Schriftsteller Wolfgang Kirchbach [...] Er will 'eine Organisation schaffen, in der die Korporationen der jungen Leute, der Führer oder Bachanten und der Knaben zwei ganz selbstständige Gruppen bilden. In erster Linie soll durch Selbständigkeit eine Selbsterziehung und Selbstzucht unter der Jugend herbeigeführt werden ...' " (S. 25)
"Der Wandervogel erhebt sich. Ein kleiner Kreis romantischer Knaben hat ihn flügge gemacht. Man sieht in ihm eine harmlose Vereinigung für Schülerwandern. Niemand weiß, dass sein Schrei ein Vorbote nahenden Wetters ist, und dass der Sturm ihn einst tragen wird. Niemand weiß, dass ihm einst Scharen von Zugvögeln folgen werden, die ihren Flug hoch zum Firmament erheben. Und dass diese Jugendgründung Teil einer Bewegung ist, die noch wie ein Funke Im Verborgenen glimmt, aber bald als gewaltiges Feuermeer auflodern und Staat und Volk Aufruhr bringen wird." (S. 29)
Mädchenwandern
Auf
der Altwandervogel-Hauptversammlung in Berlin stellt 1907 die
Ortsgruppe Jena den Antrag, den 'Begriff der Jugend auch auf das
weibliche Geschlecht auszudehnen' (immerhin ein Fortschritt gegen die
Theologen des 18. Jahrhunderts, die darüber stritten, ob die
Frauenzimmer auch Menschen wären!) 'und das Mädchenwandern in den
Wandervogel aufzunehmen. In der ausführlichen Begründung ist von
der Notwendigkeit der sogenannten Koedukation und vom Mädchenwandern
insbesondere die Rede. [...]
Der
Antrag wird mit allen gegen die Jenaer Stimmen abgelehnt. Seine
Gegner bilden zwei Gruppen. Die einen stehen auf dem Standpunkt: 'Wat
de Bur nicht kennt, dat freet he nich.' 'Mädchenwandern' ist für
sie ein revolutionärer Begriff, den sie gewohnheitsmäßig ablehnen.
Die Minderheit ist nicht
überzeugt
von dem gleichen Wert und der gleichen Art der Geschlechter innerhalb
des Wandervogels,/ fürchtet eine ungesunde Entstellung des
Wandervogelstils, der in allererster Linie Selbsthilfe der Jungen ist
und wendet sich gegen die Gefahr der Verweichlichung, Zerfahrenheit
und Blasiertheit, die beim Zusammenwandern entstehen könnte.
Oft ist es reines, ehrliches Knabenempfinden, das sich gegen die Mädchen sträubt, wenn es zum Beispiel heißt:
'Eine der größten Schwierigkeiten auf diesem Weg weiterzukommen, ist das Wandern mit Mädchen geworden. Gerade im Zusammensein mit ihnen ist es schwer, sich selbst treu zu bleiben, ehrlich der zu sein, der man ist. Man erliegt dann so leicht dem Wunsch, zu imponieren, mehr zu scheinen. Man redet nicht frei von der Leber herunter, sondern immer so, dass es so aussehen soll, als ob man weiß Gott was für ein Kerl sei. Wer es einmal erlebt hat auf mehrtägiger Fahrt oder am Abend nach einem ermüden den Klotzmarsch, auf einer Nachtfahrt, wie man ganz anders aus sich heraus geht, wie man sich selbst entdeckt und auch die heimlichen Gedanken dem Freund anvertraut, der erkennt mit Bedauern, Scham, wie er doch meist Theater spielt Mädchen gegenüber. Und das sind nicht die Schlechtesten, sondern die, die ernstlich suchen und streben. Solange wir diese innere Selbstständigkeit nicht errungen haben, sollten wir unter uns bleiben. [...]' " (S.67/68)
