04 Juni 2022

Raynor Winn: Der Salzpfad (orig. The Salt Path)

Zum Zeitpunkt ihrer Wanderung auf dem Salzpfad waren Raynor Winn und ihr Mann obdachlos geworden und hatten beschlossen, auf den 1000 km des Küstenwanderwegs zu einer neuen Identität zu finden. Ihr Führer war das Buch von Paddy Dillons The South West Coast Path.

 Raynor Winn (born 1962[1]) is a British long-distance walker and writer; her first book The Salt Path was a Sunday Times bestseller in 2018.[2] Winn and her husband Moth, who was diagnosed with a terminal illness called corticobasal degeneration,[3] became homeless after a bad investment[4] and decided to walk the 630-mile (1,010 km) South West Coast Path.[5][6]

The Salt Path was shortlisted for the 2018 Wainwright Prize[7] and the 2018 Costa Book Awards in the biography category. The judges described it as "An absolutely brilliant story that needs to be told about the human capacity to endure and keep putting one foot in front of another."[8] In May 2019 The Salt Path won the inaugural RSL Christopher Bland Prize.[9] In September 2019 it was the number one bestselling book in UK independent bookstores.[10]


                                             Verity by Damien Hirst stands overlooking the harbour entrance in Ilfacombe
" 'Was soll das überhaupt symbolisieren?'
'Anscheinend Wahrheit und Gerechtigkeit.'

'Gerechtigkeit? Davon können wir ja ein Lied singen.' Die Statue stellt eine schwangere Frau da. Die eine Körperhälfte ist unversehrt, die andere Hälfte ist aufgeschnitten und zeigt das Baby in ihrem Bauch. Mit der einen Hand streckt sie ein Schwert in den Himmel, mit der anderen verbirgt sie die Waage der Justizia in ihrem Rücken. Kein Wunder, dass sie die Waage versteckt. Die Wahrheit ist hinter einer Fassade verborgen, die das Auge vom Eigentlichen abgelenkt. Das ist ein genaues Abbild der britischen Justiz. Jeder kann Gerechtigkeit erwarten, wenn er es sich leisten kann, die Waage zu seinen Gunsten zu beeinflussen." (Der Salzpfad , S.105/106)


                                                                        Verity Wikimedia Commons (Ausschnitt)

" 'Was ist
 das für ein Fleck da draußen?' Auf dem Meer war etwas aus dem Dunst aufgetaucht.
'Welcher Fleck?' 'Richtung Westen, die Küste lang, da, wo das Land aufhört.'
'Sieht aus wie eine Insel.' 'Könnte das schon Lundy sein? [...]" (Der Salzpfad,S.107)

Lundy ist eine Insel am Eingang zum Bristolkanal in Großbritannien. Der Name leitet sich vom Normannischen lund-ey (Insel der Lunde) ab.[1] (Wikipedia)

"Je nachdem, welche Statistik man liest, hat Cornwall hinter London die zweit– oder fünfthöchste Obdachlosenrate des Landes. Angeblich waren es nur 40 oder 65 Personen, so um den Dreh. Wenn das stimmte, dann tunkte gerade jeder Obdachlose Cornwalls in einer umfunktionierten Kirche in Newquay sein Brot in die Tomatensuppe. Ein freiwilliger Mitarbeiter erklärte mir die Diskrepanz mit Zahlen: Offenbar bezog sich die Zählung der Obdachlosen auf ein bestimmtes Gebiet in einem bestimmten Zeitraum. Überdies musste jede erfasste Person bestätigen dass sie obdachlos war und auf der Straße lebte. Und wenn jemand gerade schlief oder zu schlafen schien, konnte man ihn ja schlecht wecken und fragen." (S.207/08)
Außerdem leben auch viele im Wald oder sonstwo, wo man sie nicht zuordnen kann. Und überdies tunken auch die jetzt wikipediarelevante Raynor Winn und ihr Mann, nachdem sie ihren letzten Schokoriegel einem Obdachlosen gegeben haben, ihr  "Brot in die Tomatensuppe".

S.217:  Raynor Wynns Mann Moth wird des öfteren für Simon Armitage gehalten. Auf  der offiziellen Webseite Armitages, der 2019 für 10 Jahre Poet Laureate wurde, findet sich ein ausdrucksvolles modernes Porträt, das keine fotografische Übereinstimmung mit dem realen Armitage hat.

