26 Juni 2022

Thomas Mann: Doktor Faustus - Ines

  " 'Serenus, schelten, verachten, verwerfen Sie mich?' 'Mitnichten, Ines', erwiderte ich. 'Bewahre Gott, ich habe es mir immer gesagt sein lassen jenes 'Die Rache ist mein, ich will vergelten'. Ich weiß, Er senkt die Strafe schon in das Vergehen hinein und tränkt es ganz mit ihr, so dass das eine nicht vom anderen zu unterscheiden ist und Glück und Strafe dasselbe sind. Sie müssen sehr leiden. Säße ich hier, wenn ich zum Sittenrichter gemacht wäre? Dass ich für Sie fürchte, das leugne ich nicht. Aber Ich hätte auch das für mich behalten ohne Ihre Frage, ob ich Sie schelte.'

'Was ist Leiden, was sind Furcht und demütigende Gefahr', sagte sie, 'im Vergleich mit dem einen, süßen, unentbehrlichen Triumph, ohne den man nicht leben wollte: das leichtfertige, Entgleitende, das Weltliche, die Seele mit uns fahrlässiger Nettigkeit Quälende, das aber dennoch wahren menschlichen Wert hat, an diesem seinem ernsten Werte festzuhalten, sein Stutzertum zum Ernst zu zwingen, das Lose zu besitzen und es endlich, endlich, nicht einmal nur, sondern zur Bestätigung und Versicherung nie oft genug, in dem Zustand zu sehen, der seinem Wert gebührt, im Zustand der Hingebung, der tief seufzenden Leidenschaft!'
Ich sage nicht, dass die Frau sich genau dieser Worte bediente, aber sehr annähernd so drückte sie sich aus. Sie war ja belesen und gewohnt, / ihr inneres Leben nicht stumm zu führen, sondern es zu artikulieren, und hatte sich als Mädchen sogar in der Dichtkunst versucht. Ihre Worte besaßen gebildete Präzision und etwas von der Kühnheit, die immer entsteht, wenn die Sprache Gefühl und Leben ernstlich zu erreichen und in sich aufgehen zu lassen, sie in sich erst wahrhaft leben zu lassen bestrebt ist. Dies ist kein alltäglicher Wunsch, sondern ein Erzeugnis des Affektes, und insofern sind Affekt und Geist verwandt, insofern aber auch ist der Geist ergreifend." (S.357/58)

"Ines Rodde, Helmut Institoris

Ines ist die Tochter der verwitweten Senatorin Rodde. Der fiktive Biograph Zeitblom beschreibt sie als nicht ohne weiblichen Reiz mit ihrem schweren Haar, mit ihren kleinen, Grübchen bildenden Händen und ihrer vornehm auf sich haltenden Jugend. Er deutet auch die Kehrseite ihres Wesens an, „in ihrer seelischen Gebrechlichkeit, mit ihrem verhängten Blick voll distinguierter Trauer, ihrem schräg vorgeschobenen Hälschen und ihrem zu schwacher und prekärer Schelmerei gespitzten Mund.“

Von „patrizischer Abkunft“, aber ohne Mitgift, heiratet sie den von Haus aus reichen Privatdozenten Dr. Helmut Institoris, der in seinen kunsttheoretischen Vorlesungen zur Renaissance für alles Starke und Rücksichtslose schwärmt, selbst aber keine Kraftnatur ist. Eher klein, leise und lispelnd sprechend, zart und nervös, ist er Stammgast in einem Sanatorium für reiche Leute in Meran.

Aus der lieblosen, nur als bürgerliche Fassade geführten Ehe gehen drei Kinder hervor, die Ines Institoris von ihren Kindermädchen aufziehen lässt. Schon vor der Heirat war sie von dem „knabenhaften Frauenliebling“ Rudi Schwerdtfeger fasziniert, den sie nun zu ihrem Geliebten macht. Sie führt fortan ein Doppelleben, aber diese Beziehung vermag bei aller Leidenschaftlichkeit nicht ihre Leere zu füllen, zumal Rudi ihre Liebe nur „aus Kavalierspflicht“ erwidert. Ines wird zur Morphinistin. Als Schwerdtfeger schließlich, eingefädelt von Leverkühn, eine andere heiraten und nach Paris ziehen will, erschießt Ines den treulosen Liebhaber, als dieser nach seinem erfolgreichen Münchener Abschiedskonzert mit der Straßenbahn nach Hause fährt, und besiegelt damit zugleich ihr eigenes bürgerliches Schicksal." (Wikipedia)

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Doktor Faustus (Wikipedia)

Die Entstehung des Doktor Faustus* (Wikipedia) 

*Mit einer gewissen Verwunderung entdecke ich, dass etwas über 60 Prozent des gegenwärtig vorliegenden Artikels zur 'Entstehung' von mir stammen, fast alles im November 2007 eingestellt. Das scheint mir ein guter Beleg dafür, eigene Texte zur freien Verfügung ins Internet zu stellen. Hätte ich den Text irgendwo in meinem Lektüretagebuch festgehalten, wäre ich jetzt vermutlich nicht auf ihn gestoßen. Außerdem hätte H.-P.Haack dort nicht seine Überlegungen zu Zweideutigkeit als System verlinken können. Ich benutze diese persönliche Anmerkung auf diese scharfsinnigen Beobachtungen hinzuweisen.



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