"Die Führung des D.B. [Deutscher Bund] geht jedoch an Heidelberg über, und Hans Breuer wird Bundesleiter. [...] Breuer macht für den inneren Ausbau Vorschläge, die schon die ganze Entwicklungslinie des Mädchenwanderns bis heute vorzeichnen:/
'Verzicht auf große Distanzmärsche dagegen starke Bevorzugung der Landheime; die für Mädchen recht schwierige Frage des abendlichen Quartiermachens fällt dadurch auch fort. [...] Im Gegensatz zu den Buben, wo es auf Tatkraft, Willens- und Charakterbildung ankommt, wird man den Aufenthalt in freier Natur mehr der Vertiefung des Gemüts- und Gefühlslebens weihen ... Die seichte Gleichmacherei, welche das Mädchenwandern mit Gewalt in einen Bubenschema hineinpressen will, soll keine Heimat bei uns finden ... " (S. 69/70)
"Die freie deutsche Jugend gibt den Idealen, die im Wandervogel noch nicht zu bewussten Zielsetzungen geworden sind, gedankliche Form und gestaltet sie zum gemeinsamen Bekenntnis der Jugendbewegung." (S. 99)
"Um die Jahrhundertwende entstehen in allen Kulturländern Jugendverbände. Der Grund mag ein doppelter sein. Die zunehmende Sonderung der Klassen, die eine Arbeiterbewegung, eine Frauenbewegung und Berufsbewegungen zeitigt, muss folgerichtig auch zu einer Jugendbewegung führen.
Andererseits liegt in der allgemeinen Mechanisierung des Lebens eine "Vermännlichung", eine Intellektualisierung des Seins, bei der die Jugend zu kurz kommt. So ist es erklärlich, dass ihr Eigenleben in eigenen Verbänden gepflegt werden soll. Auch die Erwachsenen erkennen das an. Neben dem Wandervogel, der einzig in seiner Art ist, weil urdeutsch und dem reinen Gefühl der Jugend entsprossen, bilden sich ungefähr um die Zeit seines Entstehens in Deutschland und anderen Ländern zahlreiche Jugendorganisationen. Unter ihnen nimmt die deutsche proletarische Jugendbewegung insofern eine Sonderstellung ein, als sie nicht von Erwachsenen, sondern von der Jugend begründet ist und darum auch den Anspruch erhebt, als 'Jugendbewegung' gewertet zu werden. Doch sind die Triebkräfte, die sie erweckt haben, völlig andere als die im Wandervogel. Dieser entstand aus der Sehnsucht nach innerlich befreitem Sein und wurde von Söhnen einer bürgerlichen Schicht begründet, / die äußere Sorge nicht kannten und nur Jungsein erkämpfen wollten. Die proletarische Jugendbewegung hingegen stellt von Anfang an ein klar umrissenes Programm auf, das ihre wirtschaftliche Lage bessern soll, und ist zum Teil politisch-kämpferisch eingestellt. Auch ist der Antrieb zu ihrem Zusammenschluss nicht romantischer Sehnsucht entsprossen, sondern geht zum Teil auf Anregungen aus dem Auslande zurück.
Oft ist es reines, ehrliches Knabenempfinden, das sich gegen die Mädchen sträubt, wenn es zum Beispiel heißt:
'Eine der größten Schwierigkeiten auf diesem Weg weiterzukommen, ist das Wandern mit Mädchen geworden. Gerade im Zusammensein mit ihnen ist es schwer, sich selbst treu zu bleiben, ehrlich der zu sein, der man ist. Man erliegt dann so leicht dem Wunsch, zu imponieren, mehr zu scheinen. Man redet nicht frei von der Leber herunter, sondern immer so, dass es so aussehen soll, als ob man weiß Gott was für ein Kerl sei. Wer es einmal erlebt hat auf mehrtägiger Fahrt oder am Abend nach einem ermüden den Klotzmarsch, auf einer Nachtfahrt, wie man ganz anders aus sich heraus geht, wie man sich selbst entdeckt und auch die heimlichen Gedanken dem Freund anvertraut, der erkennt mit Bedauern, Scham, wie er doch meist Theater spielt Mädchen gegenüber. Und das sind nicht die Schlechtesten, sondern die, die ernstlich suchen und streben. Solange wir diese innere Selbstständigkeit nicht errungen haben, sollten wir unter uns bleiben. [...]' " (S.67/68)
"Die Führung des D.B. [Deutscher Bund] geht jedoch an Heidelberg über, und Hans Breuer wird Bundesleiter. [...] Breuer macht für den inneren Ausbau Vorschläge, die schon die ganze Entwicklungslinie des Mädchenwanderns bis heute vorzeichnen:/
'Verzicht auf große Distanzmärsche dagegen starke Bevorzugung der Landheime; die für Mädchen recht schwierige Frage des abendlichen Quartiermachens fällt dadurch auch fort. [...] Im Gegensatz zu den Buben, wo es auf Tatkraft, Willens- und Charakterbildung ankommt, wird man den Aufenthalt in freier Natur mehr der Vertiefung des Gemüts- und Gefühlslebens weihen ... Die seichte Gleichmacherei, welche das Mädchenwandern mit Gewalt in einen Bubenschema hineinpressen will, soll keine Heimat bei uns finden ... " (S. 69/70)
"Die freie deutsche Jugend gibt den Idealen, die im Wandervogel noch nicht zu bewussten Zielsetzungen geworden sind, gedankliche Form und gestaltet sie zum gemeinsamen Bekenntnis der Jugendbewegung." (S. 99)
"Um die Jahrhundertwende entstehen in allen Kulturländern Jugendverbände. Der Grund mag ein doppelter sein. Die zunehmende Sonderung der Klassen, die eine Arbeiterbewegung, eine Frauenbewegung und Berufsbewegungen zeitigt, muss folgerichtig auch zu einer Jugendbewegung führen.
Andererseits liegt in der allgemeinen Mechanisierung des Lebens eine "Vermännlichung", eine Intellektualisierung des Seins, bei der die Jugend zu kurz kommt. So ist es erklärlich, dass ihr Eigenleben in eigenen Verbänden gepflegt werden soll. Auch die Erwachsenen erkennen das an. Neben dem Wandervogel, der einzig in seiner Art ist, weil urdeutsch und dem reinen Gefühl der Jugend entsprossen, bilden sich ungefähr um die Zeit seines Entstehens in Deutschland und anderen Ländern zahlreiche Jugendorganisationen. Unter ihnen nimmt die deutsche proletarische Jugendbewegung insofern eine Sonderstellung ein, als sie nicht von Erwachsenen, sondern von der Jugend begründet ist und darum auch den Anspruch erhebt, als 'Jugendbewegung' gewertet zu werden. Doch sind die Triebkräfte, die sie erweckt haben, völlig andere als die im Wandervogel. Dieser entstand aus der Sehnsucht nach innerlich befreitem Sein und wurde von Söhnen einer bürgerlichen Schicht begründet, / die äußere Sorge nicht kannten und nur Jungsein erkämpfen wollten. Die proletarische Jugendbewegung hingegen stellt von Anfang an ein klar umrissenes Programm auf, das ihre wirtschaftliche Lage bessern soll, und ist zum Teil politisch-kämpferisch eingestellt. Auch ist der Antrieb zu ihrem Zusammenschluss nicht romantischer Sehnsucht entsprossen, sondern geht zum Teil auf Anregungen aus dem Auslande zurück.
Die Internationale sozialistische Jugendbewegung nimmt ihren Ausgang von Jugendverbänden, die von den Arbeiterparteien gegründet werden, um die jungen Mitglieder der Partei zum Zweck der sozialistischen Propaganda zu organisieren. Schon am 1. November 1886 wird in Gent die erste sozialistische Jugendgruppe ins Leben gerufen. Die 'jungen sozialistischen Garden' Belgiens sind eine der ältesten und straffsten Jugendorganisationen. Die Aktion, zu der sie sich verpflichten, ist der Kampf gegen den Militarismus. Bulgarien gründet in den 90er Jahren sozialistische Jugendgruppen, Italien 1898, Dänemark und Norwegen 1899, Holland 1901." (Seite 100/101)
Else Frobenius verweist auf die Entstehung weiterer sozialdemokratischer Jugendgruppen in einer ganzen Reihe von europäischen Staaten. (S.101)
[dazu vgl. Geschichte der International Union of Socialist Youth]
Else Frobenius verweist auf die Entstehung weiterer sozialdemokratischer Jugendgruppen in einer ganzen Reihe von europäischen Staaten. (S.101)
[dazu vgl. Geschichte der International Union of Socialist Youth]
(Frobenius S.123-137)
Gustav Wyneken verfasst das Einladungsschreiben:
„Die deutsche Jugend steht an einem geschichtlichen Wendepunkt. Die Jugend, bisher aus dem öffentlichen Leben der Nation ausgeschaltet und angewiesen auf eine passive Rolle des Lernens, auf eine spielerisch-nichtige Geselligkeit und nur ein Anhängsel der älteren Generation, beginnt sich auf sich selbst zu besinnen. Sie versucht, unabhängig von den trägen Gewohnheiten der Alten und von den Geboten einer häßlichen Konvention sich selbst ihr Leben zu gestalten. Sie strebt nach einer Lebensführung, die jugendlichem Wesen entspricht, die es ihr aber zugleich auch ermöglicht, sich selbst und ihr Tun ernst zu nehmen und sich als einen besonderen Faktor in die allgemeine Kulturarbeit einzugliedern. […] Sie, die im Notfall jederzeit bereit ist, für die Rechte ihres Volkes mit dem Leben einzutreten, möchte auch in Kampf und Frieden des Werktags ihr frisches reines Blut dem Vaterlande weihen." (Wikipedia)
Knud Ahlborn versucht im Sinne des Wandervogels den Einfluss der Erwachsenen gering zu halten.
Ferdinand Avenarius schreibt mit der Erfahrung des Kriegsbeginns ein Jahr nach dem Treffen das Gedicht "Ein Gruß an die Freideutschen":
[...] Und aus den heiligen Tiefen wuchs
Ein Beten uns durchs Mark:
Gott, ist die Welt so voll des Trugs.
Mach frei uns, wahr und stark!
Ja, als zur Nacht der Flammenbrand
Auflohte unserem Bund,
Da weihten wir dem Vaterland
Uns nicht nur mit dem Mund
[...]
Am 10. Oktober, denkt ihr daran?
War das erst voriges Jahr?
Wie mancher reifte schnell zum Mann,
Der da noch Knabe war!
Nun suchen euch unsere Grüße gut
In Frankreich, in Rußland, zur See –
"Und du? … Und du?" "Fragt nicht, es tut
Soldatentot nicht weh."
Doch decken ihn Flut des Meeresgrunds
Oder fremde Erde zu,
Sein Geist, der ist und bleibt bei uns
Im alten Du und Du.
Vom Meißnerschwur durch jede Nacht
Singt der Wind einen Hall
Über Leben und Tod von Wacht zu Wacht:
"Beisammen sind wir all." (S.130/131)
Dieses Pathos, und die Verharmlosung des Krieges, die in die Darstellung von Else Frobenius (1927) noch hineinspielen und die die sinnlosen Opfer des Angriffs bei Langememarck zu mythisieren halfen, lassen sich in der nüchternen Darstellung der Wikipedia kaum erahnen.
Alles Grundsätzliche und weiterführende Links finden sich in dem ersten Artikel von 2007. Sieh auch: Bündische Jugend und Wolf Meyen, Wandervogel und "Die Akten ..."
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