01 August 2021

INGEBORG BACHMANN

 Wikipediaartikel

 Ingeborg BachmannDie gestundete Zeit (1953) gilt als Antwort auf Corona von Celan
Text und Vortrag                          

Peter Hamm über den Briefwechsel Bachmann-Celan in ZEIT Nr.35 21.8.2008 "Wer bin ich für Dich?"

"[...] Mögen Liebe und Scheitern ohnehin Synonyme sein, im Falle dieser beiden Dichter wurde die Liebe über alles Scheitern hinaus zum Liebesmartyrium, bei dem sich die Geschichte als weitaus stärker erwies als die Liebesgeschichte. Wer wie Paul Celan in den Abgrund der Geschichte geblickt hatte und den Todeslagern, in denen seine Eltern ermordet wurden, nur knapp entgangen war, den trennte auch noch von dem ihm Liebsten dieser Abgrund, zumal wenn die Geliebte, wie Ingeborg Bachmann, die Tochter eines Nazis der ersten Stunde war. [...]

Da ihr eine Freundschaft, "die hinausgeht über Mitgefühl", nicht mehr möglich erscheint und ihr nach vielen Beleidigungen und Drohungen Celans – einmal nennt er sie seine Mörderin – auch das Mitgefühl fast abhandengekommen ist, rafft sie sich im September 1961 zu jenem todtraurigen (nie abgeschickten) Abschieds- und Abrechnungsbrief auf, in dem es heißt: 

"Ich bin oft sehr bitter, wenn ich an Dich denke, und manchmal verzeihe ich mir nicht, dass ich Dich nicht hasse… Ich denke viel an Gisèle und bewundere sie für eine Größe und Standhaftigkeit, die Du nicht hast… ich glaube, dass ihre Selbstverleugnung, ihr schöner Stolz und ihr Dulden vor mir mehr sind als Dein Klagen. Du genügst ihr in Deinem Unglück, aber Dir würde sie nie in einem Unglück genügen. Ich verlange, dass ein Mann genug hat an der Bestätigung durch mich, aber Du billigst ihr das nicht zu, welche Ungerechtigkeit."
Am 24. November 1965 begeht Celan einen Tötungsversuch an seiner Frau und wird danach in der Zwangsjacke in die Psychiatrie eingewiesen. Wieder entlassen, versucht er am 30. Januar 1967 erneut, Gisèle und den Sohn Eric zu töten, und wird erneut zwangseingewiesen. 
Nach dem letzten Zwangsaufenthalt in der Psychiatrie im Winter 1968/69 sucht er am 20. April den Tod in der Seine. 
'Die Liebe, zwangsjackenschön': Um die schreckliche Wahrheit dieser Zeile aus Celans Gedichtband Fadensonnen zu erfahren, braucht es nicht das Wissen um seine Zwangsaufenthalte in psychiatrischen Kliniken. Die Briefe, die sich Ingeborg Bachmann und Paul Celan geschrieben haben, bezeugen nichts anderes als diese Wahrheit."

kommentierte Linksammlung

Ich habe lange Schwierigkeiten gehabt, zu Ingeborg Bachmann einen Zugang zu finden. Jetzt versuche ich es mit einzelnen Absätzen aus ihren Erzählungen, die mir etwas sagen:

"Wenn einer in sein dreißigstes. Jahr geht, wird man ihn nicht aufhören, ihn jung zu nennen. Er selber aber, obgleich er keine Veränderungen an sich entdecken kann, wird unsicher; ihm ist, als stünde es ihm nicht mehr zu, sich für jung auszugeben. Und eines Morgens wacht er auf, an einem Tag, den er vergessen wird, und liegt plötzlich da, ohne sich erheben zu können, getroffen von harten Lichtstrahlen und entblößt jeder Waffe und jeden Muts für den neuen Tag." 

(Das dreißigste Jahr1961, I. Bachmann: Sämtliche Erzählungen, Piper 1992, S. 94)

"Wenn wir uns, wie zwei Versteinerte, zum Essen setzen oder abends an der Wohnungstür zusammentreffen, weil wir beide gleichzeitig daran denken, sie abzusperren, fühle ich unsere Trauer wie einen Bogen, der von einem Ende der Welt zum anderen reicht – also von Hanna zu mir –, und an dem gespannten Bogen einen Pfeil bereitet, der den unbewegten Himmel ins Herz treffen müsste. Wenn wir zurückgehen durch das Vorzimmer, ist sie zwei Schritte vor mir, sie geht ins Schlafzimmer, ohne 'Gute Nacht' zu sagen, Und ich flüchte in mein Zimmer, an meinen Schreibtisch, um dann vor mich hin zu starren, ihren gesenktem Kopf vor Augen und ihr Schweigen im Ohr. Ob sie sich hinlegt und zu schlafen versucht oder wach ist und wartet? Worauf? – da sie nicht auf mich wartet!"

(I. Bachmann: Sämtliche Erzählungen, Piper 1992, Alles, S. 138)

Einerseits sehr nah an alltäglicher Lebenssituation. Dann die starken (überstarken?) Metaphern. Und woher dieser Abstand?