"Unmöglich sich vorzustellen, dass wir noch dieselben Menschen waren, die am Hartland Point mit seinem wimpelgeschmückten Café gestanden hatten; oder die gebrochenen Seelen, die in Minehead aus dem Bus gestiegen waren. Und alles davor? Das war gar nicht mehr greifbar, so weit weg, unser Haus völlig außer Reichweite. Es existierte, doch die Entfernung macht er ist unerreichbar. Der stechende, tief sitzende Schmerz des Verlustes war verschwunden, geblieben war nur die Erinnerung daran, wenn ich die Augen schloss. Ich hatte den Schmerz nicht mit nach Godrevy mitgenommen, sondern auf einer der anderen Landzungen zurückgelassen, konnte nur noch das Echo davon spüren." (S.219)

In St. Ives liest Moth aus der neuenglischen Übersetzung des Beowulf von Seamus Heaney. ("Daneben schuf Heaney sich ebenfalls einen Ruf als namhafter Übersetzer, insbesondere durch seine 1999 entstandene, weltweit bekannte Übertragung des frühmittelalterlichen, angelsächsischen Heldenepos Beowulf ins Neuenglische in Stabreimen.")
In ihren Hut bekommen sie von dem zufälligen Schaulustigen über 28 Pfund geworfen. - Was sie nicht wussten, Seamus Heaney war gerade vor kurzem gestorben. [Danach fand die Wanderung 2013 statt.] (S.232)

Der Sturz in die Schlehenhecke und die Lebensmittelvergiftung (S.351ff)
"Wasserwand [...] Ohne Warnung öffneten sich die Schleusen des Himmels, und die Wassermassen stürzten senkrecht auf uns herab und verwandelten den staubigen Weg in eine tückische Suppe. Regenpfeile [...] (S.352:) Auf einmal verloren meine Füße den Halt, und ich sah sie wie in Zeitlupe durch die Luft fliegen, während sich die Welt um mich drehte. [...] Wie aus dem Nichts kam die Hecke auf mich zu. Ich versuchte aufzustehen, doch Dutzende Dornen fesselten mich an die Schlehenhecke. [...] zog Moth sie einen nach dem anderen heraus. Danach waren meine Hände und Beine ein pochendes rotes Nadelkissen."
Weymouth (52 000)
"Da merkte ich, wie sich in meinem Bauch ein seltsames Gefühl breitmachte, als würde mein Magen auf Erbsengröße schrumpfen, um sich dann auf die Größe eines Fußballs auszudehnen. [...] immer schneller [...] Bed and Breakfast gefunden [...]  ein Bett und eine Toilette, und ungefähr sechsunddreißig Stunden lang bekam ich nichts anderes zu Gesicht." (S.353)

Obdachlose 
"Je nachdem, welche Statistik man liest, hat Cornwall hinter London die zweit– oder fünfthöchste Obdachlosenrate des Landes. Angeblich waren es nur 40 oder 65 Personen, so um den Dreh. Wenn das stimmte, dann tunkte gerade jeder Obdachlose Cornwalls in einer umfunktionierten Kirche in Newquay sein Brot in die Tomatensuppe. Ein freiwilliger Mitarbeiter erklärte mir die Diskrepanz mit Zahlen: Offenbar bezog sich die Zählung der Obdachlosen auf ein bestimmtes Gebiet in einem bestimmten Zeitraum. Überdies musste jede erfasste Person bestätigen dass sie obdachlos war und auf der Straße lebte. Und wenn jemand gerade schlief oder zu schlafen schien, konnte man ihn ja schlecht wecken und fragen." (S.207/08)

Außerdem leben auch viele im Wald oder sonstwo, wo man sie nicht zuordnen kann. Und überdies tunkten auch die jetzt wikipediarelevante Raynor Winn und ihr Mann, nachdem sie ihren letzten Schokoriegel einem Obdachlosen gegeben haben, ihr  "Brot in die Tomatensuppe".

"Unbeachtet von den Feiernden streiften wir durch die Stadt, hielten uns in der Hoffnung auf ein ruhiges Plätzchen Richtung The Hoe. Doch jede Seitenstraße und jede Bank schien bereits einen Bewohner zu haben. Entweder in einem Schlafsack oder zusammengerollt unter einer Decke oder einfach in Embryohaltung auf dem Boden zusammen/gekrümmt, um sich möglichst warm zu halten. Nach offiziellen Zahlen lebten im Herbst 2014 in Plymouth dreizehn Menschen auf der Straße. Wenn das stimmte, dann hatten wir sie alle und noch mehr ein paar mehr in einer einzigen Nacht getroffen, genau wie in Newquay. (S.387/88)

"Warum verstehen nur so wenige das Bedürfnis des Menschen nach einem Heim?/
Bedarf es erst einer Krise, um die Misere der Obdachlosen zu begreifen? Müssen sie erst aus einem Kriegsgebiet fliehen, damit ihre Not anerkannt wird? Können wir als Gesellschaft nur auf hilfsbedürftige Menschen reagieren, wenn sie unserer Meinung nach diese Hilfe auch verdient haben? 
Wenn die Obdachlosen unseres eigenen Landes in einem Flüchtlingslager untergebracht oder in kaum seetüchtigen Booten übers Meer zu uns gekommen wären, würden wir sie mit offenen Armen aufnehmen? Nein, die einheimischen Obdachlosen entsprechen nicht diesem Bild; lieber glauben wir, sie seien eine Ausnahme und ihre Notlage selbst verschuldet. Doch über 280.000 Haushalte im vereinigten Königreich geben an, kein Dach über dem Kopf zu haben, und die wenigsten von ihnen sind aufgrund von Drogen oder Alkohol in diese Lage geraten. Wenn sie sich – wir alle uns – zusammentun würden, Männer, Frauen und Kinder, würde man nicht immer nur einen einzelnen Menschen in einem Ladeneingang vor Augen haben. Wie würden wir dann wahrgenommen werden? Zweihundertachtzigtausend? Mehr? Weniger? Wie viele es tatsächlich sind, ist nicht bekannt. Flüchtlinge der westlichen Zivilisation, vom Leben abgeschnitten, In einem Boot treibend, das nur als selten einen Hafen findet." (S.392/93)

Schildkröte (S.408/09)
"Keine Menschenseele in Sicht außer einem Mann an der grasbewachsenen Felskante. Er war gekleidet wie zu einer Safari in den fünfziger Jahren; steinfarbene Bermudashorts mit passender Weste, dazu ein breitkrempeiger Hut.. Er stand da und schaute hinaus aufs Meer, die linke Hand in der Hosentasche, in der rechten ausgestreckten Hand eine Leine, an der, wie es schien, ein großer Stein hing. Von Zeit zu Zeit ging er einen Schritt weiter und der Stein folgte ihm durch das vom Wind kurzgehaltene Gras. Wir sahen ihm zehn Minuten lang zu, in denen sich drei Meter mit kleinen Schritten vorwärtsbewegte.
"Ich kann mir nicht helfen, ich muss einfach nachschauen, was er da macht."
Als wir näher kamen, erkannten wir, dass es dich nicht um einen Stein handelte.
"Hallo. Was für ein schöner Tag, um ihre Schildkröte auszuführen."
Seit der Begegnung in dem Wäldchen am zweiten Tag unserer Wanderung von Minehead war über ein Jahr vergangen; schon lange hatten wir nichts mehr auf die Prophezeiung gegeben, dass wir 'mit einer Schildkröte wandern' würden. Und doch, hier war sie, an einer für sie umgearbeiteten Hundeleine, am Ende unserer Reise. Eine Schildkröte, die Gras und Kräuter abrupfte und sich ganz gemächlich weiterbewegte. 
"Salat"
"Bitte?"
"Ihr Name ist Salat."/
Wir gingen alle einen Schritt weiter.
"Was machen Sie hier oben mit ihr?"
Der Mann war erst einen Blick auf die Leine in seiner Hand und dann auf uns, als hätten wir eine dumme Frage gestellt, als wäre das, was er da tat, das Normalste der Welt.
"Ich führe sie spazieren."
"Spazieren? Das mag sie wohl gerne? Aber brauchen Sie denn wirklich eine Leine? Sie wird doch kaum wegrennen."
Gemeinsam machten wir wieder einen Schritt.
"Lassen Sie sich von ihr nicht täuschen, sie wirkt langsam, aber ich brauche nur den Kopf zu drehen, und zack, ist sie weg. Dann muss ich Salat auslegen und geduldig warten, Irgendwann riecht sie ihn und kommt, oft allerdings erst nach Stunden." Er hob die Klappe seiner Tasche und zeigte uns die kostbaren Salatblättchen darin.
"Darum nennen Sie sie Salat. Wäre es nicht einfacher, sie im Garten zu halten?"
Der Mann vertrete die Augen, während wir erneut einen Schritt weitergingen.
"Das kann man doch nicht machen. Sie muss raus und sich die Beine vertreten. Ich darf sie nicht einsperren, sie ist ein Wildtier. Ich bringe sie jeden Tag hierher."
"Okay."

Wir waren bereits auf die nächste Landzunge geklettert, bevor einer von uns etwas zu sagen wagte.
"Was?"
"Jetzt behaupte bloß nicht, dass auch das ein Zufall ist." " (S. 408/09)

Polruan (S.405) Polperro (S.406)




Keine Kommentare: