25 Juni 2020

Eichendorff: Dichter und ihre Gesellen VI

Währenddes war Fortunat in Neapel und Sizilien umhergestreift. In seiner poetischen Behaglichkeit hatte er sich alles aus dem Sinn geschlagen und macht überhaupt aus seiner Liebe gar nichts als ein langes Gedicht in vielen Gesängen und verschiedenen Silbenmaßen, worin ein schönes, schlankes italienisches Mädchen die Hauptfigur spielte. Da begab sich's aber, daß er im Schreiben sich nach und nach in diese Figur selbst verliebte, und je verliebter er wurde, je ähnlicher wurde sie unvermerkt der kleinen Marchesin, als ob Fiametta oft plötzlich zwischen den Blütengewinden der Verse hervorguckte und, ihn auslachend, ausrief: »Siehst du, ich hab' dich doch!« – Ja, als er in Sizilien eines Abends auf einem hohen, senkrechten Felsen über dem Meere eingeschlummert war, träumte ihm, die blaue Flut teile sich leise, und mit langem, grünem Haar und glänzenden Schultern tauche Fiametta unten empor, in irren Tönen wehmütig klagend. – Als er erwachte, war der Mond schon über dem Meere aufgegangen, in der Ferne aber sah er ein Segel schwellend durch die weite Stille nach dem jenseitigen Ufer Italiens hinübergleiten. – Da faßte ihn eine unwiderstehliche Sehnsucht, und schon die folgende Nacht segelt' er selber hinüber. Und so geschah es, daß aus demselben Morgenrot, in welchem Rom hinter Otto versank, die Gärten, Trümmer und Kuppeln vor dem glückseligen Fortunat duftig wieder emporsteigen.
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Da sangen die Vögel und rauschten die Brunnen noch immer wie damals. Aber an der Hauptallee sah er Wäsche zum Trocknen aufgehängt, einzelne Ziegen weideten ungestört zwischen den verwilderten Blumenbeeten. Endlich glaubte er in einiger Entfernung deutsch reden zu hören. Er ging dem Klange nach und begegnete einem alten, unbekannten, etwas schäbigen Diener. Hastig fragte er nach dem Marchese A. und seiner Tochter. Der Alte sah ihn von oben bis unten an und sagte dann verdrießlich: dieser Palast sei von einem deutschen Kavalier bewohnt. Fortunat war wie im Traum. – Er verlangte nun, den Herrn zu sprechen. Der Bediente wies schweigend nach einer Laube und ging fort, ohne sich weiter um den Gast zu bekümmern.
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als er in die bezeichnete Laube trat und in dem deutschen Kavalier unseren Freund Grundling erkannte: in dem geblümten Schlafrock des Marchese auf einem halbzerrissenen damastenen Sofa ausgestreckt, eine lange Tabakspfeife und ein Buch in der Hand, Talglicht, Fidibus und Kaffeekanne vor sich.
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»wo ist Fiametta? Was macht sie?« – »In Deutschland wahrscheinlich und weint«, erwiderte Grundling gelassen. – »Warum weint sie?« – »Weil sie ein junges, albernes Ding ist, dem ein konfuser Wein, der noch moussiert, lieblicher in die Nase sticht als ein würdiges, abgelegenes Gewächs; das will heißen: die einen brutalen Phantasten, der sein Liebchen verläßt und seine Freunde drosselt, charmanter findet als -« »Und wem gehört jetzt dieser Palast?« unterbrach ihn Fortunat ungeduldig wieder.
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Und als er nun endlich tief aufatmend draußen in den prächtigen Abend hineinfuhr, blühten alle Gärten, und ein Regenbogen stand über der Gegend, als müßte nun alles, alles wieder gut werden.  (18. Kapitel)

Drittes Buch 
19. Kapitel
Auf dem fürstlichen Jagdschlosse, wo im vorigen Jahre alles so bunt und fröhlich war, sieht es jetzt ganz anders aus. Die Vögel picken frühmorgens auf der marmornen Treppe zwischen den Säulen, ein lässiger Gärtnerbursch dehnt sich in der Morgenkühle und schickt sich an, die verschlungenen Gänge notdürftig in Ordnung zu bringen, die überall blühend verwildern. [...]
Der Fürst gedachte nicht mehr des Schlosses, er war selber lange verwildert. Zwischen Genuß und Reue, Lust und Grauen war er allmählich immer tiefer hinabgestiegen in die schimmernden Abgründe, wo mit verlockendem Gesang die Nixen im Mondschein auf den Klippen ihr feuchtes Haar kämmen, das ferne Wetterleuchten der Religion verwirrte ihn nur noch mehr; so hatte er sich im schönen Leben verirrt und konnte sich nicht wieder nach Hause finden. Da schlug die himmlische Liebe ihren Sternenmantel um den Todmüden. Er verfiel in eine schwere Krankheit, und als er wieder genas, war auf einmal alles vorbei. Die Leute nannten ihn wahnsinnig, er aber war vergnügt und blätterte Tag für Tag mit stiller, herzlicher Lust in den alten Bilderbüchern, die er als Kind gelesen; alles andere hat er vergessen. Sie hatten ihn endlich in einem entlegenen Flügel des Schlosses absondern müssen von der Welt, die er nur noch wie im Traume von ferne sah, nur die unschuldigen Vögel sangen alle Morgen vor seinen Fenstern von der alten Zeit, daß er oft erschrocken von seinen Bildern aufhorchte.
Aus seiner Hand aber hatte die Fürstin rasch die Zügel des Regiments ergriffen und lenkte keck, die Rosse peitschend, in die neue Freiheit hinaus. In dieser Zeit kam Lothario eines Abends einsam von dem Gebirge herab. Wir wissen nicht, wohin er wanderte, sein Weg führte ihn durch die Stadt. Der Mond trat manchmal heimlich lauernd zwischen den Wolken hervor, da lag die alte Residenz unten wie eine Ruine phantastisch in der schwülen Nacht umher, es war schon alles still, nur ein Mädchen sang noch zur Gitarre aus einem Garten drüben und die Nachtigallen schlugen von den Bergen.

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