"Das Kind, dass wir erwarteten, veränderte uns. Wir gingen / kaum mehr aus und vernachlässigten unsere Freunde; wir suchten eine größere Wohnung und richteten uns besser und endgültiger ein. Aber des Kindes wegen, auf das ich wartete, begann alles sich für mich zu verändern; ich kam auf Gedanken, unvermutet, wie man auf Minen kommt, von solcher Sprengkraft, dass ich hätte zurückschrecken müssen, aber ich ging weiter, ohne Sinn für die Gefahr.
Hanna missverstand mich. Weil ich nicht zu entscheiden wusste, ob der Kinderwagen große oder kleine Räder haben sollen, schien ich gleichgültig. (Ich weiß wirklich nicht. Ganz wie du willst. Doch, ich höre.) Wenn ich mit ihr in Geschäften herumstand, wo sie Hauben, Jäckchen und Windeln aussucht, zwischen Rosa und Blau, Kunstwolle und echter Wolle schwankte, warf sie mir vor, dass ich nicht bei der Sache sei. Aber ich war es nur zu sehr.
Wie soll ich bloß ausdrücken, was in mir vorging? Es erging mir wie einem Wilden, der plötzlich aufgeklärt wird, dass die Welt, in der er sich bewegt, zwischen Feuerstätte und Lager, zwischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang, zwischen Jagd und Mahlzeit, auch die Welt ist, die Jahrmillionen alt ist und vergehen wird, die einen nichtigen Platz unter vielen Sonnensystemen hat, die sich mit großer Geschwindigkeit um sich selbst und zugleich um die Sonne dreht. Ich sah mich mit einem Mal in anderen Zusammenhängen, mich und das Kind, das zu einem bestimmten Zeitpunkt, Anfang oder Mitte November, an die Reihe kommen sollte mit seinem Leben, genauso wie einst ich, genau wie alle vor mir." 

(I. Bachmann: Sämtliche Erzählungen, Piper 1992, AllesS. 138/39)


"Ihr Menschen! Ihr Ungeheuer!

Ja ungeheuer mit Namen Hans! Mit diesem Namen, den ich nie vergessen kann.
Immer wenn ich durch die Lichtung kam und die Zweige sich öffneten, wenn die Ruten mir das Wasser von den Armen schlugen, die Blätter mir die Tropfen von den Haaren leckten, traf ich auf einen, der Hans hieß.
Ja, diese Logik habe ich gelernt, Dass einer Hans heißen muss, dass ihr alle so heißt, einer wie der andere, aber doch nur einer. Immer einer nur ist es, der diesen Namen trägt, den ich nicht vergessen kann und wenn ich euch auch alle vergesse, ganz und gar vergesse, wie ich euch ganz geliebt habe. Und wenn eure Küsse und euer Samen von den vielen großen Wassern – Regen, Flüssen, Meeren – längst abgewaschen und fortgeschwemmt sind, dann ist doch der Name noch da, der sich fortpflanzt unter Wasser, weil ich nicht aufhören kann, ihn zu rufen, Hans, Hans ..." (S.253) 

"Ihr Ungeheuer mit euren Frauen! 

Hast du nicht gesagt: es ist die Hölle, und warum ich bei ihr bleibe, das wird keiner verstehen. Hast du nicht gesagt: meine Frau, ja sie ist ein wunderbarer Mensch, ja sie braucht mich, wüsste nicht wie ohne mich leben –? Hast du’s nicht gesagt! Und hast du nicht gelacht und mit Übermut gesagt: niemals schwer nehmen, nie dergleichen schwer nehmen. Hast du nicht gesagt: so soll es immer sein, und das andere soll nicht sein, ist ohne Gültigkeit! Ihr Ungeheuer mit euren Redensarten, die ihr die Redensarten der Frauen sucht, damit euch nichts fehlt, damit die Welt rund ist. Die ihr die Frauen zu euren Geliebten und Frauen macht, Eintagsfrauen, Wochenendfrauen, Lebenslangfrauen und euch zu ihren Männern machen lasst. (Das ist vielleicht ein Erwachen wert!) Ihr mit eurer Eifersucht auf eure Frauen, mit eurer hochmütigen Nachsicht und eurer/Tyrannei, eurem Schutzsuchen bei euren Frauen, ihr mit eurem Wirtschaftsgeld und euren gemeinsamen Gutenachtgesprächen, diesen Stärkungen, dem Rechtbehalten gegen draußen, ihr mit euren hilflos gekonnten, hilflos zerstreuten Umarmungen. Das hat mich zum Staunen gebracht, dass ihr euren Frauen Geld gebt zum Einkaufen und für die Kleider und für die Sommerreise, da ladet ihr sie ein, (ladet sie ein zahlt, es versteht sich). Ihr kauft und lasst euch kaufen. Über euch muss ich lachen und staunen, Hans, Hans, über euch kleine Studenten und brave Arbeiter, Die ihr euch Frauen nehmt zum Mitarbeiten, da arbeitet ihr beide, jeder wird klüger an einer anderen Fakultät, jeder kommt voran in einer anderen Fabrik, da strengt ihr euch an, legt das Geld zusammen und spannt euch vor die Zukunft." 

(I. Bachmann: Sämtliche Erzählungen, Piper 1992, Undine geht S.255/56)

Bei diesen Erzählungen ist die Wikipedia durchaus hilfreich.



Keine Kommentare: